Und ich singe dein Lied

Nürnberg, 23. Oktober 2013

Wir hatten gerade erst mit dem Soundcheck begonnen, da zickten die Scheinwerfer schon wieder herum, weswegen wir erst einmal nicht weiter machen konnten. Da die Sache noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde, wie man an dem knallroten Gesicht von Benni, nachdem dieser mit dem Techniker gesprochen hatte, entnehmen konnte, verzogen Lukas und ich uns nochmal nach hinten in den Backstage.
Der Raum, in dem Lukas vorhin das Interview gegeben hatte, war ziemlich abgeranzt und nicht unbedingt der gemütlichste. Der dunkelgraue Teppichboden war mit Brandflecken übersät, die Möbel hatten schon einmal bessere Tage gesehen und es roch dezent nach Bier. Das einzig Interessante war eine Wand, die komplett mit signierten Fotos all der anderen Bands, die hier schon einmal gespielt hatten, beklebt war.

„Ich bin so müde", jammerte Lukas, als er sich auf die einzige Couch im Raum legte. Ich grinste und nahm gegenüber auf einem der beiden Sessel Platz.
„Naja, du weigerst dich ja nachts mit aller Kraft, mal mehr als drei Stunden zu schlafen. Das wundert mich jetzt gar nicht."
„Wenn ich in deinem Bett liege, will ich eben schönere Sachen machen, als zu schlafen", sagte Lukas und grinste zurück.
Ich stand auf, holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank und hob Lukas mit fragendem Blick ein weiteres entgegen.
„Du weißt doch, dass ich erst nach den Konzerten trinke", meinte er und schüttelte leicht den Kopf.
„Ach ein Bierchen merkst du doch gar nicht."
„Nee, lass mal. Danke. Denkst du, was ich vorhin beim Interview gesagt habe, war wirklich okay?"
Ich öffnete meine Flasche mit einem Feuerzeug und setzte mich wieder auf meinen Platz. „Klar, warum nicht? Du hast nicht abgestritten, dass du schwul bist, aber hast es auch nicht zugegeben. Es war doch eigentlich absolut unverfänglich."
„Na vielleicht denkt man dann, ich bin es auf jeden Fall, weil ich es nicht gleich verneine. Aber auf der anderen Seite weiß man ja auch so nicht besonders viel über mich, weswegen es nicht weiter verwunderlich ist, wenn ich keine klare Antwort gebe."

Ich trank einen Schluck und stellte die Flasche dann vor mir auf dem Tisch ab. „Mach dir keine Gedanken, das war wirklich gut. Wenn sogar Benni das sagt, heißt das schon was."
„Okay", sagte Lukas und grinste mich an. „Willst du... also willst du dich vielleicht... ein bisschen zu mir hier hinlegen?"
„Eigentlich schon, aber was, wenn jemand kommt?", fragte ich skeptisch.
„Dann wollten wir uns eben beide nochmal kurz hinlegen, bevor es nachher losgeht und es gibt nun mal nur ein Sofa. Komm schon", antwortete Lukas und rückte ein Stück näher an die Lehne, um vor sich ein wenig Platz zu schaffen.
„Okay, aber meine Hose bleibt an und alles bleibt so, damit es wirklich nur so aussieht, als würden wir ganz ohne Hintergedanken hier rumliegen", sagte ich und quetschte mich dann zu ihm auf die Couch.
„Ach, Timi. Ich kann auch einfach nur mal so mit dir rumliegen. Ich bin ja jetzt auch kein völlig unkontrollierbares Sexmonster", flüsterte Lukas in mein Ohr und lachte leise.
„Könnte man manchmal aber denken", sagte ich und fiel in sein Lachen ein.

