Achzehn

Ihr Zögern beunruhigte Jay. Er musste es versuchen. Nur so konnte er ihr Vertrauen zurück bekommen. Doch es war schwieriger, als er gedacht hatte. Was hatte er auch erwartet, nachdem er ihr quasi einen Dolch ins Herz gerammt und anschließend noch Salz in die Wunde gestreut hatte? Aber wenn er es nicht schaffte, würde sie wieder gehen. Das war zu gefährlich. Jay spürte die Gefahr in der Stadt und darüber hinaus. Er konnte nur nicht sagen wo sie ihren Ursprung hatte. Also durfte niemand das Haus verlassen.

Entschlossen Sanjana zu überzeugen trat er näher an sie heran. Er spürte ihre Verwirrung und ihr Mistrauen. Dabei wollte er ihr nicht weh tun. Nie wieder wollte er das. Sollte Jeremy doch kommen, Jay würde sie niemals wieder verletzen. Er wollte sie beschützen. Er fühlte sich nun stark genug.

Mutig blieb sie stehen, während er ihr noch näher kam. Er nahm die Kette in seiner Hand und legte sie ihr um den Hals. Fast hätte er gelacht über das Wirrwarr an Gefühlen in ihr. Er hielt kurz den Anhänger in der Hand und betrachtete ihn zufrieden. „Jetzt ist er wieder da, wo er hingehört."

Es dauerte etwa zehn Sekunden bis Sanjana reagierte. Genug Zeit für Jay einen Schritt zurück zu treten.
Dann polterte sie los: „Du selbstgefälliger, egoistischer, verlogener, hinterhältiger..."
„Komm das reicht doch meinst du nicht?"

„...Mistkerl!", rief sie und holte aus. „Ich weiß ja nicht was du dir dabei denkst so mit meinen Gefühlen zu spielen, aber ich hasse dich dafür, Jay Mathur!"

Jay, der ihrer Hand nicht ausweichen wollte blieb einfach stehen. Anders als von allen erwartet stoppte sie mitten in der Bewegung. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen ihn wütend anzustarren.

„Ich wusste sie würden sich streiten", gab Alain resigniert von sich. Eleonore griff nach der Hand ihres Gemahls.
„Was ist das für ein Spiel von dir, Jay?", fragte Sanjana und ließ langsam ihren Arm sinken.
„Ganz einfach, Sanju, das nennt sich Leben."
„Unsinn. Ich kann damit leben, dass du dich von mir abwendest, aber ich kann nicht mit diesem hin und her umgehen."

„Von nun an gibt es kein hin und her mehr."
„Das versichere ich dir. Ich werde nämlich nicht länger in diesem Haus verweilen. Ich habe es von Anfang an nicht gewollt. Also gehe ich."

Sie ging zornig an ihm vorbei in die Halle. Wenn Jay jemals etwas wie Panik erfahren hatte, dann in dem Moment. Sie jetzt gehen zu lassen wäre ein noch größerer Fehler, als sie verlassen zu haben. Er sah in Alains Gesicht. Auch er wartete auf Jays nächste Reaktion.

„Geh, Jay. Auch wenn ich kein Verständnis mehr dafür habe was du von ihr willst, lass sie so nicht gehen", sagte Ram ohne Jay anzusehen.
„Ram hat Recht", pflichtete Alain bei. „Sie darf das Haus nicht alleine verlassen."
„Ich weiß."

Mehr sagte Jay nicht. Er war schon auf halben Wege hinter Sanjana her. Er rannte hinaus, die Treppe hinauf zu ihren Gemächern. Ohne anklopfen trat er hinein und hinderte sie daran ihre Kleider in die Truhen zu stopfen.
„Was soll das?"
„Geh nicht."
„Ich habe genug von dir, Jay. Siehst du nicht ein, dass du zu weit gegangen bist?"
„Ich habe jegliche Grenzen überschritten, das ist mir klar, aber ich kann dich so nicht gehen lassen."

