Schlechte Ideen schaffen die besten Erinnerungen
Mannheim, 31. Oktober 2013
Irgendwann in dieser Nacht musste ich dann unbemerkt eingeschlafen sein, und befand mich in einem angenehmen, traumlosen Schlaf. Doch Lukas wäre nicht Lukas, wenn er mich einfach so schlafen lassen würde.
„Timi", zischte er mir ins Ohr und ich zuckte sofort erschrocken zusammen.
„Was denn?", fragte ich gequält.
Lukas zupfte an meiner Bettdecke herum. „Ich kann halt nicht schlafen."
Ich öffnete die Augen und sah Lukas neben mir im Bett sitzen. „Und das ist mein Problem, weil?", fragte ich amüsiert und rollte mich auf den Rücken.
„Ich weiß nicht", murmelte Lukas und zog sich die Decke um die Schultern.
„Du wirst doch jetzt wohl keine Angst haben?", fragte ich und kicherte belustigt.
„Angst vor was?", fragte Lukas und legte sich wieder hin.
„Na vor dem Geist da, der dich beim Schlafen anstarrt."
Lukas lachte nervös. „Nein, ich hab doch gesagt, dass ich vor so etwas keine Angst habe. Das war nur Spaß. Ich hab wohl zu viel Cola getrunken."
„Ich hab dich heute keine Cola trinken sehen."
„Hab ich aber!"
Ich rutschte zu ihm und legte meinen Arm über seinen Bauch. „Wenn du meinst."
„Du bist blöd", flüsterte Lukas. „Ich hab keine Angst."
„Ich denke schon, wenn du das tausend Mal extra betonen musst."
Lukas schnaufte genervt und gab mir einen leichten Schlag auf die Brust. „Okay, ich habe keine Angst, aber es beunruhigt mich."
„Aha, da haben wir es. Was beunruhigt dich denn da? Du bist doch sonst so gechillt und nicht aus der Ruhe zu bringen. Ich hätte nie gedacht, dass dich sowas aus der Fassung bringt."
„Na was glaubst du denn, was nach dem Tod passiert? Ist man dann einfach weg, oder ist man noch da? Wenn man weg geht, löst man sich in Luft auf, oder geht man dann wo anders hin? Und was ist mit den Leuten, die Geister sehen oder hören? Hören die wirklich was, oder bilden sie sich das ein? Können sie sehen, was die anderen nicht erkennen, oder sind sie einfach nur verrückt? Schweben jetzt vielleicht hunderte von Seelen um uns herum und wir sehen sie nicht? Liegt da vielleicht einer neben uns auf dem Bett und starrt uns an?"
„So viele Fragen", murmelte ich an Lukas Schulter. „Kein Wunder, dass dich das beunruhigt, wenn du dir so viele Gedanken machst."
„Ach, ich will einfach immer alles wissen. Und das sind Dinge, die sich kaum beweisen lassen und die man eben nicht sicher weiß. Wenn ich mich da hineinsteigere, macht es mich dann ein bisschen wahnsinnig."
Ich gähnte und streckte mich, dann rollte ich mich auf die andere Seite. „Und wir werden der Sache jetzt auch nicht auf den Grund kommen können. Also lass uns einfach schlafen und darauf warten, dass die Wissenschaft das irgendwann erledigt."
Lukas murmelte unzufrieden irgendetwas in sein Kissen hinein, das ich nicht verstehen konnte, dann gab er Ruhe. Allerdings nicht besonders lange. Nur ein paar Minuten später tippte er mir vorsichtig an die Schulter. „Timi? Bist du noch wach?"
„Ja..."
„Dann lass uns was machen!"
Ich drehte mich wieder in Lukas Richtung und verabschiedete mich innerlich schon einmal von dem Gedanken, heute Nacht noch Schlaf zu bekommen.
„Und was willst du machen?"
„Irgendwas witziges."
„Was ist denn witzig?", fragte ich ihn und zog mir die Decke enger um den Körper, da es in unserem Zimmer nicht besonders warm war.
„Lass uns einfach mal ein bisschen im Hotel herumgehen."
„Ich habe noch nie so sehr gelacht."
Lukas sah mich erst total ernst an, dann lachte er los. „Timi. Du bist ein total humorloser Spast, wenn du müde bist."
„Ich wäre bestimmt besser gelaunt, wenn man mich ausschlafen lassen würde", antwortete ich ihm. So langsam zog sich auch ein Grinsen um meine Mundwinkel. Auch, wenn ich todmüde war und eigentlich nur schlafen wollte, fand ich den Unternehmungsdrang von Lukas einfach viel zu süß.
Also rieb ich mir die letzten Reste des verscheuchten Schlafs aus den Augen und setzte mich auf, um ein wenig wacher zu werden.
„Okay, ist ja gut. Dann nimm mich mit und tu, was immer du tun willst."