Er zog mich enger zu sich und legte locker seinen Arm über meine Hüfte. „Ich würde jetzt zwar liebend gerne meine Hand in deine Hose schieben, aber ich kann mich beherrschen."
„Lukas...", zischte ich und wurde zeitgleich von diesem extremen, mir mittlerweile wohl bekannten Kribbeln überwältigt, das sich durch meinen gesamten Körper zog.
Lukas küsste mein Ohr und biss mir kurz sanft ins Ohrläppchen, was dafür sorgte, dass so langsam Leben in meine Shorts kam. „Ich mach es doch gar nicht. Ich sage ja nur, was ich nicht mache."
„Ich wusste doch, dass du nicht einfach nur so hier rumliegen kannst!"
Lukas lachte und gab mir dann einen Kuss auf den Hinterkopf. „Wir liegen wohl nur hier rum. Du sitzt nicht gerade ohne Hose auf dieser Couch und ich knie nicht gerade vor dir und lass dich in meinen Mund spritzen."
„Lukas!", stieß ich mit erstickter Stimme aus und gab ihm einen Klaps auf seinen Arm, der so ganz unschuldig auf meiner Seite lag.
„Ist ja gut. Ich kann doch auch nichts dafür, wenn du so heiß bist", sagte Lukas amüsiert. „Ich kann halt, seitdem geklärt ist, dass wir das durchziehen wollen, den halben Tag nur ans Ficken denken."
„Merkt man dir gar nicht an", antwortete ich und spürte, wie mir die ersten Schweißtropfen an der Wange herunterliefen.
„Oh, wenn jemand wüsste, was in meinem Kopf abgeht, wenn ich so ganz gechillt herumsitze..."

Ich nahm Lukas Arm und schob ihn ganz sanft von mir herunter. „Ich rauch mal eine", sagte ich und stand etwas wackelig auf den Beinen auf, um drüben auf einem Regal meine Kippenpackung zu holen.
Lukas lachte und machte sich auf dem Sofa wieder etwas breiter. Ich zündete mir eine Zigarette an und setzte mich wieder auf einen der schwarzen, abgewetzten Ledersessel. Jetzt konnte auch ich natürlich nur noch daran denken, was jetzt so passieren könnte, wären wir beide ungestört. Die Sache mit dem Verführen hatte die kleine Zecke echt drauf, das musste man ihm lassen.

Lukas streckte sich und dabei rutschte sein Shirt nach oben, was mir einen Blick auf seinen Glückspfad ermöglichte.
„Na, woran denkst du?", fragte er, lächelte total unschuldig und fuhr dabei einmal kurz mit seinen Fingern dort entlang.
Ich konnte nichts anderes tun, als darauf zu starren.
„Gott, an was werd ich wohl grad denken?"
„Vor ein paar Wochen stand ich mal im Bad und hab kurz darüber nachgedacht, ob ich den nicht einfach mal wegrasieren soll. Zum Glück hab ich es nicht gemacht, was?", fragte Lukas und zog sein Shirt und noch ein Stückchen höher.
Irgendwann war meine Selbstgedrehte so weit verglimmt, dass sie mir die Finger verbrannte, mit denen ich sie hielt. Wäre das nicht passiert, hätte ich wohl so lange auf diese abnormal erotische Stelle gestarrt, bis mich jemand von Ort und Stelle hätte wegtragen müssen.
Während ich jammernd meine Hand in eine Kanne mit diesem seltsamen Wasser-Ingwer-Honig-Gemisch, das Lukas gerne mal auf Tour für seine Stimme trank, steckte, lachte dieser amüsiert und bedeckte sich wieder.

„Komm wieder her, ich bin auch ganz brav", sagte er und rückte ein Stück nach hinten, um mir nochmal Platz zu machen.
Ich betrachtete kurz meine Hand, an deren Mittelfinger gerade eine kleine Brandblase entstand, und ging dann wieder zu Lukas auf die Couch. Dieser drückte sich an mich und zog dann meine Hand nach oben, um sich das Übel anzusehen.
„Lukas", seufzte ich, als ich seinen Atem an meinem Finger spürte. „Nimm den jetzt bloß nicht in den Mund."
Er ließ von meiner Hand ab und prustete dann aus heiterem Himmel laut los. „Mann, du kennst mich mittlerweile echt gut!"
„Du bist doch sexsüchtig, ey."
„Leicht erregbar vielleicht."
„Darauf können wir uns einigen."
Lukas rutschte ein Stück nach unten und legte seinen Kopf auf meiner Brust ab. Ich legte meinen Arm um ihn und schloss die Augen.

