Neun

(Gegenwart)

Sanjana Kinjan Archyr von Barath nannte sie sich heute. Ein ehrenhafter Titel für eine Frau. Für eine Herzogin gehörte es sich solch einen langen Namen zu tragen. Doch war sie keine der Frauen, die ihn mit Stolz trug.

In den Kreisen in denen sie verkehrte leckten sich viele Frauen mit ähnlichem Stand nach ihrem Titel und ihrem Mann die Finger. Ja sie wurde regelrecht darum beneidet. Sanjana wiederum beneidete diese Frauen - seien sie adlig oder nicht - um alles was sie nicht hatten. Zu gerne hätte sie einen anderen Mann gehabt. Aber keiner Frau wollte sie ihr Schicksal wünschen.

Die Kutsche rollte mit knarrenden Rädern über den Kies und durch das imposante Tor, das mit dem Familienwappen der Archyrs versehen war. Ein Schild mit den Initialen der früheren Herzöge darauf. Das Anwesen und der Titel wurden von Generation zu Generation durch die Familie vererbt.

Sobald die vorherigen Herzöge verstorben waren hatte man die Initialen der Vornamen in das glänzende Metall eingravieren lassen. Nur Arman Archyr konnte nicht warten. Er war zu stolz und eingebildet. Deshalb stand das „A" für Arman schon auf dem Schild. Auf so etwas konnte Sanjana verzichten.

Sie hasste diesen Palast und wäre am liebsten davon gelaufen. Aber es gab etwas, dass sie daran hinderte. Etwas, das sie dazu zwang die liebe Gemahlin zu spielen. Ganz gleich wie sehr sie Arman inzwischen verachtete. Zum größten Teil war sie selbst schuld an ihrer verdorbenen Ehe.

Zum anderen Teil gab sie dem verfluchten Krieger die Schuld. Wenn sie ihn jemals wieder zu Gesicht bekäme, würde sie ihn umbringen. Das hatte sie sich geschworen. Aber eigentlich hoffte sie ihn niemals wieder sehen zu müssen.

Man half ihr aus der Kutsche. Nicht dass sie es nötig gehabt hätte, es gehörte aber zu gewissen Verhaltensregeln. Würde sie sich weigern die feine Herrin vorzugeben, würde Arman ihr vermutlich eine Tracht Prügel andrehen.

Wieder achtete er auf jede Kleinigkeit. Gestik, Mimik, alles musste genau nach seinen Vorstellungen sein. Er ging vor ihr ins Haus und sein Sekretär reichte ihm ein Stück Papier. Es war eine Liste mit Terminen, die dem Herzog und auch Sanjana bevor standen.

Sie bestand hauptsächlich aus Gesellschaften und wichtigen Geschäftstreffen. Zu dem Titel gehörte nicht nur die Ehre, sondern auch die Pflicht sich um die Bewohner der Stadt Barath zu kümmern. Der Senat überlies solche Dinge gerne dem Herzog. Dieser liebte es bewundert und verehrt zu werden.

Auch Sanjana sollte sich an seiner Seite zeigen. Allerdings durfte sie dabei nichts machen außer gut auszusehen und fortwährend zu lächeln. Früher hatte sie sich mit dem Volk verbunden gefühlt. Heute fühlte sie sich einsam.

Der Besuch in Namalia war wieder viel zu kurz gewesen. Immerhin hatte ihr Aman dies nicht verwehrt. Sonst wäre sie schon längst von einem Turm gesprungen. Einmal im Monat durfte sie nach Namalia reisen und ihre Freunde besuchen. Sie freute sich den ganzen Monat auf nichts anderes.

„Bringt das Gepäck der Herzogin nach oben in ihre Gemächer!", befahl der Herzog den Dienern. An Sanjana gewandt sagte er: „Macht Euch frisch Mylady. Wir bekommen nachher Besuch, das wisst Ihr. Ich wünsche Eure Anwesenheit bei dem Dinner."

Sanjana erinnerte sich daran, dass zum Abendessen Gäste geladen waren. Nur fragte sie sich warum ihre Anwesenheit dabei von Nöten war. Immerhin durfte sie kaum etwas sagen und musste steif dabei sitzen. Sie durfte erst sprechen, wenn man sie etwas fragte, ansonsten hatte sie den Mund zu halten.

Ihr war schon klar warum Arman ihr befohlen hatte weitestgehend zu schweigen. Mittlerweile kannte auch er ihre Sturheit und ihr freies Mundwerk, dass hin und wieder ungehalten plapperte. Nur konnte sie sich das Dinner dann komplett sparen. Es würde einen schlechten Eindruck auf Ihre nach außen so perfekte Ehe werfen.

Diesen Eindruck wollte Arman Archyr auf jeden Fall bewahren. Nur vor seinen Dienern kümmerte es ihn nicht. Manchmal fragte sich Sanjana wie viel der Mann ihnen regelmäßig für ihr Schweigen bezahlte. Denn schweigen mussten sie. Selbst mit ihr, der Herzogin durften sie nicht sprechen.

Sanjana wurde von den Dienern zu ihren Gemächern begleitet und wurde dort gewaschen und angekleidet. Nicht einmal mehr das konnte sie selbst erledigen. Arman hatte ganz genaue Vorstellungen davon, wie sie sich zu kleiden und zu frisieren hatte.

Mit den Dienern ging er sicher, dass sie sich daran hielt. Man steckte sie in ein hautenges blaues Kleid und steckte ihr die Haare streng zurück. Auf ihr Haupt setzte man ihr einen schweren und teuren Kopfschmuck. Er war vermutlich so teuer, wie er schwer war. Sicher war nur eines; sehr bald würde sie Kopfschmerzen davon tragen. Wenn sie nicht vorher Halsschmerzen von dem schweren Halsschmuck bekam oder über ihre Schleppe stolperte.

Warum zwang man sie dazu sich so aufzudonnern? Sie mochte Armans Geschmack überhaupt nicht. Außerdem war sie müde von der Reise. Nicht erschöpft. Nein sie fühlte sich stark. Am liebsten wäre sie jetzt mit einem Pferd über die Steppe gejagt. Aber auch das hatte ihr Arman verboten.

