6. Kapitel: Lügen
Als Wolke eine kurze Pause einlegte, sah Asche sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ihre Mutter hatte also herausgefunden, wer ihr damals, in diesem Tunnel aufgelauert und die Krallen über ihre Augen gezogen hatte?
»Wolke?«, miaute Asche vorsichtig, als diese nicht mit ihrer Geschichte fortfuhr.
Die Blinde Kätzin seuftzte. »Entschuldige. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Aber jetzt will ich nicht weiter warten. Ihr müsst die Wahrheit erfahren...
***
Kiesel hatte mir also gerade erzählt, dass er wusste, wer mich als Junges verletzt hatte.« Ein weiteres Seufzen. »›Wie hast du davon erfahren?‹, fragte ich. In all den Monden war ich der Lösung des Rätsels keinen Pfotenschritt näher gekommen. Selbst mit der Hilfe der Wisperkatzen nicht. Wie also hatte Kiesel das geschafft?
›Ich habe es gesehen. Damals, als wir noch Junge waren und uns aus dem Lager geschlichen haben.‹
›Warum hast du davon nie etwas erzählt? Warum erst jetzt?‹ Ich wusste nicht, ob ich Wut empfinden sollte, oder mir wegen der tiefen Wunden meines Bruders Sorgen machen sollte.
Kiesels Stimme klang schwach, als er miaute: ›Er hat mir gedroht.‹
›Womit?‹
›Dass er mir etwas Ähnliches antun würde wie dir.‹
›Wer war es?‹ Auch wenn meine Enttäuschung nicht ganz verschwuden war, verstand ich, warum Kiesel mir sein Geheimnis bisher verschwiegen hatte. Ich wusste, dass er mir niemals absichtlich schaden würde.
›Vater.‹
›Was?!‹
›Vater...‹ Kiesels Stimme war nur noch ein Hauch, er war offenbar erschöpft von unserer Unterhaltung.
Ich fasste es noch immer nicht. ›Jagender Sturm...‹, murmelte ich. Er sollte die Schuld daran tragen, dass ich nie mehr sehen konnte? Mein Vater? Der Anführer des FinsterClans? Der Kater, der immer ein Vorbild für mich gewesen war?
Doch dann erinnerte ich mich an das, was die Gestalt in dem Felsspalt damals gesagt hatte, als ich blutend am Boden gelegen hatte. Es tut mir leid, dass es dich getroffen hat, Wolke. Ich hatte gehofft, Kiesel wäre es, der mich hört und meinem Ruf folgt. Dann wäre er zumindest dieses eine Mal zu etwas zu gebrauchen gewesen. Jagender Sturm dachte offenbar noch immer, dass sein Sohn unfähig war, ein Krieger zu werden. Er hatte Kiesel nie zum Krieger ernannt, obwohl Laub ihren Langen Namen schon seit Monden trug. Sogar Schwimmende Blüte, Fliehender Rauch und Flüsternde Birke hatten ihre Kriegerzeremonie schon seit einiger Zeit hinter sich, obwohl sie jünger waren als meine Wurfgefährten und ich.
Die Sehende ist alt, kann bald kaum noch laufen. Du musst sehen! Ohne die Wisperkatzen sind wir nichts. Es musste sein! ›Wir‹, hatte er gesagt. Ich war mir schon immer sicher gewesen, dass mich eine Katze aus meinem eigenen Clan angegriffen hatte. Und es klang, als hätte sie versucht, sich für das, was sie tat, zu rechtfertigen...
Und da war noch etwas... Du musst sehen!, wiederholte ich in Gedanken abermals Jagender Sturms Worte. Er hatte immer darauf bestanden, dass ich mich von Sehender Schatten ausbilden lassen würde. Anfangs hatte er mir nicht einmal die Chance geben wollen, auch am Kriegertraining teilzunehmen. Er hatte gewollt, dass ich erblindete, damit ich keine andere Wahl hatte, als die nächste Sehende zu werden.
Jagender Sturm hatte den Helden gespielt. Hatte erzählt, er hätte mich halb verblutet gefunden und mich zurück ins Lager gebracht. Was er noch getan hatte, das hatte er natürlich verschwiegen.
Ja, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, passte alles zusammen.