„Siehst du, ich kann wohl einfach nur so rumliegen", sagte er nachdem wir mehrere Minuten angenehm geschwiegen hatten.
„Ja, ich glaub es ja", antwortete ich grinsend.
Dann rutschte er wieder etwas nach oben und küsste mich kurz. „Ich will es aber nicht."
„Oh, Lukas", stöhnte ich gespielt genervt und einen Moment später hatte ich schon seine Zunge im Mund.

„Es gibt hier doch bestimmt ne Besenkammer oder sowas in der Art", stöhnte er gegen meine Lippen und fuhr mit seiner Hand unter meinen Hoodie.
„Die müssen doch irgendwann mal die Scheinwerfer wieder im Griff haben und dann laufe ich die nächste Stunde mit einer Latte durch die Gegend, wenn wir nicht rechtzeitig fertig werden", quengelte ich und schob seine Hand weg.
„Ich hab es so nötig. Ich platze gleich", keuchte Lukas, während er sich aufreizend an meinem Oberschenkel rieb. Der Kerl würde mich irgendwann noch um den Verstand bringen, ganz sicher!
„Wir werden auf jeden Fall erwischt, bestimmt kommt jeden Moment jemand hier rein", flüsterte ich eindringlich, als ich hörte, dass Lukas gerade dabei war, den Reißverschluss seiner engen, grauen Jeans zu öffnen.
„Ach fuck", seufzte er und schloss seine Hose glücklicherweise gleich wieder. „Okay. Dann erzähl mir was absolut abtörnendes."

„Igor hat heute Nacht in den Flur geschissen", sagte ich nach längerem überlegen.
„Er hat was?", fragte Lukas und verzog das Gesicht.
„Ja, er hat vorhin gemeint, er wollte 43 mit Milch trinken und dann war irgendwie nur noch eine angebrochene Packung im Bus. Keine Ahnung wie alt, weil, wer hat denn, seit wir unterwegs sind, im Auto Milch gebraucht? Jedenfalls hatte er so Bock drauf und das Zeug hätte normal ausgesehen und mit ordentlich 43 drin hat er wohl nicht direkt geschmeckt, dass die schon voll am vergammeln war. Er wäre halt auch vorher schon total dicht gewesen, deswegen hat er es erst recht nicht bemerkt. Er war dann später irgendwie noch im Hotel unterwegs und dann hat es ihm alle Sicherungen rausgehauen."
„Und dann hat er sich in den Flur gesetzt und geschissen?", fragte Lukas angeekelt.
„Nein, es wäre ihm einfach so angezogen passiert, er hatte keine Chance mehr, um sich irgendwie vorher auszuziehen."
„Gott, ist das widerlich!"
„Willst du ein Foto von dem Teppich sehen? Er hat mir eins geschickt", fragte ich amüsiert und griff nach meinem Handy.
„Nein!", rief Lukas und zog es mir wieder aus der Hand. „Bloß nicht!"
„Bist du jetzt noch geil?", fragte ich lachend.
„Nein", sagte Lukas grinsend und stand auf, um etwas von dem Zeug zu trinken, in das ich vorhin meine Finger gehalten hatte. „Ich hoffe, du hast Igor nicht beim Putzen geholfen, bevor deine Hand in meinem Getränk war."
„Das hat keiner weggemacht", antwortete ich schulterzuckend.

Das Timing hätte besser nicht sein können, denn nur kurze Zeit später öffnete Igor die Tür und sagte uns Bescheid, dass wir nun mit dem Soundcheck beginnen könnten.
„Igor, du hast ernsthaft in den Flur geschissen?", fragte Lukas und schüttelte sich noch immer ein wenig, als wir auf die Bühne liefen.
„Das liegt im Rahmen des Möglichen", bekam er zur Antwort.
Lukas drehte sich zu mir um und sah mich gequält an. Seine Ekelgrenze war etwas niedriger angesetzt, als die von uns anderen, und ich hatte nun schon ein wenig Mitleid, aber so hatte er wahrscheinlich erst einmal nicht mehr das dringende Bedürfnis, mich zu bespringen.