„Was kommt jetzt? Hast du es dir überlegt und willst mir wieder weh tun?"
Jay war geschockt.
„Nur mach es dieses Mal richtig und hör nicht mitten drin auf."
Fassungslos starrte er Sanjana an, die schon wieder begann ihre Kleider aus den Schränken zu räumen. Als er den ersten Schock überwunden hatte, kam immer mehr Zorn in ihm auf. „Hältst du mich für ein Monster, Sanjana?"
„Ich weiß nicht was ich von dir halten soll."

Die Minuten zogen sich dahin und Jay sah ihr immer noch unschlüssig dabei zu, wie sie vor ihm weglief. Jetzt hatte er es tatsächlich geschafft. Nun war er sie los. Doch fühlte es sich falsch an. Er wollte alles nur nicht das. Sollte Jeremy ihn doch verdammen. Er würde diese Frau beschützen. Egal was er dafür tun musste. Erneut griff er nach ihrem Arm und brachte sie dazu ihn anzusehen, indem er seine Hand unter ihr Kinn legte und ihren Kopf anhob.

„Ich weiß, dass ich mich in jeglicher Hinsicht wie ein Trottel benommen habe. Du hast auch gesagt du würdest es verstehen, weil ich für alles was ich tue einen Grund habe."
„Aber du redest nicht mit mir. Du triffst Entscheidungen, über die jeder hier Bescheid weiß, nur mich lässt du außen vor. Gut, dann ist das eben so. Nur hör endlich auf mit mir zu spielen."
„Ich werde nie wieder deine Gefühle verletzten, das schwöre ich dir."

„Hmm..."
Sie zog eine Grimasse und legte schelmisch den Kopf schief. „Wärst du bereit mir das mit einem Blutschwur zu versprechen?"
Das hatte er jetzt nicht erwartet. Dann zwang er sich zu einem überzeugenden Lächeln und nickte.

„In Ordnung. Ich...glaube dir."
Damit gab sich auch Jay zufrieden. Aus einem gezwungenem Lächeln wurde ein echtes und er ließ ihr Kinn los. Noch bevor er sich weiter zurück ziehen konnte, trat sie vor und küsste ihn. Wie schaffte es diese Frau nur immer wieder ihn zu überrumpeln?

Gleich darauf entfernte sie sich von ihm und wandte sich ab. „Tut mir leid, ich bin zu weit gegangen."
Er überlegte kurz. Wenn das der Weg war sie zum Bleiben zu bringen, damit er sie im Auge hatte, dann sollte es so sein. Entschlossen ging Jay zu ihr, drehte sie zu sich um und küsste sie. Sie ließ ihn erst gewähren, schob ihn jedoch bald wieder von sich.
„Du bist unmöglich, Jay."

„Sagt die Richtige", erwiderte er schmunzelnd. Im nächsten Moment schaltete sich sein Verstand wieder ein. Außerdem meldete sich sein Channa. Es war nur ein winziger Hauch von etwas und doch nahm Jay es wahr. Erneut wurde ihm bewusst, wie sehr er sich auf Sanjana fixierte, denn er nahm sie noch intensiver wahr als sonst.

Scheinbar musste er komisch geguckt haben, denn sie legte fragend den Kopf schief. Genau in dem Moment kamen Jay neue Bilder in den Kopf, gefolgt von den üblichen Kopfschmerzen. Daran würde er sich nie gewöhnen. „Ich war nur etwas abgelenkt", erklärte er schnell. Doch sie ließ nicht locker. „Wovon?"

„Ich denke nicht, dass ich das sagen sollte, aber mein Channa wird immer stärker."
Noch verstand sie nicht und deshalb fuhr er fort. „Ich sehe Dinge, die um mich herum passieren oder passiert sind. Daher ist es für mich auch kein Geheimnis, was zwischen dir und dem Herzog vorgefallen ist."