Also reckte sie ihre vom Sitzen müde gewordenen Gliedmaßen, nur um festzustellen, dass ihr dabei in dem engen Kleid die Luft weg blieb. Zum Teufel mit dem Kleid! Sanjana hielt es keine Sekunde mehr länger darin aus. Sie riss es herunter und warf den Kopfschmuck auf den Boden. Die schwere Kette flog gleich hinterher.

„Aber Durchlaucht, was tut ihr da?", rief eine Dienerin entsetzt.
„Mich befreien, das sieht man doch."
„Aber der Herzog..."
„Kümmert mich nicht."
„Bitte, Herzogin, Ihr wisst doch, dass er Euch wieder..."
„Lasst das nicht Eure Sorge sein."

Sanjana ließ sich ein weitaus schlichteres Kleid bringen, und wies die Dienerin an ihr eine angenehme Flechtfrisur zu machen. Den schweren Stein tauschte sie gegen Jays Halskette aus. Als sie sich wieder im Spiegel erkannte schlüpfte sie leichtfüßig im bequeme Schuhe. Sie sah immer noch wie eine Herzogin aus. Nur wie eine, die vielleicht ein bisschen Bescheidenheit an den Tag legte. Gewappnet für eine Schlacht machte sie sich auf den Weg.

Die Gäste waren bereits eingetroffen und vom Herzog in Empfang genommen. Man plauderte belanglos und begab sich in den Salon. Sanjana ging langsam die Treppe hinunter. Ihr Blick blieb auf Arman heften, der sie im selben Moment bemerkte und sich zu ihr umdrehte. Er starrte sie entsetzt an.

Es dauerte einen Moment, bis er sich aus seiner Starre löste und schnell die Tür zum Salon schloss, bevor die Gäste die Herzogin sehen konnten. Dann eilte der Herzog von Barath zu ihr und packte sie unsanft am Arm. Es war nicht so, dass sie ihm nicht gefallen hätte. Sanjana konnte gar nicht schlecht aussehen, egal, was sie trug. Und schlecht gekleidet war sie definitiv nicht. Aber er konnte es nicht leiden, wenn sie sich ihm widersetzte.

„Bist du denn von Sinnen?", fragte er in einem aggressiven Flüsterton. „Geh rasch hinauf und kleide dich anständig, bevor dich jemand sieht."
„Aber wieso denn? Ich finde nicht, dass ich unanständig gekleidet bin", spielte sie die ahnungslose.
„Du weißt, was ich meine."
Arman kniff wütend die Augen zusammen.

„Ach ja? Es geht hier immer nur darum deinen Ruf nicht zu gefährden, dein Gesicht nicht zu verlieren. Aber das was ich will, was mir gefällt, wird gar nicht erfragt. Es ist nicht meine Art wie ein teurer Papagei auszusehen und mich zur Schau zu stellen. Ich werde dich in diesem Aufzug schon nicht blamieren."

Sanjana riss ihren Arm aus seinem Griff und stolzierte an ihm vorbei in Richtung Salon. Im ersten Moment war sie stolz, ihren Mann besiegt zu haben. Er war so fassungslos, dass er einen Moment stehen blieb, bevor er ihr zu den Gästen folgte. Im nächsten Augenblick aber wurde ihr mehr als klar, dass das noch ein Nachspiel haben würde.

Die Gäste waren zwei angesehene Ehepaare. Sie kannte eines davon schon aus der Zeit als Senatorin von Namalia. Es war ein angespannter Abend und Sanjana war froh sich nach drei Stunden endlich zurück ziehen zu dürfen. Kaum war sie in ihren Gemächern, legte sie den Schmuck ab und nahm das Band aus ihren Haaren, sodass ihre schwarzen Locken zum Vorschein traten und sich befreit ausbreiteten. Endlich hatte sie ihre alte Haarlänge wieder. Ungern würde sie wieder zur Schere greifen.

Plötzlich öffnete sich die Tür zu ihren Gemächern und der Herzog kam durch den Vorraum in ihr Schlafgemach. Halb erschrocken und mit böser Vorahnung erhob sie sich und sah ihren Gemahl, der sich bereits seiner feinen Kleider entledigt hatte und nur noch in Hemd und Hose vor ihr stand.

Seine blauen Augen sahen sie so ernst an, dass ihr augenblicklich schlecht wurde. Er schob den Riegel vor die Tür und machte es ihr unmöglich weg zu laufen oder Hilfe zu bekommen. Sinnlos, selbst ohne verschlossene Tür. Alle im Haus fürchteten den Herzog. Niemand würde ihr zu Hilfe kommen.

„Du bist ein Fluch Sanjana. Wie konntest du nur diese Dreistigkeit besitzen? Ich habe dir gesagt, dass du dich umziehen sollst."
Er wirkte extrem wütend. Beeindruckend wie gut er es vor den Gästen verborgen gehalten hatte. Aber gegen einen gewissen Krieger war seine Maskerade ein Witz. Denn sie hatte es kommen sehen. Ganz im Gegenteil zu Jay. Sein Verschwinden hatte sie nicht einmal erahnt. Nein, sie durfte nicht jetzt an ihn denken. Er war nicht hier und konnte ihr nicht helfen.

Arman kam langsam auf sie zu. Erst wollte sie zurück weichen, aber wohin sollte sie? Der Raum war nicht groß genug, um Arman auf Dauer auszuweichen. Er packte sie wieder am Arm und zog sie zu sich. Er drehte sie zum Spiegel, sodass sie sich selbst und ihn darin sehen konnte. Ein verfluchtes Spiel von ihm. Er legte den anderen Arm um ihr Dekolleté und strich ihre zarte Linie am Hals entlang. Dabei bohrte er seine Fingernägel in ihr Fleisch. Sie hinterließen rote Streifen auf ihrer hellen Haut.

