Kapitel 4

Gedankenverloren machte ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle, als ich eine mir gut vertraute Stimme hinter mir hörte.

„Vera? Vera, verdammt, jetzt warte doch endlich!"

Sofort blieb ich stehen und meine beste Freundin Lina kam nach Luft schnappend neben mir zum Stillstand.

„WARUM HAST DU DENN NICHT AUF MICH GEWARTET?", rief sie zwischen zwei gierigen Atemzügen. „Ich musste den ganzen scheiß Weg hierher rennen, um zu dir aufzuschließen!"

Schuldbewusst blickte ich zu Boden.

Sofort wurde Linas Miene ernst. „Ist alles okay?", erkundigte sie sich unsicher.

Ich atmete einmal tief durch und grinste sie dann an. „Klar, sorry, ich war nur irgendwie etwas durch den Wind."

Lina schien etwas weniger besorgt, aber noch nicht vollkommen überzeugt. „Sicher? War irgendwas in Bio?"

Ich musste kurz auflachen. Im Nachhinein war mein Gespräch mit Minou vollkommen lächerlich.

Ich grinste Lina schelmisch an. „Rate mal, wer den Hauptpreis gezogen hat und das nächste große Projekt mit Minou Eriks bearbeiten darf?"

Ich sah die Anspannung aus Linas Gesicht weichen. „Melissa Lords beste Freundin, das ist echt übel", sagte sie lachend.

„Jap", ich grinste schief. „Kann man wohl so sagen."

Wir machten uns wieder auf den Weg Richtung Bushaltestelle, während wir unser Gespräch fortsetzten.

„Dann machst du das Projekt allein?", erkundigte Lina sich neugierig.

„Ich wünschte!", rief ich und kassierte einen fragenden Blick von meiner besten Freundin.

„Ich habe es ihr angeboten, aber aus irgendeinem Grund will sie unbedingt mitmachen!", erklärte ich aufgebracht.

Lina runzelte die Stirn. „Warum das denn?"

Ich warf die Hände in die Luft. „Was weiß ich!"

Mittlerweile waren wir an dem kleinen Unterschlupf für die auf den Bus wartenden Menschen angekommen und stellten uns neben eine gestresst wirkende Mutter mit einem Kinderwagen.

„Und trefft ihr euch jetzt, oder wie?", bohrte Lina weiter nach. Ich nickte.

„Sie kommt Mittwoch vorbei."

„Du Arme tust mir echt leid", sie lachte und tätschelte mir mitfühlend die Schulter. „Aber du wirst schon irgendwie mit ihr fertig werden."

Leider besaß ich den Optimismus meiner besten Freundin nach dem Gespräch mit Minou vorhin nicht mehr. Das ich beim Kommunizieren mit quasi fremden Leuten nicht die Beste war, wusste ich bereits, doch normalerweise gelang es mir in solchen Situationen ganz gut, durch Sarkasmus die Oberhand zu gewinnen.

Aber aus irgendeinem Grund war ich nicht bereit, meine Sorge mit Lina zu teilen, was recht ungewöhnlich war, da wir uns normalerweise nie etwas verschwiegen. Ich schob es darauf, nicht zugeben zu wollen, wie dämlich ich reagiert hatte.

Für Lina schien das Thema bereits vom Tisch zu sein und sie begann wieder munter von irgendwelchen romantischen Beziehungen zwischen mir nur flüchtig bekannten Mitschülern zu berichten.

Ich persönlich finde das ganze Thema „Romantik" und alles was dazu gehört albern, doch Lina schien es glücklich zu machen, über die verkorksten Erlebnisse unserer Mitschüler zu erzählen. Bisher hatte sie zwar selbst, genau wie ich, noch nie eine richtige Beziehung gehabt, doch hatte sie mir einmal im Vertrauen gesteckt, wie unglaublich gerne sie einen festen Freund hätte.

Etwas, das mich nicht besonders ansprach, aber ich habe damals dennoch versucht, Mitleid zu heucheln, schließlich bin ich ja eine gute beste Freundin. Meiner Meinung nach werden feste Freunde ja überbewertet, aber was weiß ich schon.

Ich überlegte, ob Lina im Moment immer noch auf Levi Möllners oder doch wieder auf Moritz Wilberg stand, traute mich jedoch nicht, nachzufragen, aus Sorge, sie könnte mir mal wieder einen elenlangen Vortrag darüber halten, dass ich als ihre beste Freundin über so etwas gefälligst Bescheid zu wissen haben sollte.

