Harte Fakten

Hamburg, im Oktober 2013

Keine fünf Minuten, nachdem Lukas in mein Kissen gemurmelt hatte, dass  er von dem Geruch, den mein Kopfkissen verströmte, sehr angetan war,  wurde die Tür aufgeworfen und ein völlig dichter Igor stolperte in den  Raum hinein.
„Na, seid ihr auch wieder da?", fragte ich und erhob mich gähnend von seinem Bett.
„Jo,hat  ein bisschen gedauert", lallte er. „Kerber hat die drei Fischbrötchen,  die er da gefressen hat, im Taxi gelassen und wir mussten dann leider  noch ein Stückchen laufen."
„Lecker.  Du kotzt jetzt aber nicht, oder? Der Geruch von Lukas hat sich endlich  gerade so verflüchtigt", sagte ich etwas ängstlich.
Igor riss sich sein Shirt vom Körper, warf es in eine Ecke und ließ sich in  sein Bett fallen. „Nee, was bezahlt ist, bleibt drin."
Nur einen kurzen Augenblick später war er dann auch schon eingeschlafen.
Etwas  ratlos stand ich nun in der Mitte des Hotelzimmers, zwischen den beiden  belegten Betten herum und wusste nicht so recht, wohin mit mir.
Ich  war froh, dass es Lukas im Schlaf gerade gut zu gehen schien und wollte  ihn nicht aus meinem Bett werfen. Wenn er aufstand, würde es ihm  bestimmt wieder schlecht werden und er müsste nochmal kotzen. Wer weiß,  ob er es dann bis ins Bad schaffen würde.
Sein  eigenes Bett in Stefans Zimmer war zwar theoretisch für mich frei, aber  ich hatte momentan keine Lust darauf, mir dann stundenlang anhören zu  müssen, was Stefan heute im Club noch alles wo rein gesteckt hatte. Ich  sollte mich vielleicht einfach zu einem der Jungs hier legen. Da war  doch nichts dabei.

Die Betten waren allerdings ziemlich schmal und nicht auf zwei Personen  ausgelegt. Igor hatte sich so breit gemacht, dass ich da auf keinen  Fall noch dazu passen würde. Bei Lukas war da schon mehr Platz, denn er  lag ganz hinten an der Wand. Zögerlich setzte ich mich auf die Bettkante  und saß einfach eine lange Zeit nur so da.
Irgendwann  drehte Lukas sich seufzend zur Seite und lag nun mittig auf der  Matratze. Dabei war sein Arm von ihm heruntergerutscht und seine  Fingerspitzen berührten leicht meinen Oberschenkel.
Da  ich mittlerweile todmüde war und einfach nur noch schlafen wollte,  musste jetzt endlich mal eine Entscheidung gefällt werden.
Warum stellte ich mich denn gerade so an?
Ich  hatte schließlich schon so oft mit Lukas in einem Bett geschlafen. Die  Betten waren zwar größer gewesen, aber es war ja auch nicht so, dass wir  uns nicht sowieso ständig irgendwie zum Spaß berühren würden.
Langsam  und vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, legte ich mich also neben ihn  und rollte ihn an der Schulter zur Seite, damit ich etwas mehr Platz  haben würde.




Mit  geschlossenen Augen genieße ich die angenehme Wärme um mich herum. Die  Sonne scheint auf meine nackte Haut und ich fühle mich gerade sehr  geborgen. So könnte das Leben doch immer sein. Ich rutsche ein Stück  nach hinten und schmiege mich somit noch enger an den schönen Körper  hinter mir heran.
Ich  seufze leise, als ich spüre, wie eine Hand beginnt, sanft meinen Nacken  zu liebkosen. Mein ganzer Körper fängt an, zu prickeln und ich bekomme  überall eine Gänsehaut. So ein schönes Gefühl...
Die  großen, sanften Hände gehen bald weiter auf Wanderschaft und bahnen  sich ihren Weg über meine Schultern, meine Arme und meinen Rücken.
Ich  rolle mich über das weiche Gras unter mir und drehe mich mit immer noch  geschlossenen Augen zu der Person um, die hinter mir liegt.
Kaum  sind unsere Gesichter sich gegenüber, zieht mich die Person zu einem  zärtlichen Kuss heran, der ein wahres Feuerwerk in meinen Bauch  entzündet.
Hätte das Leben eine Pause-Taste, so hätte ich sie jetzt gedrückt und die Fernbedienung verbrannt.
Als  sich eine Hand der Person zielsicher zu meinem Hosenbund bewegt, öffne  ich lächelnd die Augen und blicke in das Gesicht von Lukas. Meinem  Lukas.