„Überlege dir gut, was du machst. Wenn du mich entstellst, kann ich dich nicht mehr zu deinen Terminen begleiten."
Sofort wurde sein Griff fester. „Ich habe genug von deinem Benehmen, liebe Gattin. Es wird Zeit dir wieder einige Manieren beizubringen."
Er streifte ihr sämtliche Kleider vom Leib, bis sie ihm schutzlos ausgeliefert war. Er zog sich ebenfalls sein Hemd aus und schubste sie anschließend aufs Bett.

„Arman bitte! Es ist nich nötig sich deswegen so aufzuspielen. Ich habe das nicht getan um dir gegenüber respektlos zu sein, sondern weil ich mich nicht wohl gefühlt habe."
Er trat ans Bett und beugte sich über sie. „Du hast mir nicht gehorcht. Das geht nicht, Sanjana."
„Arman, bitte versuche mich zu verstehen. Ich tue alles was du willst, nur lass es dieses Mal gut sein."

„Das ich nicht lache. Was tust du denn schon für mich? Du lebst nur sinnlos in den Tag hinein wie eine Puppe. Du gibst mir nichts, keine Liebe, kein Verlangen, nicht einmal ein Kind hast du mir geben können."

Das war ein harter Schlag für sie. Warum wusste sie nicht, aber die Kinder, die sie von Arman bekommen hatte, waren entweder tot geboren oder lebten nur wenige Tage. Es lag definitiv nicht an ihr. Das wusste sie. Es stand aber zwischen ihnen und machte die Beziehung zu Arman unerträglich.

„Willst du mir das immer und immer wieder vorwerfen? Die Götter haben uns Kinder verweigert. Vielleicht wussten sie ja was sie tun."
Das hätte Sanjana nicht sagen dürfen. Armans Miene verdunkelte sich. Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie zurück.
„Du verfluchtes Miststück. Was habe ich dir nicht alles gegeben: Geld, Macht, Zuneigung, alles! Und du dankst es mir mit Ablehnung. Nicht einmal Gehorsam bist du. Ich werde dich lehren mich zu achten. Für jede Frechheit und jedes unangemessene Verhalten wirst du das doppelte zurück bekommen."



~



Es war mitten in der Nacht und Sanjana fand noch immer keinen Schlaf. Wie sollte sie auch? Ihr gesamter Körper fühlte sich an wie durch einen Fleischwolf gedreht so sehr schmerzte er und ihre Seele tat schon so lange weh, dass sie es kaum noch realisierte. Sie hatte sich am äußersten Rand des Bettes zusammengekauert und versuchte nicht zu laut zu weinen.

Dass ihr die Tränen aus den Augen liefen, konnte sie gar nicht verhindern. Aber sie weinte eher wegen dieser Demütigung und der Tatsache, dass Arman es überhaupt wagte sie so zu verletzen. Den Schmerz musste sie so hinnehmen, würde ihr aber niemals einen Grund geben zu weinen.

Neben ihr rekelte sich Arman. Sie hoffte, dass er nicht aufwachen würde. Dann würde er sie für ihre Tränen erneut schlagen und so lange vergewaltigen, bis ihm keine Kraft mehr blieb. So sehr wünschte sich Sanjana zu dem Tag ihrer Hochzeitsnacht zurück. Wenn sie Arman damals nur mehr Zuneigung gegeben hätte...Doch damals hatte sie noch einen ganz anderen Mann im Kopf gehabt. Falsch, den hatte sie bis heute noch im Kopf. Zumindest wenn sie ehrlich zu sich war.

Im Grunde war es nicht nur das. Sie konnte ihm keine Liebe schenken und die Tatsache, dass sie ihm keinen Erben geschenkt hatte, stand noch viel mehr zwischen ihnen.

Zu ihrem Pech wurde Arman tatsächlich wach und fuhr sogleich damit fort über sie herzufallen. Als ob er nichts besseres zu tun hätte, als sie zu quälen. Leider schien er wirklich nichts besseres vorzuhaben, denn er beugte sich erneut über sie und küsste ihren Hals.

Diesmal leidenschaftlich und genüsslich. Er widerte sie an. Erst misshandelte er sie und anschließend liebkoste er jeden Zentimeter von ihr. Das war einfach nur Folter. Doch ihn jetzt wieder zurück zu weisen würde ihr nur mehr Schmerzen einhandeln. Auf die nahm er auch überhaupt keine Rücksicht. Ganz egal wie wund sie war und wie viele blaue Flecken ihre Arme übersäten, Arman nahm ihren Körper so wie er war. Er drang tief in sie ein, fordernd und unerbittlich, bis er endlich befriedigt war und vor Erschöpfung umfiel. Kurz darauf schlief er ein.

Sie blieb auf dem Rücken liegen und wagte nicht sich zu bewegen. Wenn nicht vorher schon ihr gesamter Körper geschmerzt hatte, dann tat er es jetzt. Sie fühlte sich so dreckig. Nicht einmal auf dem Weg von Namalia nach Dokrat vor acht Jahren hatte sie sich so dreckig gefühlt, und damals war sie es wirklich gewesen. Von Kopf bis Fuß nass und schlammig. Doch das war nichts im Vergleich zu heute.

Damals hatte sie sich wenigstens beschützt gefühlt. Dieses Gefühl kannte sie schon lange nicht mehr. Zwar hatte sie eher Gefahr von Jeremy erwartet als von ihrem eigenen Gemahl, doch besser war das auch nicht. Wer weiß was Jeremy noch alles mit ihr angestellt hätte.

Sanjana war froh ihn bis jetzt nicht wieder gesehen zu haben. Dabei hätte sie vor acht Jahren noch geschworen er würde  sie wieder angreifen. Doch nichts war passiert. Kein Anschlag, kein Drohbrief, nichts. Nur entspannte sie sich dadurch nicht. Sie rechnete immer damit, dass der widerliche Kerl eines Tages wieder bei ihr auftauchen würde. Ja sie war sich ganz sicher, dass sie ihn wieder sehen würde. Genauso wie Jay. Nur würde sie ihn dann persönlich umbringen.



