Kapitel 10.4


Kapitel 10.4

„Sagen Sie mir jetzt bitte nicht, dass ich der Nächste bin, der sterben wird", bat er Audrey. So, wie er sie verstanden hatte, würde ihr Geliebter immer wieder sterben.

Inständig hoffte er, dass Audrey ihn mit jemanden verwechselte. Vielleicht hatte er einen Zwilling und wusste es nicht?

"Jeder Mensch stirbt einmal", wandte sie ein und hoffte, dass er nicht näher darauf einging.

Das beruhigte ihn sogar. Leider musste jeder Mensch irgendwann gehen. „Und ... Sie sind diejenige, die so lange gelebt hat? Ich hoffe, Sie werden die Person finden können, denen Ihr Herz gehört", sagte er flüsternd. Dass er es sein konnte, war ausgeschlossen.

Audrey lächelte schief. Sie hatte es geahnt. Er glaubte ihr nicht. Aber vielleicht würde sich das noch ändern. Zumindest hielt er sie nicht für verrückt. "Habt Ihr noch andere Träume, außer China?", fragte sie leise.

Adrian schüttelte den Kopf. „Bisher nicht. Dafür verfolgt mich dieser Traum umso mehr. Was ich mit der ganzen Sache zu tun habe, weiß ich nicht", gestand der Schwarzhaarige und fuhr sich mit der Hand vorsichtig die Strähnen aus dem Gesicht.

Audrey nickte leicht. "Was empfindet Ihr, wenn Ihr an mich denkt?", fragte sie leise und fast hoffnungsvoll.

Nachdenklich starrte er auf sein Handy, als würde er daraus die Antwort lesen wollen. „Ein warmes, tiefes Gefühl. Geborgenheit und irgendwie eine Verbundenheit, die ich nicht beschreiben kann", sagte er vorsichtig. Kurz schwieg er, bevor er hinzufügte, dass es sich bei ihr ganz anders als bei allen anderen Frauen anfühlte.

Audrey hörte zu und Hoffnung keimte in ihr auf. "Und was hindert Euch, Zeit und Nähe mit mir zu teilen?", fragte sie leise.

Die Antwort würde ihr sicherlich nicht gefallen, doch Adrian war wenigstens dabei ehrlich. „Sie sind ... nein, Sie waren meine Kundin", begann er, korrigierte sich dann aber selbst. „Mit diesen verbringe ich keine Zeit außer geschäftliche Treffen. Alles andere beeinflusst eine korrekte geschäftliche Beziehung."

"Dann ist es vielleicht gut, wenn wir keine geschäftliche Beziehung mehr haben", meinte sie fast tonlos. Das brauchte sie nicht.

Sollte er ihr sagen, dass er nur One-Night-Stands gehabt hatte, weil er sich nicht binden wollte? „Es tut mir leid. Mit der Auflösung des Vertrages enden auch unsere Treffen. Das in Peking war einmalig. Ich habe mich gehen lassen und meine eigene Regel gebrochen", sagte er ernst.

"Ich verstehe", sagte sie und senkte die Lider. "Ich werde es auf jeden Fall vermissen, aber ich kann warten", sagte sie und wenn es sein musste, würde sie warten, bis er wiedergeboren wurde. Doch dazu musste sie ihm zuerst von den Toten zurückholen, das wusste sie.

Sein Arm, der gerade eben noch um sie gelegt war, verschwand und er stand auf. „Suchen Sie sich einen, der zu Ihnen passt", murmelte Adrian. Dass er den Spaß mit ihr, aber auch die Zweisamkeit und ihr Geruch vermissen würde, konnte er nicht sagen.

Vielleicht würden die Träume weniger werden, wenn sie sich nie wiedersahen. Zumindest hoffte Adrian das.

Audreys Mund wurde trocken. "Werdet Ihr mich nicht vermissen?", fragte sie leise und hoffnungsvoll. Vielleicht sollte sie sich einfach zusammenrollen und warten. Darin war sie immerhin sehr gut.

„Anfangs mit Sicherheit. Das wird sich hoffentlich legen, wenn wir uns nie wieder begegnen", erwiderte Adrian nüchtern.

Langsam ging er zu seiner Aktentasche, um die herausgefallenen Dokumente einzusammeln.

Allerdings kam er nicht dazu, denn wie von Geisterhand sortierten diese sich selbst ein und landeten in seiner Aktentasche.

