Verrat an Verrätern
Der Wind strich zwischen den kahlen Bäumen entlang und bewegte die knarrenden Äste. Das fahle Mondlicht, dessen Fehlen nicht einmal bemerkt werden würde, fiel auf den nackten Boden, durch den sich alle paar Schwanzlängen eine Wurzel zog. Die verschlungen Adern der Bäumen hatten sich so oft umeinander geschlungen, dass nicht einmal klar war, welche zu welchem Baum gehörte.
Auf einer Lichtung saßen zwei Katzen. Die eine von ihnen, eine hellgraue Kätzin, redete energisch auf die andere Katze ein. "Du musst dich beeilen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er etwas merkt.", zischte sie.
Der andere, ein in den Schatten verhüllter Kater, schüttelte den Kopf. "Er weiß doch sowieso schon zu viel. Vielleicht sollten wir-"
"Ich entscheide, was wir machen! Ist das klar?", fiel ihm die hellgraue Kätzin ins Wort. "Und ich sage, wir müssen vorsichtiger sein. Sonst bekommt keiner von uns, was er möchte."
Für ein paar Herzschläge herrschte Schweigen, dann erhob sich die Kätzin. "Wenn du nicht tust, was ich dir sage, halte ich auch nicht mein Versprechen."
Empört sprang der Kater auf. "Das kannst du nicht machen. Du hast am Anfang nicht gesagt, dass es so weit geht.", knurrte er.
Die hellgraue Kätzin blinzelte. "Ich bekomme aber nicht, was ich will, wenn du nicht mitmachst. Ich kann mir auch einfach einen neuen Gehilfen suchen und der beseitigt dieses Problem dann einfach.", miaute sie unschuldig.
Der Kater sträubte wütend sein Fell. "Drohst du mir etwa, Kralle?"
Kralle lächelte, ehe sie antwortete: "Ich würde es eher warnen nennen. Was ist nun? Bist du wieder dabei?" Sie sah den Kater erwartungsvoll an, der nach kurzem Zögern nickte.
"Na gut, aber wenn du lügst, dann-"
Kralle schnaubte. "Keine Sorge, ich halte mein Wort. Jedoch nur, wenn die anderen es auch halten.", miaute sie und warf dem Kater einen scharfen Blick zu.
Dieser starrte stumm zu Boden. "Du musst mir noch etwas versprechen."
Mit gespitzten Ohren legte die hellgraue Kätzin den Kopf schief. "Ach ja? Muss ich das?"
Der Kater schluckte, bevor er sagte: "Du lässt sie aus dem Spiel, klar?"
Schnurrend tappte Kralle im Kreis. "Du sorgst dich um sie? Wie rührend."
"Ich meine es ernst." Die Stimme des Katers war hart.
"Keine Angst, ich tue ihr nichts.", entgegnete Kralle und rollte mit den Augen. "Dann ist es also beschlossen?"
Der Kater kniff die Augen zusammen. "Ja, du kannst dich auf mich verlassen."
Plötzlich ertönte ein Jaulen und er zuckte zusammen. "Sicher, dass das Eulen sind?", hakte er nach.
Kralle nickte. "Natürlich." Dann drehte sie sich zu den schaukelnden Bäumen um und rief: "Und wenn die Eulen nicht leise sind, werde ich sie persönlich auseinander nehmen!" Der Kater sah sie kurz verwirrt an, ehe er sich umdrehte und davon lief. Dann wurde alles schwarz und die Umgebung verschmolz miteinander. Die Bäumen wanden sich um sich selbst. Ihre Wurzeln bohrten sich aus der Erde, bis der Boden von ihnen bedeckt war. Zurück blieb nur Kralle, die mit einem Lächeln in die Finsternis sah.
"Ich bin mir sicher, dass er es irgendwann herausfinden wird."
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Shadow schlug die Augen auf. Hatte er das eben nur geträumt? Das alles hatte so real gewirkt. Unsicher sah er sich im Bau um. Die anderen Kämpfer schliefen noch, abgesehen von Blut und Rauch, die draußen auf All aufpassten. Shadow biss die Zähne zusammen, um die Schmerzen zu unterdrücken, als er sich erhob. Die Wunden von seinem Kampf mit All waren zum Glück schnell verheilt, allerdings hatte der Stellvertreter sich eine Verstauchung am Rücken zugezogen, die aber auch bald Vergangenheit sein sollte.
So leise er konnte, schlich Shadow aus dem Bau und sog die Abendluft ein. Die Sonne stand tief am Himmel, kaum eine Wolke zog vorüber. Die Katzen vom Stamm der Nacht hatten ihre Baue mit Efeu und Farn abgedeckt, damit sie das Licht fernhalten konnten, solange sie schliefen.
Auf einmal vernahm Shadow eine Bewegung an der anderen Seite der Lichtung, wo Blut und Rauch verschlafen vor sich auf den Boden starrten.
Eine Katze schien sich durch das Unterholz zu bewegen. Misstrauisch tappte Shadow auf die Stelle zu, als Rauch ebenfalls die Ohren spitzte. Sie drehte sich um und verschwand im Bau. Plötzlich ertönte ein lauter Schrei.
"Er ist tot! All ist tot!"
Erschrocken riss Shadow die Augen auf, als Rauch mit entgeistertem Gesichtsausdruck wieder zum Vorschein kam. Ihre Beine zitterten und ihr Fell war gesträubt. Die Gedanken des schwarzen Katers fingen an, sich zu drehen. All ist tot? Dann muss ihn jemand umgebracht haben. Aber wer könnte das getan haben? Etwa die Katze aus dem Unterholz? Wer war sie? Doch jetzt war keine Zeit, diese Fragen zu beantworten.