~



Eleonore stand erwartungsvoll neben Alain und wartete auf Jays Reaktion. Er hatte in den letzten zehn Minuten nur schweigsam auf ihre mit Alains verschlungenen Hände geschaut und nachdenklich ausgesehen. Ihr war klar, dass Jay nicht begeistert war von der Tatsache, dass sie sich entschlossen hatten zu heiraten.

Fast acht Jahre hatte sie auf einen Antrag gewartet und endlich hatte Alain ihr einen gemacht. Damit hatte er sich auch entschlossen bei ihr zu bleiben. Sie war überglücklich und ängstlich zugleich. Was würde Jay sagen? Was würde er tun?

Wenn auch ihr Verhältnis zu ihm nach acht Jahren schon besser war, er hatte nie ein Wort über ihre Liebe zu Alain verloren. Nun erwartete sie sein Urteil. Warum war sie nur so nervös? Er konnte es ihnen doch nicht verbieten. Aber aus irgend einem Grund war es ihr sehr wichtig, was Jay dachte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bewegte er sich und drehte sich zum Fenster. Eleonore wechselte einen flüchtigen Blick mit Alain und schaute dann wieder in Jays Richtung, der in seinem Wohnzimmer vor dem breiten Fenster stand und auf seiner Unterlippe kaute. Nach weiteren Minuten begann er endlich zu sprechen.

„Ich freue mich für euch beide."
Eleonore hätte alles erwartet, aber nicht diesen Satz.
„Das meine ich auch so. Ihr beide habt ein besseres und glückliches Leben verdient."
„Es bedeutet mir sehr viel, wenn du das sagst, Jay."

„Was hast du denn von mir erwartet, Alain? Soll ich dich dafür verurteilen?"
Jay lachte angespannt. „Ich habe dich nie dazu gezwungen bei mir zu bleiben oder habe irgendwelche Erwartungen gehabt. Du bist mein Freund und ein freier Mensch. Wenn du dich für diesen Weg entscheidest, soll es so sein. Aber über eines solltest du dir noch im Klaren sein: Von nun an werde ich dich nicht mehr auf meine Missionen mitnehmen. Die Sache liegt von jetzt an nur noch in meiner Hand und ich werde nicht weiterhin dein Leben riskieren."

„Jay...", fing Alain an, aber Jay ließ ihn nicht ausreden.
„Keine Diskussion. Mache nicht den selben Fehler wie ich. Bleib bei ihr und teile dein Leben mit ihr. Lass ihr nicht Angst und Bange um dich sein. Lass sie nicht länger auf dich warten."
Aus Jays Worten sprach ehrliche Sorge. Eleonore war ihm unglaublich dankbar.

Sie konnte auch verstehen, dass Alain seinen Freund nicht im Stich lassen wollte, aber ständig um ihn fürchten wollte sie auch nicht mehr. Jedes Mal wenn die beiden fort geritten waren, hatten sie etwas gefährliches getan. Manchmal waren sie sogar mit leichten Verletzungen zurück gekommen und Eleonore war das Herz stehen geblieben.

„Ich verstehe."
Alain ließ ihre Hand los und trat neben Jay ans Fenster. „Dafür musst du mir aber versprechen zu meiner Hochzeit zu kommen."
„Reicht dir mein Wort, oder muss ich mir dafür wieder in die Hand schneiden?"
Ein verschmitztes Grinsen umspielte Jays Mund.
„Ich weiß, dass du dein Wort hältst, wenn du es einmal gegeben hast. Dafür brauche ich keinen Blutschwur."

„Nun, mein Versprechen Tristan gegenüber konnte ich auch nicht halten."
Das Lächeln verschwand aus Jays Gesicht.
Alain legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Er würde dir verzeihen."
„Nein, er würde mich bestrafen. Er hätte das Recht dazu mich nach seinen Vorstellungen angemessen zu bestrafen, dafür dass ich den Schwur gebrochen habe."
Darauf sagte Alain nichts mehr.

Am nächsten Tag verschwand Jay. Er verabschiedete sich in der Nacht von Natascha und versicherte ihr, dass nun der Tag gekommen war, an dem er sie verlassen musste. Einmal würde sie ihn noch zu Gesicht bekommen, dann nicht mehr.

Natürlich hatte sie den Rest der Nacht durch geweint und Eleonore hatte sie getröstet so gut sie konnte.
„Du hast es von Anfang an gewusst, dass er nicht auf ewig bei dir bleiben würde."
Natascha schluchzte laut: „Ja aber ich dachte nach all der Zeit hätte sich vielleicht sein Herz geändert. Ich dachte ich könnte ihn dazu bewegen zu bleiben. Aber wie sollte ich das ohne mein Versprechen zu brechen? Ich musste ihm versprechen ihn nicht aufzuhalten."

„Natascha, du solltest dich darüber freuen, dass er so lange bei dir geblieben ist. Begnüge dich damit und lass ihn gehen."
„Es fällt mir so schwer."
Eleonore hatte großes Mitgefühl. Auch sie hätte nach fast acht Jahren nicht von Jay erwartet, dass er gehen würde. Nur weil sie und Alain beschlossen hatten zu heiraten bedeutete das doch nicht für ihn, dass er gehen musste. Als sie Alain später darauf angesprochen hatte, hatte dieser nur geantwortet:
„Nun gibt es für ihn auch keinen Grund mehr zurück zu kommen."

Das bedeutete, er hatte Natascha doch nicht geliebt. Wie tief seine Gefühle für sie gingen, konnte nur Jay sagen. Doch er verschwand einfach. Nicht einmal Alain konnte sagen wohin.

Erst nach Wochen bekam man ihn wieder zu Gesicht. Er hielt sein Versprechen und kam zur Hochzeit. Natascha freute sich sehr ihn zu sehen und fiel ihm gleich um den Hals, sobald er den mit Menschen prall gefüllten Raum betrat.

