Kapitel 44 - Der Racheengel und der Sünder
Magnus' Sicht
Magnus rannte förmlich durch die schier endlosen Gänge, denn er wollte einfach so weit wie möglich weg. Er war so aufgewühlt, dass er sogar vergessen hatte, sich von Ragnor zu verabschieden, aber Zurückkehren war keine Option.
Er war wohl doch nicht so bereit gewesen, dem König zu begegnen ohne etwas zu fühlen, wie er gedacht hatte. Er hatte tatsächlich fest daran geglaubt, dass er es schaffen würde, komplett proffesionell zu bleiben, aber er hatte sich geirrt.
Sobald er Alexander gesehen hatte, hatte sein Herz aufgeschrien vor sehnsuchtsvollem Schmerz. Nichts lieber hätte er getan als sich einfach in Alexanders starke Arme zu werfen und sich versichern zu lassen, dass alles gut war oder zumindest am Ende gut werden würde.
Nichts lieber hätte er getan als die sanften Falten in dessen Stirn mit den Daumen glattzustreichen und ihn dann zu küssen, auf das sie beide alles um sich herum vergaßen.
Nur leider war es nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn der König ihm offensichtlich etwas wichtiges vorenthielt, denn es musste doch irgendeinen Grund geben, wieso er sich zurückzog.
Oder zumindest hoffte er das, denn er konnte sich sonst nicht vorstellen, wieso Alexander all das tat, wenn es ihm selbst eindeutig nicht gut dabei ging.
Er hatte so gequält gewirkt. Seine harte Fassade hatte gezwungen ausgesehen und mehrere tiefe Risse aufgewiesen, durch die Magnus hatte sehen können, dass er litt und nur zu stolz war, um es zuzugeben.
Er hatte allerdings nicht nachgefragt. Wieso auch? Er bezweifelte, dass der König mit der Sprache herausgerückt wäre. Wahrscheinlicher war, dass er ihn angschnauzt hätte und darauf hatte Magnus keine Lust.
Das hieß aber nicht, dass er diesen Anblick lange hatte ertragen können, weshalb er jetzt förmlich auf der Flucht war. Auf der Flucht vor seinen erdrückenden Gefühlen, die in seinem Herzen dröhnten und kurz davor standen, auszubrechen.
Dann würde es kein Halten mehr geben. Das versuchte Magnus zu verhindern und er war eigentlich auch auf einem guten Weg, seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen, als er eine Stimme hörte ...
~Wer bist du denn?~
Ragnors Sicht
Ragnor war sowohl verwirrt als auch besorgt, als er Magnus wortlos aus dem Raum und dann über den Flur wegrennen sah.
Es musste etwas vorgefallen sein, mit dem er noch nicht zurechtkam, weshalb er die Flucht gewählt hatte, um dem zu entgehen bis er später dann damit umgehen konnte. Das war vielleicht etwas verwirrend, aber das war Magnus nun mal. Alles außer eindeutig oder normal.
Ragnor wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Tür zum Büro des Königs öffnete und Raphael hinaustrat. Seine Miene war so kalt und hart wie immer, aber seine Schritte waren regelrecht laut und polternd.
Er war geschockt, denn sonst wären seine Bewegungen leise und geschmeidig wie die einer Raubkatze. Das beruhigte ihn nicht gerade, sorgte ihn aber auch nicht mehr als ohnehin schon.
~Was ist los?~
~Magnus war los. Er hat mit dem König geredet und dann wurde meine Strafe auf vier Monate runtergekürzt.~, erklärte er trocken, aber Ragnor hatte schon immer eine sehr ausgeprägte Beobachtungsgabe bessesen.
So war es ihm ein Leichtes, durch die harte Fassade zu blicken und zu erkennen, wie überrascht, aber auch dankbar Raphael wirklich war. Er würde bald wieder frei sein und konnte wieder zu seiner Familie zurückkehren.
Ragnor freute sich für ihn, auch wenn ein Teil von ihm bereits neidisch wurde, denn er wusste, dass es bei ihm nicht so glimpflich ausgehen würde. Anders als Raphael, der ein einziges Mal etwas Falsches getan hatte, war er schon seid mehr als einem halben Leben kriminell.
Anfangs hatte er einfach nur gestohlen, um zu überleben. Später hatte er seine Beute weiterverkauft und wieder später hatte er das Diebesgut anderer verhöckert und sich dabei eine goldene Nase verdient. Es kam einem Wunder gleich, dass er nicht früher geschnappt wurde.