***
Lange hatte ich wach dagelegen, während Flüsternde Birke und Kiesel neben mir geschlafen hatten. Was ich erfahren hatte, hatte es mir unmöglich gemacht, zur Ruhe zu kommen. Doch irgendwann musste auch mich die Müdigkeit besiegt haben. Als mich Flüsternde Birke an der Schulter rüttelte und mich aus dem Land meiner Träume zurück in die Wirklichkeit holte, waren wir umgeben von den Geräuschen des erwachenden Lagers. Junge, die ganz in der Nähe ›Wir haben aber jetzt Hunger!‹ jammerten, das Umhertappen der ersten Patrouillen, das Gähnen der Heilerin...
»Jetzt wach endlich auf!« Flüsternde Birke klang so aufgeregt, als stünden der BachClan und der FichtenClan vor dem Lagereingang.
»Ich bin doch schon wach«, murmelte ich.
Sie schien mich nicht zu hören. »Wach auf...«, schluchzte sie.
Ich rappelte mich auf, damit sie endlich merkte, dass ich nicht mehr schlief und fragte sie: »Was ist denn los?«
»Kiesel...«, miaute sie. »Ich glaube... er... er ist tot.«
Die Heilerin bestätigte uns, was Flüsternde Birke vermutet hatte und verschwand dann, um den übrigen Katzen unserer Patrouille die Nachricht zu überbringen. Das Fell meines Bruders war kalt. So kalt wie der Boden unter ihm, auf dem sich eine dünne Frostschicht gebildet hatte.
Innerlich wie erstarrt ließ ich mich neben Kiesel nieder und drückte meine Nase in seinen Pelz. Noch immer klebte etwas getrocknetes Blut darin.
›Hilfst du mir, sein Fell zu säubern?‹, fragte ich nach einer Weile.
Von Flüsternde Birke kam kein Wort, doch ich hörte, wie ihre Zunge über Kiesels Pelz fuhr. Ich erhob mich ebenfalls auf die Pfoten und schloss mich ihr an. Wir waren gerade fertig geworden, als Wirbelndes Laubs Geruch zu mir hinüber wehte.
›Kiesel!‹, rief sie. ›Er ist tot?!‹
Schritte donnerten heran und einen Herzschlag später spürte ich ihr warmes Fell an meiner Seite. Wirbelndes Laubs Jaulen durchschnitt die Stille, die hier im Heilerbau herrschte. Es war voller Trauer, voller Schmerz.
Nach ihr kamen Fallender Stein und Fliehender Rauch. Somit fehlten nur noch Jagender Sturm, Schwimmende Blüte und Rennender Fuchs, dann wären alle FinsterClan-Katzen, die diese Patrouille begleitet hatten, hier. Allerdings berichtete Fliehender Rauch uns, dass die drei sich eben einer NebelClan-Jagdpatrouille angeschlossen hatten. Zum ersten Mal seit ich aufgewacht war, konnte ich aufatmen. Auf Jagender Sturms Anwesenheit verzichtete ich gerne. So jemanden wie ihn wollte ich gerade jetzt nicht in meiner Nähe haben. Jemanden, der seinen eigenen Sohn bedrohte, von ihm behauptete, er sei zu nichts zu gebrauchen und seiner Tochter das Augenlicht raubte.
Als wir uns alle um Kiesel herum niedergelassen hatten, wanderten meine Gedanken zu all der Zeit, die ich mit ihm gemeinsam verbracht hatte. Ich dachte daran, wie wir als Junge gerauft hatten, die Tunnel erkundet hatten. Wie Wirbelndes Laub ihn ›Langsamer als die Sehende‹ genannt hatte und er uns ermahnt hatte, nicht ständig über Sehender Schatten herzuziehen. Wie er neben meinem Nest gesessen hatte, als ich in Heilender Ahorns Bau lag. Wie wir beim Kriegertraining gegeneinander gekämpft hatten und Schwimmende Blüte sich über uns lustiggemacht hatte. Wie er mir geholfen hatte, die erste Aufgabe in meiner Ausbildung zur Sehenden zu meistern, indem er eine Geruchsspur zum Wisperstein gelegt hatte...
Und dann dachte ich daran, wie für ihn der Kampf gegen die zwei LichtClans verlaufen sein musste. Stellte mir vor, wie sich irgendein ein flohpelziger Krieger auf ihn stürzte und ihm diese Wunde zufügte, die ihm das Leben gekostet hatte. Ich wünschte mir, ich könnte ihn finden und es ihm heimzahlen.