Allein Eleonores Familie war groß genug, um den halben Raum zu füllen. Ihre Eltern hatten sämtliche Verwandten, sowie Freunde und Bekannte mitgebracht. Diese hatten wiederum ihr eigenes Volk mitgebracht. Dem entsprechend voll war das Haus. Die Feier wurde in der riesigen Villa von den Di Valorias abgehalten. Nataschas Familie hatte quasi darauf bestanden das Fest ausrichten zu dürfen. Eleonore und Alain waren sogar ganz froh darüber. Nun war die Trauung schon seit Stunden vorbei und die Gäste feierten ausgiebig.

Das Brautpaar konnte sich vor Glückwünschen kaum noch retten. Aber Eleonore war Glücklich. Außerdem freute sie sich über die neidischen Blicke der anwesenden Frauen. Wer konnte schon von sich behaupten einen solch schmucken Gemahl zu bekommen.

Doch Alain gehörte ihr. Um das feierlich zur Schau zu stellen, hakte sie sich bei ihm ein und begleitete ihn überall hin. Dabei achtete sie darauf, dass jeder ihren Ehering zu sehen bekam. Alain amüsierte sich herzhaft darüber. Aber auch er schien glücklich. Er war ein ganz anderer Mensch geworden in den letzten Jahren. Viel offener und warmherziger. Gar nicht mit dem verschlossenen Krieger aus der Vergangenheit zu vergleichen. Sein freudiges Lächeln ging ihr durch und durch.

Bis er den Blick abwendete und ihm das Lächeln im Gesicht gefror. Verwirrt und neugierig folgte Eleonore seinen Augen. Er starrte auf eine Person am anderen Ende des großen Saals, wo eine Frau gerade durch die Tür getreten kam. Sie hatte strahlend blaue Augen und gold-blonde Locken. Ihr helles Kleid wehte leicht im Durchzug. Sie war eine Augenweide und bewegte sich leichtfüßig wie ein Engel durch den prächtig geschmückten Saal. Kein Wunder, dass ihrem Mann fast die Augen aus dem Kopf fielen. Kurz darauf wurde Eleonore klar, dass er sie nicht wegen ihrer Schönheit so anstarrte.

Kaum hatte sie ihn entdeckt, starrte sie ihn mit dem selben Gesichtsausdruck an. Eine Sekunde später lief sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Erst war er wie versteinert und wirkte eher so, als hätte er einen Geist gesehen. Dann legte er ebenfalls die Arme um Sie und drückte sie an sich.

Eleonore fiel aus allen Wolken. Die beiden kannten sich offensichtlich. Aber niemand außer Alain kannte die Fremde, die ihn so hemmungslos und ungeachtet jeglicher Etikette an sich drückte. Nach einer Minute ließ er sie los und sie wischte sich Tränen aus dem Gesicht.

„Was um alles in der Welt tust du denn hier?" fragte Alain ungläubig.
„Na ich konnte mir doch nicht deine Hochzeit entgehen lassen", sagte die Fremde lächelnd. Dann schenkte sie endlich Eleonore ihre Aufmerksamkeit. „Ist sie das? Deine Frau? Wie hübsch sie ist."

Die Frau knickste höflich und schenkte Eleonore ein so herzliches Lächeln, dass sie ihr gleich sympathisch war.
Alain machte die beiden Frauen miteinander bekannt und stellte die blonde Schönheit als Samara Sarkut vor.

„Es freut mich sehr, dass Alain endlich jemanden gefunden hat, der ihm das Leben ein wenig versüßt."
Da Samara auf Tamaranisch gesprochen hatte, verstand Eleonore nur die Hälfte von ihren Worten. Alain hatte sich bis jetzt in ihrer Sprache unterhalten, weshalb es für Eleonore nicht nötig gewesen war viel Tamaranisch zu lernen.

„Eleonore versteht nicht so viel Tamaranisch", erklärte Alain kurz. Samara schien ebenfalls sehr sprachgewandt, weshalb Alain zum Glück nicht übersetzen musste.

„Ich freue mich so euch gefunden zu haben. Ich hätte es mir nie verziehen deine Hochzeit zu verpassen, Alain."
„Ich bin ganz überrascht, dass du davon wusstest und uns überhaupt gefunden hast. Jay hat mir immer gepredigt nichts über meinen Aufenthalt preis zu geben."
Samara machte plötzlich große Augen. „W-was weißt du von Jay? Wo ist er? Geht es ihm gut?", fragte Samara hastig.
„Langsam, Sama", unterbrach Alain ruhig. „Warum fragst du ihn das nicht selbst?"

Samaras Augen wurden noch größer. „Er ist hier?", fragte sie fassungslos.
Alain nickte und deutete auf die Terrasse, wo sich Jay ziemlich schnell hin verzogen hatte. Er kannte niemanden von den Gästen und er war nicht der Mann, der schnell Bekanntschaft machte. Selbst Natascha wurde von einer Traube Menschen abgelenkt.

„Geh zu ihm. Er wird sich freuen dich zu sehen. Nur versprich mir bitte ihm nicht den Kopf abzureißen."
Sofort waren Alain und seine Frau vergessen. Ohne auf sie zu warten ging Samara zielsicher nach draußen. Natürlich folgte Alain ihr und neugierig wie sie war auch Eleonore.

Jay stand an die breite Steinbrüstung gelehnt und schaute abwesend in den Garten. Er passte überhaupt nicht zur Gesellschaft. Aber Eleonore war froh, dass er überhaupt gekommen war.

„Sie mal Jay. Ich habe so eben das schönste Hochzeitsgeschenk bekommen. Es wird auch dich erfreuen", rief Alain erwartungsvoll, während Samara plötzlich stehen blieb. Jay drehte sich langsam zu ihnen und staunte nicht schlecht. Es war das erste Mal, dass nicht die steinerne Maske auf seinem Gesicht lag.

Selbst seine Augen wirkten auf einmal so voller Leben und Wärme. Wer diese Frau auch war, sie spielte eine wichtige Rolle in Jays Vergangenheit. Noch nie hatte Eleonore so viel Gefühl und Ausdruck in seinen kalten grauen Augen gesehen.