Auch hatte Ragnor nichts, wofür sich dss Zurückkehren lohnen würde, denn er war allein und die Personen, denen er vertraute, wechselten oft. Als Dieb und Hehler war eine gute Menschenkenntnis überlebenswichtig, sowohl fürs Geschäft als auch persönlich. Immerhin könnte der langjährige Feund einen zu jedem Zeitpunkt verraten oder der Typ, der noch vor wenigen Tagen versucht hatte, einen umzubringen, plötzlich zu einem nützlichen Verbündeten werden.
Man musste all das genaustens abschätzen und die Tatsache, dass Ragnor das mehr als gut beherrschte, hatte wohl merklich dazu beigetragen, dass er erst jetzt verurteilt wurde.
~Das ist doch schön! Wir sehen uns später.~, sagte er aber nur und achtete dabei darauf, sich seine Gedanken nicht anmerken zu lassen.
Er wollte Raphael keinen Kummer bereiten, denn er fühlte sich für ihn verantwortlich. Genau wie für Magnus. Deshalb musste er für beide stark und unfehlbar sein -auch wenn das nicht immer funktionierte und möglicherweise etwas ironisch klang.
Bedächtig schritt er in das Büro und sah sich beinahe routiniert nach möglichen Kleinigkeiten um, die er vielleicht unbemerkt mitgehen lassen könnte. Hastig schüttelte er den Gedanken jedoch ab.
Jetzt nicht.
Stadessen wandte er seine Aufmerksamkeit dem König zu und verbeugte sich erführchtig, bevor er ihn eingehend betrachtete. Ragnor kannte ihn bisher nur von Gemälden, auf denen er stets hart und kalt ausgesehen hatte. Wie ein Racheengel, der nicht scheute, Strafen an die Sündigen zu verteilen.
Auch jetzt sah er nicht gerade freundlich aus, aber etwas war anders. Der König schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, so wie er leicht mit dem Fuß wippte. Auch hatte er die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte aufgewühlt.
Aufgewühlt wegen Magnus?
Ragnor war sich nicht sicher, aber das würde zumindest zu dem Ausdruck passen, den Magnus bei der Bemerkung des Königs im Gesicht getragen hatte. Sanft, liebevoll, mit einer Hand voll Schmerz und Sehnsucht.
Er konnte sich allerdings auch irren, denn es war selbst für ihn sehr schwer, Magnus zu lesen. Er hatte eine nahezu perfekte Fassade, die seine wahren Gefühle umgab und ihn unberechenbar machte.
Klar war immer, dass hinter jeder Bewegung oder Aktion eine Absicht stand. Magnus machte nichts ohne Hintergedanken. Die Frage war nur, was besagter Hintergedanke war. Strich er sich gerade nur über den Nackem, un Verspannungen zu lösen oder dem gaffenden Kerl drei Sitzreihen weiter hinten zu imponieren, damit er ihm seinen Nachtisch überließ?
Die Absichten herauszufiltern war allerdings nicht halb so schwer wie die Emotionen dahinter, denn er war mehr als geheimnisvoll.
So hatte kein Wort über seine Vergangenheit verloren. Die einzigen Anhaltspunkte dazu waren, dass er sich immer anspannte, wenn das Gespräch auf seine Eltern fiel oder er galant das Thema wechselte, wenn es darum ging, wieso er im Gefängnis war.
Es gab nur ganz wenige Augenblicke, in denen Magnus' Fassade durchscheinend wurde und man seine wahren Gefühle erkennen konnte. Das äußerte sich meist durch unbewusste oder ruckartige Gesten, die nicht von seinem Verstand kontrolliert werden konnten, wie die plötzliche Umarmung oder eben bei der Bemerkung des Königs.
Nichts desto trotz wusste Ragnor, dass Magnus das Herz an rechten Fleck trug und es demnach nicht verdiente, dass jemand ihm wehtat. Und wenn er schon im Gefängnis verroten würde, würde er zumindest dafür sorgen, dass es auch seinem zweiten Schützling gut gehen würde.
~Was auch immer Ihr in Eurem Urteil fur mich bereithaltet, ich werde es akzeptieren. Aber lasst Euch gesagt sein, dass Ihr es nicht wagen sollt, Magnus in irgendeiner Hinsicht zu verletzen. Ihr wärt dumm, das zu tun, würdet Ihr Euch doch nur selbst damit schaden. Er trägt das Herz am richtigen Fleck, man muss sich nur die Mühe geben es zu finden und so lange zu warten bis es einem vertraut. Denn wenn er ersteinmal richtig vertraut, wird er nie wieder gehen.~
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