Kapitel 4.1

Kapitel 4

~2020 New York~

Audrey blinzelte und für einen Moment stand da nicht Adrian, sondern der Kaiser. Sie hatten eine verblüffende Ähnlichkeit, nur die Frisur war anders.

Sie brauchte einen Moment, bis sie verstand, dann lächelte sie und trat in das Restaurant ein.

Adrian gab einem Mann am Eingang seinen Mantel und fragte danach nach einem Platz. Da die junge Frau keinen trug, musste er sich nicht darum kümmern. War es ihr denn nicht zu kalt? Nur im Kleid und in Sandalen war sie durch die Stadt gelaufen.

Sie hatten Glück, denn gerade standen Gäste auf, um zu gehen. Das Restaurant war überfüllt und eigentlich wollte er sich gleich zurückziehen.

Audrey fiel auf, dass der junge Firmenchef perfektes Chinesisch sprach und sie kurz darauf zu dem Tisch schob, der in Windeseile von einem Kellner gereinigt wurde.

Charmant zog er ihr den Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte.

Audrey schenkte ihm ein Lächeln und bedankte sich bei ihm. Kurz hatte sie überlegt, ob sie vielleicht in Chinesisch antworten sollte, doch es war viel interessanter, wenn Adrian nicht sofort wusste, dass sie diese Sprache beherrschte.

Lächelnd sah er zu ihr hinüber, bevor er sich selbst an den Tisch setzte und die Speisekarte heranzog. Nachdenklich glitten seine Augen über das zahlreiche Angebot, was Red Dragon führte. Es war schwer, sich dabei zu entscheiden, weil einfach alles hervorragend schmeckte.

Adrian schien in die Karte vertieft zu sein, behielt Audrey jedoch im Auge. Immer wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu.

Auch sie studierte die Karte und schenkte ihm ein Lächeln. „Würdet Ihr eine kleine Auswahl an Vorspeisen mit mir teilen wollen?", fragte sie, da sie vor hatte Krappenchips und gebackene Wantan zu bestellen.

Ein Kommentar lag auf seiner Zunge, der wohl in diesem Moment nicht angebracht war. Audrey hatte gesagt, sie würde ihn einladen. Diskretion stand dabei für ihn im Vordergrund. Das hieß, er würde sich mit einem Gericht begnügen, anstatt sich mehrere zu bestellen, um den Rest mit nach Hause zu nehmen. Wurde er eingeladen, aß er nie sehr viel. Andersherum jedoch langte er kräftig zu.

„Danke, aber ich begnüge mich mit Pak Po", erwiderte Adrian mit einem charmanten Lächeln. Er liebte geröstete Ente und Hühnerbrust mit verschiedenen Gemüsesorten. Außerdem mochte er das Scharfe sehr gerne.

Audrey blinzelte ihn unter ihren langen Wimpern heran und entschied sich dazu, einfach trotzdem zu bestellen. Sie selbst hatte sich für ein Gericht entschieden, das Acht Schätze hieß. Es bestand aus unterschiedlichen Fleisch- und Meeresfrüchtesorten und wurde ähnlich serviert, wie Pak Po. Mit Gemüse und scharfer Soße.

Als der Kellner kam und die Getränke, sowie die Speisen aufnahm, bestellte Adrian sich Tsing Tao Bier und einen Mao Tai Schnaps. Das brauchte er bei so einem Essen immer dazu.

„Was darf es für die Dame sein?", erkundigte sich der chinesische Kellner bei Audrey freundlich.

Audrey bestellte Lychee-Saft und dann die beiden Vorspeisen. Sie hatte sich dazu entschieden es einfach in die Mitte zu stellen, so dass sie beide sich nehmen konnten, wenn sie wollten. Zudem bestellte sie eine Portion Sushi. Sie liebte dieses Zeug.

Nachdem bestellt wurde, stellte der schwarzhaarige Mann ihr gegenüber die Speisekarte wieder auf den Tisch und lehnte sich zurück.

