Kapitel 30

Als ich mir sicher war, dass die drei verschwunden waren, stolperte ich aus der Mädchentoilette raus und weiter über den Schulhof. Es interessierte mich nicht, dass mein Rucksack vermutlich immer noch oben im Deutschraum stand, oder dass ich eigentlich in der dritten Stunde einen Physiktest schreiben würde. Ich wollte einfach nur noch nach Hause.

Wie in Trance schlich ich zur nächsten Haltestelle und wartete auf den Bus, der mich von diesem schrecklichen Ort wegbringen würde.


Zuhause angekommen ließ ich mich ohne umschweife in mein Bett fallen, vergrub mich bis zum Hals unter einem Berg aus Decken und starrte die Wand an.

Ich musste wohl irgendwann eingeschlafen sein, denn ich schreckte hoch, als mich die Stimme meiner Mutter weckte.

„Vera? Was machst du denn schon hier? Ist alles gut?", sie saß auf der Bettkante und sah mich besorgt an. Ich starrte mit leeren Augen zurück.

„Ich fühl mich nicht so gut", gestand ich.

Ihre Miene wurde noch einen Tacken alarmierter. „Was ist denn passiert?"

Ich schaute weg. „Nichts, ich fühl mich einfach nur etwas unwohl."

„Du musst mir schon sagen, was los ist, damit ich dir helfen kann", ihre Stimme wurde ein wenig ungeduldig. Vermutlich meinte sie es nur gut, doch in dem Augenblick machte es mich wirklich wütend.

„Ich sagte, es ist nichts!", fuhr ich sie an und nun wurde auch ihr Gesichtsausdruck ernst.

„Vera, nicht in diesem Tonfall!"

„Lass mich doch einfach in Ruhe!", meine Stimme zitterte und ihre Miene wurde augenblicklich weicher. Sie wollte mir über den Kopf streichen, doch ich wich aus und sie seufzte leise.

„Ich hohl dir mal ein Glas Wasser", verkündete sie und verließ den Raum. Ich sagte nichts.

Die nächsten Stunden waren ein sich immer wiederholender Kreislauf daraus, dass meine Mutter und später auch mein Vater reinkamen, versuchten, mich zum Reden zu bringen, mich aufforderten, irgendwas zu essen oder zu trinken zu mir zu nehmen und dann mit einem Seufzen aufgaben und den Raum verließen. Ich fühlte mich wie ein bockiges Kleinkind, aber ich wollte einfach nicht mehr.


Um sechszehnuhrsiebenundzwanzig klopfte es erneut.

„Lasst mich bitte in Ruhe. Ich habe euch doch schon gesagt, dass ich nicht mit euch reden will", ich brach beinahe in Tränen aus.

„Autsch", hörte ich eine mir bekannte Stimme hinter der Tür.

Ich richtete mich auf. „Simon?", fragte ich zögerlich.

„Kann ich reinkommen?"

Ich nickte leicht, dann fiel mir jedoch auf, dass er das ja nicht sehen konnte. „Okay", sagte ich leise und augenblicklich würde die Tür geöffnet und er trat ein.

„Hier", Simon stellte meinen Rucksack in eine der Ecken. „Ich dachte, du willst den vielleicht wiederhaben."

„Danke", flüsterte ich und er schloss die Tür vorsichtig hinter sich und setzte sich dann zu mir auf mein Bett.

„Und jetzt erzählst du mir, was los ist", verlangte er.

Ich zupfte an meiner Bettdecke rum. „Es ist nichts."

Er starrte mich wütend an. „Sag mir augenblicklich, was los ist, oder ich rufe Minou an."

Ich riss die Augen auf. „Woher weißt du, dass es um sie geht?!"

Er grinst. „Dann hatte ich also recht. So, und jetzt, wo der Anfang schon mal gemacht ist, kannst du mir auch gleich den Rest erzählen."

Ich trat ihn mit einem meiner von Decken umwickelten Beinen gegen den Oberschenkel. „Idiot."

Er lächelte schelmisch. „Los, oder ich ruf sie wirklich an."

„Du hast nicht mal ihre Nummer", schmollte ich.

Sein Lächeln wurde noch ein Stück breiter. „Nein, aber du hast sie. Und ich habe den Code von deinem Handy."

Ich trat ihn erneut und er stand auf und setzte sich direkt neben mich. „Los jetzt", verlangte er und wuschelte mir durch die Haare. Ich seufzte.

