Kapitel 15 - Zerissenheit

Alecs Kopf brummte noch immer, als er die Augen aufschlug. Magnus hatte einen verdammt kräftigen Schlag. Dennoch war er nicht so lange bewusstlos gewesen, wie dieser es sich wohl gewünscht hätte, weshalb Magnus noch nicht weit gekommen sein konnte.

Er musste ihn finden und das am besten ehe es die Palastwachen taten, die er in weiser Vorraussicht verdoppelt hatte. Alec war nicht blöd und hatte damit gerechnet, dass manch einer die strengeren Regeln nicht guthieß, die er eingeführt hatte und ihm deshalb vielleicht etwas antun wollte.

Um sich, aber auch sein Personal zu schützen, hatte er mehr Wachen aufstellen lassen, die dafür sorgten, dass während der Nachtstunden niemand hineinkam. Deshalb waren auch die Wachen, die normalerweise vor Magnus' Tür standen, nicht da.

Dass jetzt jemand versuchte, sich herauszuschleichen, war zwar neu, aber die Soldaten waren trainiert genug, um sich davon nicht aufhalten zu lassen.
Sie würden keine Gnade zeigen und allein bei dem Gedanken, dass Magnus etwas passieren könnte, schmerzte es wieder so in Alecs Brust.

Hastig rappelte er sich auf und schlich ebenfalls hinaus auf den dunklen Flur. Seltsamerweise war die herrschende Emotion in ihm gerade nicht die Wut, wie er insgeheim vermutet hätte. Aber nein, die Sorge um Magnus und dessen Wohlergehen war viel größer, sogar noch größer als der Wunsch, ihn bei sich zu behalten.

Es klang absolut hirnrissig und untypisch für ihn, aber Alec glaubte, dass er alles ertragen könnte, solange es Magnus gut ging und da das gerade noch ungewiss war, machte er sich so viele Sorgen wie es sonst normalerweise nur bei seiner Familie der Fall wäre.

Es war still auf dem Flur, aber das war ein gutes Zeichen. Es hieß, dass niemand Magnus bisher gefunden hatte und er deshalb wahrscheinlich noch im Palast war.

Er könnte jetzt versuchen, ihn in den Ställen zu finden, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Etwas, das er schon beinahe vergessen hätte: Sein Bauchgefühl.

Alec war es gewohnt, mit dem Verstand und vollkommend rational zu entscheiden und war damit bisher immer gut gefahren, aber jetzt mischte sich dieses Gefühl ein und wisperte ihm zu, dass er woanders mit seiner Suche starten sollte.

Wieder war er so zerrissen und uneins mit sich selbst, denn einerseits wollte er auf seinen Verstand hören, wie immer, aber dann war da auch noch sein Bauchgefühl, sein Herz, dessen Stimme erst durch Magnus überhaupt wieder so laut geworden war, dass er sie verstehen konnte.

Magnus' Ankunft im Palast hatte alles verändert und ihn zum Hinterfragen seiner Entscheidungen gebracht. Auch hatte sie ihn dazu verleitet, öfter auf seine Intuition zu vertrauen, weshalb er beschloss, genau das zu tun.

Leise und doch geschwind lief er durch die Gänge und sprang eine Treppe hinab, bevor er wieder durch einen dunklen Flur eilte und endlich am Ziel war. Er stieß die Flügeltür auf und betrat die Bibleothek.

Alec ging allerdings nicht davon aus, dass Magnus sich hier drin befand.

Am Nachmittag hatte er die Gelegenheit bekommen, in Magnus' Akte zu sehen, die ihm helfen sollte, ihn angemessen für seinen Vatermord zu bestrafen. Nicht dass er das tatsächlich vorhatte, aber er war nunmal neugierig gewesen. Dort stand, dass er die Tat vor mehr als drei Jahren begangen hatte und lange auf der Flucht gewesen war, bevor er in einer kleinen Stadt gestellt wurde.

Wenn man so lange vor der Gerechtigkeit davonrannte, verbrachte man unweigerlich viel Zeit allein und unter freiem Himmel. Magnus hatte zwar gesagt, dass er es hier liebte, aber Alec konnte sich vorstellen, dass er lieber draußen wäre, so kalt es dort in der Nacht auch sein mochte.

Glücklicherweise verfügte die Bibleothek über eine Tür, die direkt in den königlichen Garten führte, der nicht nur bei Tag einen Blick wert war. Tatsächlich stand sie offen und obwohl es draußen finsterste Nacht war, konnte er einen Schemen erkennen, der sich gegen die Dunkelheit abhob.

