Kapitel 11.2


Kapitel 11.2

Solche tragischen Unfälle waren selten, aber wenn sie geschahen, nahm das jeden mit.

Audrey beobachtete alles aus der Ferne. Sie hatte sich zwischen den restlichen Büschen versteckt und mit einem Zauber getarnt. Man würde sie nicht finden, wenn man nicht aktiv nach ihr suchte. Was man wohl nicht tun würde.

Es war jedoch wichtig, dass Adrians Leiche identifiziert wurde, denn er stand auf der Liste der Passagiere.

Die Meldung über den Flugzeugabsturz war in den nächsten Tagen überall präsent. Ob in den Nachrichten im Fernsehen oder in den Zeitungen. Es war das Gesprächsthema Nummer Eins, denn keiner wusste, was dazu geführt hatte.

Ein Platz wurde errichtet, an den die Menschen trauern konnten. Viele Bilder, Blumen und Kerzen wurden aufgestellt, die in der Nacht den Toten das Licht zeigen sollten. Aber auch, dass sie niemals in Vergessenheit geraten würden.

Nach und nach kamen die Namen der Toten, die eindeutig identifiziert werden konnten, zum Vorschein. Angehörige kamen, um die Vermissten zu sehen. Täglich kamen weinende Leute aus dem Leichenschauhaus, die beinahe zusammenbrachen vor Trauer.

Da Adrian keine Angehörigen hatte, kam seine Assistentin Isabella, um genau das zu tun. Ihren Chef dort völlig entstellt auf dem kalten Tisch liegen zu sehen, war etwas, was sich für immer in ihr Gedächtnis brannte. Weinend brach sie zusammen, denn sie hatte Adrian wirklich gerngehabt.

Audrey beobachtete das ganze durch eine Kamera, die überall angebracht waren. Das war etwas, das ihr Clan schon sehr früh für sich entdeckt hatte. Vampire waren weitaus fortschrittlicher, als die meisten glaubten. Sie besaßen sogar Techniken, die nicht einmal bei den Menschen angekommen waren. Damit hatten sie einige Vorteile.

Geduldig wartete die junge Frau, bis es Nacht wurde und jeder das Gebäude verließ.

Obwohl es Nachtwächter gab, war es für sie eine Kleinigkeit, in das Gebäude einzudringen und unbemerkt den Raum zu öffnen, wo Adrians Leiche gekühlt wurde. Noch war er nicht bestattet wurden, was sehr gut war.

Mit dem Wissen, das alles gefilmt wurde, damit Adrian es sich später ansehen und ihr glauben konnte, öffnete sie vorsichtig die Kühlkammer und zog seine Barre hervor. Es sollte nicht mehr lange dauern.

Ob er vielleicht die Filmmaterialien auch wieder als Manipulation abwägen würde? Bis jetzt hatte er ihr so gut wie kein Wort geglaubt. Sich sogar eher lustig darüber gemacht, was sie ihm erzählt hatte.

Audrey hatte Glück. Die Männer, die für die Kontrolle verantwortlich waren, befanden sich zu dieser Zeit auf anderen Fluren, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Adrians Leichnam lag auf der Barre. So kalt und tot wirkte er. Seine Haut wirkte blass und leicht lilafarben.

Audreys Blick wurde traurig, als sie seine Wange sanft streichelte. Es würde ein paar Tage, wenn nicht sogar Wochen brauchen, bis er nicht mehr aussah, als wäre er tot. Das war immer so und mit genügend Blut und ihrer Magie, würde sich das wiedergeben. Allerdings wusste sie noch nicht, wie er reagierte, wenn er erwachte.

Unheimlich ruhig war es in der Kühlkammer. Viele würden es so vermutlich nennen.

Plötzlich zuckte die Hand des Toten leicht und nur für einen kurzen Augenblick. Danach schien alles wieder wie vorher zu sein.

Audrey lächelte. Es war bald so weit. Sie musste nicht mehr lange warten.

Sie zog die kleine Umhängetasche von ihrer Schulter, um daraus eine Thermosflasche zu holen, die mit lauwarmem Blut gefüllt war. Er würde es brauchen.

Einige Minuten verstrichen, bevor der Tote erneut ein kleines Lebenszeichen von sich gab. Sein Gesicht zuckte, als würde er niesen müssen, doch nichts geschah.

Von diesem Augenblick an bewegte sich der bis dahin leblose Körper, bis schließlich ein undefinierbarer Laut die Lippen verließ.

Die Augen öffneten sich zaghaft und Adrian fasste sich an den Kopf. Viel erkennen konnte er nicht wirklich, dazu war alles zu verschwommen. "W-Wo bin ich?", fragte er verwirrt. Hatte er das alles nur geträumt?

"Schwer zu sagen", meinte Audrey entschuldigend, die ihm sanft dabei half, sich aufzusetzen. Dann hielt sie ihm die Flasche an die Lippen. "Trink", forderte sie sanft, aber unnachgiebig.

Durch die Stimme und die Berührung riss er seine Augen auf und starrte Audrey für einen Moment an.