Es dauerte einen Augenblick bis sie realisierte, was er da gerade gesagt hatte. „Wie viel weißt du?"
Er brauchte ihr keine Antwort geben. Sein Gesicht sagte alles. „Jay... ich..."
„Du musst nichts dazu sagen. Ich wollte es dich nur wissen lassen. Und noch etwas solltest du wissen."
„Was?"

„Du...", er zögerte, „vielleicht sollte ich später Samier zu dir schicken."
„Warum das denn?"
Es fiel Jay sehr schwer es ihr mitzuteilen. Aber warum sollte es ihr die Wahrheit vorenthalten? Erst recht nachdem er gerade seine eigenen Regeln und Vorsätze in den Wind geschossen und sie geküsst hatte.

„Du bist... ich meine...du erwartest ein Kind."
Er biss sich auf die Zunge. Wie sollte er ihr nur erklären, dass er so etwas wusste? Normaler weise konnten das nur gut ausgebildete Heiler. Er nutzte sein Channa nicht auf diese Weise. Darum war es für ihn selbst ein Rätsel.
„Du nimmst mich auf den Arm, Jay."
Er verneinte.
„Das kannst du unmöglich wissen."
„Dann gehe zu Samier und lass es dir von ihm bestätigen."

„Ich denke du irrst dich."
Intuitiv fasste sie an ihren Bauch. Dann schüttelte sie erneut den Kopf und starrte ihn entgeistert an. Es war ihr unangenehm, das wusste Jay. Er musterte sie, versuchte ihre Gedanken zu erraten. Sie wollte es nicht! Das war ihr ins Gesicht geschrieben. Und aus ihm unerklärlichen Gründen schien sie darüber mehr überrascht zu sein, als er. Sie hielt es für unmöglich.

„Du solltest dich freuen. Ist es nicht das was von dir erwartet wird?"
„Du weißt zu viel, Jay. Das gefällt mir nicht und das letzte was ich von dir will ist, dass du dich in meine Ehe einmischst."
„Was erwartest du denn von mir? Ganz offensichtlich willst du doch etwas von mir, Sanjana. Sonst wäre der Kuss eben nicht passiert. Aber du bist eine verheiratete Frau! Das allein treibt mich schon in den Wahnsinn. Ich kann dir nicht nahe sein, genauso wenig von dir getrennt. Ich kann dich so nicht beschützen. Also sag mir was du von mir erwartest."

„Du willst mich beschützen? Das ist nicht mehr deine Aufgabe, Jay. Immerhin bist du fortgegangen."
„Halte mir das nicht schon wieder vor."
Sanjana senkte den Blick. „Ich weiß nicht was wir jetzt machen sollen. Wir können weder miteinander noch ohne einander. Also habe ich nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung, was wir tun sollen."

„Ganz einfach, hör auf mich zu lieben. Das ist der einzige Weg, der vernünftig ist."
„Das Gleiche könnte ich dir sagen, aber wir wissen, dass das unmöglich ist."
Sanjana hatte nur die Wahrheit ausgesprochen.

„Es darf einfach nicht sein. Der Kuss war ein Fehler. Dir überhaupt so viel zu erzählen war ein Fehler. Es tut mir leid!"
„Wenn du dich tatsächlich wieder von mir abwendest, Jay, dann gehe ich. Das ist mein Ernst."

Nun steckte er in einer Zwickmühle. Er konnte sie nur vor Jeremy oder Arman beschützen, wenn er sich von ihr fern hielt. Aber gehen lassen konnte er sie genauso wenig. Frustriert ballte Jay die Fäuste neben seinem Körper. Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wurde seine Aufmerksamkeit anderweitig gefordert. Jemand klopfte an der Tür. Es war Alain. Er öffnete die Tür ein Stück weit, steckte den Kopf herein und sagte: „Du solltest besser herunter kommen, Jay. Jemand hat sich unbefugten Zutritt auf das Grundstück verschafft."

„Ich weiß", gab Jay zu Alains und Sanjanas Verwunderung zurück.
„Das scheint dich nicht sonderlich zu beunruhigen."
„Nein."
Jay warf Sanjana noch einen Blick über die Schulter zu und begab sich dann in den Flur.

