Zehn

„Du kommst und gehst wie der Wind."
Jay hatte sie durchaus bemerkt. Schon die ganze Zeit war er sich ihrer Anwesenheit bewusst. Er drehte sich langsam zu ihr um. Ihr langes Haar war hochgesteckt und ihre Haut wurde von Seide bedeckt. Solch ein teures Kleid, gewiss nur für die Hochzeit geschneidert. Immerhin war Natascha die Trauzeugin. Sie war unübersehbar. Nach dieser Frau mussten sich einige Männer umdrehen.

Nur in Jay rief sie ein schlechtes Gewissen hervor. Er hatte sie benutzt. War mit ihr ein Spiel eingegangen, welches sie mit wahren Gefühlen gespielt hatte. Er hingegen hatte ihr bis heute keine Liebe geben können. Er mochte Natascha ohne Zweifel. Aber sein Herz war nicht für Liebe geschaffen. Er hatte sich hohe Ziele gesetzt und für diese Ziele war er bereit jeden zurück zu lassen und auf so etwas lästiges wie Liebe zu verzichten. Ja, er wollte darauf verzichten.

„Das Kleid steht dir gut."
„Findest du? Ich hatte gehofft es dir heute zeigen zu können."
Jay hatte sie gar nicht übersehen können. Nachdem die anderen ins Haus gegangen waren um den Gästen ihr Vorhaben mitzuteilen und auch Samara sich von ihm entfernt hatte, war Natascha zu Jay gekommen.

Mit vorwurfsvoller Miene stand sie vor ihm. Er war nicht gleich verschwunden. Nein er wollte ihr die Gelegenheit geben ihn ein letztes Mal zu sehen.
„Willst du mich bestrafen?"
„Wofür sollte ich dich bestrafen? Du hast mir nie etwas versprochen und mich von Anfang an gewarnt. Nichts desto trotz tut es weh."

„Warum hast du auch zugehört?"
„Weil ich es wissen wollte. Du hast mir nie gesagt, was du tust, oder warum du nach Eskalat gekommen bist."
„Eskalat war Alains Wahl. Er hatte gehofft Eleonore wieder zu sehen. Ich wäre überall hin gegangen. Es ging nie darum ewig an einem Ort zu bleiben."
Jay drehte sich wieder um und hantierte an der Satteltasche herum. Sein Pferd zappelte unruhig. Vermutlich spürte es Jays eigene Unruhe.

„Hat dich dieser Ort denn nie in deinem Innersten berührt? Gibt es nichts, was dich hier halten könnte?"
„Du gibst nicht auf oder?"
Jay wusste, dass sie den Kopf schüttelte, auch wenn er es nicht sah. „Erinnerst du dich an dein Versprechen? Dein Versprechen mich nicht aufzuhalten?"
„Wie könnte ich es nicht versuchen...Nach all den Jahren, die du bei mir warst, nahm ich an ich würde dir wenigstens etwas bedeuten. Du kannst nicht von mir erwarten dabei zu zusehen, wie du zu ihr zurück gehst."

Jay stöhnte und wandte sich wieder zu ihr. Er stellte sich vor Natascha und schenkte ihr all seine Aufmerksamkeit. „Was willst du tun, um mich aufzuhalten?"
„Was kann ich tun?"
„Nichts."
„Du...empfindest rein gar nichts für mich, nicht wahr? Es gab immer nur sie in deinem Leben. Ich war nur ein Lückenfüller."
„Warum tust du so gekränkt? Ich habe es dir von Anfang an gesagt. Du hast mir versichert es sei dir genug, was ich dir geben kann."

„Was bin ich für dich, Jay? Eine Hure? Eine billige Schlampe mit der du dir acht Jahre lang die Zeit vertreiben konntest und sie nun auf den Müll schmeißt?"
„Warum bist du so? Warum machst du es mir jetzt so schwer?"
„Weil ich dich so liebe. Ich weiß was du machst ist gefährlich. Wenn du nach Tamaran zurück kehrst, wirst du dich in Gefahr stürzen und womöglich auch sterben. Hier in Eskalat könntest du frei sein. Du müsstest nicht mehr kämpfen."
„Natascha, ich kämpfe nicht für Tamaran. Das war einmal. Heute habe ich höhere Ziele."
„Was für Ziele?"

