Eis ~ #Kostory
Gelangweilt betrachtete ich über die Theke hinweg die Straße, die momentan so belebt war, wie sonst nie im Jahr und wartete darauf, dass die nächste Kundschaft kommen würde.
Es waren Sommerferien, was für andere Schüler bedeutete, sich zu entspannen, mit Freunden zu treffen und in den Urlaub zu fahren, für mich jedoch genau das Gegenteil.
Seit meine Eltern vor zwölf Jahren beschlossen hatten, mit ihrem fünfjährigen Sohn aus Deutschland wegzuziehen und stattdessen die kleine Eisdiele an der Französischen Atlantikküste gekauft hatten, lebte ich hier in einem Dorf, das mehr Ferienwohnungen als normale Häuser und im Winter mehr Streunerkatzen als Einwohner hatte.
Wenn es jetzt, in der Hochsaison, rappelvoll hier war und der Dorfkern, an dem unsere Eisdiele stand (und ansonsten mit drei Restaurants, einem winzigen Supermarkt und zwei Touristenläden auch jedes andere Geschäft des Dorfes) belebt war, so war es im Winter ganz anders. Wenn man im Winter aus dem Fenster sah und nicht gerade zufällig einer der genau zweiundfünzig Bewohner des Dorfes (wovon ich der einzige zwischen dreizehn und achtundzwanzig war und meine beiden Schwestern mit zwölf und dreizehn Jahren fast die Hälfte der fünf Kinder - wozu ich mich mit siebzehn ganz eindeutig nicht mehr zählte - ausmachten) sich zufällig auf die Straße gewagt hatte, dann sah man nichts außer leere Straßen, unbewohnte Häuser und geschlossene Läden.
Natürlich war es toll, nur hundert Meter vom Meer entfernt zu wohnen, aber trotzdem hätte ich, wenn ich dir Wahl gehabt hätte, die nächste Stadt, 35 km von hier, dem hier vorgezogen. Hier fuhr zwei Mal am Tag ein Bus, morgens um sieben und abends um fünf. Zur Schule fuhr ich jeden Tag eine Stunde. Das Problem dabei war vor allem, dass meine Freunde alle weiter weg von hier wohnten und in den Ferien, wo ich jeden Tag zumindest ein paar Stunden um Laden aushelfen musste, bedeutete das im Klartext, dass ich sie nicht sehen konnte.
»Bonjour«
Ich sah auf. Vor der Theke stand ein Junge, etwa in meinem Alter, mit dunklen Haaren und leicht gebräunter Haut in Badehosen, oberkörperfrei. Mein Blick wanderte automatisch zu dem metallenen Brustpiercing und unbewusst biss ich mir auf die Lippe.
Es war normal, dass viele Touristen hier oben ohne herumliefen, oder die Frauen in Bikinioberteilen, schließlich waren es nur gute hundert Meter weiter, die Dünen hinauf und man stand am Strand. Aber kaum einer sah dabei so gut aus, wie dieser Junge und war noch dazu in meinem Alter.
»Hi.«
Ich versuchte ein Grinsen, das hoffentlich nicht allzu doof aussah.
»Äääh ... Deux boule ...«, er stockte, »chocolat e citron? S'il vous plaît.«
Man merkte, dass seine Französichkenntnisse sich auf das Nachsagen der Schilder, auf denen die Eissorten standen, beschränkten und noch mehr merkte man seinen deutschen Akzent. Ich grinste breiter, halb, weil es süß war, wie unsicher er sich war, halb, weil er Deutscher war. Ein gut aussehender Junge, der in meinem Alter war und eine Sprache sprach, die ich konnte.
»Waffel oder Becher?«
Überrascht zog der Junge eine Augenbraue hoch, seine Wangen färbten sich leicht rot.
»Äh ... Waffel bitte. Aber mit Löffel, wenn's geht.«
»Klar.«
Ich griff nach dem Eislöffel und wusch ihn kurz unter dem Wasser ab, bevor ich zwei Kugeln Zitrone und Schokolade formte, die zugegebenermaßen vielleicht ein wenig größer waren als üblich.