„Sama...", sagte er nur leise ihren Namen. Langsam nähere sie sich ihm. Im nächsten Moment fing sie an zu weinen und umarmte ihn schluchzend. Jay schien genauso überrascht, wie Alain zuvor. Dann aber nahm er sie fest in seine Arme.
„Ich hätte eher damit gerechnet, dass sie ihn umbringt."
Eleonore blickte verwirrt neben sich. Ein grinsender Alain stand neben ihr und beobachtete die beiden gerührt.
„Alain, wer ist sie?"

„Eine sehr gute Freundin von uns. Ich hätte ja heute mit allem gerechnet, aber nicht mit ihr."
Nach der langen Umarmung fasste sich Samara wieder.
„So oft habe ich mir diesen Moment vorgestellt. Ich habe mir ausgemacht, was ich alles mit dir anstellen würde, wenn ich dich je wieder zu Gesicht bekäme. Und nun da ich vor dir stehe, breche ich in Tränen aus."
Samara lachte über sich selbst.
„Nun, ich hatte ehrlich gesagt auch anderes erwartet. Aber es freut mich, dass du mich nicht gleich umgebracht hast."

Jay streichelte ihr sanft übers Haar.
„Ich hätte auch gerne Ram mitgebracht, aber es war ihm nicht möglich zu kommen."
Jay lächelte tatsächlich.
„Schon gut. Du bist hier und das ist schon so viel wert."
„Aber es ist schon merkwürdig, nicht wahr." Alain trat näher zu den beiden. „Woher wusstest du von der Hochzeit? Und noch viel wichtiger...wie hast du uns gefunden?"

„Ram hat mir davon erzählt. Woher er es wusste, weiß ich nicht."
Jay kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
„Du warst das?", stellte Alain fest. „Jay, so oft hast du mir gepredigt..."
„Ich weiß", unterbrach Jay seinen Freund. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie sich gleich auf den Weg hier hin macht, hätte ich Ram nicht darüber informiert."

„Zum Glück bin ich gekommen. So konnte ich dich wenigstens wieder sehen. Acht lange Jahre haben wir dich vermisst und uns gefragt wo du wohl sein magst. Wir wussten nicht einmal, ob ihr beide noch am Leben seid." Wieder fing Samara an zu weinen.

„Und deshalb reist du quer durch die Landschaft ohne Rücksicht auf Gefahren? Was sagt dein Mann dazu? Der bekommt ordentlich Ärger von mir."
„Ram weiß nichts davon."
„Wie bitte?"
Jay schien entsetzt. „Sama, hast du den Verstand verloren?", fragte er aufgebracht.

„Ja, habe ich!", schrie sie zurück. „Ich musste einfach kommen. Verurteile mich nicht, Jay. Wäret ihr nicht einfach so verschwunden und hättet uns gesagt wo ihr hin geht, dann hätte ich nicht Hals über Kopf herkommen müssen. Aber ihr macht ja aus allem ein Geheimnis. Warum seid ihr mitten in der Nacht verschwunden? Wieso habt ihr kein Wort gesagt, ja euch nicht einmal verabschiedet? Und dann noch dieser Brief? Weißt du eigentlich was du Sanjana damit angetan hast?"

Bei dem Namen wurde Eleonore hellhörig. Sanjana war die Frau, die Jay vor Jahren verlassen hatte. Samara kannte sie offensichtlich. Eleonore blickte in Jays reumütige Augen. Trug er Sanjana nach all den Jahren immer noch im Herzen?

„Mir ist durchaus bewusst, was ich angerichtet habe. Es tut mir aufrichtig leid."
Jay senkte entschuldigend den Kopf.
„Bei mir musst du dich nicht entschuldigen. Immerhin hast du nicht mir, sondern meiner besten Freundin das Herz gebrochen. Sie hat dich aufrichtig geliebt, Jay. Und du hinterlässt ihr nichts weiter als diesen Brief. Warum hast du ihr solch einen Brief geschrieben?"
„Du weißt warum."

Samara wartete bis er weitersprach.
„Es ist die Wahrheit. Auch wenn es keine Entschuldigung oder Rechtfertigung dafür gibt. Ich... konnte ihr nicht länger etwas vor machen. Das hätte sie nur noch mehr verletzt."
Es dauerte einen Moment, dann lachte Samara ironisch. „Du denkst doch nicht im Ernst dass ich dir das glaube."
„Es ist so."
„Das glaube ich dir nicht. Das will ich einfach nicht glauben. Du bist manchmal unberechenbar, aber so etwas traue ich dir nicht zu."

„Auch wenn du es mir nicht glaubst. Es ist Vergangenheit. Ich wusste, dass du es mir nie verzeihen würdest. Aus dem Grund bin ich auch ohne ein Wort gegangen."
Samara trat näher auf Jay zu. Eleonore konnte die Anspannung in der Luft spüren.
„Sag mir Jay, hast du Sanjana jemals aufrichtig geliebt? Sag es mir direkt."
„Nein", kam es von Jay. Doch Eleonore glaubte ihm nicht. Genauso wenig wie Samara.
„Sieh mir in die Augen, Jay und sag es noch einmal."

Er sah ihr in die Augen. Doch die Minuten verstrichen ohne, das er einen Ton sagte.
„Wusste ich es doch. Du kannst es nicht sagen. Weil es gelogen wäre. Du hast damals deinen Kopf riskiert und vor ganz Dokrat den Kodex gebrochen für sie. Deshalb glaube ich dir heute nicht."

Eleonore verstand nicht, warum er Samara weiß machen wollte, er hätte Sanjana nicht geliebt. Er hatte sie so sehr geliebt, dass er sie für Jahre nicht vergessen konnte. Ob er sie noch liebte, konnte Eleonore nicht sagen. Aber sie vermutete es. Natascha liebte er jedenfalls nicht annähernd so sehr.
„Warum, Jay? Warum tust du das? Erkläre es mir bitte."
„Ich hab meine Gründe, Sama."

