2 | Nichts zu Verlieren

Ich klappte meinen Laptop zu, konnte mich nach dem Gespräch mit Cara sowieso nicht mehr konzentrieren.

Eine Weile saß ich noch auf dem Balkon, starrte in die finstere Nacht hinaus. In dem kleinen Dorf, in welchem ich lebte, war es nachts angenehm still, absolut nicht vergleichbar zur Großstadt, in welcher ich aufgewachsen war. Dort war es selbst nachts viel zu laut gewesen.

Ich genoss das Leben im Dorf sehr. Anstelle, dass die Leute maulten, weil sie drei Minuten auf die nächste Straßenbahn warten mussten, freuten sie sich hier, dass überhaupt dreimal täglich der Bus fuhr. Ich starrte weiter in die Nacht hinaus, dachte kurz an meine Eltern, verdrängte sie aber rasch wieder aus meinen Gedanken.

Im Moment konnte ich den Anblick des Waldes vor dem Mehrparteienhaus nicht genießen, doch tagsüber erschien mir der Mischwald so weit. So wild. So unendlich.

Vielleicht hatte ich deshalb diese Wohnung gewählt. Um wieder mehr Platz zum Atmen zu bekommen ...

Ich erhob mich ruckartig aus der Sitzbank, was meinen getigerten Kater, welcher neben mir geschlafen hatte, den Kopf heben ließ.

"Na, komm schon, Pirat. Ab ins Warme mit uns", sprach ich mit meinem kleinen Überlebenskünstler.

Manchmal fragte ich mich, ob er tatsächlich jedes meiner Worte verstand, denn er stand sofort auf, streckte sich ausgiebig, gähnte, machte seinen altbekannten Katzenbuckel, und folgte mir danach hinein in die warme Wohnung. Dort trank er aus der Wasserschüssel, um sich danach auf meinem braunen Kunstledersofa zu einer Kugel zusammenzurollen.

Hinter der Couch befanden sich ein paar Zimmerpflanzen - eine Leidenschaft, der ich gerne nachging. Vielleicht war es für einen Mann unüblich, einen grünen Daumen zu besitzen, Bücher zu schreiben, und mit einem einäugigen Kater seine vier Wände zu teilen, doch für mich war es das perfekte Leben.

Von außen hin wirkte ich auf die Menschen anders, dessen war ich mir bewusst. Meine vielen Tattoos konnten das nicht leugnen - ebenfalls eine Leidenschaft, derer ich komplett verfallen war. Ich liebte es, mir neue Tattoos stechen zu lassen, musste jedoch für jedes eine Bedeutung haben. Doch meine vielen Tattoos ließen die Menschen nicht ahnen, dass in mir eigentlich ein Softie schlummerte. Ich wollte romantische Liebe erleben, doch verdammt, sie war so schwer zu finden. Also weshalb nicht die Zeit dazwischen mit One-Night-Stands verbringen?

Nachdem ich endlich im Bett lag, dachte ich noch kurz an Cara, meine Nachbarin, die mich wirklich absolut nicht an sich ran ließ. Ich mochte unsere Konversationen immer sehr, auch wenn sie nur von kurzer Dauer waren, aber es machte mir Spaß, mit ihr zu plaudern. Ebenso wie mit ihrer Tochter Ida, der kleine braune Lockenkopf hatte es mir angetan, und zauberte immer ein Lächeln auf mein Gesicht, wann immer ich sie sah.

Da Cara selbst glatte, schwarze Haare hatte, musste Ida ihre Haarfarbe von ihrem Vater geerbt haben. Ob er tot war? Sich einfach nicht um sie kümmern wollte? Überhaupt über sie Bescheid wusste? Keine Ahnung, aber ich machte mir leider viel zu oft Gedanken darüber. Wie jetzt auch ...

Grummelnd drehte ich mich zur Seite, schloss die Augen, und war nach fünf Minuten weg.

"Wo bist du nur mit deinem Kopf?" Mein bester Freund Sebastian wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum.

"Sorry, was hast du gesagt?"

"Die beiden heißen Schnecken an der Bar gucken schon die ganze Zeit zu uns rüber. Sollen wir sie holen?"

"Weiß nicht, Basti." Ich zuckte mit den Schultern, mir war heute so gar nicht nach Flirten und einer schnellen Nummer zumute. Sebastian und ich saßen an unserem Stammtisch in einer Bar, in welcher wir uns mindestens einmal die Woche trafen.

"Okay." Basti seufzte schwerfällig auf. "Was ist los? Du wirkst heute so teilnahmslos."