Viel zu früh tauchte mein Vater bei uns auf. Er und Rennender Fuchs gesellten sich zu uns, nur von Schwimmende Blüte fehlte weiterhin jede Spur. Jagender Sturms Pelz streifte meinen, als er sich neben mich legte und ich wich vor ihm zurück. Konnte er nicht einfach verschwinden?
›Wolke‹, miaute er nach einer Weile. ›Wir haben eine Aufgabe zu erledigen, wegen der wir hierher gekommen sind.‹
Kämpfende Amsels Ernennung zur Anführerin. Nichts könnte mir in diesem Moment unbedeutender vorkommen, als das.
›Die Zeremonie wird nicht stattfinden‹, miaute ich, die Nase noch immer in Kiesels Fell vergraben. Die Wisperkatzen waren fort, was also sollte ich für Kämpfende Amsel tun? Aber wenn meine Ahnen verschwunden waren...
›Natürlich wird sie das.‹
...wohin war dann Kiesel nach seinem Tod gegangen? Der Gedanke jagte mir einen erneuten Schrecken ein. Vor einem Sonnenaufgang hätte ich mich daran klammern können, dass ich jederzeit wieder mit Kiesel reden könnte. Weil er sich den Wisperkatzen angeschlossen hätte. Weil ich noch eine Sehende gewesen war. Aber jetzt? Was, wenn sich seine Seele einfach in Nichts aufgelöst hatte?
›Wolke, hörst du mir überhaupt zu?‹ Jagender Sturms Miauen riss mich aus meinen Gedanken.
›Was denn?‹
›Ich sagte, wir gehen zu Kämpfende Amsel.‹
***
Die Diskussion hatte sich noch eine Weile fortgesetzt, bis ich mich widerwillig erhoben hatte und Jagender Sturm zum Anführerbau des NebelClans gefolgt war. Es war nicht er gewesen, der mich überzeugt hatte, sondern die Tatsache, dass ich vor Kiesels Leichnam nicht streiten wollte.
Nun stand ich also in Kämpfende Amsels Bau, einer weiteren Höhle in der Felswand, die das Lager umschloss. Von der Anführerin fehlte bislang jedoch jede Spur. Nur ein junger NebelClan-Krieger - er hatte sich als Suchender Blitz vorgestellt - war zu uns gestoßen.
›Es wird keine Zeremonie geben‹, wiederholte ich.
›Suchender Blitz, geh und hole Kämpfende Amsel‹, befahl mein Vater.
Schritte entfernten sich, doch der Geruch des jungen Kriegers verflüchtigte sich kaum und ließ mich vermuten, dass er in der Nähe blieb.
Jagender Sturm schien das nicht zu bemerken. ›Was soll das heißen, es wird keine Zeremonie geben?‹
›Die Wisperkatzen sind gegangen‹, miaute ich. Auch wenn das Verschwinden meiner Ahnen ein harter Schlag für mich gewesen war, verspürte ich doch einen kleinen Triumph. Mein Vater hatte es sich nicht verdient, immer zu bekommen, was er wollte.
›Gegangen?‹
›Es gibt keine Wisperkatzen mehr. Der Wisperstein war nicht stark genug für sie alle.‹
Jagender Sturm begann unruhig auf und ab zu tigern. Ich hörte seine Schritte auf dem Gestein.
Tapp. Tapp. Tapp.
Tapp. Tapp. Tapp.
›Mach sie trotzdem zur Anführerin‹, befahl er.
Tapp. Tapp. Tapp.
Tapp. Tapp. Tapp.
›Ich bin keine Sehende mehr. Wie soll das gehen?‹ Ohne meine Ahnen konnte ich Kämpfende Amsel doch niemals dabei Helfen, ihre neun Leben zu erlangen.
Tapp. Tapp. Tapp.
›Wenn wir Glück haben, weiß Kämpfende Eule nicht, wie diese Zeremonie verlaufen sollte...‹
Ich konnte ein Knurren kaum unterdrücken. Was mein Vater da andeutete, gefiel mir nicht. ›Das heißt, du willst sie belügen? Ihr erzählen, sie hätte ihre neun Leben erhalten, obwohl sie es nicht hat?‹
Tapp. Tapp. Tapp.
