Kapitel 26.4

Kapitel 26.4

„Nein, leider nicht. Wir brauchen eure Hilfe dabei", sagte sie ernst.

"Ich schaue es mir an", nickte Sergej und ging auf die Frau unter dem Laken zu. Dabei versperrte er Adrian etwas die Sicht, als er das Tuch ein Stück vorzog, um den Kopf zu sehen. Was er vorfand gefiel ihm gar nicht. Der Kopf war teilweise kahl und die andere Seite hatte nur noch Stoppeln. Was daran lag, dass ein Teil verbrannt war. Somit war auch keine Möglichkeit da, zu sehen, ob die Augen eine unterschiedliche Farbe hatten.

Sergej schluckte. Konnte er dieses Bild Adrian zumuten? Was wenn es nicht Audrey war? Er konnte es beim besten Willen nicht sagen.

Bevor Sergej überhaupt reagieren konnte, wurde er von Adrian zur Seite geschoben. Er wollte selbst entscheiden, ob er es sah oder nicht.

Im gleichen Moment wünschte er sich, dass er es nicht gesehen hätte. Er schluckte schwer, bevor er langsam zu dem toten Körper ging und sich neben sie kniete.

Was auch immer geschehen war, ihr Kopf wirkte fürchterlich entstellt. Als hätte eine Hälfte in Benzin gelegen, das Feuergefangen hatte. Er wollte lieber gar nicht wissen, wie ihr restlicher Körper aussah.

"Ist sie es?", fragte Sergej mit rauer Stimme.

Adrian nickte langsam. Egal ob sie entstellt war oder nicht, er sah ihre Porzellanhaut genau. Niemand hatte so eine wie Audrey gehabt. Und er konnte sie unter Millionen Frauen erkennen. Außerdem spürte er, wie sein Herz sich zusammenschnürte. Das tat es nur, wenn er mit Audrey zusammen gewesen war.

Adrian hob seine Hand und streichelte sanft ihre Wange, bevor er sich wortlos über sie beugte und anfing, zu weinen, während seine Arme um ihren Körper gelegt waren.

"Sie ist es", nickte Sergej Felicity zu. "Wir bringen sie zu einem sicheren Ort. Steht der Krankenwagen bereit?", fragte er. Sergej war froh, dass Adrian sie mit Tuch in den Arm genommen hatte, denn ihr restlicher Körper sah noch schlimmer aus, als ihr Kopf. Diesen Anblick wollte er dem verstörten Mann ersparen.

„Er steht bereit", versicherte Felicity ihm.

Jedoch kannte Sergej Adrian nicht gut genug. Er hatte Audrey zwar mit dem Tuch im Arm, doch das wollte er nicht wirklich, es war nicht das, was ihr zustand.

Deshalb zog er seinen langen Mantel aus und nahm das Tuch von Audrey weg, bevor er sie in diesem einwickelte. Seine Tränen liefen erst recht herunter, als er den entstellten Körper von ihr sah, aber er sprach nicht.

"Wir holen die Trage herein", verkündete Sergej, damit es auch Adrian mitbekam.

Zwei seiner Leute waren bereits dabei diese hereinzuholen, damit man Audrey darauflegen konnte.

Trotzig schüttelte Adrian jedoch den Kopf und hielt Audrey im Arm. „Ich bringe sie in den Krankenwagen", brachte er tonlos hervor. Es war seine Schuld, dass das passiert war. Nur seine.

"Wir wissen nicht, wie sehr ihr Körper geschädigt ist", meinte Sergej sanft. "Es ist besser sie auf einer Trage zu transportieren, damit wir ihr nicht vielleicht noch etwas brechen." Obwohl sie nicht sterben konnte, war ein Bruch des Rückrades, oder anderer Schaden, nicht so einfach zu verkraften. Schmerzen hatte sie dennoch und erholen musste sie sich auch.

Nur ungern gab Adrian dabei nach, legte sie aber schließlich vorsichtig auf die Trage.

Sergej hatte Recht, er wollte ihr nicht weh tun.

Felicity und Sergej nahmen die Trage, so dass Adrian nebenherlaufen konnte. Er wurde sogar mit den Krankenwagen gelassen und durfte an ihrer Seite bleiben.

Etwas anderes hätte er jedoch auch nicht akzeptiert. Zusammengesunken saß er neben Audrey und hielt ihre Hand. Zärtlich streichelte er sie, als würde er sich entschuldigen wollen.

