Kapitel 28
Mein Schuh war nass und ich froh erbärmlich, als ich am Montagmorgen auf dem Schulhof stand. Der Busfahrer hatte nämlich genau so geparkt, dass sich vor der Tür eine riesige matschige Pfütze befand, in die ich natürlich genau reingelatscht war.
Es war erst sieben Uhr dreißig und eine Stimmung war bereits im Keller.
„Vera", eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich drehte mich um.
„Hey Simon."
Er musterte mich kurz und hob dann fragend eine Augenbraue. „Sag mal, ist alles okay?"
Ich sah schnell weg, da es mir einfach unmöglich war, ihm in die Augen zu schauen. „Ja, alles gut."
Simon ließ mich los und seufzte enttäuscht. „Wenn du es sagst."
Mit viel Mühe schaffte ich es, ihn anzulächeln. „Wirklich. Mein Schuh ist nur nass geworden."
Er betrachtete meinen Sneaker, um den sich bereits eine kleine Lache gebildet hatte und nickte dann langsam. „Okay."
Plötzlich erhellte sich seine Miene schlagartig und er zeigte zum anderen Ende des Schulhofs. „Hey, dahinten ist Minou!"
Ich fuhr herum, um in die Richtung, in die er zeigte, sehen zu können. Er hatte recht. Fuck.
Plötzlich grinste Simon noch breiter und eine blonde Strähne fiel ihm in die schelmisch blitzenden Augen. „Können wir hingehen? Bitte."
„Nein", rief ich schnell mit lauter Stimme. Vielleicht etwas zu schnell. Mit einer vielleicht zu alarmierend klingenden Stimme.
Simon wirkte verwirrt. „Wieso denn nicht? Ich dachte, ihr seid jetzt zusammen ..."
„Ja, nein, also ja sind wir. Wirklich!", stammelte ich und ärgerte mich augenblicklich darüber, ihm doch nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Wie sollte ich ihm jetzt noch erklären, dass ich erstmal mit ihr allein sprechen wollte?
„Aber?", hakte Simon nach.
„Wir sind ... noch nicht offiziell. Du weißt schon. ‚Whoa zwei Mädchen' und so. Genau und darum ehm gehen wir gerade eben mal nicht rüber."
Das ist sogar nicht mal wirklich gelogen, versuchte ich mein Gewissen zu beruhigen.
„Oh, stimmt, daran habe ich nicht gedacht, sorry Vera", es schien ihm wirklich zu bedrücken und das tat mir irgendwie leid.
„Alles gut", beeilte ich mich zu sagen und griff nach meinem Rucksack. „Ich geh aber trotzdem gleich mal zu ihr rüber, ich kann schließlich immer noch das Bioprojekt vorschieben."
Er nickte verständnisvoll. „Ja klar, kein Problem. Ich gehe dann wohl mal Lina suchen."
Ich lächelte dankbar und machte mich auf den Weg zu Minou. Doch mit jedem Meter, den ich zurücklegte, wurde ich nervöser.
Okay, du kannst das, versuchte ich mir selbst Mut zuzusprechen. Was sollte auch schon passieren? Einfach einen Schritt vor den anderen setzten.
Als ich nur noch einen Meter von ihr entfernt stand, räusperte ich mich. Minou drehte sich um.
„Hey", sagte ich. Einsilbig war gut, dann konnte meine Stimme wenigstens nicht zittern.
„Oh, hey Vera."
Wieso musste sie nur so emotionslos klingen?
„Alles okay bei dir?", erkundigte ich mich und sah, dass Rick und die anderen, die um sie herumstanden, mich musterten. Wenigstens war Melissa nicht dabei.
„Ja, alles gut."
Es entstand eine Pause. Eine viel zu lange Pause.
Nach einigen Momenten, die unangenehmer waren, als der schrecklichste Zahnarztbesuch, den man sich vorstellen konnte, räusperte sich Henrik und auf der Stelle richtete sich sämtliche Aufmerksamkeit der Gruppe auf ihn. Kurz blickte er unsicher von einem zum anderen, als hätte er sich noch nicht ganz entschieden, ob er das, was er sagen wollte, uns nicht doch lieber verschweigen sollte.
Er holte tief Luft.
„Läuft da jetzt eigentlich was zwischen euch?", platzte er schließlich heraus. Ich riss die Augen auf und spürte, wie Minou mir energisch gegen den Fuß trat. Ich sah von Henrik zu den anderen und ein kurzer Blick in ihre Gesichter zeigte mir, dass sie sich alle dieselbe Frage gestellt hatten.
Ich erwartete erneut eine Art Schweigen, doch Minou fing an zu lachen. „Oh Gott, nein. Sorry, aber echt nicht."
Es fühlte sich an, als würde sich ein Dorn in mein Herz bohren. Als wäre ich die kleine Nachtigall aus Oscar Wildes berühmter Kurzgeschichte.
„Okay", Henrik zuckte mit den Schultern. „Wollte nur gefragt haben."
„Alles gut", Minou lachte wieder. „Aber ich bevorzuge immer noch Jungen."
Eine Welle unzähliger Gefühle überrollte mich. Ich musste hier weg – und zwar schnell.
„Ja", sagte ich und wollte mich umdrehen, um zu flüchten, doch Minou griff nach meinem Handgelenk.
Innerhalb weniger Millisekunden schlug meine Enttäuschung in Wut um und ich starrte ihr tief in die Augen. „Was ist?"
Ein kurzes Flackern huschte über das durchdringende Braun ihrer Iris. Die winzigen goldenen Flecken, die sich nur zeigten, wenn helles Licht hineinfiel, schienen nervös hin und her zu tanzen. Sie antwortete nicht.
„Was willst du noch?", zischte ich. Ich hörte, wie sie schluckte. Sie öffnete den Mund - langsam. Ich wusste, jetzt würde sich alles entscheiden.
„Wann müssen wir eigentlich Bio abgeben?"
Ich riss mich von ihr los, drehte mich um und rannte davon. Im Hintergrund hörte ich irgendjemanden lachen.
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