Ich schreckte aus meinem Schlaf hoch und zog scharf die Luft ein.
Igor lag immer noch schnarchend in seinem Bett, aber von Lukas war nichts  mehr zu sehen oder zu hören. Auch in unserem Bad brannte kein Licht,  daher nahm ich an, dass er wach geworden war und sich in sein eigenes  Bett begeben hatte.
Was  war gerade passiert? Hatte er mich vielleicht gerade angefasst, als ich  geschlafen habe und ist dann geflüchtet? Oder schlimmer noch, hatte ich  ihn angefasst und er war deshalb abgehauen?
Völlig  verwirrt wegen meinem Traum setzte ich mich langsam auf und sah mich  um. Es konnte noch nicht besonders spät sein, denn draußen war es noch  leicht nebelig und noch nicht so richtig hell.
Ich  hatte also mal wieder einen Traum von Lukas. Mit erotischem Inhalt. Ich  wollte das nicht. Ich verlor so langsam den Verstand...
Wütend  warf ich die Decke neben mich und starrte auf meinen steifen Penis.  „Was willst du mir damit sagen, du Idiot?", fauchte ich in seine  Richtung.

Igor stöhnte und setzte sich auf. „Hä?"
„Ich habs nicht mit dir!", blaffte ich, ging ins Badezimmer und schlug die Tür hinter mir zu.
Ich  riss mir grob alle meine Klamotten vom Körper, stellte mich unter die  Dusche und stellte das Wasser so kalt wie möglich ein, um mir all die  Hitze und all das ungewollte Verlangen vom Körper zu spülen. Hätte ich  meinen Penis jetzt auch nur gestreift, wäre ich wahrscheinlich sofort  explodiert, aber das konnte ich nicht zulassen. Nicht aus diesen  Gründen. Das musste aufhören. Und zwar bald. Ich war nicht schwul, ich  war nicht bisexuell und ich wollte auch niemals etwas davon werden. So  einer war ich einfach nicht!

Als ich fertig geduscht war und frische Klamotten anhatte, nahm ich mein  Handy und meine Kippen und verzog mich damit auf eine Bank vor dem  Hotel. Ich musste darüber jetzt ganz dringend mit jemandem reden. Ich  wählte die Nummer meines besten Freundes Marcel und hoffte, dass er  schon wach war. Ihm würde ich das anvertrauen können.
Erst beim achten Klingeln hob er endlich ab.

„Timi...", gähnte er in den Hörer.
„Oh, habe ich dich etwa geweckt?"
„Ich habe heute frei", seufzte er.
„Tut mir Leid, aber ich muss dir ganz dringend etwas sagen."
„Na, ich hoffe doch, dass es dringend ist, wenn du mich schon aus meinen süßen Träumen reißt."
„Träume...", murmelte ich und zündete eine Zigarette an.
„Ähm ja, Träume. Die hat man manchmal, wenn man schläft", sagte Marcel und gähnte erneut.
„Ich...ich...ähm...ja...hab...auch manchmal...Träume", stotterte ich leise in mein Handy.
Marcel lachte laut auf. „Ach nee, sag bloß! Sag mal Timi, bist du gerade drauf?"
„Nein, bin ich nicht."
„Na dann erzähl doch endlich mal", drängelte Marcel etwas zu ungeduldig.
„Mhm... Lukas...", stotterte ich weiter.
„Lukas träumt auch manchmal, oder was soll mir das sagen?"
„Ich..."
„Ja?"
„Mann Marcel, ich träume von Lukas."
„Ich träume auch manchmal von dir, na und?"
Ich seufzte tief, schnippste meine Zigarette weg und zündete mir direkt noch eine an.
„Träumst du manchmal auch, dass ich dir deinen Schwanz lutsche?"
Marcel hustete und sagte erst einmal nichts.
„Bist du noch dran?"
„Ähh ja. Also jetzt bin ich definitiv wach. Was?"
„Ja verdammt", stieß ich aus und sah mich panisch um. Nicht dass noch jemand mein Telefonat mithörte...
„Ich  träume manchmal so was. Ich habe geträumt, dass ich ihn während einem  Konzert auf der Bühne küsse. Vor allen Anderen, vor den Fans, vor den  Fotografen. Ich träume manchmal, dass ich... mit ihm zusammen bin... ich  weiß manchmal im Traum, dass ich ihn... liebe."
„Und, liebst du ihn?", fragte Marcel interessiert.
„Nein!", rief geschockt.
„Sicher?"
„Ja verdammt! Ich steh auf Frauen!"
„Naja,  Träume sind ja nur unterbewusste Botschaften und haben nur selten  wirklich auch das zu bedeuten, was man da träumt. Das sind bloß Symbole  für irgendetwas Anderes. Keine Ahnung, so genau kenne ich mich da auch  nicht aus."
„Ich weiß."
„Mach  dir nicht so viele Gedanken. Wenn du weißt, dass du nicht schwul bist  und wenn du weißt, dass du nicht in ihn verliebt bist, ist doch alles  gut."
„Ach Marcel..."
„Aber ich verstehe, dass dich das verwirren muss."
„Mh  okay, alles klar. Ich leg dann mal wieder auf. Danke!", sagte ich, als  ich Benni vorm Hotel stehen sah, der mich ungeduldig herbei winkte.