„Ich will eine andere Welt schaffen. Eine Welt ohne Hass und Krieg. Ich will den Menschen Vertrauen und Hoffnung geben. Sie beschützen. Dabei spreche ich nicht nur von den Tamaranern. Dort werde ich anfangen, aber ich will für alle kämpfen. Solange bis die Menschen wieder lernen zuzuhören und nicht gleich zur Waffe greifen. Es ist mir gleich was ich dafür opfern muss. Es ist mir gleich, ob ich dabei sterbe. Ich bin nicht mehr nur ein Mann, der eine Frau liebt oder für ein Land kämpft. Ich bin ein Channajiu, Natascha."

Sie wusste nicht einmal was das bedeutete. Allerdings fühlte es sich gut an diese Worte auszusprechen und ehrlich zu sein. Jay war mehr als nur ein Krieger. Es machte ihn stolz und er fühlte seine Verantwortung.

„Ein Channajiu, der seine Kraft nutzt, um die Menschen zu vereinen. Das Channa ist keine Waffe, die für den Krieg benutzt werden sollte. Krieger sollten auch nicht dafür da sein, um zu töten und Befehle zu befolgen. Es hat lange gedauert, bis mir das klar wurde, aber ein Krieger ist ein Channajiu. Er hat die Pflicht das Volk zu vereinen und nicht zu entzweien. Er hat die Pflicht nur dann zu kämpfen, wenn es für das Volk ist und für den Frieden. Nicht aus persönlichen Gründen oder weil man es ihm befielt. Er ist keine Waffe für das Land, sondern ein Friedenswächter. Das ist meine Aufgabe. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst."

„Jay, ich habe zwar nicht alles verstanden von dem was du mir gerade erzählt hast, aber eines weiß ich: Es muss noch jemand anderes geben, der das alles machen kann. Warum musst du es sein?"
„Weil ich mich dafür entschieden habe. Einer muss es sein. Wenn es keiner tut, wird sich nie etwas ändern."

„Was willst du denn ändern?"
„Einfach alles!"
Jay sah ihre traurigen Augen. Darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Niemand konnte ihn umstimmen.
„Mir gefällt die Welt nicht, wie sie ist. Ich weigere mich in dieser Welt zu leben und zu sterben."
„Dann lass uns fortgehen. Ganz egal, wohin." Natascha nahm seine Hand. Ihr Blick war eindringlich.

„Übertreiben...", fing Jay leise an „und weglaufen liegt mir nicht. Ich werde mich nicht umdrehen und wegsehen."
Langsam ließ sie ihn los. Anscheinend kapituliere sie.
„Du bist...wirklich sehr weit weg von mir. Warst du immer schon. Nur jetzt rennst du so schnell, dass ich dir nicht mehr hinterher laufen kann."

Jay verstand ihre Worte. Natascha ließ ihn gehen. Sie küsste ihn ein letztes Mal und verschwand dann wieder im Haus. Jay sah ihr noch einen Moment hinterher. Er war schon ein grausamer Mensch.
Er verließ Eskalat im Wissen, dass er nie wieder zurück kommen würde.



~



Eleonore stand in Reitkleidung und Stiefeln vor Alain und starrte verlegen zu Boden. Gewiss war diese Kleidung für sie nicht nur ungewohnt, sondern auch unbequem. Ihre Haare waren zurück gebunden und ein brauner Hut bedeckte ihr Haupt.
Er nahm seinen Mut zusammen und sagte: „Du siehst hübsch aus."

„Danke!"
Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe.
„Mensch Alain, du hast dich ja sehr verändert", kam es von Samara staunend. Sie hatte Recht. In den vergangenen Jahren war Alain aus der Rolle des Kriegers geschlüpft und offener geworden. Er redete auch mehr. Eleonores neugieriges Wesen hatte ihn einfach dazu gezwungen zu reden. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt.

Samara hingegen hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie sah aus, als wäre für sie die Zeit stehen geblieben. Aber es war nur ein Zeichen dafür, dass es ihr gut ging, was Alain wiederum erleichterte.