Er wusste, wer gekommen war. Allerdings war er früher gekommen, als Jay es erwartet hatte.
So eilten die drei ins Erdgeschoss. Dort hatte sich auch der Rest der Hausbewohner eingefunden. Alle starrten auf den Mann, der dort in der Halle stand und von mehreren Wachen in Schach gehalten wurde.

Er hatte sich die Hände fesseln lassen, doch sah er nicht wirklich beunruhigt aus. Aus dem Augenwinkel sah Jay wie Ram vor Wut bald platzte. Er würde sich jeden Moment auf den Gast stürzen, wenn ihn niemand zurück hielt. „Verräter!", hörte Jay ihn sagen. Salik konnte den Freund gerade noch zurück halten.



~




Tristan hatte keine übermäßige Freude erwartet. Immerhin hatte er sich beim letzten Wiedersehen als der Böse ausgegeben. Allerdings konnte es nicht sein, dass sich jeder so leicht aufs Grundstück schleichen konnte. Tristan ging davon aus, dass Jay ihn lange zuvor bemerkt haben muss und deshalb nicht reagiert hatte. Andererseits... sein Blick fiel auf Sanjana, die ihm mit einigem Abstand die Treppe hinunter folgte. Sie war die Art von Ablenkung gegen die Jay einfach machtlos war.

„Das du es wagst hier aufzutauchen nach allem. Man sollte dich..."
„Entspann dich, Ram", warf Jay dazwischen und entließ die Wachen.
„Das soll wohl ein Witz sein?"

Jay ignorierte den polternden Ram und konzentrierte sich allein auf Tristan. Sie schauten sich lange mit ernster Miene an. Dann kam Jay auf Tristan zu und löste seine Fesseln. Während alle den Atem anhielten breitete Tristans bester Freund die Arme aus, lächelte willkommen und umarmte ihn. Natürlich erwiderte Tristan die Geste. Er konnte nicht in Worte fassen, wie erleichtert er war Jay gesund wieder zu sehen. Diesem ging es nicht anders.

„Jay, wie kannst du...?"
Ram verstand die Welt nicht mehr. Das verlangte nach viel Erklärungsstoff. „Er ist doch der Feind. Habe ich was nicht mitbekommen?"
Alain zupfte Ram am Arm und zog ihn leicht zurück. Dieser schaute ihm verwirrt an und ließ sich von Alains Kopfschütteln zur Ruhe bringen. Was ihm nicht leicht fiel.
„Ich habe dich eigentlich noch nicht erwartet", meinte Jay nach der Umarmung.

„Es war die richtige Zeit."
„Ich verstehe."
„Aber wir verstehen nicht. Würdest du uns das bitte erklären, Jay!", bat Alain.
„Es ist ganz einfach", begann Jay. „Tristan ist kein Feind, das war er nie. Ich habe ihn nach Saboran geschickt, um mich regelmäßig mit Informationen zu versorgen. Ich habe mich hin und wieder mit ihm getroffen in den vergangenen acht Jahren. Ein Briefwechsel wäre zu riskant gewesen."

„Ist das wahr? Du redest also von einer Spionagemission?", wollte Alain bestätigt haben. Ram allerdings sah nicht entspannter aus. Er ballte die Fäuste und funkelte diesmal Jay wütend an. „Also hast du die ganze Zeit gewusst, dass Tristan am Leben ist?"
Jay nickte schwach.
„Und du hast niemandem etwas gesagt?", fragte jetzt Sanjana. Oha, Tristan spürte ihre Verwirrung und ihr Misstrauen. Doch Jay nickte wieder nur.

„Hat der Rat davon gewusst?"
„Nein", meldete sich Tristan auch einmal zu Wort. „Es durfte keiner wissen, sonst hätte es nicht funktioniert. Auch die Saboraner haben gelernt das Channa zu benutzen. Wenn auch nur einer von euch es gewusst hätte, dann wäre die Wahrheit ans Licht gekommen."

