Zeit der Blüte
Dieser Text wurde von mir für die Kathiistische Frühlingschallenge der KuhleKathiisten geschrieben. Er wurde vom Prompt inspiriert, den ihr oben seht, aber die Rechte der Geschichte liegen bei mir.
Um in die richtige Stimmung zu kommen, empfehle ich das Lied "New Season" von Nadiiife während des Lesens zu hören :)
https://youtu.be/N7yvpOsVEc4
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Wir Feen haben uns schon immer mit der Natur verstanden. Wir können ausgezeichnet mit den Pflanzen und den Tieren umgehen, mit dem Fluss und dem Wind. Sie sind unsere Freunde.
Doch nicht so Feuer. Feuer ist hitzig, nicht ruhig wie der Wald. Feuer ist anders als wir, brutal und gefährlich, und wir können es nicht aufhalten. Jedes Lebewesen hier weiss das. Deshalb meiden wir es, wo immer es geht. In der heissen Jahreszeit, wenn es wenig regnet und alles trocken ist, sind wir besonders vorsichtig. Feen werden speziell ausgebildet, die Anzeichen eines Brandes zu erkennen. Sie halten Wache, Tag und Nacht, um uns zu warnen, falls es nötig ist.
Eine weitere Gefahr sind Menschen. Es kommt nicht oft vor, aber manchmal kommen sie in den Wald, obwohl sie nicht hierhergehören. Sie dringen in unser Reich ein und hinterlassen dabei Abfall, machen alles kaputt. Ab und zu schlagen sie sogar ihr Lager zwischen den Bäumen auf und übernachten hier. Wie auch das Feuer können wir sie nicht daran hindern, also halten wir uns von ihnen ebenfalls fern.
Am gefährlichsten sind jedoch Feuer und Menschen miteinander kombiniert. Meistens greifen die Menschen auf andere Mittel für Licht oder um Essen zu machen zurück, aber selten bringen die herausragend dummen Feuer für diese Zwecke mit. Glücklicherweise passiert dies nur, wenn es warm ist. Die Menschen dringen nicht in unser Territorium ein, nachdem die Bäume ihr Gewand fallen gelassen haben.
Von all diesen Dingen war ich überzeugt. Ich wusste, dass es so war und meine Familie, die es mir beigebracht hatte, wusste es ebenso. So war es schon immer gewesen und so würde es auch immer bleiben.
Es war Winter in der Nacht, die dies änderte, die Bäume von einer weissen Decke bedeckt. Sie schützten die Pflanzen auf dem Boden vor den nassen Flocken und damit vor Erfrierungen.
«Briony!», rief meine Schwester. Ich hatte sie gerade mit Schnee abgeworfen. «Ach, komm schon!» Ich lachte nur und lief los, als Aerin Schnee vom nächsten Ast nahm, um sich zu rächen. Leider konnte sie schneller rennen als ich, und so wurde mein ganzer Körper durchgeschüttelt, als sie mich an der Schulter traf.
«Briony!», schrie Aerin wieder. Ihre Stimme war voller Panik und auf einmal merkte ich, wie warm es war. Aber das ergab keinen Sinn, wir spielten doch nur, wieso sollte sie panisch sein? Und wenn Schnee lag, wieso schwitzte ich dann?
«Briony, wach endlich auf!» Erschrocken fuhr ich hoch. Es dauerte ein paar Momente, aber dann begriff ich, dass ich in meiner Liege lag, eingewickelt in warme Decken aus geflochtenen Gräsern und Moos. Weil mir immer noch viel zu warm war, schob ich sie von mir, doch es half nichts.
Aerin beugte sich über mich. «Steh auf!», sagte sie. Ich murmelte etwas als Antwort und rappelte mich auf, immer noch vom Schlaf benebelt. Als ich durch ein Fenster nach draussen sah, bemerkte ich einen flackernden Schein in der Ferne, die Silhouette des Waldes undeutlich hinter etwas, das mich an Nebel erinnerte.
«Was ist los?», hörte ich mich fragen. Aerins sonst so hellen Augen waren vor Besorgnis verdunkelt. «Ich weiss es auch nicht genau», antwortete sie, «aber wir müssen gehen.»
An die weiteren Geschehnisse habe ich nur verschwommene Erinnerungen. Ich weiss noch, dass meine Schwester mich aus unserer Hütte und immer weiter gezogen hat. Ich weiss noch, dass meine Eltern geweint haben. Ich weiss noch, dass jemand mich in den Arm genommen hat und mir beruhigende Worte ins Ohr geflüstert hat, bis ich kurz darauf wieder eingeschlafen bin.
Ich erinnere mich an das Licht in der Ferne, das doch nicht so fern gewesen war und an den Nebel, der sich als Rauch herausgestellt hatte. Ich erinnere mich an den nächsten Morgen, an die Sekunde nach dem Aufwachen, in der ich gemerkt habe, dass ich nicht in meiner Liege lag.
Ich erinnere mich, wie ich realisiert habe, dass es mein Zuhause nicht mehr gab, nur noch verbrannte Erde und Asche.
Wir waren gezwungen, unsere Heimat zu verlassen. Sie an einem anderen Ort wieder aufzubauen, hat uns viel Zeit und eine Menge Kraft gekostet.
