Und doch schwieg ich...
Ich weiß nicht wann all das angefangen hat. Ich weiß nicht wann sie angefangen haben sich zu verändern, wann wir angefangen haben uns zu verändern. Manchmal spürte ich etwas, ein Blickwechsel, ein Stirnrunzeln, ein leichtes Kopfschütteln, doch ich schenkte ihnen keine Beachtung. Warum sollte ich auch? Warum sollte ich solchen Kleinigkeiten meine Aufmerksamkeit schenken? Wenn doch alles perfekt schien? Doch später, später wurde mir klar wie viel diese Zeichen wirklich bedeutetet hatten.
Menschen verändern sich, das ist ganz normal. Man spürt sie kaum, denn sie ist langsam. Manchmal ist sie wie eine Tür, eine Tür die sich ganz langsam öffnet,eine Tür durch die wir gehen ohne es zu bemerken, eine Tür die zum bessern führt. Doch manchmal, manchmal sind Seile die sich um unsere Füße zerren, zwingen stehen zu bleiben, während die Tür sich langsam wieder schließt und uns in der Falle zurücklässt. Das sind die schlechten Veränderungen. Wir spüren sie genauso wenig wie die guten und wenn wir sie bemerken ist es längst du spät. Die Tür ist längst verschlossen, die Falle zuschnappt.
Dennoch ist es möglich zu fliehen. Meistens ist nur ein winziges Loch, doch würden wir beginnen zu graben, könnte uns dieses Loch weg von hier führen. Doch wer sagt das es dort besser ist? Wir können nicht in Zukunft sehen, wir wissen nicht was unsere Entscheidungen bewirken.
Bald begannen sie zu tuscheln, verstummten wenn ich mich näherte. Nur manchmal schnappte ich ein paar Wortfetzen auf. ''hässlich'' , ''Wie kann man nur so aussehen?'' , ''Sie ist eine richtige Zicke geworden''.
Ich wusste das ich mich nicht viel um mein Aussehen scherte, warum auch? Es war mir egal was die anderen von mir dachten. Aber meine eigenen Freunde? Ich hatte es am meisten geschätzt das sie mich einfach akzeptierten wie ich war. Still, schüchtern, jemand der stets abweisend wirkte. In ihrer Gesellschaft jedoch, war ich aufgetaut.
Einige hätten sich jetzt vielleicht einfach abgewannt, andere hätten sie konfrontiert mit dem was sie gehört hatten. Ich nicht. Ich würde Ihre Entscheidung akzeptiert, würde warten bis sie endgültig gefallen war. Bis dahin würde ich ihre Freundin bleiben. Würde für sie da sein, wenn sie mich brauchten.
Und das blieb ich. Sie sagten nichts zu mir, teilten mir nicht mit das sie mich nicht mehr wollten. Aber das Getuschel wurde stärker, ständig steckten die drei die Köpfe zusammen. Hätte damals nachgedacht, wäre mir vielleicht aufgefallen das drei von ihnen redeten. Doch ich dachte nicht nach, merkte nicht das nur drei heimlich Zettel im Unterricht hin und her schoben. Nur drei sich heimlich zunickten. Nur drei die sich heimlich trafen. Nur drei die in Pausen hinter mir zurückblieben. Nur drei von fünf.
Doch ich dachte nicht nach, verstand nicht das Juli nicht redete, das sie keine Zettel im Unterricht schrieb, das sie genauso ausgeschlossen war wie ich. Nein, ich begriff es erst an einem Nachmittag im Bus. Mira und ich saßen nebeneinander, genau wie früher als noch alles in Ordnung gewesen war. Wir schwiegen. Der Gesprächsstoff war uns nach Jahren der gemeinsamen Busfahrten längst ausgegangen. Als Kira plötzlich das Schweigen brach. ''Hast du gemerkt wie Juli heute ausgesehen hat?
Juli. Sie hatten über Juli geredet, nicht über mich, sondern über Juli. Natürlich. Wie hatte ich so dumm sein können, immer wenn ich mich ihnen genähert hatte und sie verstummten war Juli dabei gewesen. Wenn sich Blicke zuwarfen ohne mich anzusehen, saß Juli neben mir. Aber warum? Sie war doch unsere Freundin, seit wir uns in der fünften kennengelernt hatten? ''Was meinst du?'' fragte ich.