"Keine Ahnung. Ich bin nicht ganz in Partylaune. Außerdem ist es Dienstag."

"Das hat dich sonst auch nie gestört."

"Ich weiß." Ich zog meine Nase kraus, schaute meinen Kumpel an. Seine dunkelblauen Augen warteten gespannt, ob ich dem noch etwas hinzufügen wollte. Mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen verdrehte er oft den Frauen den Kopf, aber wie bei mir, blieb es nie bei einer. Ich wollte das eigentlich ändern, er nicht so wirklich.

"Ich muss dauernd an meine Nachbarin denken", nuschelte ich nun doch.

"Cara?" Bastis Mundwinkel hoben sich. "Sie lässt dich wohl noch immer nicht ran. Das muss dein Ego sowas von verletzen."

Ich rollte mit den Augen. In gewisser Weise hatte Sebastian ja recht, aber das war es nicht nur. "Ich denke, wenn sie mich ließe, könnte ich sie mehr mögen, als nur ... für den Moment." Bei meinen letzten Worten war ich leiser geworden, Basti schaute mich mit großen Augen an.

"Denkst du öfter an sie?"

"Jeden Tag", gab ich jämmerlich zu. "Eigentlich schon seitdem sie vor fast drei Jahren eingezogen ist. Gestern habe ich sie singen gehört, und verdammt, ihre Stimme klingt so wunderschön. Ihre Haare schauen so seidig aus, ihre Augen lassen mich an einen funkelnden Diamanten erinnern. Dieses Blau, einfach atemberaubend. Und dann natürlich noch ihre Tochter, die absolut keine Scheu vor Menschen hat. Sie ist entzückend."

"Sag mal Alter, bist du verknallt?"

"Hm?" Ich schluckte schwer, zuckte mit den Schultern. "Dafür müsste ich sie doch besser kennenlernen, oder?"

"Zwischen verknallt und verliebt sein ist schon nochmal ein Unterschied. Zwischen Verliebtheit und Liebe auch. Ich würde sagen, du bist sowas von verknallt in die Kleine."

"Keine Ahnung." Ich seufzte erneut. "Sie denkt sowieso, dass ich der absolute Playboy schlechthin bin. Meine Chancen stehen nicht sehr gut, vor allem, da sie mich jedes Mal abblitzen lässt."

"Und was sagt dir ihre Körpersprache?"

"Ich weiß nicht. Ich kann sie schwer einschätzen."

"Dann bring' sie mal richtig in Verlegenheit. Lass' deinen Niki-Charme sprühen." Er wackelte mit seinen Augenbrauen, was mich leise lachen ließ.

"Ach, ich weiß nicht." Mit einer Hand griff ich zu meinem Whiskey, nippte kurz daran, ehe ich ihn wieder zurück auf den Tisch stellte. "Ich denke schon, dass sie mich mag  und vielleicht auch nicht so schlecht findet, aber ich bin nicht sicher, ob sie nicht lieber alleine sein will. Die letzten drei Jahre hatte sie nie Männerbesuch. Vielleicht steht sie ja auch auf Frauen." Ich zuckte mit den Schultern.

"Führst du Tagebuch?" Mein Kumpel gluckste. "Und wer sagt dir, dass nicht auch sie zu jemandem hinfahren kann? Unsere Schnecken sind schließlich auch meistens bei uns Zuhause."

"Auch wieder wahr." Seufzend nahm ich noch einen Schluck.

"Häng' dich doch einfach mal rein, und schau, ob das zwischen euch was werden könnte. Du hast schließlich nichts zu Verlieren, oder?"

"Hm, doch. Eine gute Nachbarin", murmelte ich.

Basti lachte auf. "Selbstzweifel steht dir nicht, Kumpel!"

"Danke", brummte ich.

"So, aber jetzt muss ich mal meine Rute auswerfen, sonst angle ich mir heute niemanden mehr." Basti drehte sich um, winkte den beiden Frauen an der Bar zu, welche auf uns zukamen, und sich an unseren Tisch setzten. Zwar hatte ich kein großes Interesse an auch nur einer der beiden, blieb aber, wie immer höflich, und absolut in meinem Flirtmodus. Den konnte ich einfach nicht abstellen, egal ob ich eine Frau nun flachlegen wollte, oder nicht.

Doch während Basti sich zwischen den beiden Blondinen mehr als nur wohlfühlte, dachte ich erneut an Cara. Sollte ich tatsächlich ein bisschen auf das Gaspedal treten? Mal sehen, wo es uns hinführte?

Vielleicht würde es der siebte Himmel sein. Vielleicht aber auch das genau Gegenteil ...

》2716 Wörter bis hierher

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