Ich sah aus dem Fenster und beobachtete die vorbeiziehenden Häuser und sofort schoss mir wieder die Frage in den Kopf, warum Minou mich das Projekt nicht allein machen lassen wollte. Ich beschloss, sie am Mittwoch darauf anzusprechen. Vielleicht.

Lina stupste mich an. „Hey, kannst du nicht wenigstens so tun, als würde das, was ich erzähle, dich interessieren, V?" Sie lachte und auch ich musste grinsen.

Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und seufzte auf. „Lass dir den heutigen Tag nicht von irgend so einem dummen Schulprojekt versauen. Dafür haben wir das hier schon viel zu lange geplant!"

Ich nickte und setzte eine entschlossene Miene auf. „Du hast recht!", sagte ich laut, vermutlich mehr zu mir selbst als zu ihr.

Auch wenn wir nur einen kleinen Serienmarathon Veranstalten wollten, hatte sich das Ganze im Laufe der Zeit für uns zu etwas wirklich Besonderem aufgebaut, da wir ihn mehrmals hatten verschieben müssen.

Als der Bus endlich hielt, sprang Lina auf und zog mich den Rest des Weges bis zu unserem Haus mit sich. Ich kramte meinen Schlüsselbund hervor, um die Tür aufzuschließen und als ich sah, dass Lina neben mir vor Vorfreude förmlich strahlte, ließ ich mich von ihrer guten Laune anstecken und beschloss, Minou endgültig aus meinen Gedanken zu verbannen.

Lina stürmte die Treppe hoch in mein Zimmer und als auch ich endlich in meinen eigenen vier Wänden angekommen war, hatte sie meinen Laptop bereits hochgefahren.

„Also, was gucken wir?", ihre Augen strahlten und ich musste lachen. „Chill, es ist nur Netflix."

Lina sah mich enttäuscht an und ich fühlte mich augenblicklich schlecht. Darin, anderen ein schlechtes Gewissen zu bescheren, war Lina eine wahre Meisterin.

Das Logo des Streamingdienstes erschien und ich wurde aufgefordert, mein Profil auszuwählen. Sobald ich damit fertig war, schubste Lina mich zur Seite und übernahm die Kontrolle über die Tastatur.

„Also?", hakte sie weiter nach. „Ist heute eher ein Aktion- oder Komödien-Tag? Oder worauf hast du sonst Lust?"

Ich zuckte mit den Schultern und Lina stieß einen genervten Ton aus. Gemeinsam durchstöberten wir die Empfehlungen.

„Jesus Christus, Minou macht dir echt zu schaffen, was?", fragte Lina irgendwann. „Du bist überhaupt nicht bei der Sache!"

„Tut mir leid ...", sagte ich. Und das tat es wirklich.

Lina klappte theatralisch den Laptop zu und drehte sich dann zu mir um. „Ich mag Minou ja auch nicht, wirklich nicht, dass kannst du mir glauben, Vera, aber ist es denn wirklich so schlimm einmal mit ihr zusammen zu arbeiten?"

Ich starrte meine beste Freundin wütend an. „Ja, ist es."

Lina legte mir eine Hand auf die Schulter, doch im Gegensatz zu Minou waren ihre Finger warm und ihr Griff sanft. „Machst du dir Sorgen wegen Melissa?"

Ich zuckte mit den Schultern, bisher hatte ich mir noch gar nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, dass ich möglicherweise ins Fadenkreuz von Minous Freundin geraten könnte. Dann schüttelte ich den Kopf. „Eigentlich will ich nur keine Zeit mit solchen Menschen verbringen ..."

„Hmm", machte Lina. „Du solltest aber trotzdem vorsichtig sein, Vera. Hast du mitbekommen, wie sie Antonia neulich fertig gemacht hat, nur weil die das gleiche Outfit getragen hat wie sie?", fuhr sie fort.

„Ja", bestätigte ich, „das war ganz schön heftig." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mir das Gespräch nicht wirklich half, sondern meine Sorgen eher noch vergrößerte. Auch Lina schien dies zu bemerken und klappte den Laptop wieder auf. Sie drehte den Bildschirm so, dass ich alles gut sehen konnte und grinste mich dann an.

„Wenn du in den nächsten dreißig Sekunden keinen Vorschlag machst, dann entscheide ich!"

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