Über was sollte er mit ihr sprechen? Musternd sah er sie an und warf ihr ein charmantes Lächeln zu.

Audrey erwiderte dieses Lächeln. „Ihr wirkt, als hättet Ihr einen sehr anstrengenden Tag hinter Euch", bemerkte sie und wollte ihm so eine Vorlage zum Sprechen geben. Sie wusste jedoch nicht, ob er darauf eingehen würde.

Mit einer Handbewegung wehrte er ab. „Nicht mehr als üblich", bekam sie als Antwort von ihm zu hören. Tatsächlich war der Tag weniger stressig gewesen als sie ihn das erste Mal begegnet war.

„Xie xie", wandte sich Adrian der Bedienung zu, die gerade die Getränke brachte. Das chinesische Mädchen nickte ihm freundlich zu, als sie die Getränke vor ihm abstellte und kurz darauf auch Audrey ihre bekam.

Audrey sagte nichts, schenkte ihr nur ein Lächeln und blickte dann zu Adrian. „Ihr sprecht sehr gut Chinesisch. Wie kommt das? Seid ihr geschäftlich viel in dieser Gegend unterwegs?", fragte sie neugierig.

Abwägend legte er den Kopf leicht schief und fixierte die Frau ihm gegenüber. Seine Geschäfte gingen Audrey absolut nichts an. Was sollte er ihr also erzählen?

Bei den Treffen, die er meistens hatte, ging es niemals um solche Informationen. Adrian nahm seinen Sake auf und nippte daran, bevor er sich zu einer Antwort bequemte. „Teilweise", war das einzige Wort, was aus seinem Mund kam.

Niemals zu viel über sich selbst verraten. Nur so konnte er sein eigenes Leben führen, ohne dass ihm jemand etwas vorwerfen konnte.

Audrey legte den Kopf auf eine Art und Weise schief, die Adrian sehr bekannt vorkam. „Schade, ich habe gehofft, dass Ihr Euch vielleicht genauso für das alte China interessiert, wie ich", bemerkte sie und nahm lächelnd einen Schluck Lycheesaft.

Mit verengten Augen fixierte Adrian die Frau und war dabei, etwas Unhöfliches zu sagen. Was wollte sie von ihm? Woher wollte sie überhaupt wissen, für was er sich interessierte?

Erneut hob er seinen Sake an die Lippen, stellte ihn auf den Tisch und war versucht, aufzustehen und zu gehen. Stattdessen sagte er lediglich, dass er einige Jahre dort gelebt hatte und auch heute noch guten Kontakt dort hatte. Mehr musste sie wirklich nicht wissen.

Audrey strahlte. „Wirklich? Ich war als Kind auch schon einmal dort gewesen", schwärmte sie. „Das Land ist so schön und die Kultur so herzlich." Ihr war nicht entgangen, dass er nicht so reagierte, wie sie es gehofft hatte, doch das störte sie nicht. Sie kannte Adrian im Grunde sehr gut. Allerdings musste sie aufpassen, dass sie sich nicht verriet oder er etwas seltsam fand.

Daraufhin bekam sie ein Nicken von ihm. Seine Lippen versteckte er nun hinter seinem Glas mit Bier, damit er nicht unbedingt sprechen musste. Normalerweise fiel es ihm nicht schwer, andere Frauen anzusprechen, wenn sie interessant für ihn waren.

„In welcher Ecke von China sind Sie denn gewesen?", fragte Adrian. Bei der Lautstärke, die hier herrschte, musste er aufpassen, nicht zu leise oder auch zu laut zu sprechen. Andere Leute gingen die Gespräche nichts an und einen Satz wollte er auch nicht ständig wiederholen, weil sie ihn nicht verstand.

Audrey machte jedoch nicht den Eindruck, ihn nicht gehört zu haben. „Wir haben eine Rundreise gemacht", erklärte sie scheinbar gut gelaunt. „Am meisten hat mich die Verbotene Stadt fasziniert", erzählte sie ihm und hoffte, dass sie so vielleicht ein paar Erinnerungen weckte.