Vor Schreck drückte er sie von sich weg. "Was machen Sie denn hier?", fragte er tonlos. Was sollte das? Hatte sie ihn etwa verzaubert, dass er plötzlich irgendwo aufwachte?

Ein seltsamer Geruch kam ihm in die Nase. Was roch hier so seltsam?

Audrey seufzte und schloss die Flasche wieder. "Schaut Euch um", murmelte sie leise. "Und dann macht vorsichtig, damit wir von hier verschwinden können", bat sie, denn auch sie war nicht so gern hier.

Gehorsam ließ Adrian seinen Blick schweifen. Die blauen Augen wurden noch größer, als er diese seltsamen, metallenen Türen sah, die sich an der Wandseite befanden. Ungläubig sah er an sich herunter und schluckte. Warum saß er auf einem kalten, metallenen Tisch?

Warum war seine Haut so ... seltsam? Was war nur passiert? Vage erinnerte er sich an den Absturz, doch so richtig wollte sein Gehirn nicht arbeiten und verstehen, was hier gerade vor sich ging.

Dieser Geruch ... er erinnerte sich plötzlich daran. Bilder flammten vor ihm auf, wie er seine Eltern nach einem Unfall identifiziert hatte. In genau so einem Raum mit einem seltsamen Geruch.

Schock stand in sein Gesicht geschrieben. Hatte er als Einziger etwa überlebt? Das war doch gar nicht möglich. Solche Abstürze überlebte fast keiner.

Unsicher sah er zu Audrey hinüber, als hätte er Angst, dass sie eine Illusion war. Wobei das vielleicht nicht schlecht gewesen wäre, denn ihre bloße Anwesenheit schockierte ihn mehr als der Ort, an dem er sich befand.

Sie holte aus ihrer Tasche noch eine Hose und ein Oberteil, sowie eine Jacke hervor, die sie an Adrian reichte. Ihm war wohl noch nicht aufgefallen, dass er nackt war und auch aussah wie ein Zombie. Was er im Grunde auch war. "Zieht etwas an", bat sie ihn sanft.

"Was soll das?", brachte er unsicher hervor. "Was für ein Spiel treiben Sie hier eigentlich?"

An seiner Stimme konnte Audrey erkennen, dass er weder bereit war, sich etwas anzuziehen, noch irgendwo hin zu gehen, bis er Antworten bekam.

Adrian fühlte sich seltsam und nicht mehr er selbst, auch wenn er das vielleicht war.

"Hier ist nicht gerade der beste Ort, um darüber zu sprechen", murmelte sie leise und entschuldigend. "Und da ich davon ausgehe, dass Ihr wieder diskutieren werdet, dachte ich, dass es besser ist, Euch zu einem angenehmeren Ort zu bringen."

Unwirsch machte Adrian eine Handbewegung. "Ich werde nirgendwo hin mit Ihnen kommen", versuchte er zu sagen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er Schritte vernahm.

Was passierte hier gerade nur? Warum war er in einer Kühlkammer? So viele Fragen, die er hatte.

"Schaut an Euch herunter", meinte sie murrend, weil sie wusste, dass dieser Anblick ihn vielleicht dazu brachte, zu verstehen. Er sah immer an manchen Stellen wie ein Flickwerk aus und hatte auch noch Wunden.

Fluchend und geschockt sprang Adrian daraufhin auf, als er das sah. War er auf einem Fasching oder was sollte das Ganze?

Er musste hier weg, das war klar. Allerdings hörte er Schritte, die näher kamen und wohl hier reinkommen würden, wenn er nicht leise war.

Audrey packte ihn, als er drohte umzufallen, weil seine Beine ihn noch nicht hielten. "Psst", machte sie und hielt ihn den Finger vor den Mund, damit er ruhig blieb.

Ob es Glück war, dass die Wachmänner einfach vorbei gingen oder nicht, konnte er in diesem Moment nicht sagen. Wenn sie sehen würden, was hier vor sich ging, konnte er vielleicht Antworten bekommen.

Adrian riss sich von der jungen Frau los und wäre beinahe wieder hingefallen, so wackelig stand er auf den Beinen. "Lassen Sie mich!", fluchte er unwirsch. Seit sie in sein Leben getreten war, passierten ständig seltsame Dinge, die er nicht verstand.

Audrey knirschte mit den Zähnen. Wenn er so weiter machte, brach er zusammen. Er war noch nicht geheilt genug, um zu Laufen. Nicht so.

Mehr schlecht als recht torkelte er zu der Tür. Sollten die Wachen noch da sein, konnte er Hilfe holen. So, wie er aussah, war es ein schlechter Scherz, was Audrey sich mit ihm erlaubte.

Allerdings fühlte er auch, wie schwach er war. Bevor er die Tür überhaupt erreichte, ging er zu Boden. Verflucht, warum konnte er nicht einfach seine Ruhe haben? Wenn alle anderen gestorben waren, gehörte er dazu.

