Kapitel 4.2
Audrey kaute zuerst die kleine Portion Algensalat, bevor sie schluckte und ihm dann ein Lächeln schenkte. „Es ist weniger schön, als es wohl auf den ersten Blick wirkt. Man wird sehr schnell wiedererkannt", erklärte sie mit einem schiefen Lächeln. Dann deutete sie auf das Sushi. „Und Ihr wollt wirklich nichts?", fragte sie, wobei sie fast schon bedauernd klang. Es würde nichts übrigbleiben, weil sie genug essen konnte, doch sie hatte gehofft, dass er vielleicht trotzdem etwas aß.
Dankend lehnte er erneut mit einer sanften Handbewegung an und griff nach seinem Bier. Das chinesische Bier mochte er sehr gern, wobei er anderem gegenüber nicht abgeneigt war.
„Vermutlich haben Sie recht. Dennoch passen sie zu Ihnen", sagte Adrian.
Jeder Mensch hatte ein Merkmal, damit andere ihn erkannten. Doch nicht viele sahen das, da sie ständig mit sich selbst beschäftigt waren. Oder mit den Onlinediensten, auf denen sie gerne ihr privates Leben teilten. Dabei gingen oft schöne Eigenheiten von Menschen unter.
Audrey strahlte, weil sie sich wirklich darüber freute, dass er ihre Augen schön fand. Es wärmte ihr das Herz. „Danke", sagte sie und klang fröhlich. „Was hat Euch in China am besten gefallen?", fragte sie, um das Thema wieder auf etwas zu bringen, worüber sie sprechen konnten.
„Die Kultur und Geschichte", antwortete Adrian wahrheitsgemäß. Selbst die Sprache, die viele als viel zu schwer empfanden, mochte er sehr gern.
Die großen Städte mit den Abgasen und dem Smog hingegen mochte er überhaupt nicht, weshalb er diese so gut es ging gemieden hatte.
Ein Blick nach draußen verriet Adrian, dass es schon wieder regnete. Wie es wohl Isabella ging? Hoffentlich war es morgen besser, damit sie zum Arbeiten kommen konnte. Gedankenverloren starrte er in die Menschenmenge, die sich vor dem Fenster des Restaurants tummelten.
„Und für Sie?", wollte er wissen, wobei seine Gedanken nicht ganz bei dem Gespräch lagen.
„Ich mag die Handwerkskunst", gestand sie leise und folgte kurz seinem Blick. „Aber auch das Essen", sagte sie fast verlegen. „Aber beim Kochen bin ich nicht so gut, wie bei meiner Kunstsammlung", lachte sie leise und nahm ein Stück Sushi.
Mit diesen Worten riss Audrey ihn aus den Gedanken und Adrian schenkte ihr wieder mehr Aufmerksamkeit. „Was für Kunst interessiert sie?", fragte er erstaunt.
Handelte sie vielleicht mit Kunstwerken und war deshalb in China gewesen? Möglich war es, denn die Chinesen hatten sehr viele wertvolle Kunstwerke.
„Ich mag chinesisches Porzellan, aber auch die Malerei", erklärte sie. „Aber am meisten mag ich die Baukunst. Es gab so wundervolle Gebäude in den alten Dynastien", schwärmte sie.
Adrians Aufmerksamkeit wurde auf sein Essen gelenkt, welches die Bedienung gerade an den Tisch brachte. Dampfend sah es aus und ein verlockender Duft umspielte seine Nase. Dabei lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
Bevor das junge Mädchen ging, bat er sie um einen weiteren Sake und leerte den restlichen aus. Nickend verschwand sie und der schwarzhaarige Mann konnte sich nun seinem Essen widmen.
Geschickt nahm er die bereitgelegten Stäbchen in die Hand und begann zu essen. Dabei merkte man ihm an, dass er wohl sehr viel chinesisch essen musste. Schwierigkeiten mit den Stäbchen hatte er jedenfalls keine.
„Da haben Sie recht. China ist ein Meisterwerk an Bauten und die Kaiserlichen Paläste sind eine Augenweide", sagte er zwischen einigen Bissen.
Audrey nickte. „Verglichen mit anderen Kulturen ist vielleicht Japan noch ein Land, das von den Bauwerken mithalten kann", meinte sie und bekam auch ihr Essen. Die Vorspeisen standen noch da, waren aber zur Hälfte geleert. Auch Audrey nutzte die Stäbchen, als kenne sie nichts anderes.