Mit straffen Schultern trat er hinaus.

~Der Garten ist schön bei Nacht, nicht wahr? So friedlich. Ich kann verstehen, dass du dich erst noch davon verabschieden wolltest.~

Magnus fuhr herum und sofort blitzte etwas in der Dunkelheit auf.
Der Dolch, mit dem er ihn bedroht hatte. Alec spürte noch immer das leichte Brennen an seinem Hals, das von dem flachen Schnitt stammte.

Allerdings war er wieder nicht wütend, wie man vielleicht hätte vermuten können, sondern zutiefst beeindruckt. Er hätte Magnus das nach dem ersten Eindruck, den er von ihm hatte, nicht zugetraut.

~Was machst du hier? Du solltest doch bewusstlos sein!~
~Ich bin taffer als du denkst.~, erklärte er schulterzuckend.
Magnus wich langsam zurück und ließ ihn nicht aus den Augen, während er den Beutel zu seinen Füßen packte.

Er würde gleich wegrennen und somit die Aufmerksamkeit der Palastwachen auf sich ziehen. Das wäre sein Ende.

~Nein, bitte! Bitte geh nicht.~
~Wieso sollte ich? Ich habe dir beireits gesagt, dass ich diese Geschichte zwischen uns beenden will und ...~
~Warum?~

Mit dieser einfachen Frage schien er Magnus zu überraschen, denn er blieb stehen. Da er aber nur seine Umrisse erkennen könnte, war er nicht sicher, was in dem anderen gerade vorging.

Er hoffte, dass es so etwas wie Neugier war, denn so würde Magnus zumindest für einen Augenblick noch bleiben und manchmal schafften es Augenblicke ein ganzes Leben zu verändern.

~W-weil ... wir einfach nicht zueinander passen! Deshalb!~
~Genau, wir sind dir kompletten Gegenteile voneinander, aber ist das denn so schlimm? Gegensätze ziehen sich an und ich kann dir sagen, dass ich mich mehr als hingezogen zu dir fühle. Du lässt mich nicht kalt, sondern bringst mein Innerstes in Aufruhr, ob in positiver oder negativer Hinsicht sei mal dahingestellt. Ich weiß nur, dass ich anfange, alles zu Hinterfragen, seid du hier bist und das macht mir Angst, aber gleichzeitig habe ich mich auch noch nie lebendiger gefühlt. Du hast etwas in mir geweckt, Magnus, und ich möchte nicht, dass dieses Etwas verschwindet, wenn du gehst.~, schüttete Alec ihm sein Herz aus, während er langsam auf ihn zuging.

Dieses Mal wich Magnus nicht zurück und zuckte auch nicht zusammen, als er sanft über seine Wange strich. Endlich konnte er ihm wieder in die Augen sehen und er erblickte das pure Chaos.

Einerseits waren da Angst und Wut, aber andererseits auch Hoffnung und etwas so Verletzliches, das Alec sich wirklich davon abhalten musste, den anderen einfach zu umarmen und nie wieder loszulassen.

Wenn er Magnus so ... verwirrt und verwundbar sah, wollte er nichts anderes, als ihn vor allem Bösen dieser Welt zu beschützten. Niemand sollte ihn verletzen dürfen, ohne ungestraft damit davonzukommen.

Allerdings müsste Magnus es zulassen, dass er seine schützenden Flügel um ihn legte. Er müsste sich fallen lassen und darauf vertrauen, dass Alec ihn auffangen würde. Er wollte so unbedingt, dass er losließ und sprang, aber wenn er in Magnus' Haut stecken würde, wüsste er selbst nicht, ob er das auch tun würde.

Magnus müsste seinen Traum von Freiheit ersteinmal aufgeben und zulassen, dass Alec ihm nahe kam. Auf der anderen Seite müsste auch Alec wieder sein Herz öffnen und für beide war das ein beinahe unüberwindbar weiter Schritt.

Wenn Magnus nicht springen und stadessen abhauen würde, würde es das warme Gefühl in ihm sofort töten und er musste so weiterleben wie bisher. Da Alec nun vieles hinterfragte, wusste er, dass das zwar funktionierte, aber kein richtiges Leben war.

Alec wollte unbedingt wieder leben, aber das könnte er nur, wenn Magnus es zuließ und selbst dann war das noch eine beinahe unlösbare Aufgabe für sie zwei.

Doch er hatte Hoffnung und diese starb bekanntlich zuletzt
... doch zum Schluss starb auch sie.

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