Audrey kam zu ihm und beugte sich hinab. "Wunderbar, Eure Wunde ist wieder aufgegangen", murmelte sie und deutete auf das Bein. Dort war seine Wade blutig und aufgeschlitzt. Da hatte ein Teil des Flugzeuges in ihm gesteckt. "Ich werde es noch einmal heilen, aber dann müsst Ihr vorsichtig sein, sonst geht es gleich wieder auf", murmelte sie. Er war gerade in der Phase, in der er noch keinen Schmerz spürte. Das würde jedoch nicht mehr so lange dauern.

Audrey legte ihre Hand darüber, die leicht golden schimmerte. Sichtbar begann sich die Wunde zu schließen.

Blutspuren waren deshalb auf dem kahlen, kalten Boden zu erkennen. "Gehen Sie endlich weg!", brüllte er die junge Frau an. Sie war ihm unheimlich. Noch viel mehr als zuvor. Angst stand in sein hübsches, aber durch den Unfall entstelltes, Gesicht geschrieben.

Audrey knirschte mit den Zähnen, packte seinen Arm und legte ihn sich um, bevor sie ihn wie ein Baby auf den Arm nahm. Sie wusste, dass er das nicht mochte, doch er ließ ihr keine andere Wahl. Es würde schwierig werden ihn so hier raus zu bringen, doch wenn sie sich nicht verrechnete, würden sie recht leicht auf das Dach gelangen können. Eigentlich hatte sie gehofft, dass es möglich war mit ihm durch die Tür zu gehen, als wäre alles normal. Doch nicht, wenn er so war.

War sie denn verrückt? Sie konnte ihn doch nicht so einfach tragen. "Lassen Sie mich herunter. Ich bin nicht derjenige, den Sie suchen", knurrte er unwirsch und versuchte sich, von ihr zu befreien. Dass ihr Griff überraschend fest war, hatte er nicht geahnt. Außer, er war in diesem Augenblick zu schwach.

"Jetzt nicht", zischte sie und sah zur Tür in die Gänge, bevor sie in einer sehr hohen Geschwindigkeit den Gang entlang rannte und ins Treppenhaus gelang. Adrian dabei auf den Armen.

Geschockt von der Geschwindigkeit brachte er zuerst kein Laut heraus. Nur das Geklapper ihrer Absätze rissen ihn aus der Starre. Noch einmal warnte er sie, ihn endlich runter zu lassen. Grollend und dunkel hallte seine Stimme durch das Treppenhaus. Als würde ein Wolf seine Beute anknurren.

"Verdammt nochmal, lassen Sie mich endlich los!", rief er aufgebracht. Im gleichen Moment jedoch fühlte er sich erschöpft und müde, als würde er zusammenbrechen.

"Wenn es Euch besser geht", sagte sie ernst und lief die Treppen hinauf, bis sie das Dach erreicht hatten. "Versucht nicht zu schreien", meinte sie und mit einem Sprung war sie vom Hausdach gesprungen und auf dem nächsten gelandet.

Ihre Bitte hatte nicht viel gebracht. Aus seiner Kehle entrang ein spitzer Schrei. Eindeutig, die Frau war wahnsinnig. Oder er träumte mal wieder. War das vielleicht sogar der Weg in den Himmel, den viele Nahtoderfahrene als ein helles Licht beschrieben?

Kühle Luft zerrte an seinem nackten Körper, als Audrey mit ihm durch die Nacht sprang. Es ließ ihn zittern, denn der Winter war sehr nah und die Luft dadurch sehr viel kühler.

Audrey gab sich Mühe mit ihm zusammen endlich an einem Hochhaus anzukommen, das nur von Vampiren bewohnt war. Sie besaß hier eine Wohnung im oberen Stock und dort landete sie auf dem riesigen Balkon. Erschöpft atmete sie schneller. Noch nie hatte sie Adrian dermaßen lange durch die Gegen tragen müssen. Sie war generell aus der Übung.

Atemlos konnte er nicht glauben, was hier gerade geschah. Wo war er denn eigentlich? War das New York? Oder eine Stadt, die sich in der Nähe des Absturzes befunden hatte?

Richtig nachdenken konnte er nicht. Adrian versuchte sich erneut von der jungen Frau zu befreien. Dabei drückte er sich gegen sie und hoffte sogar, dass sie ihn einfach in die Tiefe warf.

Allerdings ließ sie ihn nicht in die Tiefe, sondern auf den kalten Boden des Hauses fallen. "Wollt Ihr wirklich so gehen?", fragte sie und deutete in die spiegelnde Fläche der Fenster, die nach drinnen führten.

Stumm schüttelte Adrian den Kopf. Der kalte Beton, der auf seine Haut getroffen war, fühlte sich unwirklich an. Was war nur geschehen? Mit nur einem Blick sah er, dass er wirklich nichts trug. Wie grau und fahl seine Haut aussah. Unwirklich, wie ein Untoter, den sie gerne im Fernsehen brachten.

Eine Welle brach über den Mann herein, der ihn ohnmächtig zur Seite stürzen ließ.

Audrey seufzte, öffnete die Tür und hob Adrian erneut hoch, um ihn in die Wohnung zu bringen. Er brauchte erst einmal Ruhe.

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