Während Sergej hinten bei Adrian und Audrey war, fuhr Felicity den Krankenwagen. "Ich weiß nicht, was du alles weißt, aber wir bringen dich jetzt hinab in unsere Stadt", erklärte er leise.

Nur kurz hob er seinen Kopf und ließ ihn dann wieder senken. Von was für einer Stadt sprach Sergej? Darüber nachdenken konnte und wollte er nicht. Seine Kopfschmerzen waren noch schlimmer geworden und er spürte einen unendlichen Druck, der sich durch Audreys Anblick noch verstärkt hatte. Er wünschte sich, ihr helfen zu können. Dennoch wusste er, dass es nicht so einfach war.

"Die Stadt der Vampire liegt unterhalb von New York", erklärte er ihm, obwohl Adrian kaum reagierte. "Dort leben die Vampire, die kein Sonnenlicht vertragen und so gesehen ist das das Königreich, was Audrey für sich und ihre Kinder aufgebaut hat."

Er hatte nur eines verstanden. „Audrey ist die Königin?", fragte er tonlos und schüttelte den Kopf. Warum hatte sie nichts gesagt, sondern ständig etwas versteckt? Ihm war nicht bewusst gewesen, dass es so etwas wirklich gab. Ständig hatte er es als Unfug abgewunken.

"Sie zieht es vor, dass es nur ganz wenige wissen", erklärte Sergej ihm. "Wenige Vertraute, da sonst sehr viele Leute hinter ihr her wären. Es reicht schon, dass diese Gruppe von Fanatikern herausgefunden hat, dass es eine Art der Unsterblichkeit gibt, die einen nicht zum Vampir macht", grummelte Sergej schlecht gelaunt. Diese Sekte war wirklich gefährlich.

„Diese Leute, die in der letzten Zeit verschwunden waren?", fragte er vorsichtig. Mit einem war Audrey in der Zeitung gewesen.

"Ja. Sie gehören irgendwie dazu. Wir mussten sie gefangen nehmen, weil sie unsere Königin bedrohen", erklärte er. "Aber viel mehr Sorgen mache ich mir darum, dass jemand erfahren könnte, dass Audrey unsere Königin ist. Schon seit jeher versuchen die Menschen uns Vampire auszulöschen. Dabei sind die wenigsten von uns für sie gefährlich."

„Einige müssen es wissen. Sonst hätten sie nicht versucht, Audrey in der Karibik zu entführen", murmelte er. Audrey hatte ihn also wirklich angelogen und nicht ganz die Wahrheit gesprochen. Wenn sie Adrian vertraut hatte, warum hatte sie nicht einfach gesagt, dass sie die Königin ist?

Seine Kopfschmerzen wuchsen durch das ganze Nachdenken ins Unendliche und es fiel ihm schwer, sich auf etwas zu konzentrieren. Durch die Schmerzen, die sich in seinem ganzen Körper ausbreiteten, wurde ihm schwindelig.

"Die Leute in der Karibik waren von der Sekte", meinte Sergej nachdenklich. "Ob sie wissen, dass Audrey die Königin ist, bezweifle ich. Sie wollen sie aus anderen Gründen", überlegte er. "Ich möchte dich darum bitten, nicht so oft darüber zu sprechen, dass sie unsere Königin ist. Gerade in der heutigen Zeit weiß man nie, wo man abgehört wird", erklärte er.

„Ich habe niemals mit irgendjemand über sie gesprochen", brachte er gepresst hervor. Wenigstens hatte er Recht gehabt, lieber aus dem Ganzen herausgehalten zu werden. Adrian war aus seinem Leben gerissen und in eine gefährliche gebracht worden.

"Das mag sein, aber da du es noch nicht wusstest, bin ich mir sicher, dass sie noch keinen sicheren Ort gefunden hat, um dich einzuweihen", meinte Sergej und reichte ihm eine kleine Dose. Darin befanden sich rote, kleine Pastillen. "Nimm eines, dann geht es dir besser."

Glaubte er im Ernst, dass Adrian jetzt etwas zum Lutschen haben wollte? Ihm kam nicht mehr in den Sinn, dass Audrey davon gesprochen hatte, dass es diese Kapseln gab, um im Notfall zu helfen.

Adrian winkte ab und seufzte gequält. „Was kann ich tun, dass es ihr besser geht?", fragte er stattdessen. Wenn es ihm schlecht ging, war das die gerechte Strafe.