Lukas legte einen nachdenklichen Blick auf und guckte unter meine Decke. „Also wenn wir jetzt das tun, was ich tun will, dann hätten wir jetzt wilden Sex. Aber ich befürchte, dass der Rest nicht mehr all zu lange feiern wird. Das wäre dann wohl nicht so gut."
Dann stand er auf und streifte sich seinen Hoodie über. „Oder?", setzte er nach und sah mich mit viel Hoffnung im Blick an.
Ich lachte und schwang mich ebenfalls aus dem Bett. „Nein, das wäre wohl nicht so gut. Die Tour ist bald vorbei und du kommst ja dann mit mir nach Bielefeld. Ich denke, so lange können wir uns noch zusammenreißen, bevor wir wirklich auf den letzten Drücker erwischt werden und in Erklärungsnot geraten."
„Du hast ja Recht", sagte er und grinste mich an, während er den Reißverschluss seiner Hose schloss.
Wir verließen unser Hotelzimmer und Lukas packte mich am Arm, um mich den Flur hinunter zu schleifen.
„Ich frage mich ja noch immer, was du jetzt hier mitten in der Nacht verreißen willst."
„Ich würde sagen, wir fahren jetzt erst einmal in den Keller und schauen, ob wir in die Hotelbar kommen."
Ich warf einen skeptischen Blick zur Seite. „Die ist doch jetzt geschlossen."
Lukas lachte leise. „Die Frage ist doch wohl, für wen die geschlossen ist. Vielleicht ist sie ja für uns offen."
Wie erwartet, war die Tür zur Bar geschlossen und durch die gläserne Tür konnte man sehen, dass kein einziges Licht im Inneren brannte.
„Und jetzt?"
Lukas ruckelte leicht an der Tür. „Jetzt kommt es darauf an."
„Worauf?", fragte ich und verstand nur Bahnhof.
„Du warst doch ein böser Junge früher, für den so ein kleines Schloss mit Sicherheit kein großes Hindernis dargestellt hat. Liege ich da richtig?"
Ich sah Lukas an und schüttelte grinsend mit dem Kopf. Da verlangte der kleine Spinner nun tatsächlich, dass ich die Tür zur Hotelbar knacken sollte?
So weit hergeholt war seine Vermutung jedenfalls nicht. Verschlossene Türen waren für meine damalige Clique nicht wirklich ein Problem gewesen. Einer wusste irgendwoher, wie man bestimmte Schlösser knackte und brachte das den anderen bei, und schon trieben wir uns nachts irgendwo herum, wo wir nicht sein sollten.
Wenn einer einen Test verhauen hatte, sind wir nicht selten einfach in die Schule eingebrochen, um den aus dem Lehrerzimmer verschwinden zu lassen.
Wenn wir nachts was zum Saufen gebraucht hatten und keiner hatte was da, gingen wir einfach in einen älteren Laden ohne Überwachung rein, um uns zu besorgen, was wir haben wollten.
So richtig stolz war ich darauf heute nicht, weswegen ich mich nun auch ein wenig sträubte, einfach so in die Bar einzubrechen.
„Timi, was ist los? Wenn uns jemand erwischt, bezahlen wir das Zeug, was wir trinken halt. Ist doch kein Drama. Wir haben schließlich ein Image aufrecht zu erhalten!"
„Du überraschst mich einfach immer wieder", murmelte ich grinsend und beugte mich zum Schloss runter, um es genauer zu inspizieren.
„Und?", fragte Lukas mit amüsiertem Ton in der Stimme.
„Wenn die nicht abgeschlossen wurde, brauch ich zwei Haarnadeln. Wenn die abgeschlossen haben, wovon ich doch stark ausgehe, dann kannst du das vergessen, weil man das hinterher sieht."
Lukas grinste breit und verabschiedete sich von mir, um kurz wieder nach oben ins Zimmer zu gehen.
Ich blieb im Keller und setzte mich auf ein kleines Sofa, das dort im Flur stand.
Wenig später kam Lukas wieder bei mir an und streckte mir zwei Haarnadeln entgegen.
„Wo hast du die jetzt her?"
„Die lagen im Bad bei den kostenlosen Kosmetiksachen dabei", erklärte er stolz.
Ich nahm sie mit einem mulmigen Gefühl im Bauch entgegen. Tatsächlich wurde die Tür nur zugezogen und bereits nach wenigen Sekunden sprang die Tür auf.
„Es macht mich ja schon ein bisschen heiß, wenn du so gangstermäßige Sachen machst", säuselte Lukas mir ins Ohr und über meinen Körper zog sich eine krasse Gänsehaut.
Ich lachte auf und steckte die Haarnadeln in meine Hosentasche. „Vielleicht solltest du dir einen alten Mafiaboss suchen", schlug ich ihm vor.