„Ich habe dir letztes Mal nicht die ganze Wahrheit gesagt", gestand ich ihm dann. Er grinst. „Ich weiß."

Ich streckte ihm die Zunge raus. Dann fuhr ich fort: „Ich war mit Minou Minigolfspielen."

„Du hasst Minigolf", unterbrach er mich erneut.

„Willst du die Story jetzt hören oder nicht?", ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an und er grinste wieder. „Bin ja schon still."

„Naja, wir waren danach noch in einem Café und es war eigentlich alles gut."

Ich machte eine kurze Pause und sah in sein erwartungsvolles Gesicht. Jetzt hätte ich mir fast gewünscht, er würde mich wieder unterbrechen. Aber er schwieg, also fuhr ich fort.

„Irgendwann ist draußen ein Typ aufgetaucht, den Minou wohl irgendwie zu kennen schien. Sie ist jedenfalls direkt abgehauen, als würde sie nicht wollen, dass er sie sieht oder so. Danach war sie plötzlich wie ausgewechselt. Eigentlich wollte sie es ihren Eltern sagen, also dass sie bi ist, sie wollte sogar, dass ich dabei bin. Ich glaube sogar, sie wollte es auch Melissa und so sagen. Aber zack, von einem auf den anderen Moment hat sie es sich anders überlegt. Und heute in der Schule ..."

Ich atmete einmal tief durch, als ich bemerkte, dass ich die ganze Geschichte erzählt hatte, ohne einmal Luft zu holen.

„... hat Tristan gefragt, ob wir zusammen sind. Und sie meinte so ‚Ne, auf keinen Fall' und dass sie keine Mädchen daten würde. Und dann hat Bianca rumerzählt, ich würde auf sie stehen und sie hätte mich gekorbt." Meine Unterlippe zitterte.

„Oh", machte Simon leise.

„Sie meinte dann, dass würde nicht stimmen."

Seien Miene hellte sich etwas auf. „Hey, aber dann ist ja vielleicht doch noch nicht Hopfen und Mals verloren!"

Ich sah ihn mit großen traurigen Augen an. „Ich habe gehört, wie sie gesagt hat, sie fände die Vorstellung mich zu daten ekelhaft." Meine Stimme war leise, da ich immer noch krampfhaft versuchte, die Tränen zurückzuhalten.

Simon zog scharf die Luft ein. „Das ist hart."

Ich ließ mich gegen seine Schulter sinken und vergrub das Gesicht in dem Stoff seines Hoodies. Er strich mir wieder über den Kopf.

„Was musst du dich auch immer in solche Situationen bringen, Vera", sein Tonfall verriet, dass er es nicht ernst meinte und ich musste zaghaft lächeln. Ich befreite meinen Kopf aus seinem Pullover.

„Jetzt ist er nass", sagte ich und deutete auf die dunkle Stelle in dem Stoff. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wirklich angefangen hatte zu weinen.

„Nicht so schlimm", er lächelte mich aufmunternd an. „Und guck, wenn sie sowas sagt, ist sie eh nicht die richtige gewesen. Du findest eine bessere."

Ich will aber keine bessere, ich will Minou.

Doch ich kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn in dem Moment wurde die Tür meines Zimmers aufgerissen und ich hörte einen lauten Schrei.

Er stammte von Lina, die im Türrahmen stand und mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.

„Oh mein Gott, Veve! Ist alles okay? Simon meinte, Oliver hätte ihm erzählt, du wärst aus deinem Deutschkurs geflohen und er würde sich auf den Weg zu dir machen. Ich bin so schnell wie möglich hergekommen!", kreischte sie und sprang vor uns auf mein Bett.

Ich musste lächeln, als ich sah, wie aufgebracht sie war. Sie griff nach meiner Hand und sah mich aus großen Augen an. „Was ist denn los?"

Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich ihr absolut gar nichts von allem erzählt hatte. Ich bekam fast schon ein schlechtes Gewissen deswegen. Simon sah mich fragend an und ich nickte ihm zu, ich wollte es ihr erzählen.

Ich drehte mich wieder zu Lina, atmete einmal tief durch und lächelte sie dann vorsichtig an. „Bitte raste jetzt nicht aus, Lina, aber ich sollte dir vermutlich etwas gestehen."

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