"Erst einmal ein Notfallbonbon, damit es dir besser geht", meinte Sergej. "Ansonsten kannst du nur weiterhin ihre Hand halten. Ich bin mir sicher, wenn sie deine Stimme hört, wird sie versuchen so schnell wie möglich wach zu werden, um sich selbst zu heilen. Auch wenn es mir lieber wäre, wenn sie schläft, doch so dauert ihre Heilung länger."

„Würde ihr Blut von mir helfen?", fragte er tonlos, noch immer die Pastillen ignorierend.

"Nicht in deinem jetzigen Zustand", meinte Sergej abwinkend. "Sie bekommt aber eine Bluttransfusion, sobald wir angekommen sind."

„Ich möchte ihr gerne jetzt schon etwas geben ...", murmelte Adrian und kratzte sich am Handgelenk, welches juckte. So heftig, dass es leicht blutete. Es war wegen seiner schlecht verheilten Narben, die oft juckten.

Ohne auf Sergejs Reaktion zu warten, hielt er es Audrey an die Lippen, nachdem er diese mit einem Finger leicht geöffnet hatte.

"Dein Körper kämpft im Moment damit dich selbst zu heilen", erklärte ihm Sergej, griff aber nicht ein. "Wenn du Keime im Blut hast, weil eine Wunde nicht gut verheilt ist, wirst du sie damit anstecken können", sagte er, ließ ihn jedoch machen. Er wusste, dass sein Blut ihre Lebensgeister wecken würden. Selbst wenn sie danach vielleicht noch mehr zum Heilen hatte, sie wäre aktiv.

„Audrey hat nicht alle Löcher geheilt, aber sie sind zugewachsen. Sie jucken nur häufig", grummelte er und ritzte sich mehr auf, bis das Blut schließlich richtig floss.

"Wir werden Sie untersuchen lassen, sobald wir angekommen sind", sagte Sergej, der über so viel Sturheit nur den Kopf schütteln konnte. Doch so war Adrian schon immer gewesen.

„Ich brauche keine", grummelte er zurück. Durch das Geschaukel im Krankenwagen musste er sich festhalten, damit er nicht auf Audrey fiel. Der Verkehr von draußen war nicht zu überhören, aber er vergaß alles um sich herum, als er die Lippen auf Audreys entstelltes Gesicht legte. Egal, wie sie aussah, er liebte sie. „Es tut mir leid, Audrey", flüsterte er.

"Wenn Audrey wach wird und sie sieht dich in diesem Zustand, wird sie dich heilen wollen", bemerkte Sergej nüchtern.

Anstatt jetzt zu antworten, küsste Adrian Audrey immer wieder, während seine Hand an ihre Lippen gepresst waren, damit sie das Blut bekommen konnte.

Er spürte, dass ihr Augenlid, das er gerade küsste, leicht zuckte.

Erst jetzt nahm Adrian eine der Pastillen, um sich selbst zu helfen. Das konnte ihr nur zusätzlich helfen.

Beruhigt packte Sergej die Tabletten wieder weg. Er wusste, dass diese ihm einen Kraftschub geben würde.

Darauf hatte Adrian gehofft. Ein Lebenszeichen von ihr, damit er sich beruhigen konnte. Trotzdem tat es ihm sehr weh, dass sie so viel leiden musste. Wegen ihm.

Das Blinzeln wurde stärker und auch ihr Brustkorb begann sich wieder zu heben und zu senken. Ganz minimal, aber sichtbar.

„Meine Geliebte ... verzeihe mir, was ich dir angetan habe", murmelte Adrian und küsste sie immer wieder. Er fühlte sich etwas besser, doch die Kopfschmerzen ließen einfach nicht nach.

"Wir sind gleich da", informierte Sergej ihn und klopfte ihm auf die Schulter. "Es ist nicht deine Schuld", versicherte er, als der Wagen auch schon hielt.

Natürlich war es seine. Er hätte sie beschützen können, wenn er sich nicht eingeigelt hätte. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen und Felicity half Sergej, Audrey auf der Trage hinauszubefördern.

Sie befanden sich in einer Gegend, die recht dunkel, aber ruhig war. Außerdem konnte man keinen Himmel sehen, nur tiefschwarze Dunkelheit.

Der Weg, den sie nahmen, war von Laternen erhellt, die sehr chinesisch wirkten. Doch das interessierte sie nicht, als sie die Trage mit Audrey in das Haus brachten, das asiatisch aussah und auch so eingerichtet war.

Dass sie sich in einer kleinen Stadt befanden, die eingeschlossen in der größeren lag, wusste Adrian nicht. Genau so wenig, dass sie unterirdisch waren. 

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