Jay fuhr sich unsicher mit der Hand durch seine wirren Haare. „Ich weiß, wie ihr euch fühlt. Das ganze ist eine enorme Lüge. Aber es ist nicht die erste und ganz sicher nicht die letzte von mir."
„Wo du gerade davon sprichst, kannst du uns auch den Rest deiner Karten offenbaren?"
„Das ist mir zu diesem Zeitpunkt leider nicht möglich, Sanjana."

Sie stöhnte genervt. Offensichtlich hatte sich ihr Verhältnis mit Jay nicht gebessert. Selbst an Tristan war es nicht vorbei gegangen, dass sie sich nun Archyr nannte und nicht Mathur. Auch wenn Jay nie ein Wort darüber verloren hatte. Tristan hatte kein Verständnis dafür.

Nicht im geringsten. Jay war dumm. Nein, so konnte es Tristan nicht nennen. Jay war gefangen von seiner Unsicherheit und seinen stetigen Selbstzweifel. Wenn ihm nicht endlich jemand die Augen öffnete, dann würde Jay diese Frau immer wieder zurück weisen.

Dabei war sie etwas wirklich gutes in seinem Leben. Seinen Gedanken noch nachhängend stellte Tristan plötzlich fest, dass er die beiden abwechselnd angestarrt hatte. Erst Sanjana, dann Jay. Sie hatten sich beide verändert. Sanjana war verschlossener, ja verletzt könnte man es nennen. Dafür war Jay offener geworden. Seine grünen Augen waren geradezu ungewohnt zu betrachten.

„Also ich bin noch immer verwirrt und verstehe sicher nicht alles. Es ist auch frustrierend und verletzend, dass ihr beide keinen von uns eingeweiht habt. Trotzdem bin ich erleichtert dich lebendig zu wissen und noch viel wichtiger... auf unserer Seite."

Alain kam langsam zu Tristan und legte ihm die Hand auf die Schulter. Zu mehr war er noch nicht in der Lage, aber seine Worte bedeuteten Tristan viel.
„Es geht nicht länger um eine Seite. Viel wichtiger ist, dass wir Menschen alle gleich sind und jegliche Art von Konflikt beenden sollten."

„Das klingt, wie von einer Lehrtafel abgelesen. Von wem hast du das?", fragte Ram immer noch mürrisch. Er hatte sich in eine Ecke verzogen und eine abwehrende Haltung eingenommen. Er war wütend. Würde er in der Lage sein ihm verzeihen zu können? Fragte sich Tristan. Dann setzte er sein gewohntes Grinsen auf und deutete auf Jay.

„Was du nicht sagst."
Nach der ganzen Aufregung ging Tristan zu Eleonore, die die ganze Zeit schweigsam neben Alain gestanden hatte. Sie war Alains Frau, soviel wusste Tristan bereits. Er verbeugte sich höflich und stellte sich zu ihrer Verblüffung in ihrer Sprache vor.

Als ehemaliger Krieger Tamarans beherrschte auch Tristan so einige verschiedene Sprachen, die es ihm ermöglichten sich auf dem gesamten Kontinent ungezwungen zu verständigen. Auch Eleonore hatte von dem vermeintlich verstorbenen besten Freund gehört. Ihr hatte bisher nur das Gesicht dazu gefehlt.



~




Nach ein paar Tagen war der wieder auferstandene Krieger Stadtgespräch. Der Hohe Rat, anders ausgedrückt: die Großmeister des Rates, hatten ziemlich getobt, als sie von der nicht autorisierten Mission erfahren hatten. Tristan konnte von Glück reden, dass Jay mittlerweile die Kontrolle über den Rat erlangt hatte. Jeder andere Meister an seiner Statt hätte sie beide dafür bestraft. Jay jedoch ließ sich von dem Gehabe der Großmeister unbeeindruckt und stellte Tristan sogar als seinen persönlichen Leibwächter und engsten Berater ein.