„Acht Jahre sind eine lange Zeit, Sama."
„Das musst du mir nicht sagen. Immerhin warst du derjenige, der einfach verschwunden ist und sich nie gemeldet hat."
Das war definitiv ein Vorwurf. Doch was konnte er nur darauf sagen? Alles hätte sich zu dem Zeitpunkt wie eine Ausrede angehört.
„Wollen wir?", fragte Eleonore ungeduldig. Sie freute sich darauf Tamaran kennen zu lernen.
Alains Freude hielt sich in Grenzen. Ihm verschafften die Erinnerungen eher Bauchschmerzen.

Er half seiner Frau in den Sattel. An das Gefühl verheiratet zu sein musste er sich erst noch gewöhnen. Als er Samara helfen wollte, lehnte sie dankend ab und schwang sich elegant selbst in den Sattel. Das sie reiten konnte war ihm klar. Nur hatte sich ihre Reitkunst sehr verbessert.

„Was bringt dir Ram noch alles bei?", fragte Alain kopfschüttelnd und Samara grinste.
„Die Ehe bekommt dir gut, meine Liebe."
Samara beugte den Oberkörper zu ihm hinunter und flüsterte so leise, dass Eleonore es nicht hören konnte: „Das gleiche könnte ich auch zu dir sagen, mein Freund."
Schmunzelnd entfernte sich Alain und stieg ebenfalls auf sein Pferd. „Auf nach Namalia!" rief er und die drei machten sich auf den Weg.

Sie waren einige Tage unterwegs, es war warm und trocken, also mussten sie öfters pausieren und ihre Pferde tränken. Eleonore war Feuer und Flamme für alles was ihr auf dem Weg begegnete. Samara und Alain bereitete es großes Vergnügen ihre vielen Fragen zu beantworten.
„Sind wir schon in Tamaran?"
„Schon eine ganze Weile", gab Samara zur Antwort. Ihr war Alains Anspannung nicht entgangen.

„Was ist?"
Alain schüttelte den Kopf. Er fühlte sich nicht wohl. Je ferner die Grenze zu Berandur war, desto mehr fühlte sich Alain unwohl. Hatte er Berandur schon so sehr ins Herz geschlossen? Er bezweifelte es. Vermutlich lag es an dem stetig schlimmer werdenden Zustands der Umgebung. Man sah verbrannte Felder, viele gerodete Waldflächen und immer ärmere Menschen. Auch die Frauen bemerkten es. Tamaran war in einem schrecklichen Zustand. Nicht einmal zu Kriegszeiten hatte das Land so schlecht ausgesehen.

„Ich erinnere mich an etwas, das Jay einmal zu mir sagte."
Eleonore hielt ihr Pferd an und schaute den Bettlern hinterher, die gerade an ihr vorbei gegangen waren. Alain und Samara taten es ihr gleich.
„Einmal habe ich zu ihm gesagt das Krieg grausam sei. Daraufhin wurde er richtig wütend und meinte, dass ich keine Ahnung vom Krieg hätte. Bis heute wollte ich ihm nicht glauben. Aber er hatte Recht. Ich sprach leichtsinnig. Heute verstehe ich ihn. Er meinte ich sollte nach Tamaran gehen und mir das Land ansehen, erst dann würde ich mehr vom Krieg verstehen."

Ihr Blick wurde traurig.
„Aber nicht mal annähernd kann ich das empfinden, was diese Menschen empfinden müssen. Sie haben geliebte Menschen verloren, ja sie vielleicht sogar mit eigenen Augen sterben gesehen. Gar nicht erst zu sprechen von der ganzen Verwüstung und dem Elend."

Nach einer Pause sprach sie weiter. „Er muss das alles gesehen haben. Wie oft war er in den vergangenen Jahren wohl hier?"
„Jay war überall. Selbst in Saboran."
Erschrocken starrte Samara Alain an.

„Was hast du denn gedacht? Er hat seinen Feind verfolgt, dabei war es egal, wohin ihn der Weg führt."
„Und nun ist er vermutlich schon in Dokrat. Was meinst du, Alain, wird man ihn...?" Samara wagte nicht den Gedanken auszusprechen.
„Der Rat wäre schön dumm, wenn sie ihn in irgend einer Form bestrafen würden."