›Sehende Wolke, du musst das verstehen. Wenn die anderen Clans erfahren, was du mir eben erzählt hast, wird es weitere Kämpfe wie den geben, in dem Kiesel verletzt wurde. Die LichtClans werden uns nicht mehr erlauben, in ihren Territorien zu jagen und wir werden alles verlieren, was wir haben.‹
Tapp. Tapp. Tapp.
›Ich heiße Wolke‹, fauchte ich. ›Ich sagte bereits, dass ich keine Sehende mehr bin.‹
Ich würde keiner Katze erzählen, sie könne nach ihrem Tod weiterleben, obwohl sie nur ein einziges Leben besaß. Mein Vater konnte mich zu nichts zwingen. ›Ich werde nicht tun, was du von mir willst. Niemals.‹
Tapp. Tapp. Tapp.
Das waren nicht Jagender Sturms Schritte gewesen. Sie kamen aus einer anderen Richtung.
›Das muss sie auch nicht.‹ Ich brauchte einen Augenblick, bis ich mich erinnerte, wem die Stimme gehörte. Suchender Blitz! Er musste die ganze Zeit über am Höhleneingang gelauscht haben.
›Nun gut‹, knurrte Jagender Sturm. ›Du hast gewonnen. Soweit ich weiß ist Kämpfende Eule am Nebelfelsen auf Jagdpatrouille und wollte eigentlich schon zurück sein. Lass uns ihr entgegen gehen und ihr die Wahrheit sagen.‹
›Ich warte am Lagereingang auf dich.‹ Bevor jemand etwas erwidern konnte, machte sich Suchender Blitz aus dem Staub.
›Du bleibst im Lager, Wolke‹, zischte Jagender Sturm und entfernte sich ebenfalls.
Das hättest du wohl gern! Wie sollte ich meinem Vater nach allem, was geschehen war, vertrauen? Natürlich würde ich nicht untätig hier herumsitzen. So schnell wie möglich sprang ich auf und stürmte aus dem Bau hinaus. Nur dass ich den Eingang nicht erreichte, stattdessen auf dem unebenen Boden stolperte und gegen die Wand prallte.
Mit vor Schmerz dröhnendem Kopf rappelte ich mich auf und suchte mir nun etwas vorsichtiger den Weg ins Freie.
Jagender Sturm und Suchender Blitz waren schon längst aufgebrochen. Stattdessen fand ich Flüsternde Birke, die mich sofort fragte: ›Wo will dein Vater mit Rennender Fuchs, Schwimmende Blüte und diesem NebelClan-Krieger hin? Die Anführerzeremonie ist doch noch nicht vorüber, oder?‹
›Sie suchen Kämpfende Eule. Ich muss sie einholen. Kannst du mich führen?‹ Mit ihrer Hilfe würde ich schneller sein.
›Natürlich.‹ Flüsternde Birke legte mir den Schweif über die Schultern und nebeneinander tappten wir durch das Lager.
Wir verfolgten die Geruchsspur unserer Clangefährten durch das NebelClan-Territorium, als sie miaute: ›Jetzt erzähl mal, was im Anführerbau passiert ist!‹
›Die Wisperkatzen gibt es ja nicht mehr...‹, begann ich, wurde aber von Flüsternde Birke unterbrochen: ›Das hast du gestern gemeint, als du zu unseren Ahnen sagtest, dass sie dich nicht verlassen dürften? Was ist mit ihnen geschehen?‹ Sie klang entsetzt, bestimmt starrte sie mich gerade aus weit aufgerissenen Augen an.
›Ich weiß es nicht genau‹, antwortete ich. ›Sie sind irgendeinem nicht existierenden Pfad gefolgt. So haben sie es zumindest gesagt.‹ Sehende Wolkes Worte wollten für mich noch immer keinen Sinn ergeben.
›Was ist mit Kiesel? Ich dachte, ich würde ihn nach meinem Tod wiedersehen. Irgendwann...‹
Darauf konnte ich ihr keine Antwort geben, machte ich mir doch dieselben Sorgen wie sie.