Damit hatte er den Rat endgültig zum Schweigen gebracht. Wenn auch verwundert über seine neue Position, freute sich Tristan über diese Ehre und auch Verantwortung. Denn Jay Mathur in jeglicher Weise zu folgen und zu schützen, hielt Tristan für erstens nicht nötig und zweitens unmöglich.

Jays Channa hatte derartige Ausmaße angenommen, dass es seinen Freund total beeindruckte, ihn aber gleichzeitig davon überzeugte, dass Jay keinen Schutz brauchte. Jay war da anderer Meinung, aber er hatte schon immer an sich gezweifelt.

„Ich muss gestehen, Jay, ich bin neugierig", fing Tristan einmal an, als sie gerade von einer Ratsversammlung zurück nach Hause kamen. „Wie hast du es geschafft den Rat und vor allem die Großmeister davon zu überzeugen dich nicht gleich an den Galgen zu bringen?"
Jay lächelte. „Ganz einfach, ich habe ihnen mein Channa gezeigt."

Er begab sich zu den anderen, die sich im Salon eingefunden hatten. Selbst Sanjana. Es war ungewohnt für Jay, so viele Menschen um sich zu haben, nachdem er acht Jahre so viel Zeit allein verbracht hatte.
„Ich will es sehen."
Jay stutzte. „Was, jetzt?"
Tristan nickte auffordernd.

„Ist das möglich?"
„Ja, Eleonore", antwortete Ram euphorisch. „Ich habe es gesehen, es war unglaublich."
„Tristan, du hast es doch schon gesehen."
„Das zählt nicht, das war zu kurz."
Jay zog eine Augenbraue hoch. Warum wollte Tristan, dass er sein Channa ausgerechnet jetzt sichtbar machte?
„Zeig es mir, Jay. Zeig mir dein Channa!"
„Du bist verrückt."
„Hast du das nicht an mir vermisst?", fragte Tristan lachend und breitete auffordernd die Arme aus. „Na los!"

Noch immer zögerte Jay. Schon lange war er nicht mehr in Tinuval gewesen. Seit seinem letzten Training mit Magnus war zu viel Zeit verstrichen. Wäre es riskant für ihn es jetzt zu benutzen? Als Jay in die neugierigen Gesichter seiner Freunde sah, konnte er gar nicht ablehnen.

Jeder von ihnen wollte seine Fähigkeit sehen. Nur allein um ihn ein wenig besser zu verstehen. Also stellte sich Jay mit etwas Abstand zu den anderen hin und konzentriere sich. Er schloss die Augen und rief nach seiner Energie. Kurz darauf schimmerte sein gesamter Körper bläulich. Nicht nur seine Hände, es war sein ganzer Körper. Und als wäre das nicht genug verwandelte sich der Schimmer zu einer Art Flamme. So sah es danach aus als würde Jay in Flammen stehen. Es waren unnatürliche blaue Flammen, die kein Geräusch von sich gaben. Er öffnete wieder seine Augen und sah in die faszinierten Gesichter seiner Freunde.

Tatsächlich hatte sich sein Channa weiter entwickelt. Allerdings konnte Jay nicht sagen wie weit. Noch fühlte er die Kontrolle darüber, was ihn beruhigte.

Eleonores Neugierde zog sie zu ihm hin. Sie wollte ihn berühren, feststellen was dann passierte. Jay war selbst überrascht über das, was folgte. Er sah sie nicht nur, sondern spürte ihre Gefühle. Das war noch das weniger überraschende. Was ihn wirklich erschreckte, war, dass sie es umgekehrt genauso konnte.

Bis jetzt war er für jedermann - abgesehen von Tristan - ein Buch mit sieben Siegeln. Dass diese Frau es schaffte mit einer einzigen Berührung in ihn hinein zu sehen, lies ihn einen Schritt zurück treten. Eleonores Channa war immer schon etwas besonderes gewesen. Aber das holte selbst Jay aus der Reserve.