Lukas ging wie selbstverständlich hinter die Bar und schaltete eine sehr schwache Beleuchtung dahinter an. „Was willst du trinken?", fragte er mich und ließ seinen Blick über die unzähligen Flaschen schweifen.
Ich setzte mich ihm gegenüber auf einen Barhocker und grinste fassungslos vor mich hin. „Äh, keine Ahnung, mach mir halt irgendwas. Vielleicht schaffe ich es auch, das zu trinken, bevor man uns mit brennenden Fackeln und Heugabeln aus dem Gebäude jagt."
Lukas nahm ein Glas aus einem Regal und stellte es vor sich hin, dann griff er nach diversen Schnapsflaschen und anderem Kram. „Dass du so ein Angsthase bist..."
Erstaunlicherweise bemerkte ewig lange niemand, dass wir uns hier unten aufhielten, was mich sehr wunderte. Mittlerweile waren wir beide nämlich dank Lukas wilder Mischungen ziemlich betrunken und dementsprechend auch nicht gerade besonders leise.
„Das befriedigt mich so gar nicht", meckerte er und griff in eine Schale Erdnüsse, die er fast schon vollständig verputzt hatte.
„Hä?", fragte ich und beugte mich ein wenig zu ihm hin, wobei ich fast von meinem Barhocker fiel.
„Na die paar Nüsse da."
Ich kletterte halb über die Theke und riss das Schälchen an mich. „Na dann iss sie doch nicht."
„Ich hab aber so extrem Hunger", jammerte er etwas weinerlich vor sich hin.
Ich grinste und steckte mir den Rest der Nüsse in den Mund, auch wenn ich wusste, dass das Lukas ziemlich ungehalten werden lassen konnte. Manchmal, wenn er so richtig betrunken war, bekam er solche großen Gelüste nach Essen, dass man Angst haben musste, nicht selbst von ihm verschluckt zu werden.
„Es ist morgens um vier aber gar nicht so leicht, an Essen zu kommen. Ich fürchte, du wirst bis zum Frühstück warten müssen", sagte ich und schubste ihn an der Nase an. „Dein Näschen ist ja sowas von süß!"
„Dann machen wir uns eben selber was", rief Lukas total begeistert und stolperte um die Theke herum, um mich von meinem Hocker zu ziehen. Ich konnte mich kaum noch auf meinen Beinen halten, alles um mich herum drehte sich und einen Moment später lagen wir lachend auf dem Boden, weil es Lukas offenkundig nicht anders ging.
„Ups", gluckste er und rollte sich auf den Rücken. „Heb mich auf!"
„Ich komm doch selber nicht hoch", prustete ich und versuchte mich erfolglos, am Hocker nach oben zu ziehen. Er stürzte um und verfehlte uns nur um wenige Zentimeter.
„Du kannst uns nicht töten, Timi. Wenn halb Plan B tot in der Bar liegt, wer verdient dann Geld für den Ferrari, den Benni sich irgendwann kaufen will?"
„Wir sind ja nicht tot", sagte ich und rollte den Hocker mit dem Fuß weg, sodass er geräuschvoll gegen die Theke krachte.
„Nicht so laut, du Lauch", meinte Lukas und hielt mir mit der Hand den Mund zu.
„Alter, ich hab mit meinen Füßen Krach gemacht, nicht mit meinem Mund."
„Achso", erwiderte Lukas und hielt meinen Fuß mit beiden Händen fest.
Ich lachte und strampelte ein bisschen. „Ey, ich mach doch gar nichts mehr. Lass mich los, du Irrer!"
Lukas ließ mich los und rollte sich lachend auf die Seite. „Hilfe, ich peil grad gar nichts mehr."
Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, schafften wir es dann doch noch, wieder vom Boden hochzukommen.
„Komm schon mit", sagte Lukas und schubste mich aus der Bar raus. Die Tür zog er direkt hinter sich zu.
„Wir haben nicht aufgeräumt", protestierte ich.
„Hast du deinen Namen an die Wände geschrieben?", fragte Lukas und guckte durch das Glas der Tür.
„Äh, nein. Hätte ich das etwa tun sollen?", fragte ich und quetschte mich neben ihn. Lukas lachte nur und zog mich am Arm weiter.
Irgendwo in der Ecke des langen Flurs standen ein paar von diesen Wagen, mit denen die Koffer der Gäste manchmal durch das Hotel gefahren werden. Lukas sah einen solchen Wagen an, dann warf er mir einen Blick zu und nickte begeistert.
Er richtete sein Hemd, das ganz schön verrutscht war, gerade und stellte sich dann auf einen dieser Wagen drauf.
„Monsieur, zum Restaurant!", rief er und zeigte in den Flur hinein.
„Du bist so wahnsinnig", prustete ich und schob ihn den Korridor entlang, während ich mich fragte, ob das hier in dieser Nacht noch besser werden konnte.
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