So schnell seine Schmerzen es zuließen, eilte er zu den beiden Wachen herüber. Blut war bereits losgerannt, um Düster zu informieren, während Rauch panisch auf und ab lief und jaulte: "Wacht auf! Jemand hat All umgebracht!"
Nacheinander kletterten die Kämpfer aus ihrem Bau und sahen sich untereinander schockiert an. Krähe, Alls älterer Bruder, stürmte an der Menge vorbei auf Blut zu. Sie wechselten ein paar hektische Worte, ehe der weiße Kater mit den grauen Streifen im Wächterbau verschwand. Kurz darauf ertönte ein klägliches Jaulen.
Shadow schloss seine Augen. Das hatte Krähe nicht verdient. Der Stellvertreter konnte nicht behaupten, dass er nicht etwas erleichtert war, aber der Verlust eines Bruders war hart. Dann ertönte ein weiterer Ruf: "Nein! Das kann nicht sein!" Krähe stolperte aus dem Bau, seine Schnurrhaare bebten vor Zorn und mit funkelnden Augen sah er Shadow an.
"Wie konntest du nur?"
Überrascht schnappten einige Katzen nach Luft.
"Hat Shadow All ermordet?"
"Bestimmt wollte er sicher gehen, dass er seinen Posten behält."
Die Beine des schwarzen Katers schwankten, als er zurückwich. "W-wovon redest du?", krächzte er. Nichts ergab Sinn! Er hatte All nicht getötet. Er war nicht einmal in seiner Nähe gewesen. Und wie kam Krähe auf den Gedanken, dass er es war?
Der Kämpfer stapfte weiter auf ihn zu. "Du wolltest ihn nicht im Weg haben, stimmt's? Und deshalb hast du beschlossen, ihn zu beseitigen, obwohl du wusstest, dass er der Letzte war, der mir geblieben ist!"
Shadow schüttelte heftig den Kopf. "Das würde ich niemals tun. Ich war das nicht. Ich habe bis eben geschlafen!", versuchte er sich zu verteidigen. Mit verzweifeltem Blick sah er sich nach Finsternis um, doch seine Mutter war bereits zum Wächterbau gelaufen.
Dann sprang Düster auf die Lichtung. "Niemand rührt sich!", befahl der Anführer und schlagartig verebbte das Getuschel. Der dunkle Kater wandte sich an Krähe. "Wie kommst du darauf, dass es Shadow war?"
Krähe legte die Ohren an. "Wie kannst du ihn jetzt noch beschützten? Sogar nachdem er meinen Bruder getötet hat?", zischte er und Shadow spürte, dass hinter seiner Wut tiefe Trauer steckte. Nach Alls Geburt war sein Vater im Kampf und seine Mutter kurze Zeit später an einer Krankheit gestorben. Daraufhin war Alls Wurfgefährte so am Boden zerstört gewesen, dass er sich das Leben genommen hatte. Und nun war auch noch All tot.
Düster seufzte betrübt. "Ich nehme ihn nicht in Schutz. Krähe, warum glaubst du, dass Shadow deinen Bruder ermordet hat?"
Mit einem Fauchen erwiderte dieser: "Sieh doch selbst nach." Dann wirbelte er herum und stürmte zu Alls Leichnam.
Verblüfft sah Shadow ihm hinterher. Wie kann er sich so sicher sein, dass ich es wahr? Vielleicht lügt er auch nur und will sich für All an mir rächen? Seite an Seite mit Düster folgte er Krähe. Sein Anführer flüsterte ihm zu: "Bitte sag mir, dass das nicht stimmt."
Shadow schüttelte kaum merklich den Kopf. "Natürlich nicht, ich weiß nicht, wie er darauf kommt."
Mit einem zufriedenen Nicken sah Düster wieder nach vorn. Shadows Beine zitterten, als er den Wächterbau betrat. Blut warf ihm einen kalten Blick zu und fauchte: "Du elender Verräter! All hat zurecht an deiner Treue gezweifelt."
Shadow duckte sich, als würde er sich so vor ihren Worten schützen können. Das Unbehagen in seinem Bauch wuchs mit jedem Schritt. Der kühle Schatten auf seinem Rücken jagte ihm eine Gänsehaut ein und er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Plötzlich stieß Düster ihm grob in die Seite. "Shadow!", zischte er. "Wie erklärst du mir das hier?"
Der schwarze Kater folgte dem Blick seines Anführers, bis seine Augen an etwas hängen blieben.
"Ist das..." Er legte den Kopf schief. "Ist das ein Fellbüschel?" Auf einmal trat Krähe in den Bau - seine braunen Augen funkelten.
"Dein Fellbüschel!"
Shadow schnaubte ungläubig. Das Ganze wurde ihm langsam zu viel.
"Ich war heute noch nicht einmal hier. Auch nicht gestern. Seit All hier ist nicht mehr!", miaute er verzweifelt und sah zu Düster. "Das muss von jemand anderes stammen."
Düster beugte sich hinunter. "Es tut mir leid, Shadow, aber das ist eindeutig dein Fell. Kannst du mir das bitte erklären?"
Shadows Beine fingen an zu zittern und er wich zurück. Ich verstehe das nicht! Wie kann das sein? Ich habe All nicht umgebracht. Auf einmal wurde ihm schwindelig. Das mulmige Gefühl in seinem Bauch wurde immer größer und schien, Shadow von innen zu zerreißen. Ohne den Schmerz in seinem Rücken zu beachten, stürmte er aus dem Bau.
"Schnell! Shadow versucht zu fliehen." Krähes Schrei erschütterte das Lager. "Fasst ihn!"
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