Kapitel 3.1

Kapitel 3

Audrey lehnte an der Wand neben der Tür und blickte hinauf in den Himmel. Dabei hatte sie ihre Ohren gespitzt und wartete, bis sich Adrian endlich dazu entschied zu gehen. Das war wirklich anstrengend und nervig. Warum wollte er unbedingt bei ihr bleiben?

Sie wollte Isabella gar nicht so viel Leid zufügen und sobald Adrian von ihr weg war, würde es ihr auch bald besser gehen, doch da alles nichts gebracht hatte, hatte sie zu dieser Methode gegriffen. Etwas, was sie eigentlich weniger mochte, doch für ihn war ihr jedes Mittel recht.

Ihr Kopf ging zur Seite, als sie bemerkte, dass er durch die Eingangshalle ging. Gleich würde er das Gebäude verlassen.

In Gedanken versunken bemerkte er sie nicht, genauso wie die anderen Leute um ihn herum. Sein Magen knurrte, was für die anderen jedoch nicht hörbar war, nachdem die Leute genügend Krach machten.

Bevor er das Gebäude verließ, schloss er seinen Mantel und richtete seinen Kragen davon. Erst dann trat er hinaus und warf einen kurzen Blick in den Himmel. Obwohl er heute früher mit der Arbeit aufgehört hatte, kam er wieder in der Dunkelheit nach Hause. Seufzend fuhr er sich über die schwarzen Haare und sah auf sein Smartphone, um geeignete Restaurants auf dem Weg nach Hause zu finden.

Audrey, die innerlich seufzte, schloss zu ihm auf. Versuchte das jedoch eher unabsichtlich zu tun. In der Hand hielt sie einen Kaffee und hoffte wirklich auf den altbekannten Trick mit dem Kaffee zurückgreifen zu können. Allerdings hatte sie nicht gerade Lust, ihn über seine Kleidung zu kippen. Vielleicht konnte sie es nur auf seine Schuhe beziehen.

„Entschuldigung, ich muss hier durch", sagte sie und versuchte sich durch die Menschen zu drängen. Dabei schaffte sie es Adrian näher zu kommen und mit einer Bewegung rempelte sie einen Mann an, schüttet ihren Kaffee über seine Schuhe und stürzte in seine Arme.

Geistesgegenwärtig griff er nach der Frau. „Hoppla", kam es erschrocken aus seinem Mund. Na klasse, jetzt waren die Schuhe auch noch ruiniert. Warum ging in der letzten Zeit so viel daneben? „Haben Sie sich weh getan, Miss ...", begann er zu fragen und erkannte dann Audrey. „Sie?", kam es noch entsetzter von ihm.

Auch Audrey blickte auf und hielt ihn mit ihren Augen gefangen. Er war nur ein Mensch. Das hieß ihr Blick sollte eigentlich wirken. Allerdings hatte er wohl über die Zeit eine gewisse Immunität aufgebaut. „E-Entschuldigen Sie", meinte sie leise und etwas durch den Wind. Dann runzelte sie die Stirn. „Adrian?", fragte sie überrascht und richtete sich langsam auf.

Prüfend sah er sie an. Wollte feststellen, ob sie verletzt war. Ihre Augen waren faszinierend. Waren sie es schon in der Bar gewesen, so bekamen sie hier draußen im Straßenlicht eine ganz andere Bedeutung.

„Was machen Sie hier?", fragte er sichtlich gefasst und stellte sie auf ihre Füße. Mit einem Blick sah er auf seine schwarzen, zuvor noch glänzenden Schuhe, die nun mit hässlichen Kaffeeflecken verziert waren.

Audrey folgte seinen Blick, betrachtete seine Schuhe und dann den leeren Becher. Ihr Lächeln verrutschte. „Entschuldigen Sie", meinte sie leise, fast piepsend. „Ich war eigentlich auf den Heimweg von einer Freundin, aber darf ich sie vielleicht wegen der Schuhe zum Essen einladen?", fragte sie entschuldigend. Dabei war das alles nur gespielt. Alles verlief nach Plan.

Abwehrend hob er die Hände. „Kein Problem. So etwas passiert", erwiderte Adrian leichthin. Essen hörte sich gut an, aber mit Kaffee in den Schuhen war das alles andere als angenehm.

„Es tut mir trotzdem leid", meinte sie mit einem Augenaufschlag. „Die müssen sicherlich teuer gewesen sein. Wie kann ich das wieder gut machen?"

Nachdenklich sah er auf die junge Frau vor sich und überlegte einen Moment. „Nicht so schlimm. Essen wäre nicht schlecht, noch habe ich nichts gegessen", gab er schließlich nach.

Audrey strahlte ihn an. „Danke, möchtet Ihr Euch vorher neue Schuhe anziehen?", fragte sie überlegend und mit einem schiefen Lächeln. Daran hätte sie vielleicht eher denken können.