Einen Moment schwiegen wir beide, dann miaute ich in die Stille hinein: ›Wir müssen weiter...‹
Flüsternde Birke erwiderte nichts, nur der Klang ihrer Schritte verriet, dass sie sie verstanden hatte. Unter unseren Pfoten wurde das Gelände zunehmend felsiger und steiler. Ich zog mich gerade einen katzenhohen Felsvorsprung hoch, als ich ein fernes Rauschen hörte. Umso weiter wir wanderten, desto lauter wurde es und bald erkannte ich, worum es sich handelte. Es war das Geräusch großer Wassermassen, die zwischen Felsen hindurch stürzten. Es erinnerte mich an einen unterirdischen Fluss, zu dem mich Sehender Regen während unseres Trainings geführt hatte. Fast ein Mond war vergangen, bis ich die Worte des Wisperkaters trotz des Lärms der Stromschnellen hatte verstehen können.
Vor mir beschleunigte Flüsternde Birke ihre Schritte.
›Nicht so schnell!‹, miaute ich, als ihre Pfotenschritte immer leiser wurden, sich von mir entfernten. Wie sollte ich mit ihr mithalten, wenn ich ständig über irgendwelche Steine am Boden stolperte? ›Was ist denn los?‹
Auf einmal gruben sich Zähne in mein Nackenfell. Ich wurde zurück gerissen und gegen einen Felsen geschubst, im selben Moment, in dem ich realisierte, dass eine meiner Pfoten ins Leere getreten war.
›Du wärst fast hineingefallen‹, keuchte Flüsternde Birke neben mir. ›Vor uns ist ein Fluss, der in einer Schlucht verläuft.‹
›Warum hast du mir das nicht gleich gesagt, anstatt loszurennen?‹
›Er war vorher nie da.‹ Flüsternde Birke klang abwesend, als könne sie es selbst nicht glauben. ›Ich musste es sehen, bevor ich es glauben konnte... Da war ein Haufen herabgestürzter Felsbrocken, der den Fluss hangaufwärts blockiert und in ein anderes Bett geleitet hat – seit vielen Blattwechseln, wie die NebelClan-Krieger erzählt haben. Scheinbar hat diese Blockade nicht länger gehalten...‹
›Ein ausgetrocknetes Flussbett‹, murmelte ich. Sollte es sich um dasselbe handeln, das auch durch das FinsterClan-Lager führte? Wahrscheinlich. So viele ausgetrocknete Flüsse gab es sicherlich nicht im Tal.
Aber Sehender Regens Worte würden Sinn ergeben. Du hast selbst erlebt, wie schwer es mittlerweile ist, die Fähigkeiten der Sehenden zu erlernen und bald wird es noch schwieriger. Das FinsterClan-Lager ist nicht mehr so still wie zuvor, hatte er gesagt und es stimmte: Wenn dort in der Höhle ein Wasserfall donnern würde, wie es früher einmal gewesen sein musste, dann wäre er für jede zukünftige Sehende eine große Ablenkung von der leisen Welt der Wisperkatzen.
Falls es so sein sollte, konnte die Felsblockade erst vor kurzem gebrochen sein.
›Von hier aus führt ein Pfad um einen Felsen. Ich habe mir angesehen, was uns dahinter erwartet, Wolke‹, riss mich Flüsternde Blüte aus meinen Gedanken. ›Da ist eine steile Felswand. Wir müssen hochklettern. Von Felsvorsprung zu Felsvorsprung springen.‹
Ich wusste, was das für mich bedeutete. Ohne etwas zu sehen, würde uns diese Klettertour bestenfalls nur aufhalten, wenn sie nicht sogar lebensgefährlich enden.
›Ich könnte allein weiter gehen.‹ Flüsternde Birke schien zu demselben Schluss gekommen zu sein.
Ich nickte, obwohl es mir ganz und gar nicht gefiel, zurückzubleiben.
Den Weg zurück zum NebelClan-Lager musste ich ohne Flüsternde Birkes Hilfe zurücklegen. Er erschien mir ewig lang. Ständig stolperte ich auf diesem unbekannten Gebiet, doch schließlich erreichte ich mein Ziel. Das Miauen vieler Katzen und ihr geschäftiges Umhertrampeln verriet mir, dass es bis zum Lagereingang nicht mehr weit sein konnte.
›Wolke.‹ Rennender Fuchs´ Stimme ließ mich herumwirbeln. Waren er, Jagender Sturm, Schwimmende Blüte und Suchender Blitz etwa auf einem anderen Weg zum Lager zurückgekehrt?
›Habt ihr Kämpfende Eule gefunden?‹, wollte ich wissen.