Alains Pferd wackelte mit den Ohren. Er wusste das Zeichen zu deuten und sah sich um. Eine Reitergruppe folgte ihnen in kleiner Entfernung. Alain spürte sie ganz deutlich. Wäre sein Channa nur etwas stärker gewesen, hätte er sie noch früher entdeckt.

Aber er hatte in Eskalat nicht wirklich trainiert und somit wunderte es ihn nicht, die Bande erst jetzt zu bemerken. Waren es Räuber? Jay hatte erzählt, dass viele Tamaraner aus Not dazu gezwungen waren zu stehlen. Immer mehr Räuberbanden entstanden. Alain hatte schon mit so etwas gerechnet. Er zügelte sein Pferd und bat die Damen ihm zu folgen. Langsam führte er sie durch den dichten Wald bis zu einem großen Felsen. Am Fuße stiegen sie ab und machten ihre Pferde fest.

„Samara, hast du irgendwelche Waffen bei dir?", fragte Alain seine Freundin.
„Natürlich. Denk ja nicht ich reise vollkommen unbewaffnet nach Berandur und wieder zurück."
Sie zog ihren langen Dolch hervor und grinste. Alain betrachtete skeptisch das, was sie als Waffe bezeichnete. Wo hatte sie ihren Bogen gelassen?
„Den kannst du höchstens als Zahnstocher verwenden."
Sie verzog das Gesicht und Eleonore musste lachen.
„Wie auch immer. Bleib bei Eleonore, ich klettere etwas auf den Felsen, um sie von oben zu überraschen."

„Wie viele sind es?"
„Nicht so viele. Das schaffe ich schon."
Alain hatte seinen Bogen geschultert und stieg den Felsen hinauf. Er wollte niemanden töten. Erst recht keine Tamaraner. Aber er würde sich auf jeden Fall verteidigen.

Nachdem er Stellung bezogen hatte, dauerte es auch nicht lange, bis die Männer angriffen. Nun war es an Alain seine Schießkunst zu testen und zu beweisen, dass er noch immer ruhige Hände hatte. Tatsächlich, Eleonore staunte nicht schlecht, wie er es schaffte einen nach dem anderen außer Gefecht zu setzen ohne sie lebensbedrohlich zu verletzen. Die meiste Zeit schoss er auf ihre Pferde. Es kostete seine Gegner Zeit sich aufzurappeln und wieder anzugreifen. Diese wertvolle Zeit nutzte Alain, die Angreifer bewegungsunfähig zu machen.

„Wahnsinn! Ich wusste nicht, wie gut er schießen kann."
Samara hielt sich die ganze Zeit bereit obwohl sie nicht wirklich schwer bewaffnet war. Was man nicht von den Räubern sagen konnte. Sie hatten Langschwerter, Kurzschwerter, Bögen, Äxte und andere Waffen. Waren dies wirklich einfache Räuber? Woher hatten sie die ganzen Waffen?

Es wunderte Alain auch, dass es immer mehr von ihnen wurden. So viele hatte er nicht wahrgenommen. Anscheinend war sein Channa doch nicht so gut, wie er dachte. Er war ja auch ein Heiler. Er nutze sein Channa nicht auf diese Weise. Langsam wurde es eng. Er musste hinab steigen und in den Nahkampf übergehen. Wie sehr er das hasste.

„Welch Unglück", meinte Samara verärgert, „kaum sind wir in Tamaran, geht das Kämpfen schon wieder los. Was stimmt denn nicht in diesem verfluchten Land?"
„Glaub mir, ich weiß wie du dich fühlst. Ich war acht Jahre im Ausland und musste nicht einen Tag Bogen oder Schwert benutzen."
„Wir hätten nicht alleine gehen sollen", meinte Eleonore angespannt. Sie musste sich fürchten.
„Wen hätten wir denn schon mitnehmen sollen?"

Plötzlich, wie aufs Stichwort sprang ein Fremder den Felsen hinunter und stellte sich schützend vor die drei. Er hob zwei Schwerter zugleich und schlug die Gegner zurück.
„Ihr hättet auf mich warten sollen."

