Sag es laut
Braunschweig, 19. September 2013
„Lukas", stieß ich erschrocken aus und zog scharf die Luft ein. „Wie lange sitzt du schon hier?"
Er grinste und sah auf den Boden zwischen seinen Füßen. „Lange genug, schätze ich."
„Ähh...okay", murmelte ich zögerlich und wusste gar nicht, wo ich hingucken sollte. Ich merkte, wie mir direkt die Hitze ins Gesicht stieg und konnte förmlich spüren, wie sich meine Gesichtsfarbe in ein schönes Ampelrot verfärbte.
„Ach Timi. Sollen wir so tun, als ob ich nichts gehört hätte und es einfach ignorieren, oder sollen wir darüber reden? Was ist dir lieber?"
Ich drehte mich ganz langsam zu ihm um und schaute dann schnell wieder weg, als mein Blick direkt auf seine Augen traf. Er sah mich nämlich mit einem sehr stechenden, eindringlichen Blick an, dem man kaum standhalten konnte. Statt einer Antwort atmete ich nur tief ein und ließ die Luft ganz langsam wieder raus.
„Okay", seufzte er. „Ich fang dann einfach mal an." Zuerst griff er jedoch nach meiner Kippendose und nahm sich daraus eine Zigarette, die er anzündete und einmal tief daran zog, ehe er weitersprach. „Also, ich hab das Mädchen da drin nicht gefickt. Zum Einen, weil sie mich die ganze Zeit nur mit meinem Künstlernamen angesprochen hat und das ungefähr jedes zweite Wort war, was sie sagte. Zum Anderen, weil es sich einfach nicht richtig angefühlt hat und weil ich es nicht aus der Lust daran getan hätte, sondern einfach nur, um dich zu provozieren. Hat ja auch letztendlich geklappt, stimmts?"
Mein Mundwinkel zuckte bei dieser Nachricht leicht nach oben und es freute mich sehr, dass er die Frau nicht angefasst hatte. Ich versuchte jedoch, mir diese Freude nicht all zu sehr anmerken zu lassen. „Lukas, du bist mir doch keine Rechenschaft schuldig."
„Ich wollte es dir trotzdem sagen, weil es dir anscheinend etwas ausgemacht hat, wie ich gerade bei deinem Telefonat mit, ich schätze mal Marcel, hören konnte."
„Ja, schon irgendwie."
Lukas fuhr sich einmal durch die Haare und stützte dann sein Kinn auf seiner Hand ab. „Ich weiß einfach nicht, woran ich bei dir bin, Timi. Du verhältst dich so unfassbar widersprüchlich."
„Ich weiß selbst nicht, woran ich bei mir bin", sagte ich und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an.
„Na gut, dann sage ich dir jetzt einfach mal, wie das bei mir ist, okay?", fragte er und lächelte mich aufmunternd an.
Ich lehnte mich nun etwas entspannter an die Wand hinter mir zurück und war froh darüber, jetzt erst mal nicht reden zu müssen. Außerdem war ich unglaublich erleichtert darüber, dass er bisher überhaupt nichts Negatives bezüglich des Telefonats mit Marcel gesagt hatte. Es wäre schließlich nichts Überraschendes gewesen, wenn er deswegen sauer auf mich wäre. Schließlich hatte ich Marcel sozusagen verraten, dass Lukas und ich geknutscht hatten, ohne zu wissen, ob er überhaupt damit einverstanden war, dass es jemand erfuhr.
„Also, ich habe dir die Tage ja schon einmal gesagt, dass du mit deinem, ich nenne es jetzt einfach mal anschmachten, irgendetwas in mir geweckt hast. Und bitte, streite es jetzt nicht wieder ab. Du hast mich schon ziemlich oft auf eine Art und Weise angesehen, wie man einen Freund normalerweise nicht unbedingt ansieht. Ich schätze mal, das war auch vorher schon irgendwie in mir drin. Du weißt ja, dank meiner lockeren Zunge, die ich im betrunkenen Zustand nun mal habe, dass ein Kumpel und ich uns vor Jahren schon gegenseitig den ein oder anderen Blowjob gegeben haben. Wäre das für mich so etwas absolut unvorstellbares oder ekelhaftes oder wie auch immer man sagen will, hätte ich das ja wohl nicht getan, auch wenn es nur als reine Zweckerfüllung gedient hatte und nicht, weil jemand von uns der Meinung war, dass er irgendwie so richtig auf Männer steht. Es hat mich wirklich sehr überrascht, dass du diese Neigungen in dir hast, denn das hätte ich dir einfach niemals zugetraut. Aber ich find es ehrlich gesagt sehr schön. Auch unsere Küsse fand ich schön und ich hab sie sehr genossen. Schwul bin ich auf keinen Fall. Ich würde mich nicht mal unbedingt als bisexuell bezeichnen, weil ich mir einfach mit keinem anderen Mann was vorstellen kann."
Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette und ließ den langen Monolog von Lukas erst einmal auf mich wirken. Lukas drängelte mich nicht, irgendetwas zu sagen. Er wartete einfach ganz geduldig ab, bis ich sprach. „Was meinst du damit, dass du dir mit keinem anderen Mann etwas vorstellen kannst? Mit mir aber schon, oder wie?"
„Genau. Aber das ist es ja. Ich kann mir das auch mit dir nicht konstant die ganze Zeit über vorstellen. Ich denke, dir geht das genau so. Ich meine, einmal küssen wir uns, dann stoßen wir uns völlig schockiert voneinander weg. Einmal fressen wir uns mit Blicken auf, einmal ignorieren wir uns komplett."