Erschrocken ließ er die Tasche wieder fallen. „Was war das?", fragte er verblüfft. Das ging nicht mit rechten Dingen zu.

"Magie?", schlug sie vor und klang hoffnungsvoll.

„Natürlich. Und ich bin Kaiser Xiao Feng Dua", lachte Adrian spöttisch, als er sich aufrichtete, um seine Schuhe zu holen.

"Ihr wart es einmal", murmelte sie leise, ließ aber zu, dass er ging. Ob der Bericht, dass sie sich von einem Hochhaus gestürzt hatte, ihn vielleicht die Augen öffnete? Oder sollte sie es vor ihm tun?

In Ruhe zog er seine Schuhe an und band sie zu. „Wenn ich es gewesen wäre, würde ich heute nicht leben. Auf Wiedersehen, Audrey", sagte er leise zu ihr.

Diese hatte sich auf das Fenster zu begeben und es geöffnet. Es war so groß, dass es von oben nach unten ging.

Anfangs bemerkte er das nicht. Erst, als er die lauten Geräusche von der Straße hörte und den Windzug spürte, drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Was soll das? Was machen Sie da?", fragte er misstrauisch.

Sie hatte sich ans offene Fenster gesetzt und ihre Beine baumelten nach unten. Dass sie hier im achtzehnten Stock waren, schien ihr keine Angst zu machen. "Das weiß ich noch nicht", gestand sie ehrlich. Am liebsten würde sie springen und neben ihm landen, wenn er unten stand, damit er es sah.

„Machen Sie keine Dummheiten. Ich lasse mich nicht gern bestechen", konkretisierte er. Was sie wirklich von ihm wollte, blieb ihm schleierhaft.

"Ich habe nicht vor Euch zu bestechen, sondern zu überzeugen", erklärte sie nachdenklich.

Leise schnalzte er mit der Zunge. Hatte er aufgehört zu denken, sie war verrückt, so kam das jetzt erst recht wieder zurück.

„Mit einem Sprung in den Tod? Machen Sie sich bitte nicht lächerlich. Aus dieser Höhe kann niemand überleben", wies Adrian sie dezent darauf hin, in welchem Stockwerk sie sich befanden.

Da er jedoch auch nicht für den Tod einer jungen Frau verantwortlich sein wollte, ging er auf sie zu und blieb hinter ihr stehen. Bereit, sie zu halten, falls sie Dummheiten machen würde.

Audrey streckte jedoch nur die Hand aus und ein Vogel landete darauf. Es war ein kleiner Vogel, der sich kurz darauf das Gefieder putzte und über ihren Arm kletterte, als wäre dieser ein Ast.

Sie wurde genau von dem Geschäftsmann hinter ihr beobachtet. Stirnrunzelnd sah er sich die Szene an, fühlte jedoch, dass Audrey etwas vorhatte. „Was genau wollen Sie von mir?", fragte er.

"Ich möchte einfach nur, dass Ihr vielleicht einmal die Augen für die Magie dieser Welt öffnet, bevor sie ganz verschwindet", erklärte sie und als der Vogel von ihrem Arm in Richtung Haus flog, wandelte er sich im Flug zu einer Katze, die schließlich auf dem Teppich landete.

Audrey wusste, dass es nicht echt war. Sie konnte keinen Vogel in eine Katze verwandeln, aber eine lebensechte Illusion erschaffen. Man konnte sie sogar berühren und dafür, dass sie es lange nicht mehr getan hatte, weil es sie sehr anstrengte, war es sogar sehr gut gelungen.

Adrian versuchte hingegen, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Wie war das möglich? Hatte Audrey irgendwo ein Gerät versteckt, um das vorzuführen?

„Selbst, wenn es echt ist, was habe ich davon? In eine Welt gezogen zu werden, mit der ich nichts zu tun habe?", fragte er, wobei er noch immer hinter ihr stand. Hätte sie sich in dem Moment umgedreht, wüsste sie, wie hilflos Adrian in diesem Moment aussah. Hin- und hergerissen, was er glauben sollte oder nicht.

Er hatte das ungute Gefühl, in etwas gezogen zu werden, wo viele Gefahren lauerten und er sich nicht wehren konnte.

"Früher habt Ihr diese Welt geliebt", seufzte sie. Es war das erste Mal, dass er nicht aus seinem Alltag entfliehen und die Welt entdecken wollte.