„Ram! Wie hast du uns nur gefunden?"
„Frage in Tamaran nach Ärger und du findest was du suchst. Eine alte Weisheit von Mohan."
Er kam nicht zu weiteren Ausführungen, denn die Räuber, oder was immer sie vorgaben zu sein, griffen erneut an.
„Wer sind die Kerle? Ich kenne keine Räuber, die so stark bewaffnet sind oder dermaßen hartnäckig angreifen."
„Das sind Saboraner, Alain."
„Wie bitte?"
„Ihr wart lange fort. Tamaran hat zwar die Schlacht um Dokrat gewonnen. Ist aber instabil geworden was seine Grenzen betrifft."

Also waren es verkleidete Saboraner, die das Land tyrannisierten. Es wunderte Alain nicht wirklich. Viele Krieger gab es nicht mehr, die hätten Ordnung schaffen können. Sie waren entweder untergetaucht oder tot. Und die Soldaten wurden laut Ram alle nach Dokrat versetzt, um die Stadt zu schützen.

Dies wurde natürlich vom Feind ausgenutzt.
Zum Glück war Ram noch nicht eingerostet und vertrieb die Bande letztendlich. Alle atmeten auf.
„Du bist aus der Übung, mein Freund."
Ram klopfte Alain auf die Schulter.
„Ach, ich brauche nur etwas Zeit. Das wird schon wieder."
„Darüber hinaus..."
Er holte Luft, „...bin ich sehr froh dich gesund zu sehen. Ich habe dich vermisst."

Er lächelte aufrichtig. Wo war der naive Mann aus der Vergangenheit geblieben? Er war nun ein Ehemann. Das war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich wünschte ich könnte das selbe sagen, aber im Grunde habe ich mich in Eskalat so wohl gefühlt, dass es mir an nichts fehlte", gab Alain neckend zur Antwort.

„Du bist ja ein richtiger Charmeur geworden. Stell mir lieber deine reizende Ehefrau vor."
Ram schlängelte sich an Alain vorbei und griff nach Eleonores Hand.
„Seid gegrüßt holde Dame, es ist mir wahrlich ein Vergnügen euch kennen zu lernen."

Eleonore hatte mit dieser aufdringlichen Begrüßung nicht gerechnet und machte große Augen. Samara stemmte gespielt eifersüchtig die Hände in die Hüften und prustete: „Hey, du Charmeur! Lass sie doch zu Atem kommen. Du überfällst sie ja geradezu."

Hatte Alain einen Moment zuvor noch geglaubt Ram hätte sich verändert, so wurde ihm dieser Irrglauben so eben genommen. „Eleonore, das ist Ram. Ram, würdest du die Hand meiner Frau wieder loslassen."
Alain kniff die Augen zusammen.

„Schon gut. Ich wollte ihr nicht gleich einen Antrag machen. Ihr beide seid echt zu viel."
Ram lies Eleonores Hand los und verneigte sich höflich. Sie konnte ihm gar nicht böse sein. Langsam entspannte sie sich wieder, das fühlte Alain. Sama fiel ihrem Mann um den Hals.

„Bin ich froh dich zu sehen. Ich hätte ja mit allem gerechnet, aber nicht mit dir."
„Was bleibt mir den anderes übrig, als dir nachzureiten, wenn ich erfahre, dass du alleine los gezogen bist", meinte er vorwurfsvoll.
„Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich in Gefahr sein würde", kam es von ihr mit einem Augenzwinkern.
Ram verdrehte die Augen. „Sama, in diesem Land sollte eine Frau nicht alleine reisen."
„Danke, ich bin jetzt auch schlauer", antwortete sie zickig, fügte dann aber noch hinzu: „Dank Jay."

Ram stutzte und blickte überrascht von seiner Frau zu Alain. Dieser nickte nur.
„Du hast ihn getroffen?"
„Ja. Er war auf der Hochzeit."
Ram stutzte erneut. Alain sah ihm an, dass er gerade tausend Fragen auf einmal hinunter schluckte. „Ich verstehe", sagte er verhalten. „Fürs erste, lasst uns hier verschwinden."

„Gut, wir sind nämlich auf dem Weg nach Namalia."
„Ihr habt es also gehört? Das mit Mohan meine ich."
Alain nickte wieder.
„Es ist bedauerlich. Jay ist deshalb ziemlich außer Fassung."
„Wirklich? Na wenn jemand seinen Tod bedauert, dann er. Allerdings war ich mir nicht sicher, wie er reagieren würde. Immerhin ist er Mohan in den letzten acht Jahren aus dem Weg gegangen."