›Jagender Sturm hat mich zurückgeschickt. Ich soll dich zurück ins FinsterClan-Lager bringen.‹
›Aber ich kann noch nicht gehen!‹ Eben hatte Jagender Sturm darauf bestanden, dass ich Kämpfende Eule anlog. Dass er mich jetzt wegschickte, konnte nur eines bedeuten: Er wollte verhindern, dass eine NebelClan-Katze erfuhr, was ich ihm berichtet hatte. Das wäre nämlich genau das, was ich als nächstes getan hätte: Eine Clanversammlung einberufen und allen die Wahrheit sagen.
Aber das war nicht der einzige Grund, aus dem ich bleiben musste. ›Bevor wir Kiesel nicht begraben haben, werde ich nicht fortgehen. Ich will von meinem Bruder Abschied nehmen.‹
›Tut mir leid, Befehl ist Befehl.‹ Er stieß mich an, bedeutete mir so, dass ich loslaufen sollte.
Damit würde er nicht durchkommen. Ich holte tief Luft und schrie, so laut ich konnte. Die Krieger im Lager konnten mich gar nicht überhören. ›Katzen des NebelClans! Die Wisperkatzen sind weg! Sie...‹
Etwas traf meinen Kopf, Schmerz durchzuckte mich und ich taumelte. Ein weiterer Schlag und mir wurde schwarz vor Augen.
***
Einige Sonnenaufgänge waren vergangen und ich erholte mich von meinen Wunden. Jagender Sturm hatte mich und Flüsternde Birke in eine Höhle gesperrt, ganz ähnlich der, in der wir uns jetzt befinden. Allerdings lag sie weit abseits des FinsterClan-Lagers, in den äußersten Ausläufern des Tunnelsystems. Davor hielt ständig eine Katze Wache. Im Moment war es Rennender Fuchs.
Bisher hatte Flüsternde Birke die nicht viel gesagt. Darüber, was geschehen war, nachdem sich unsere Wege beim NebelClan an dieser Felswand getrennt hatten, schwieg sie beharrlich. Irgendwann hatte ich es aufgegeben sie danach zu fragen, denn hatte sie nur begonnen, laut zu schluchzen.
Umso mehr verwunderte es mich, als sie nun miaute: ›Wolke... Ich habe gesehen, wie sie ihn getötet haben...‹
›Was? Wer hat wen umgebracht?‹ Ein schrecklicher Verdacht keimte in mir, noch bevor sie es aussprach.
›Suchender Blitz. Sie sagten, er wüsste zu viel. Und dann hat meine Schwester ihn ermordet. Schwimmende Blüte ist eine Mörderin.‹
Im ersten Moment fehlten mir die Worte, während die Wut auf meinen Vater erneut in mir hochkochte. Er war es bestimmt gewesen, der den Befehl dazu gegeben hatte.
›Sie haben ihn in den Fluss geworfen - du weißt schon, der, der vor wenigen Monden noch ausgetrocknet war.‹ Ich spürte, wie Flüsternde Birke neben mir zitterte. ›Als sie später Kämpfende Eule gefunden hatten, hat Jagender Sturm behauptet, Schwimmende Blüte sei eine Sehende und würde bei der Anführerzeremonie helfen. Dich hatte sie ja bisher nicht kennengelernt. Ich wollte näher heran schleichen, aber Jagender Sturm hat mich entdeckt und mir ins Ohr gezischt, dass er mir den Bauch aufschlitzen würde, wenn ich auch nur ein Wort sagen würde. Das Risiko...‹
Sie stockte, brauchte einen Augenblick, bis sie fortfuhr: ›Du ahnst nicht, was für einen Schrecken er mir damit eingejagt hat. Ich glaube, ich erwarte Junge. Kiesels Junge.‹
Kiesels Junge? Das war die erste gute Nachricht seit dem Kampf gegen FichtenClan und BachClan. ›Warum hast du das nie gesagt?‹
›Ich war mir nicht sicher und dann war es plötzlich zu spät. Was soll jetzt aus ihnen werden?‹
Ich hasste es, dass ich darauf keine zufriedenstellende Antwort finden konnte. Nur eines wusste ich: Wir mussten aus dieser Höhle raus. An der Wache vorbei, durch die Tunnel, an die Erdobrfläche, irgendwohin, wo keine Gefahr drohte.
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