Das Scheinwerferproblem schien nun komplett behoben worden zu sein und Bennis Gesicht hatte nun wieder eine normale Farbe angenommen, sodass wir dann auch endlich mal den Soundcheck hinter uns bringen konnten.
Wie er es öfter tat, holte Lukas im Anschluss noch seine Gitarre und spielte einfach so noch ein paar Lieder, um seine Stimme warm zu machen.

Ich saß ganz hinten auf dem Tisch, wo gerade das Merch ausgepackt wurde und sah zu ihm auf die Bühne. Es war so schön, ihn so verloren in der Melodie zu beobachten, dass mir dabei ganz warm ums Herz wurde. Immer wieder sah er ganz kurz in meine Richtung und grinste mich an, dann schloss er wieder die Augen und konzentrierte sich auf sein Spiel.

Er fing nun mit einem Lied an, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Der Text war sehr melancholisch angehaucht und es ging, soweit ich das mitbekam, um Chancen und Steine, die einem beim Ergreifen von diesen in den Weg gelegt werden. Der Text war ziemlich doppeldeutig und man erkannte es nicht sofort, aber es könnte, wenn man genau auf die Worte achtete, sogar eine Art Liebeslied sein. Wahrscheinlich von einem dieser vielen Liedermacher, die Lukas so liebte.

„Draußen einen buffen?", fragte Igor mich irgendwann und stieß mich an der Schulter an. Ich wandte mich von Lukas ab, drehte mich zu Igor und der hielt mir schon einen Spliff entgegen, den ich erfreut an mich nahm. Da es schon später Nachmittag war und ich heute noch keinen geraucht hatte, wurde es so langsam mal höchste Zeit dafür, fand ich, und so folgte ich Igor im nächsten Moment auch schon nach draußen.

Nachdem wir unsere Joints geraucht hatten und Igor mir nochmal in allen ekligen Details erzählt hatte, wie genau sich dieser Schiss in den Hotelflur vergangene Nacht zugetragen hatte, gingen wir wieder zu den anderen.

Stefan und Lukas hatten ihre Jacken angezogen und kamen auf uns zu.
„Wir gehen gleich mal um die Ecke, um was zu essen zu holen. Wollt ihr auch?", fragte Stefan. Während Igor seine Wünsche aufzählte, sah ich zu Lukas und lächelte ihn an. Dieser erwiderte jedoch zu meinem großen Erstaunen mein Lächeln nicht und sah dann auf den Boden. An seinen Gesichtszügen war eindeutig zu erkennen, dass er sich gerade über irgendwas ärgerte, aber eine Erklärung dafür wollte mir beim besten Willen nicht einfallen.
Stefan ging in den Backstage, um Geld zu holen und Igor half hinten weiter beim Merch ausräumen. Lukas ging, noch immer ohne mich anzusehen, durch die Tür nach draußen.
Hatte das irgendwas mit mir zu tun? Ich hatte doch überhaupt nichts gemacht!

Völlig verwirrt folgte ich ihm und hielt ihn am Arm fest.
„Ähm, Lukas? Ist irgendwas?"
Er drehte sich zu mir und sah mich mit hochgezogener Braue an. „Was soll sein?"
„Das weiß ich nicht. Sag du es mir", antwortete ich und ging einen Schritt auf ihn zu. Da ich mir absolut keiner Schuld bewusst war und wir gerade alleine waren, wollte ich die Gelegenheit nutzen, um ihn kurz zu küssen, doch Lukas drehte sein Gesicht von mir weg, als ich es dann versuchte.
„Ich... ich mag jetzt nicht", murmelte er und ließ mich vollkommen ratlos stehen.
Was war denn jetzt bloß sein Problem?



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