Sie sah mich an, sie schien überrascht. ''Na, ihre Haare waren schon strähnig und sie zieht dauernd solche Sachen an um den Jungs zu gefallen. Außerdem hängt sie andauert mit den Zicken rum!'' Irgendwo hatte Kira wohl Recht, aber das war doch Julis Sache. Es ging Kira nichts an wie sie sich anzog und wenn ihre Haare strähnig waren, warum sagten sie es ihr nicht einfach? Nicht das ich mich das getraut hätte, doch mir war es auch nicht aufgefallen, außerdem war Kira deutlich offener als ich. Diese erwartete wohl eine Antwort, ich hätte ihr eine geben sollen, das weiß jetzt und ich wusste es damals und doch schwieg ich. ''Und sie ist so komisch geworden, doch kälter als sonst''fuhr sie fort, wahrscheinlich um endlich eine Antwort zu bekommen. Aber ich schwieg und dachte darüber nach was sie gesagt hatte. Es stimmte, Juli war komisch, aber das waren wir alle. Und doch... wenn ich darüber nachdachte merkte ich Juli wirklich komisch geworden.
Auch hier weiß ich nicht wie es angefangen hat, eine Szene fällt mir jedoch sofort ein. Es schien die Sonne, wir standen glücklich über das endlich mal schöne Wetter und sprachen über dies und jenes. Irgendwann kamen wir auf das Thema Krankenhaus, warum weiß ich nicht mehr. Alle sprachen laut durcheinander, erzählten ihre Geschichten von gebrochenen Armen, Zehen und was alles noch. Dann, mitten in dem fröhlichen Geplapper meldete sich plötzlich Juli, die bisher geschwiegen hatte, zu Wort: ''Meine Schwester liegt im Krankenhaus''. Sie sprach leise und ich ahnte wie viel Überwindung ihr die Worte gekostet hatten, Juli gab nie etwas von sich preis, sie war eine kalte, undurchdringliche Mauer. Und jetzt sagte sie das, vertraute uns etwas an worum sie sich Sorgen machte. Niemand hörte sie, niemand außer mir und ich, ich schwieg. Wie muss sie sich gefühlt haben als keiner ihren Worten Beachtung schenkte? Worte die ihr nur mit Mühe über die Lippen gekommen waren?
Eine weitere Szene habe ich nicht selbst miterlebt. Eine Junge aus unserer Klasse erzählte uns sie uns im Bus. Er hatte schon öfters über Juli gelästert, doch diesmal hatte er es Juli direkt ins Gesicht gesagt wie er grinsend eröffnete. ''Du bist häßlich!'' Das hatte er ihr gesagt. Kira hatte darauf mit einem undeutlichen ''naja..'' geantwortet. Ich hatte ihm am liebsten gesagt wie verletzend das war, doch ich schwieg. Ich war damals so dumm! Ich hielt Juli für strak und unbesiegbar. Schließlich war es Juli die im Winter T-Shirt trug, Juli die trotz schlechten Noten keine Miene verzog, Juli die scheinbar keine Schmerzen kannte. Einmal hatte sie mit einigen aus der Klasse Fußball gespielt, Kira und ich hatten keine Lust darauf und spielten Karten im Schulhaus. Nach einer Weile kam Linus, einer der Fußballspieler zu uns und erzählte uns stolz das er es geschafft hatte Juli so fest so treten das sie aufgeschrieen hatte. Kira hatte ihn erstaunt angesehen und angesichts seines Stolzes belustigt den Kopf geschüttelt. Ich schwieg. Ich glaubte ihm nicht. Wer konnte schon Juli dazu bringen vor Schmerz aufzuschreien? Inzwischen weiß das das einfach dumm gewesen war.
Die meisten Menschen versteckten sich hinter einer Maske und so schwächer die Person war desto kälter ihre scheinbare Ausstrahlung. Juli nicht so strak wie ich dachte, im Gegenteil sie war schwach, nur das sie diese Schwäche hinter einer unüberwindbaren Mauer versteckte. Erst jetzt verstehe ich wie schrecklich sie sich gefühlt haben muss und natürlich wurde ihre Mauer noch höher, noch dicker, noch kälter. Doch es war zwecklos, längst hatten die Worte ihr Herz erreicht, längst verlangte ihr Hirn sie solle sich ändern und das tat sie.