„Tim, da bist du ja. Komm mit, ich verhungere gleich", meinte er und zog mich mit sich in den Frühstücksraum des Hotels.
„Du kannst jetzt schon wieder was essen? Nachdem du drei fettige Fischbrötchen ins Taxi gereihert hast?"
„Klar, der Magen ist doch jetzt wieder leer", antwortete er völlig verständnislos.

Stefan und Igor saßen schon am Tisch, als ich mich mit Benni dazu setzte.
„Wo...ist denn Lukas?", fragte ich so unauffällig wie möglich.
„Der kommt gleich", antwortete Stefan schmatzend. „Duscht noch."
„Was  wollen wir denn heute machen?", fragte Benni und nahm sich  unverschämterweise gleich auf einmal die beiden letzten Croissants aus  dem Brotkörbchen.
„Danke, ich wollte nichts", seufzte ich kopfschüttelnd.
Genervt  stöhnend nahm er eines davon und legte es mir mit einem so  sehnsüchtigen Blick auf den Teller, als würde er gerade seine große  Liebe am Bahnhof verabschieden.
„Lasst uns doch mal in nen Strip-Club gehen", schlug Stefan begeistert vor. Jetzt lag es an mir, genervt zu stöhnen.
„Wir könnten aber vielleicht auch mal etwas Kulturelles machen."
„Hört  sich nicht schlecht an", sagte Lukas, der gerade unbemerkt gegenüber  von mir Platz genommen hatte. „Danke, dass du dich heute Nacht  anscheinend um mich gekümmert hast, Timi."

Wenn ich doch nur wüsste, wie sehr ich mich um ihn gekümmert habe. Aber es wird schon nichts gewesen sein, sonst würde er doch was sagen. Oder?

„Wo warst du denn heute Morgen auf einmal?"
Mir  entging nicht, dass er sich irgendwie ertappt fühlen musste. „Ach ähm,  ich hatte totale Kopfschmerzen und dann ähm bin ich in mein Zimmer  gegangen, um mir eine Tablette zu holen. Und dann war ich ja schon mal  dort und bin in meinem Bett geblieben, weil... es war ja doch ein  bisschen eng."
Benni lachte und stieß Lukas an die Schulter. „Du bist ähm auch noch nicht ähm so richtig unter uns ähm."
Lukas  sah erst ihn grinsend an und dann mich. Mir kamen direkt wieder ein  paar Bilder von meinen verschiedenen Träumen in den Kopf und ich grinste  ihn ebenfalls etwas unsicher an, während ich nach meinem Kaffee griff.  Als er sich dann leicht auf die Unterlippe biss, rutschte mir die Tasse  aus der Hand und landete auf Stefans Schoß.
„Verdammt,  das war die Hose, in der mein Arsch am geilsten aussieht", meckerte er  und wischte sich mit einer Serviette im Schritt herum.
„Tut mir Leid, Stefan", sagte ich entschuldigend.
„Jaja..."
„War echt keine Absicht", stotterte ich.

Als Stefan sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, hob ich meinen Blick  und sah wieder zu Lukas rüber. Dieser schob sich gerade sehr langsam  und genussvoll eine Banane in den Mund und sah mir dabei direkt in die  Augen. Das war nun echt zu viel. Ich stand ruckartig auf, sagte kein  Wort und ließ meine verwirrten Freunde im Frühstücksraum zurück.
„Was  war das denn?" hörte ich Igor noch in die Runde fragen, bevor ich die  Tür hinter mir zuknallte und für den Rest des Tages verschwand.

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