Lukas ließ seinen Blick einmal über den grauen, leeren Hinterhof schweifen, rückte dann ein Stück näher an mich ran und legte mir vorsichtig und testend den Arm über die Schulter. Ich wehrte mich nicht dagegen. Auch nicht dann, als er mit seinen Lippen so nah an mein Ohr kam, dass ich seinen warmen Atem spüren konnte, als er weitersprach. „Aber das vorm Konzert und auch das auf der Bühne... das war so verdammt heiß und ich denke, ich will mehr davon."
Seine Worte jagten mir einen wohligen Schauer über den Körper und mein Herz schlug ein paar Takte schneller. Ich drehte meinen Kopf zu seinem und unsere Lippen waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. „Wie viel mehr?", flüsterte ich und sah ihm in seine schönen Augen.
Sein Atem ging ein wenig schneller und er griff mir mit einer Hand in die Haare, die andere legte er in meinen Nacken. „Darf ich dich küssen?"
Statt ihm zu antworten, beugte ich mich nach vorne und küsste ihn. Erst küssten wir uns langsam und zaghaft. Er drückte sich jedoch schnell fester an mich heran und küsste mich sehr leidenschaftlich und fordernd. Nach einer ganzen Weile löste er sich von meinen Lippen und küsste sich über mein Kinn und dann den Hals entlang, wo mit einem leisen Stöhnen kurz hinein biss.
„Lukas", flüsterte ich empört. „Das sieht man doch!"
Lukas hörte auf und lachte leise, dann drückte er mir nochmal einen Kuss auf den Mund und küsste anschließend nochmal eine Weile etwas sanfter, als zuvor, meinen Hals. Währenddessen streichelte ich locker durch seine Haare und genoss einfach nur.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen wir voneinander ab und er setzte sich wieder neben mich.
Ich seufzte und zündete mir erneut eine Zigarette an. „Ich weiß einfach auch nicht, was ich bin. Schwul nicht, bi denke ich auch nicht. Aber muss ja doch irgendwie so sein, oder?"
„Ach Timi. Vielleicht sollten wir einfach mal aufhören, in Schubladen zu denken. Warum wollen wir uns denn unbedingt einen Stempel aufdrücken, der uns als schwul oder bi oder was weiß ich bezeichnet? Können wir nicht einfach nur das machen, auf was wir Lust haben, ohne dass wir uns für irgendetwas entscheiden müssen, was wir sind oder nicht sind?"
„Na das klingt doch ganz vernünftig", sagte ich und hielt ihm meine Zigarette hin. Er nahm einen kleinen Zug und sprach dann weiter.
„Find ich auch. Ich brauche nicht unbedingt eine bestimmte Bezeichnung, um mich wohl zu fühlen. Ich weiß auch überhaupt nicht, welche ich mir da geben sollte und ich will mir auch eigentlich gar keine geben. Aber was ich weiß ist, dass ich wirklich sehr gerne ein bisschen mehr mit dir ausprobieren würde. Ich hab nämlich seit ein paar Tagen immer mal wieder sehr, sehr schmutzige Gedanken, die mich ziemlich anmachen. Ich würde wirklich gern mit dir ins Bett gehen."
Ich schluckte und sah ihn nur überrascht an. Mit einer solch deutlichen Ansage von ihm hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Lukas boxte mir leicht gegen die Schulter und fing an, zu lachen.
„Mann, Timi! Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du so verdammt schüchtern bist! Ich hatte dich in dieser Hinsicht eher als etwas dominanter und bestimmter eingeschätzt."
Ich wischte mir möglichst unauffällig den Schweiß von der Stirn und trat meine Zigarette auf dem Boden aus. „Und ich hätte nicht gedacht, dass du so extrem offen über so etwas reden kannst. Du bist oft so zurückhaltend in anderen Dingen."
„Ich denke, man bekommt nur das, was man will, wenn man es auch sagt. Das Leben ist einfach zu kurz, um darauf zu warten, dass einem die Wünsche nur rein zufällig erfüllt werden. Man sollte deshalb selbst dafür sorgen, dass man bekommt, was man braucht, findest du nicht?", fragte er mich und rutschte wieder ein Stück näher. Statt auf eine Antwort von mir zu warten, küsste er mich nochmal und massierte mit einer Hand die Innenseite meines Oberschenkels. Je höher er kam, umso heißer wurde mir und umso schneller raste mein Herz. Ich glaubte, das alleine würde schon für einen gewaltigen Orgasmus reichen, wenn er es nur lange genug machen würde.
Ich sollte es nicht in Erfahrung bringen, denn er hörte nach kurzer Zeit auf und rutschte wieder ein Stück von mir weg.
„Wir sollten jetzt aber langsam wieder zu den anderen gehen. Nicht, dass Benni wieder auf Ideen kommt", sagte er und stand dann auf.
„Ähm... doch, auf jeden Fall", sagte ich und folgte ihm mit zitterigen Knien.
Kurz bevor wir am Ende des Hinterhofs ankamen, drehte er sich nochmal zu mir um und küsste mich für einen kurzen Moment wieder.
„Timi...", sagte er und grinste.
„Lukas?"
„Wenn die Anderen nachher schlafen, solltest du wirklich mal in mein Zimmer kommen."
Dann zwinkerte er mir zu, ging um die Ecke und verschwand im Club.
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