„Die wären?"
„Frag nicht, ich kann es dir nicht sagen."
„Und ob du das kannst. Und du wirst! Sonst..."
„Was? Wirst du mich bis an mein Lebensende hassen? Damit muss ich dann wohl leben."
Samara lief schon rot an vor Wut. „Ich werde dich umbringen."

Jay lachte höhnisch. „Das haben schon andere versucht und sind gescheitert."
„Jay!", rief sie laut und wollte sich auf ihn stürzen. Doch Alain hielt sie zurück. „Wenn du ihn jetzt umbringst, wirst du es hinterher bereuen, Sama."

„Lass mich Alain, ich will die Wahrheit wissen und wenn ich sie aus ihm heraus prügeln muss."
„Du wirst dir nur selber wehtun. Er ist mittlerweile so stark geworden, dass jemand wie du ihm gar nichts anhaben kann."
Samara hielt inne und drehte sich zu Alain um. „Wie meinst du das?"
„Mit Jay ist nicht mehr zu spaßen. Er war in Tinuval und hat sein Channa trainiert. Also hör auf."
„Musstest du ihr das jetzt sagen?"
Jay verdrehte die Augen.
„Warst du dort die ganze Zeit?"

Jay schüttelte den Kopf. „Nicht die ganze Zeit."
„Wo zum Teufel warst du, Jay?"
„Hier. Hauptsächlich hier in Berandur. Ich habe als Ordnungshüter gearbeitet und habe mir die Welt angesehen..."
Eleonore konnte sehen, dass Samara vor Wut bald platzte.

„Ist das dein Ernst?"
Jay nickte voll überzeugt. Es war ja auch nicht gelogen. Aber er sagte ihr nicht die ganze Wahrheit. Wenn Eleonore es nur wüsste, würde sie es Samara selbst sagen. Sie empfand Mitleid mit der Freundin, die sich anscheinend große Sorgen gemacht hatte. Doch Jay lachte nur über Samara, die wieder von Alain festgehalten werden musste.

„Sama", begann Jay diesmal mit dem nötigen Ernst in der Stimme, „ich weiß, dass du mich hasst dafür, aber ich habe wirklich gute Gründe für mein Verhalten. Es gibt Dinge, die ich zu erledigen habe. Ich würde euch nur in Gefahr bringen, wenn ich euch einweihe. Geh nach Hause zu deinem Mann und deiner Tochter. Sie brauchen dich."

Samara hielt erneut inne. „Woher weißt du von Aria?"
Jay antwortete nicht sofort. „Sag mir woher du davon weißt? Was weißt du noch alles?"
Jays Gesicht verriet, dass er so einiges wusste. Er lächelte reumütig.
„Du hast dich verraten, Jay. Jetzt kannst du ihr auch den Rest anvertrauen."

Es herrschte ziemlich lange Stille. Jay schien mit sich im Innern zu hadern. Doch auch Eleonore wollte es wissen. Sie durfte ihn nie fragen und auch Natascha hatte nie etwas über seine Vergangenheit heraus gefunden.
Viele Minuten standen sie alle auf der Terrasse und ignorierten die feiernden Gäste im Haus. Alle warteten gespannt auf Jays Worte.
„Sanjana darf nie etwas davon erfahren, hörst du!"
„Ich verspreche es dir. Bitte sag es mir!"

„Also gut. Ich habe euch nicht verlassen. Nicht so, wie du dachtest. Ich wusste immer was ihr tut und wo ihr seid. Ich habe mich über jedes noch so winzige Detail informiert. Ich weiß somit, dass du eine sieben jährige Tochter hast. Ich weiß auch, dass Sanjana seit Jahren mit dem Herzog von Barath verheiratet ist und ständig mit ihm auf Reisen ist. Einmal im Monat besucht sie Namalia, um euch beide und... ihren Sohn zu sehen."
Jay machte eine Pause.
Samara starrte ihn entsetzt an. „Woher weißt du von ihm? Niemand weiß von Ady."
„Ich habe Wege gefunden Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben."
„Wie?"

„Durch das Channa."
„Bist du deshalb gegangen? Weil du stärker werden wolltest?"
„Auch. Aber ich bin gegangen um euch zu beschützen."
„Wie beschützt du uns denn dadurch?"

„Hör zu, dieser feige Mistkerl Jeremy ist leider vor acht Jahren davongelaufen. Wir haben versucht ihn ausfindig zu machen. Monate sind die Krieger durchs Land gezogen und haben alle seine Anhänger aufgespürt. Doch jedes Mal wenn wir kurz davor waren Jeremy zu fangen ist er uns doch wieder entwischt. Doch als er geschworen hat euch alle und Sanjana aus Rache zu töten, konnte ich mich nicht mehr entspannen. Ich wollte den Bastard fangen, oder ihn zumindest ans Ende der Welt jagen, damit er gar nicht erst in eure Nähe kommt. Damals hielt ich es für die beste Entscheidung zu gehen. Meine Hoffnung war, dass Sanjana mich vergessen und einen anderen Mann heiraten würde. So konnte Jeremy ihr nichts mehr anhaben, weil ich ihn im Glauben ließ, dass diese Frau mir egal sei."

„Nun, dein Plan ist nur zum Teil aufgegangen, Jay. Sie hat zwar geheiratet, aber glaubst du sie hat dich einen Tag vergessen? Dafür liebt sie dich zu sehr."
„Wie töricht von ihr."
„Du bist nicht viel besser", kam es von Alain. Dafür kassierte er einen bösen Blick von Jay.
„Wer hat nach deiner Meinung gefragt?"
„Ich habe dir damals schon gesagt, was ich von deiner Idee hielt. Meine Ansicht hat sich bis heute nicht geändert."
„Vielen Dank, für die Mitteilung", sagte Jay scharf. „Immerhin hat es funktioniert, oder nicht?!"

„Ich spare mir jegliches Wort. Mit dir lohnt es nicht weiter zu diskutieren."
Samara seufzte. „Sanjana hat immer einen Anschlag von dem Mistkerl erwartet. Mich hat es gewundert, dass bis heute nichts passiert ist. Wo ist Jeremy jetzt?"