Bevor Audrey reagieren konnte, hatte er seine Arme um sie gelegt und zog sie einfach wieder hinein. Ein Gespräch, so nahe am Abgrund, wollte er nicht führen. Dabei drehte er sie zu sich herum und starrte ihr in die zweifarbigen Augen.

"Ich bin mir nicht sicher, auf was Sie hinauswollen, Audrey. Sicherlich verwechseln Sie mich mit jemanden, der mir vielleicht vor langer Zeit ähnlichgesehen hat", sprach er leise, aber eindringlich auf sie ein.

Audrey ging auf die Zehenspitzen und legte ihre Lippen einfach auf seine, um zu spüren, ob er vielleicht recht hatte. Sie wusste, dass andere Männer ihr egal waren, wenn sie diese küsste, doch nicht so Adrian. Hier jagten Blitze durch ihren Körper und das Gefühl der Wärme und Geborgenheit breitete sich in ihr aus.

Dass er genau das Gleiche in dem Moment fühlte, konnte er nicht ahnen. Genau wie beim ersten Mal entstand eine Hitze zwischen ihnen, die ihm ein vertrautes und geborgenes Gefühl gab. Blitze zuckten durch seinen Körper und ließen Erinnerungen an den Traum wiederkommen. Genauso hatte er sich in dem Traum gefühlt. So, wie Li-Min ihren Kaiser geküsst hatte. Wie hatte er das Gefühl in den letzten Wochen vermisst!

Eigentlich sollte er sie von sich stoßen, doch der Kuss zog ihn in ihren Bann. Seine Arme schlangen sich um die junge Frau und hielten sie fest an sich gedrückt, während er sich in dem Kuss verlor. Hatte sie vielleicht doch recht und er kannte sie von irgendwoher?

Waren sie vielleicht wirklich irgendwie durch das Schicksal verbunden? Warum sonst sollte diese starke Anziehung zwischen ihnen bestehen?

Audrey löste sich von seinen Lippen und antwortete endlich auf seine Frage. "Ich möchte, dass Ihr bei mir bleibt, bis diese Anziehung vorbei ist", brachte sie leise nach Luft schnappend hervor und küsste ihn dann gleich wieder.

Die Worte ließen ihn misstrauisch werden und Adrian unterbrach den Kuss. Dabei schob er sie ein Stück von sich und fixierte sie mit seinen blauen Augen.

"Also ist es ein Spiel für Sie? Sich mit mir zu vergnügen, bis ich Ihnen langweilig werde?", fragte er mit einem ungläubigen Ton in der Stimme. War das vielleicht die Rache für einer der vielen Frauen, denen er nur eine Nacht geschenkt hatte?

"Nein", murmelte sie. "Aber Ihr spürt es doch auch."

Mit hochgezogenen Augenbrauen wollte er wissen, von was sie sprach.

"Diese Anziehung", murmelte sie. "Das Knistern, das nicht Vergessen können", versuchte sie sich zu erklären.

"Ja, das spüre ich", gab Adrian ehrlich zu. Was das allerdings zu bedeuten hatte, wusste er nicht.

Audrey senkte die Lider. "Und das Verlangen nach dem anderen?"

Langsam nickte der Mann vor ihr und seufzte tief. War das nicht normal, dass es manchmal solche Verlangen einfach gab? Nach nur einer Person?

"Warum versucht Ihr dann Euch so weit wie möglich von mir fern zu halten?", fragte sie, denn sie verstand nicht, warum er nicht einfach nachgab? "Ich verstehe, wenn Ihr mir nicht glaubt, was die Vergangenheit betrifft, aber das andere?"

Blinzelnd sah er zu ihr hinab, denn für einen Moment hatte er Li-Min vor sich gesehen. In ihrem schönen Kleid, welches sie für den Kaiser getragen hatte.

Mehrmals musste er noch blinzeln, bis er wieder in der Gegenwart war. "Was meinten Sie?", fragte er, weil er ihre Frage nicht ganz verstanden hatte.

"Ich verstehe nicht, wie Ihr so etwas Schönes, Fantastisches versucht zu verdrängen, statt es zu genießen", murmelte sie. "Es hängen doch keine Verpflichtungen mehr daran."

Adrian ließ sie los und schloss das Fenster wieder. Es hatte begonnen zu regnen und der Wind brachte die Tropfen in die Wohnung. Außerdem störte ihn in diesem Moment die laute Geräuschkulisse von New York.

