Kapitel 49 - Selbstlos
Jener Tag hatte bereits unerwartet angefangen, denn der erwachsen gewordene Hexenmeister hatte den Fehler gemacht, eine Nacht zu lange in einem Dorf zu verweilen.
Er war von dem Geräusch wach geworden, wie schwere Fäuste gegen die Haustür hämmerten, in dessen Gästezimmer er untergebracht war.
Eine tiefe Stimme hatte seinen Wirt dazu aufgefordert, ihn zu dem Straftäter zu führen, der sich hier eingequartiert hatte.
Der erwachsen gewordene Hexenmeister facktelte nicht lange, packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und sprang auf leisen Sohlen aus dem schmalen Fenster.
Dummerweise war er aber zu ungeschickt, um sich richtig abzurollen und so schlug er sich das Knie an einem spitzen Stein auf. Es brannte höllisch und als sich der Stoff seiner langen Hose an der Stelle langsam dunkel färbte, merkte er, dass es auch blutete. Es sah jedoch nicht wie etwas schlimmes aus, aber es würde ihn behindern, wenn er rannte.
Und das tat es auch, denn er wäre beinahe von den Soldaten gefasst worden. Nur durch seine angeeignete Gerissenheit und einen Hauch von Glück schaffte er es, ihnen haarscharf zu entkommen.
Ab da war er viel vorsichtiger. Er blieb nie mehr als ein paar Tage am selben Ort, nicht wie er es getan hatte. Auch nicht, wenn er sich schon nach kurzer Zeit sehr wohl fühlte.
Das konnte er sich schlichtweg nicht leisten. Nicht, wenn er nun sicher wusste, dass man ihn suchte.
Mit dieser Gewissheit fiel es ihm allerdings leichter, Dinge zu stehlen, die nützlich sein könnten oder andere zu täuschen, damit sie ihm das gaben, was er gerade wollte.
Er wurde sehr gut darin, andere nach seinem Willen hin zu manipulieren, während er sich selbst immer weiter abschottete und vor seinen Gefühlen davonlief, wie er vor dem Gesetz davonlief.
Er lebte im Hier und Jetzt und war einigermaßen zufrieden damit, auch wenn er sich natürlich wieder nach einer gewissen Wärme sehnte, die nur Personen geben konnten, denen er vertraute. Nur gab es die eben nicht. Bis zu jenem Tag.
Der erwachsen gewordene Hexenmeister schaffte es mit noch immer schmerzendem Knie in den nächsten Ort und humpelte erschöpft weiter. Jedes Körperteil brannte und er würde sich am liebsten einfach zu einer Kugel zusammenrollen und schlafen, aber das konnte er nicht.
Er durfte sich nicht entspannen, bis er einen sicheren Platz zum Übernachten gefunden hatte. Dabei war er so unendlich müde ...
Mittlerweile war es dunkel und die kleinen Häuser des Dorfes schienen ihn mit seelenlosen Blicken anzustarren und still dafür zu verurteilen, was er getan und was er nicht getan hatte. Es war kalt und er zitterte, sowohl vor Kälte als auch vor Erschöpfung. Er war so verzweifelt.
Als er merkte, wie ihn auch der letzte Funken Kraft verließ, ließ er sich an einer rauen Hauswand hinabgleiten und lehnte den Kopf zurück. Nur einen Moment, verspach er sich, bevor er die Augen schloss.
Aus dem Moment wurden schließlich Stunden, in denen er in einen beinahe komatösen Schlaf fiel.
Als er die Augen wieder aufschlug, strahlte ihm die Sonne entgegen und er bemerkte sofort, dass er nicht mehr an der Hauswand lehnte. Ruckartig setzte er sich auf und zuckte sofort zusammen, denn kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Er schüttelte den Kopf und seine Sicht wurde langsam klar.
Er befand sich in einem kleinem Kämmerlein, in dem, außer dem unbequemem Bett, auf dem er saß, noch ein Schrank, ein Tisch und ein Stuhl war. Es war sehr spartanisch, aber durch das Sonnelicht wirkte es doch ziemlich heimelig.
Zumindest sah es gemütlicher aus als vieles, das er bisher gewohnt war. Unruhig blickte er sich um, während er nebenbei auch nach seinen Sachen suchte.
Im Laufe der Zeit waren wenige Gegenstände zu seinen beständigen Begleitern geworden. Dazu gehörten eine kleine Flasche, die er auffüllen konnte, ein paar Kleider, etwas Geld und ein gestohlenes Buch, dessen Seiten etwas zerknickt waren.
Das alles bewahrte er in einer ledernen Tasche auf, die er sich einfach auf den Rücken schnallen konnte. Es war nicht viel, aber er brauchte zumindest etwas Ausrüstung.
Mit einem kurzen Glücksgefühl erspähte er die Tasche, die an einem der Tischbeine lehnte. Er wollte auch gerade aufstehen und sie holen, als sich die Tür zu dem kleinem Kämmerlein, die er erst jetzt bemerkte, öffnete.
Da es zu spät war, um sich wieder schlafend zu stellen, versuchte er so bedrohlich wie möglich auszusehen, damit niemand seine wahre Angst sah.