Doch wir sind nicht daran zugrunde gegangen. Denn wir gehören zum Wald und dieser stirbt nie, auch wenn er verletzt wird. Der Frühling ist der Inbegriff dessen, denn selbst wenn die Bäume ihr Gewand verloren haben und die Tiere sich vor der Kälte zurückziehen, im Frühling wachsen die Blätter wieder, genau wie alle anderen Pflanzen, und die Tiere wachen aus ihrem Winterschlaf auf.
Schon seit Generationen veranstalten wir deshalb jedes Jahr ein Fest, mit dem wir den Frühling begrüssen, sobald die ersten Vögel aus dem Süden zurückgekehrt sind. Wir feiern den Neuanfang, der die Jahreszeit der Blüte mit sich bringt und die damit verbundene Hoffnung.
Heute sind mehr als zwei Jahre vergangen, seit unser damaliges Zuhause abgebrannt ist. Die Jahreszeit, in der alles wieder wächst, ist seitdem noch wichtiger für uns geworden. Deshalb wird das Fest, das heute Abend beginnt, besonders ausschweifend sein. Mein Vater und seine Geschwister sind schon seit Tagen damit beschäftigt, Unmengen an Nüssen, Beeren und Honig zu sammeln. Meine Schwester hat meiner Mutter gestern dabei geholfen, die letzten wallenden Gewänder aus Blütenblättern und Pollenstaub herzustellen. Meine Grosseltern üben mit meinen Cousinen ein letztes Mal die Lieder auf ihren Instrumenten, ich begleite sie auf der Harfe.
Schon seit ich zurückdenken kann, habe ich das Fest der Blütezeit geliebt, und freue mich auch jetzt wieder ungemein darauf. Es wird ein riesiges Festessen geben, bei dem ich die köstlichsten Speisen verschlingen werde, und dann wird die ganze Nacht Musik gemacht und getanzt. Dabei werde ich rundum satt und zufrieden sein und mich fühlen, als würde ich schweben, auch wenn ich gerade nicht fliege.
«Wie fühlt es sich an?», fragt meine Mutter und reisst mich damit aus meinen vorfreudigen Gedanken. Ich schaue in den Spiegel, den sie vor mir aufgestellt hat und bewundere das Kleid, das in verschiedenen Lilatönen bis über meine Knie zu fliessen scheint. Als ich eine Pirouette drehe, dreht sich der Rock in einem perfekten Kreis mit.
«Es ist wunderschön», strahle ich und umarme meine Mutter. «Danke!»
«Aerin hat den Grossteil der Arbeit an deinem Kleid gemacht, bedank dich bei ihr», sagt sie lächelnd, also umarme ich auch meine Schwester.
«Jetzt will ich aber auch dein Kleid sehen», verlange ich von Aerin, «komm schon, zeig es mir!»
Aerin grinst und verschwindet, um sich umzuziehen. Als sie zurückkommt, trägt sie ein grünes Kleid, das bis auf die Farbe meinem identisch ist. Das ist eine unserer kleinen Traditionen, wir tragen immer dieselben Kleider, nur in anderen Farben.
«Das sieht super aus», meine ich, «es steht dir total!»
«Ich weiss!», freut sich Aerin
«Aber mein Kleid ist trotzdem besser», füge ich grinsend hinzu.
Meine Schwester verdreht die Augen, lacht aber dabei. Meine Mutter lacht auch, bevor sie sagt: «Ihr werdet so viel Spass haben beim Tanzen mit diesen Kleidern heute Abend!»
Natürlich hatte sie Recht, denn als ich mich Stunden später der Musik folgend um mich selbst drehe und hin und her wiege, habe ich eine Menge Spass. Die Lieder, die mittlerweile gespielt werden, benötigen keine Harfe, also muss ich meine Cousinen nicht begleiten und kann mich voll dem Tanzen hingeben. Ein neues Lied beginnt, Flöten, Fiedeln und Lauten erklingen. Es ist ein fröhliches Lied, und ich höre Aerins Lachen in meinem Ohr, als sie meine Hand nimmt. Jetzt tanzen wir gemeinsam, unsere Schritte im Einklang und unser Herzschlag im Takt der Musik.
Auf einmal spüre ich einen Tropfen auf meinem Arm und als ich nach oben sehe, merke ich, dass sich der Himmel verdunkelt hat. Zwar ist es schon seit einer Weile nicht mehr taghell, da die Sonne untergegangen ist, aber nun verdecken ausserdem dunkle Wolken den Himmel. Nicht mehr komplett im Tanz versunken nehme ich nun auch das Flüstern das Windes wahr, das klingt, als wolle es mit den Instrumenten mitsingen. Auch das ferne Donnern, das immer deutlicher wird und näher rückt, scheint mit seinem tiefen Grollen einzustimmen.
Ich fühle, wie das Wetter ebenfalls den Frühling willkommen heisst und den Neuanfang feiert. Es fallen immer mehr dicke Regentropfen, die Wolken überbringen die Nachricht, dass es an der Zeit ist, dass Dinge wachsen.
Lachend dreht mich Aerin in eine Pirouette und ich muss auch lachen, das Glücksgefühl mich ganz und gar ausfüllend, während ich im strömenden Regen weitertanze, umgeben von meiner Familie und dem Wissen, dass es immer Hoffnung und die Möglichkeit eines frischen Starts gibt.
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