Ein Kopfschütteln erfolgte, wobei seine schwarzen Haare lustig herumflogen. „Es wird schon gehen", antwortete Adrian ihr und beugte sich hinunter, um die Schuhe mitten in der Menschenmenge auszuziehen. In aller Seelenruhe tat er das. Er kippte die Schuhe um, sodass der Kaffee abfließen konnte und zog sie daraufhin wieder an.

Beiläufig erkundigte er sich, welches Restaurant sie bevorzugen würde.

Audrey betrachtete das überrascht. Aber wenn sie daran dachte, dass sie hier mitten in New York waren, war es vielleicht doch nicht ganz so seltsam.

„Mir ist es tatsächlich egal. Ihr könnt entscheiden", schlug sie lächelnd vor. „Hier in der Nähe gibt es einen guten Asiaten."

Damit hatte sie Recht. Einige davon hatte er ausprobiert. Manche mit Kunden, andere mit flüchtigen Bekanntschaften.

„Wie wäre es mit Red Dragon?", wollte er wissen, solange er seine Schuhe zuband. Dabei warf er ihr von unten einen Blick zu.

Sie schenkte ihm ein Lächeln, das wirklich strahlte. „Sehr gern", erwiderte sie und hoffte, dass diese Distanz zwischen ihnen bald verschwunden war. Es störte sie sehr, jedoch wusste sie auch, dass sie langsam machen musste. Sie wollte ihn nicht verscheuchen.

Sobald seine Schnürsenkel gerichtet waren, richtete Adrian sich wieder auf. Kurz sah er sich um und nickte dann nach links. „Da entlang", sagte er zu Audrey. Sein Finger zeigte auf ein Schild, welches aussagte, dass Chinatown nicht weit entfernt war. Dort lag das Restaurant, in dem er gerne essen ging.

Schon von hier war der goldverzierte Eingangsbogen zum Chinaviertel von New York zu erkennen.

Audrey lächelte und nickte, bevor sie mit ihm zusammen den Weg dorthin einschlug.

Genau wie das letzte Mal, trug sie auch heute wieder das schwarze Kleid, das mit einem weiten Rock bis zu den Knien reicht.

Das war ihm schon aufgefallen, jedoch äußerte er sich nicht dazu. Isabella war auch nicht warm genug angezogen gewesen. Solche Entscheidungen überließ er den Frauen. In die Angelegenheiten, was sie tragen sollten, mischte er sich nicht ein. Jeder war für sich selbst verantwortlich.

Je näher sie dem Torbogen kamen, desto mehr war die chinesischen Melodien und die Sprache zu vernehmen. Für viele Menschen war die Sprache wirklich seltsam und nicht selten machten sie Witze darüber.

Sobald sie durch den Torbogen geschritten waren, war es eine andere Welt. Unzählige Geschäfte, die chinesische Lebensmittel und Waren anboten, aber auch genauso viele Restaurants zierten die Straßen links und rechts neben ihnen.

Adrian fühlte sich hier sehr wohl. Nicht nur, weil er die Sprache perfekt beherrschte und keine Probleme mit der Kommunikation hatte. Nein, es war viel mehr. Der junge Firmenchef fühlte sich mit dem Land China seit seiner Kindheit verbunden. Damals war er mit seiner Familie dorthin gereist und hatte mehrere Jahre dort gelebt. Sein Vater war von seiner Firma aus dorthin geschickt worden und seine Frau und sein Sohn waren mit ihm gegangen.

Schon damals hatten ihn die Kultur, das Land und die Menschen interessiert. Viele Ausflüge hatten sie zu historischen Palästen und Stätten gemacht, wobei Adrian seine Liebe dadurch gefunden hatte. Die Kaiserzeiten faszinierten ihn, weshalb er sehr viele Bücher darüber in seinem Penthouse stehen hatte. Die Kaiser zu der Zeit waren teilweise nicht wirklich freundlich gewesen. Er hatte sogar einige wertvolle Bilder ersteigert, die er sich jederzeit zuhause ansehen konnte.

Durch den Aufenthalt in seiner Kindheit hatte er Chinesisch gelernt und hielt auch heute noch aufrechten Kontakt zu einigen Freunden auf der anderen Seite des Ozeans.

An all diese Dinge dachte er, während er immer wieder grüßend die Hand hob. Adrian kannte viele Leute hier, die ihn mochten. Vor allem, weil er sich mit ihnen in ihrer Landessprache verständigte.

Audrey lief stumm neben ihm und verfolgte die Gespräche der Passanten. Sie verstand sie, genauso gut, als wäre sie eine von ihnen. Heute konnte sie es allerdings nicht so ganz genießen.

Sie würde zurück in ihre Vergangenheit katapultiert, was nicht zuletzt an dem Geruch von Adrian lag.

Für einen Moment schloss sie die Augen und ließ sich in die Vergangenheit ziehen. Der Lärm der Straße wich dem ruhigen Plätschern von Wasser und dem Gesang der Vögel, die über die Verbotene Stadt in China zogen.

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