Ich hätte all das Kira erzählen sollen, doch das ich nicht, ich schwieg. In den darauffolgenden Wochen sprach Kira häufig von Juli und irgendwann redete ich mit. Anfangs verteidigte ich sie, später wurde ich wütend. Juli musste doch bemerkt haben das sie sich verändern musste! Sie sollte aufhören sich hinter ihrer Mauer zu verstecken und etwas sagen! Wie fürchterlich dumm ich gewesen war! Doch ich hatte Angst, vor Jahren, ich war noch in der Grundschule hatte genau zwei Freundinnen und anfangs lief es gut, dann begannen sie über mich zu lästern. Doch dabei blieb es nicht. Traf ich ich mich mit der einen erzählte sie mir welche Sachen die andere über ich gesagt haben sollte und lästerte über sie, traf ich ich mich mit der anderen war es umgekehrt. Irgendwann hatte ich genug und kündigte beide Freundschaften. Mein Plan war es mich mit Leonie, einem Mädchen mit dem ich früher gut befreundet war, wieder näher zu kommen und wieder ihre Freundin zu werden. Der Plan scheiterte, Leonie hatte längst neue Freunde gefunden, Freunde mit denen ich mich kein bisschen verstand. Ich wurde eine Einzelgängerin. Bis schließlich Kira in unsere Klasse kam, zuerst waren Erzfeinde, doch irgendwann entwickelte sich daraus meine erste richtige Freundschaft nach Wochen der Einsamkeit. Und diese Freundschaft sollte ich jetzt aufgeben? Für mich gab es nur zwei Seiten, die von Juli und die von den anderen drein. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer, ich entschied mich für Kiras Seite.
Ich hätte versuchen sollen die Freundschaft beisammen zu halten, doch das tat ich nicht. Ich begann mit den anderen über Juli zu lästern. Meistens redeten sie über ihren Gesang, ich hatte sie nie singen gehört, ich war nicht im Chor, lieber war draußen in Natur und ging daher zur Imker-AG. Juli war laut den anderen nur dort weil da die coolen waren, sie sang nämlich schrecklich. Und ich? War ich uncool? Nur weil ich nicht sang? Sie versicherten mir das es nicht so war. Doch war das die Wahrheit? Und warum warfen sie Juli vor sie währe nur der Coolnes im Chor? Vielleicht machte ihr das singen einfach Spaß? Sie wollte doch auch Sängerin werden? Das hätte ich fragen sollen, doch ich schwieg, verdrängte meine Gedanken.
Bald sah ich nur noch ihre schlechten Seiten, doch dann am letzten Schultag vor Ferien veranstaltete die Schule ein kleines Fest bei dem jede Klasse eine Station veranstalten musste. Zuerst zogen wir zu fünft durch die Gänge, obwohl alle über Juli lästerten hatte sie keiner wirklich aus der Gruppe geschmissen, niemand hatte den Mut dafür. Schon bald waren wir uns uneinig wohin wir sollten, Kira schlug vor wir sollten den Zufall entscheiden lassen, ob sie wirklich dachte in kleineren Gruppen wäre es leichter oder ob sie von Juli wegkommen wollte weiß bis heute nicht. Doch ich nickte zustimmend und wir losten. Ich war mit Juli in einer Gruppe. Die anderen sahen mich mitleidig an und ich selber war ebenfalls keineswegs begeistert. Ich fügte mich meinem Schicksal und wir wanderten die nächsten Stunden zu zweit durch die Gänge. Es machte Spaß. Richtig Spaß sogar.
Später im Bus meinte Kira zu mir das Juli heute wieder besonders komisch gewesen war. Ich wusste nicht was sie meinte, Juli war nett und freundlich gewesen und keineswegs komisch! Ich fragte sie also verwirrt was sie meinte sie begann zu erklären. Was genau sie sagte weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch das keins ihrer Worte stimmte.
Jetzt sind Ferien und ich habe seit Wochen nichts von meinem Freunden gehört, aber ehrlich gesagt bin ich froh darüber. Ich brauche Zeit zum nachdenken. Juli war doch garnicht so schlimm wie sie sagten, was hatten sie mir da nur eingeredet? Was hatten sie sich selber eingeredet? Warum hatte ich es geglaubt? Warum war ich so dumm gewesen?
Meine Gedankengänge begannen stets mit Fragen und stets hörten sie Fragen auf.
Was hatte ich getan?
Habe ich die Freundschaft zerstört?
Bin ich schult an allem?
Jedes einzelne Mal endeten sie so und ich dachte oft darüber nach. Doch schließlich, schließlich fasste ich einen Entschluss. Das nächste Mal wenn sie über Juli lästerten wurde ich nicht schweigen, das nächste Mal wurde ich sprechen. Und ganz vielleicht, wenn ich genug Mut dazu hatte, würde ich mich bei Juli entschuldigen.
So! Endlich habe ich eine neue Story hochgeladen, dafür ging zwar viel Ferienzeit drauf, aber egal. Wie immer freue ich mich über Rechtschreibverbesserung und konstruktiver Kritik!
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