Er erblickte eine dunkelhäutige Frau, die ihn aus ruhigen Augen betrachtete und sanft anlächelte, doch der erwachsen gewordene Hexenmeister ließ sich nicht täuschen.
Er hatte gelernt, dass Menschen logen und betrogen, wann immer etwas für sie selbst dabei raussprang. Sie waren egoistisch und nur auf ihren eigenen Vorteil aus. Dass sie andere damit vielleicht verletzen könnten, war ihnen egal.
Darauf würde er also nicht nocheinmal hereinfallen, auch wenn die Frau wirklich freundlich aussah.
~Du hast aber ganz schönes Glück gehabt.~, meinte sie, als sie sich auf den Stuhl niederließ.
~Wie meinst du das? Und wer bist du überhaupt? Was mache ich hier und was willst du von mir?~, fragte er misstrauisch.
Die Frau aber lächelte nur nachsichtig, aber auch eindeutig besorgt.
~Ich bin Catarina und ohne mich würdest du jetzt nicht mit zwei Beinen da sitzen.~
~Was?~
~Die Wunde an deinem Knie. Unbehandelt hat sie sich entzündet und du hättest schlimmstenfalls eine Blutvergiftung bekommen können. Dank meinen Fähigkeiten in Sachen Heilung ist das zum Glück nicht passiert.~
Dass er geschockt war, versuchte er zu verstecken, aber innerlich war er erschrocken. Konnte eine so kleine Wunde wirklich so schlimme Folgen haben? Natürlich hatte es manchmal während der letzten Tage so geschmerzt, dass er sich zeitweise gewünscht hatte, das Bein einfach loszuwerden, wenn er dann nicht noch langsamer vorangekommen wäre.
~Und was willst du im Gegenzug? Ich habe kaum Geld, wenn es das ist, was du verlangst.~
~Ich verlange nichts.~
~Aber ... jeder verlangt irgendetwas?~, entgegnete er perplex, auch wenn es eher wie eine Frage klang.
Er konnte seine Verwirrung einfach nicht verbergen. Wie auch? Das Verhalten dieser Frau widersprach allem, was er bisher über fremde Menschen gelernt hatte.
Menschen waren gierig und nicht so ... selbstlos. Niemand war so bis auf seine Mutter. Allein der Gedanke versetzte ihm einen Stich, den er zu verdrängen versuchte. Er konnte sich jetzt nicht darauf konzentrieren.
~Dann weiß ich nicht, wem du begegnet bist, aber meine Fähigkeiten sind stets kostenlos.~
~Das ist sehr großzügig, aber dumm.~, bemerkte er.
~Wieso das denn?~
~Du strengst dich an und bekommst nichts als Belohnung. Du belastet dich mit jeder Heilung gewissermaßen selbst.~
~Weißt du, manchmal ist die größte Belohnung das gute Gewissen, das man nach einer solchen Tat hat.~
Der erwachsen gewordene Hexenmeister schwieg, denn dazu hatte er nichts zu sagen. Sein gutes Gewissen hatte schon lange seine Stimme verloren, denn Ehre und Stolz wurden überbewertet, wenn es um Leben oder Tod ging.
Eigentlich lebte er auch nicht mehr wirklich sondern überlebte nur. Er kämpfte jeden Tag darum, nicht zu sterben, dass er dabei ganz vergaß, dass zum Leben mehr gehörte als das, wie beispielsweise Glück und Liebe.
~Wie lange dauert es bis ich wieder los kann?~
~Ein Vagabundenherz, wie ich sehe. Ich würde dich gerne noch ein paar Tage zur Beobachtung hierbehalten, denn ich gehe nicht davon aus, dass du dich während deiner ... Reise ausreichend um die Wunde kümmern wirst. Dann kannst du wieder abhauen, aber so lang es noch nicht so weit ist, stehst du unter meinem Schutz.~
Dem erwachsen gewordenen Hexenmeister blieb wohl nichts anderes übrig und deshalb nickte er resigniert.
Schlussendlich wurden es wenige, aber wundervoll leichte Tage, die er mit der Heilerin Catarina verbrachte.
Sie war streng, aber genauso freundlich, hilfsbereit und gütig. Sie hatte ein gutes Herz und eine Art, die ihn dazu animierte, ihr zu vertrauen und es fiel ihm sehr schwer, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass er genau das nicht tun konnte. Dennoch erzählte er ihr mehr als allen anderen, bei denen er vorübergehend gewohnt hatte.
Diese Tage des Friedens schloss er später tief in sein Herz ein, denn nie würde er Catarina vergessen wollen, die das Gute im Menschen symbolisierte, das es neben all dem Schlechten nun mal auch gab. Sie hatte seine Sicht auf andere zumindest etwas geändert und ihm tat es im Herzen weh, als er sie und ihr kleines Haus verließ und sich wieder der Flucht hingab.
Er wäre gerne geblieben, aber dann wäre Catarina in Gefahr und das konnte er nicht zulassen. Also ging er wieder auf eine rastlose Reise, die zwar noch lange so weitergehen würde, allerdings nicht ewig wie sich noch herausstellen sollte..
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