„Was war das?", fragte sie gleichermaßen überrascht wie fasziniert.
„Du hast mein eigenes Channa dazu verwendet, meine Barriere zu durchbrechen."
Jay lachte. Auch wenn es ihm nicht wirklich gefiel durchschaut zu werden. Viel konnte Eleonore in den paar Sekunden nicht gesehen haben.

„Ich habe plötzlich so viele Bilder in meinen Kopf gehabt. Sag Jay, geht es dir immer so?"
Er nickte, wenn auch etwas zögerlich.
„Wahnsinn! Das heißt du kannst in jeden so hinein sehen?"
„Das nicht. Normalerweise benutze ich das Channa, um meine Umgebung im Auge zu behalten. Aber Alain nutzt sein Channa, so wie du gerade. Ganz ehrlich, wenn man dir zeigen würde dein Channa dauerhaft zu benutzen, könntest du eine ausgezeichnete Heilerin werden."

Eleonore blieb der Mund offen stehen.
„Was hast du gesehen, fragte Ram interessiert."
„Bilder, die ich nicht zuordnen konnte. Aber auch einige Bilder, die mir bekannt vor kamen. Ich habe Personen gesehen und Dinge, die Jay im Laufe seines Lebens erlebt hat."

Das war nicht gut. Wieviel wusste Eleonore?
„Ich habe ein Dorf in Flammen gesehen, einen Mann mit roten Haaren, den Jay verfolgt hat und ich habe euch in Namalia gesehen. Ebenso habe ich endlich erfahren, dass du..." Erstaunt blickte sie Jay an. „Du hast doch etwas für Natascha empfunden", stellte sie fest.
Das war überhaupt nicht gut.

„Tatsächlich?", fragte Alain verblüfft. Also blieb Jay keine Wahl, als mit offenen Karten zu spielen.
„Ich habe sie auf eine komplizierte und unmögliche Weise gern gehabt", gab Jay zu.
„Aber nicht genug, um bei ihr zu bleiben", stellte Eleonore erneut fest.

Jays Kopfschütteln bestätigte es.
„Wer ist Natascha?"
Diese so einfache Frage ließ Jay erstarren, denn niemand anderes als Sanjana hatte sie gestellt. Gut, man könnte nicht sagen, dass Jay sie betrogen hatte, dennoch fühlte er sich schlecht. Damals hatte er sich nur auf Natascha eingelassen, weil er nicht geglaubt hatte Sanjana jemals wieder näher zu kommen. Während Sanjana keine andere Wahl gehabt hatte, als Arman Archyr zu heiraten, hatte Jay sehr wohl eine gehabt.

„Sie ist eine Freundin", gab Alain schnell zur Antwort. Damit wollte er kritische Fragen vermeiden. Aber Eleonore war zu voreilig gewesen. Sanjana wusste es bereits. Jay brauchte kein Channa. Ihr waren die Gefühle ins Gesicht geschrieben. Auch Eleonore hatte nun ein schlechtes Gewissen.

„Tut mir leid, Jay. Ich wollte nur..."
Er ignorierte Eleonore und ging hinaus bevor sie zu Ende reden konnte. Was sollte er nur tun um dieses Desaster ungeschehen zu machen? Das Channa war für ihn wirklich gefährlich gewesen. Nur anders, als Jay gedacht hatte.

Nun flüchtete er sich aus der Situation und ging zum Palast. Dort wollte er sich ablenken. Natürlich würde ihn das nicht aus der unangenehmen Situation retten. Nur für den Moment musste er seine Gedanken ordnen und sein Channa beruhigen.

Wenn die Leute aus Dokrat ihn so zu Gesicht bekamen, würde er sie sicherlich erschrecken. Es reichte fürs erste, dass der Rat sein Channa kannte. Eines schwor er zu sich selbst. Er würde sich nie wieder berühren lassen, wenn er seine Energie so weit hervor rief.

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