„Keinen Ahnung. Ich habe seine Spur verloren, weil mich jemand darum gebeten hat zu seiner Hochzeit zu kommen."
Alain grinste verlegen, nachdem er einen schiefen Seitenblick von Jay kassierte.
„Und bald wirst du wieder aufbrechen und nach ihm suchen."
Jay nickte knapp.
„Spar dir die Mühe. Ich glaube ich weiß wo er ist."
„Was?", riefen Jay und Alain gleichzeitig.

„Er ist in Dokrat."
„Wie kommst du darauf?", hakte Jay nach.
„Es wird euch nicht freuen das zu hören, aber es gibt einen weiteren Grund, warum ich unbedingt zu Alain wollte. Sanjanas Vater, General Thamgeir, ist vor kurzem verstorben. Man hat ihn tot in seinem Haus in Dokrat aufgefunden. Natürlich hat man Samier und andere Heiler darum gebeten das zu untersuchen. So fand man heraus, dass er vergiftet wurde. Bis jetzt war ich mir nicht sicher. Aber dank deiner Erzählung wurde gerade aus Ahnung eine Überzeugung. Immerhin ist Jeremy bei uns dafür bekannt mit Gift umzugehen. Er ist und bleibt eine feige Ratte."

Alain und Jay waren schockiert.
„Es tut mir leid, dass ich keine besseren Neuigkeiten für euch habe."
Nachdem der erste Schock verdaut war, sah man die Wut in Jay steigen. Er ballte die Fäuste und Biss sich auf die Unterlippe. Doch das half nichts. Jay wurde von seiner Wut übermannt. Er fluchte laut und schlug mit der Faust auf die Steinmauer neben sich.

Eleonore zuckte erschrocken zusammen. Auch Samara erschrak. Allerdings mehr über die Platzwunden, die durch den Schlag auf Jays Hand entstanden waren. Sofort nahm sie seine Hand bevor er erneut zuschlagen konnte.
„Hör bitte auf damit! Verletz dich nicht noch mehr."

„Warum nicht. Schmerz ist das einzige, mit dem ich umgehen kann."
Sagte Jay wütend und zog ihr unsanft seine Hand weg. „Ich hätte alles vermutet, aber nicht, das Mohan Thamgeir für Jeremy ein Ziel wird."
Jay fluchte so laut, dass schon einige Gäste zum Fenster heraus sahen.
Als er es bemerkte, schien seine Wut abzuflauen. „Tut mir leid. Ich habe mich kurz vergessen."
Im nächsten Moment fand Jay wieder in seine undurchsichtige Maske zurück und holte tief Luft. „Das ändert natürlich einiges."

„Was wird das ändern?", fragten Samara und Eleonore.
„Wenn Jeremy wirklich in Dokrat ist, dann ist die Stadt in sehr großer Gefahr. Ich muss dort hin."
„Wie bitte?"
Alain schluckte.
„Es geht nicht anders. Ich lasse Jeremy nicht einfach so Unheil treiben."
„Der Hohe Rat wird dich aufhängen."
Jay lachte. „Sollen sie es versuchen. Ich werde ihnen schon den Spaß daran verderben."

„Jay, das ist nicht witzig. Du hast das Gesetz gebrochen. Außerdem hast du ohne ein Wort das Land verlassen. Sie werden dich nicht mit offenen Armen empfangen. General Draff würde alles tun, um dich am Galgen zu sehen."
„Ist mir egal, Alain. Wenn ich darüber nachdenke, wer Jeremy's nächstes Ziel sein könnte, werde ich ungehalten."
„Lass mich mit dir kommen."

„Nein. Ich gehe alleine. Ihr müsst zu Sanjana gehen. Haltet sie davon ab nach Dokrat zu kommen. Es wäre zu gefährlich für sie. Selbst als Herzogin."
„Nicht nötig", sagte Samara. „Ihr Vater wird in Namalia beerdigt."
„Wirklich?"
Alain überlegte kurz, dann wandte er sich zu Eleonore.

„Ich weiß ich habe weder Anstand noch Manieren. Es ist unsere Hochzeit. Bestimmt hattest du andere Erwartungen. Da wir jetzt offiziell verheiratet sind, möchte ich alles mit dir zusammen entscheiden und deine ehrliche Meinung..."
Eleonore legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Ich weiß, was du sagen möchtest. Du willst nach Namalia reisen, nicht wahr?"

„Nun, das bin ich Sanjana einfach schuldig. Außerdem war ihr Vater unser Lehrmeister. Er hat uns viel beigebracht und uns seit unserer Kindheit beschützt. Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn ich ihm die letzte Ehre erweisen könnte."
„Ich verstehe. Dann werde ich dich dort hin begleiten."
„Bist du sicher? Tamaran ist nach wie vor ein gefährliches Land."

„Ich komme mit!"
Sagte Eleonore bestimmt.
„Ich bin jetzt deine Frau. Also erwarte nicht von mir dich alleine ziehen zu lassen."
Eleonore bemerkte Jays Schmunzeln.
„Ich denke sie hat mehr Angst davor was Natascha dazu sagen wird, als sich in ein gefährliches, unbekanntes Land zu begeben."

Oh weh. Natascha hatte sie vollkommen vergessen. Die arme war schon vollkommen verzweifelt als Jay sie verlassen hatte. Was würde sie wohl davon halten, wenn sie und Alain jetzt auch fort gingen? Das schlechte Gewissen überkam Eleonore.

„Wir werden wieder kommen. Ist ja nicht so, dass ich vorhabe für immer dort zu bleiben. Obwohl ich Namalia als Ort sehr schön finde, könnte ich mir auch gut vorstellen für immer in Eskalat zu bleiben."
Alains Worte trösteten Eleonore. Ja sie nahm sich vor wieder zu kommen.
„Was ist mit dir, Jay?", fragte Samara vorsichtig. „Wirst du auch nach Namalia gehen?"
Jeder wollte die Antwort hören. Deshalb warteten sie gespannt.
„Kann ich jetzt noch nicht sagen, Sama."
Enttäuscht ließ Samara den Kopf hängen.

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