Ein Leuchten in seinen blauen Augen erschien. Das Funkeln war liebevoll und voller schöner Erinnerungen für ihn. Was für Ausflüge seine Familie mit ihm gemacht hatte!

Noch gut erinnerte er sich daran, wie sie sich die Verbotene Stadt angesehen hatten. Stundenlang hatten sie die alten Gebäude, die auch heute noch gut erhalten waren, angesehen. Dabei hatte sich Adrian vorgestellt, wie es in der frühen Zeit dort gewesen war. Szenen hatten sich in seinem Kopf abgespielt. Vor allem, nachdem er viele Bücher darüber gelesen hatte.

„Ja, sie war sehr schön", bemerkte er in einem schwärmerischen Ton und sprach gleich darauf mit der Bedienung, die das Essen an den Tisch brachte, chinesisch.

Allerdings hatte diese nur die Vorspeisen für Audrey gebracht. Es roch sehr gut und die dampfenden Schüsseln luden geradezu ein, sich auf das Essen zu stürzen.

Audrey platzierte die Vorspeisen in der Mitte und bat die Frau dann um zwei zusätzliche, kleine Teller, damit sie sich nehmen konnten. Dabei sprach sie ebenfalls chinesisch, was ihr gar nicht sofort klar war. Es war einfach eine Reaktion auf die Sprache ihrer Umgebung.

Überrascht davon hob Adrian eine Augenbraue. Damit hatte er nicht gerechnet, aber es machte Audrey interessant.

Dass sie allerdings zwei Teller bestellte, gefiel ihm nicht. Er hatte deutlich abgelehnt, mit ihr zu teilen.

Erst als die Bedienung weg war, wandte sich Adrian an sie. „Wo haben Sie die Sprache gelernt?", erkundigte er sich.

Sie blickte ihn kurz irrigiert an, bevor ihr auffiel, dass sie chinesisch gesprochen hatte. Ein schiefes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Ich war so fasziniert von dieser Gegend, dass ich einige Zeit Work and Travel in dem Land gemacht habe", gestand sie. „Dafür musste ich natürlich die Sprache lernen." Es stimmte nicht ganz, denn die Sprache kannte sie schon viel länger, was sie ihm jedoch nicht verraten konnte. Er würde sie nur für verrückt erklären. Immerhin war er nur ein Mensch.

Anerkennend nickte er. Also hatte sie auch Ziele und Wünsche, die sie verfolgte. So etwas gefiel ihm sehr gut. Menschen, die wussten, was sie wollten. Die in andere Länder gingen, um dort zu arbeiten und gleichzeitig Kultur und Sprache lernten. Nicht viele brachten den nötigen Biss dazu mit.

Die Bedienung kam mit zwei Tellern zurück und stellte sie vor ihnen ab. Sie wünschte einen guten Appetit und ging.

„Anscheinend akzeptieren Sie kein Nein", stellte Adrian fest.

„Möglich, aber ich möchte nicht, dass sie nur zusehen, wie ich esse", erklärte sie schulterzuckend und nahm etwas vom Algensalat auf ihren Teller, um kurz darauf auch Sushi und Wantan dazu zu legen. „Außerdem ist das Sushi hier wirklich fabelhaft."

„Das weiß ich", entgegnete Adrian. Schließlich kam er deswegen öfters hierher, wenn es die Zeit zuließ.

Mit der Hand schob er den Teller leicht von sich und legte die Ellenbogen auf den Tisch ab. Seine Hände faltete er und legte sein Kinn darauf ab.

Auf ihren vorherigen Kommentar ging er gar nicht erst ein. Adrian hatte nicht vor, zu viel zu essen, wenn er nicht selbst bezahlte.

Seine blauen Augen lagen auf ihrem Gesicht und er beobachtete, wie sie zu essen begann. „Ihre Augenfarben sind sehr außergewöhnlich. Menschen mit zweifarbigen Augen gibt es nicht sehr oft", bemerkte er bei genauer Betrachtung.

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