„Das hatte nichts mit Mohan oder ihrem Streit zu tun, Ram. Jay ist uns allen aus dem Weg gegangen. In erster Linie einer ganz bestimmten Person."
Sie nahmen ihre Pferde und machten sich auf den Weg. Ram hatte sein Pferd in der Nähe gelassen. Nachdem er es geholt hatte, führte er die anderen durch den Wald.

„Wie geht es Sanjana?", fragte Samara besorgt.
„Sie hält sich tapfer. Aber was erwartest du? Er war ihr Vater."
Alain hatte ein flaues Gefühl im Magen wenn er sich nur das Wiedersehen mit Sanjana vorstellte.
„Es wird komisch sein sie wieder zu sehen. Erst recht unter diesen Umständen."
„Sie wird sich freuen dich zu sehen."
„Ach wenn ich das nur glauben könnte, Sama."
„Du wirst sie überraschen, aber sie wird sich auch freuen."
„Ich hoffe es."

Der Weg durch den Wald dauerte lange. Die Luft war schwül und bald fiel prasselnder Regen durch die grauen Wolken. Es war das selbe Grau, wie in Jays Augen, welches Alain in den vergangenen acht Jahren andauernd gesehen hatte. Alain überlegte. Wann hatte er das letzte Mal den grünen Schimmer darin gesehen? Es war eine Ewigkeit her.

Wo mochte sein Freund jetzt sein? War er schon in Dokrat, oder war er doch auf dem Weg nach Namalia? Würde er es sich tatsächlich antun zu Mohans Beerdigung zu kommen und ein Wiedersehen mit Sanjana in Kauf zu nehmen? Das würde nicht gut gehen, soviel war sicher. Sanjana würde ihn umbringen.

Als die kleine Truppe endlich Namalia erreichte, kam eine Welle von Erinnerungen hoch. Alle Krieger hatten den Schutzauftrag in Namalia als besonders empfunden. Auch Alain hatte sich dort wohl gefühlt. Die Stadt an sich hatte sich nicht großartig verändert. Hier und da waren neue Gebäude errichtet worden, auf dem Marktplatz herrschte das übliche Chaos und die Menschen schienen sorgenfrei ihren Alltag zu gestalten.

Hier war die Zeit stehen geblieben. Namalia war eine der wenigen Städte, die vom Krieg und seinen Nachfolgen verschont geblieben waren.
„Es ist wunderschön hier."
Eleonore kam aus dem Staunen nicht heraus. Alain wusste, dass ihr Namalia gefallen würde. „Man kann gar nicht glauben, dass diese Stadt noch zu Tamaran gehört. Wenn ich mich an das erinnere, was ich auf unserem Weg hier her alles gesehen habe, bin ich doch sehr erstaunt.

„Namalia war immer schon etwas besonderes, eine andere Welt."
Wenig später erreichten sie Sanjanas Haus. Sie hatte es nicht über sich gebracht es zu verkaufen. Samara und Ram hatten hier oft residiert und dafür gesorgt, dass der Hof in Stand gehalten wurde. Sobald sie durch das Tor geritten waren, kamen einige Diener auf sie zu und hielten die Pferde.

„Es sieht noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte."
Alain drehte sich einmal um sich selbst. „Es wachsen mehr Ranken am Haus. Ansonsten stelle ich keinerlei Veränderungen fest."
„Was sollte sich auch groß verändern?", fragte Ram, bekam aber nur ein Schulterzucken von Alain. Währenddessen hatte Samara ein paar Worte mit den Angestellten gewechselt. „Anscheinend sind die Vorbereitungen schon im Gange. Ihr könnt gerne schon ins Gästehaus gehen und euch frisch machen. Ich sehe derweil nach Sanjana."

„Glaubst du sie wollte uns in ihrem Haus haben?"
Alain zweifelte eher daran, dass Sanjana es gut heißen würde.
„Ach ich übernehme die Verantwortung. Ihr seid meine besten Freunde, da wird sie schon nichts gegen sagen."
Samara machte eine abtuende Handbewegung und verschwand.

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