Mit verschränkten Armen drehte er sich anschließend zu ihr um und fixierte sie erneut mit seinem Blick.

"Also wollen Sie mir weis machen, dass ich Kaiser Xiao Feng Dua gewesen bin? Und Sie meine Mätresse?", wollte er sich vergewissern. Denn das war bisher das Einzige, was er wirklich wahrgenommen und vielleicht auch verstanden hatte.

"Heruntergebrochen, ja", sagte sie nickend und ernst. Warum sollte sie ihn anlügen? Es war immerhin so, auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte.

Was dann geschah, hatte sie sicherlich nicht erwartet. Adrian beschloss, auf das Spiel einzugehen, denn mehr als das war es nicht für ihn. Warum Audrey so einen Fetisch besaß, konnte er nicht nachvollziehen. So richtig glauben konnte er es auch nicht. Doch er würde ihr zuliebe mitspielen.

Er hatte nichts mehr zu verlieren, denn sie war nicht mehr seine Kundin. Und da sein Körper ausgehungert nach Zärtlichkeit war, würde er eben die Chance nutzen.

"Na kommen Sie her, meine Mätresse", lächelte Adrian ihr mit einem Funkeln in den Augen zu. Dabei winkte er sie mit der Hand zu sich. Ein letztes Mal würde er nachgeben, bevor er sie hoffentlich aus seinem Leben verbannen konnte.

Audrey war jedoch skeptisch, denn an seiner Stimme und der Art, wie er es sagte, erkannte sie, dass es nicht ernst gemeint war. Dennoch kam sie auf ihn zu. Ihr Körper hungerte nach ihm und sie wollte die Chance nutzen.

Kaum stand sie vor ihm, ließ Adrian seine Hand zärtlich über ihre Wange fahren, bevor sich seine Finger in den schwarzen Haaren verwickelten. "Ein letztes Mal", hauchte er gegen ihre Lippen, bevor er sie küsste.

Audrey ging nicht darauf ein. Sie wusste, dass er sich mehr nach ihr verzehren würde, als er glaubte. Sie erwiderte hungrig seinen Kuss. Wenn er es so wollte, sollte er sich selbst quälen. Irgendwann würde das schon funktionieren.

Seine Arme schlangen sich um die zierliche Frau, bevor er anfing, sie zu entkleiden. Das, was er gerade wollte, war sie. Und nur sie.

Die Nacht gehörten ihnen beiden. Hungrig und leidenschaftlich gaben sie sich einander hin, ohne auf etwas Anderes um sie herum zu achten. Nur kleine Pausen gönnten sie sich dazwischen.

Erinnerungen an den Traum wurden dabei so stark, dass Adrian das Gefühl hatte, wirklich der Kaiser zu sein. Warum, das konnte er nicht verstehen. Vielleicht, weil der Traum einfach zu häufig ihn heimgesucht hatte.

Erst in den frühen Morgenstunden, als der Himmel bereits heller wurde, stand Adrian völlig verschwitzt auf. Er hatte einen wichtigen Termin, den er nicht verschieben konnte. So konnte er jedoch nicht auf den Kunden zugehen. Das hieß, er musste schnell nach Hause, um sich zu duschen und neue Kleidung anzuziehen.

Audrey lag neben ihm und sah so unschuldig aus, wenn sie schlief. Ob sie es wirklich tat, konnte er nicht sagen, doch der Atem der hübschen Frau ging regelmäßig und ruhig. Ihr Brustkorb, der nur teilweise unter der Decke versteckt war, hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Takt.

Adrian versuchte, sich so leise wie möglich anzuziehen. Er wollte nicht, dass sie noch mit ihm sprach, bevor er ging. Als er auf die Tür zuging und die Schuhe anzog, ließ er sich noch einmal das Gespräch und die Nacht durch den Kopf gehen. Es wirkte einfach alles zu surreal, um es wirklich glauben zu können.

Mit der Türklinke in der Hand, drehte er sich noch einmal zu Audrey um. "Auf Wiedersehen, Audrey", kam es fast tonlos von seinen Lippen. Wehmut und Sehnsucht schwang in den Worten mit.

Dann verschwand Adrian aus ihrer Wohnung. Hoffentlich konnte er sie nun vergessen und sich seinem Leben wieder widmen.

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