Daraufhin nickte Adrian bestätigend, bevor er sich seinem Essen widmete. Genussvoll nahm er das geröstete Fleisch in den Mund und bereute keine Sekunde, dass er hier war. Wobei es mit Isabella sicherlich nett gewesen wäre. Das würde er mit ihr nachholen, sobald es ihr wieder gut ging.
„Japan ist ein Land, welches meine Begeisterung auf sich gezogen hat. Als nächstes werde ich dorthin gehen, wenn es die Zeit erlaubt", meinte er, nahm sein Bier und trank ausgiebig, bevor er das Glas wieder abstellte. Tatsächlich hatte er vor, in der nächsten Zeit zu verreisen, wenn es die Möglichkeit hergab.
„Wirklich? Mir gehört in Japan ein Haus", gestand sie etwas verlegen. „Ich mache dort regelmäßig Kurzurlaube und gehe meinen Geschäften nach", fügte sie hinzu und ihre Augen strahlten.
Überrascht von dieser Wendung blieb seine Hand in der Luft stehen. Das Essen, was er sich gerade in Mund schieben wollte, blieb auf der Stelle stehen.
„Sehr interessant. Dann kommen Sie viel in der Welt herum", sagte er anerkennend. Nicht schlecht für eine junge Dame. Was wohl ihre Geschäfte waren? Das letzte Mal hatte sie etwas von Polizei gesprochen.
„Muss ich wohl", meinte sie mit einem schiefen Lächeln. „Ich vermiete meine Wohnung auch, wenn ich nicht dort bin", fügte sie schließlich hinzu und ließ es wie ein Angebot klingen.
„Zusätzliche Geldeinnahmen, nicht wahr?", lächelte Adrian belustigt. Sonst wäre es glatt Verschwendung. Zumindest er würde es so machen und anderen eine Chance geben, sich in Japan aufzuhalten.
Genüsslich widmete er sich seinem Essen. Noch nie war er jemand gewesen, der viel sprach, wenn er aß. Schlechte Voraussetzungen für Dates. Smalltalk beherrschte er zwar, aber meist war das für ihn überflüssig. Mit kleinen Gesten bekam er die Frauen dazu, das zu tun, was er wollte.
„Ja und in Japan ist es auch schwer eine Wohnung oder etwas Bezahlbares zu finden", nickte sie. „Und da ich nicht überall gleichzeitig sein kann, bin ich gezwungen viele meiner Immobilien zu vermieten, wenn ich nicht da bin", meinte sie und genoss eine Garnele mit dunkler, leicht scharfer Soße.
Adrian verschluckte sie beinahe an einem Stück Gemüse und wurde sofort hellhörig. „Immobilien?", fragte er nach, um sich zu vergewissern, dass er richtig gehört hatte. Das klang fast so, als wäre Audrey überall in der Welt zuhause. Und das in ihren jungen Jahren.
Audrey nickte. „Ja. Meine Eltern waren sehr darauf bedacht sich irgendwie überall einzurichten", meinte sie und zuckte die Schultern. „Ich kenne es nicht anders, aber das verwalten der ganzen Gebäude macht nicht sonderlich viel Spaß. Aber ich bringe es auch nicht übers Herz, sie zu verkaufen."
Adrian witterte ein Geschäft, schüttelte gedanklich jedoch den Kopf. Nicht jetzt. Das hatte Zeit. Eines Tages wäre es vielleicht angebracht, darüber zu reden.
Außerdem hatte sie gesagt, ihre Eltern waren darauf bedacht. Ob sie noch lebten? „Verständlich. Es gibt sehr viel Papierkram und unterschiedliche Gesetze", stimmte Adrian ihr zu. Das kannte er zur Genüge.
„Und so viele Sprachen", seufzte Audrey. „Ich weiß, dass das vielleicht ein wenig hochnäsig klingt, aber es fällt mir manchmal schwer die richtige Sprache zu finden, wenn ich mit den Leuten spreche", meinte sie und zuckte etwas die Schultern. „In einigen Gebieten kann das sehr ungünstig sein."
Also war sie auch sprachlich begabt. Das war sehr interessant. Solche Leute suchte er ständig, damit diese sich mit anderen Ländern in Verbindung setzen konnten.
Seine Kunden und Auftraggeber suchten gerne im Ausland nach Immobilien, um sich dort einzunisten oder abzuschalten.
„Da gebe ich Ihnen recht. Jedoch sind sie damit in der Lage, in allen Ländern der Welt zu sein, ohne Probleme mit der Verständigung zu bekommen", wies Adrian daraufhin, dass es nicht schlecht war, wenn man mehrere Sprachen beherrschte.
„Da habt Ihr wohl recht", lächelte sie. „Es macht auch viele Dinge einfacher", gestand sie und hatte ihr Essen bald geleert.
Adrian hingegen hatte noch die Hälfte auf dem Teller liegen und wollte gerade etwas erwidern, als eine schöne, sanfte Melodie erklang, die in Audrey Erinnerungen weckte. Sanfte, chinesische Flötentöne, gemischt mit leichten Trommelschlägen, die einen gleichmäßigen Rhythmus hatten.
Mit gerunzelter Stirn fischte der Mann ihr gegenüber sein Handy aus der Hosentasche und blickte auf das Display. „Entschuldigen Sie bitte, den Anruf muss ich annehmen", bat er um Verzeihung.
Er erhielt lediglich ein Nicken als Antwort und Audrey schwelgte weiter in ihren Erinnerungen. Sie liebte diesen Klang und vermisste ihn sehr. Wenn sie könnte, würde sie viel öfter in China oder Japan wohnen. Doch leider hatte sie hier geschäftlich zu tun.
Adrian drehte sich von ihr weg und hob ab. Wie Audrey erkennen konnte, musste es ein Kunde sein. Von dem Gespräch bekam sie nur den Einzeldialog von ihm mit. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als würde er mit sich selbst ringen müssen.
„Also gut. Morgen früh. Pünktlich. Ich gebe Ihnen die Adressdaten durch", sagte er nachgiebig und rieb sich die Stirn. So viel zu einem gemütlichen Abend. Dieser Kunde stresste ihn schon seit Wochen. Freundlich musste er trotzdem bleiben, schließlich wollte er ihn nicht verlieren.
Kurz darauf war das Gespräch beendet und Adrian tippte auf seinem Smartphone, bevor er es wieder in die Hosentasche steckte und sich Audrey zuwandte. „Entschuldigen Sie bitte", bat er um Verzeihung. Der Hunger war ihm vergangen.
Die junge Frau machte eine wegwerfende Bewegung. „Kein Problem", meinte sie und lächelte. „Lasst Euch nur nicht den Abend verderben."
Vorsichtig lächelte er, bevor er mit den Schultern zuckte. „Es tut mir leid. Ich werde gehen müssen. Morgen früh muss ich sehr früh aufstehen und würde mich deshalb gerne zurückziehen", sagte er entschuldigend.
Ein bisschen Schlaf würde ihm sicherlich guttun. Das hatte er in der letzten Zeit nicht viel getan. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm jedoch, dass es gerade erst einmal neunzehn Uhr war. Eigentlich noch viel zu früh, um schlafen zu gehen. Aber Hunger hatte er keinen mehr und wollte Audrey auch nicht aufhalten.
Diese machte eine Bewegung auf die Reste. „Das ist in Ordnung, ich denke, dass ich noch etwas hierbleibe, aber wenn Ihr Euch zurückziehen müsst, verstehe ich das natürlich", lächelte sie und schien sich nicht sonderlich daran zu stören, dass er nicht aufgegessen hatte und noch sehr viel übrig war. „Ich wünsche Euch eine erholsame Nacht."
„Vielen Dank für Ihr Verständnis", dankte er ihr freundlich und stand auf. Noch einmal warf er ihr einen entschuldigenden Blick zu und ging an die Kasse, wo er mit der Dame dahinter sprach. Gleichzeitig zückte er seine Geldbörse und nickte in die Richtung von Audrey.
Es schien, als würde er für sie beide bezahlen. Hatte er etwa ein schlechtes Gewissen, weil er sie sitzen ließ?
Audrey fand das irgendwie niedlich, allerdings musste er das nicht. Sie war hier Stammgast und zudem hatte sie ihn eingeladen.
Das wusste er jedoch nicht und hoffte, dass Audrey die Entschuldigung annehmen würde, indem er bezahlte.
Adrian ließ sich den schmutzigen und nassen Mantel geben, den er sich elegant um die Schultern schwang. Noch immer spürte er die Nässe in seinen Schuhen, was ihn leise seufzen ließ. Es war einfach kein guter Tag gewesen.
Kurz bevor er das Restaurant verließ, warf er ihr noch einen Blick zu und trat hinaus auf die nassen Straßen, auf denen sich bereits einige Pfützen gebildet hatte.
Es regnete in Strömen, weshalb Adrian sich schnell ein Taxi suchte, um nicht noch mehr nass zu werden. Kurz darauf stieg er in eines ein und war im typischen und hektischen Verkehr verschwunden.
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