»Bitteschön.«, ich stellte das Eis in die dafür vorgesehene Halterung auf der Theke und nannte ihm den Preis.
Als er mir das Geld reichte berührte seine Hand für einen kurzen Moment meinen und ich konnte nicht anders, als zu lächeln.
*
»Hallo.«
»Hi!«
Vor mir stand erneut der gutaussehende Junge, dem ich gestern schon Eis verkauft hatte. Dieses Mal trug er ein tiefgeschnittenes Tanktop und ein Handtuch über den Schultern, anscheinend war er auf dem Weg zum Strand.
»Ich hätt' gern zwei Kugeln in der Waffel. Schokolade und ...«, sein Blick wanderte über die Theke, »Oh Gott, keine Ahnung. Das sieht alles so lecker aus.«
»Zwischen was schwankst du denn?«
»Cookie und Vanille. Ist da echte Vanille drin?«
»Klar. Wir machen alle Eissorten selbst. Vanille ist wirklich gut, das mag ich auch total gerne.«
Noch während ich gesprochen hatte hatte ich den Eislöffel gereinigt und eine Kugel Schokolade in die Waffel gegeben, der nun Cookie und Vanille folgten.«
»Hier. Die Dritte schenk ich dir.«
Verlegen beobachtete ich, wie der Junge auf der anderen Seite der Theke rot wurde.
»Danke. Dann nehm' ich noch eine Orangina.«
Ich lächelte kurz, stellte die Eiswaffel in die Halterung dafür auf der Theke, steckte einen Löffel rein, wie er es gestern gewollt hatte und holte aus dem Kühlschrank hinter mir die Getränkedose.
»Zum hier Essen oder Mitnehmen?«
Bitte hier, ich wollte den fremden Jungen noch länger in meiner Nähe behalten.
Er sah sich zu den bunt gemischten Stühlen und Tischen vor unserer Eisdiele um.
»Hier.«
Ich nickte und bereite ein Glas mit Strohhalm vor, das ich mit der Dose auf ein Tablett stellte, bevor ich es ihm zuschob.
»Danke.«
Der Dunkelhaarige lächelte, legte ein paar Münzen auf die Theke und ließ sich auf einen der Gartenstühle sinken - zum Glück mit dem Gesicht zur Theke, sodass ich ihn weiterhin anschauen konnte - öffnete seine Getränkedose und lächelte mir erneut zu, während ich sein Geld in die Kasse sortierte und begann, die Arbeitsfläche mit einem feuchten Lappen von den Eisresten zu reinigen, um mich dann gegen den Kühlschrank mit den Getränken hinter mir zu lehnen. Einen kurzen Blick zu den zwei anderen Gästen, ein Vater mit seiner kleinen Tochter, die sich gerade ihr Schokoladeneis ins Gesicht schmierte, bevor ich wieder zu dem Dunkelhaarigen sah und verlegen grinste, als unsere Blicke sich begegneten.
»Und du? Ferienjob?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ja, irgendwie. Außerhalb der Ferien gibt es hier eh nicht viel zu tun. Aber jetzt zur Hochsaison ist es halt stressiger, da muss ich dann mit anpacken.«
»Wohnst du hier?«
»Ja. Das hier gehört meinen Eltern.«
»Echt? Ist ja mega cool!«
»Joa. Schon. Hat aber auch Nachteile.«
Ich sah mich um, fasste einen Entschluss. Meine Füße trugen mich hinter meiner Theke hervor und zu dem Dunkelhaarigen, wo ich mir verlegen lächelnd einen Stuhl zurück zog und mich ihm gegenüber an den Tisch setzte. Ein Blick zu den anderen Gästen, der mir versicherte, dass ich ruhig ein paar Minuten Pause machen konnte.
»Das hier ist halt das hinterste Kaff. Und außerhalb der Ferien ist hier nichts los.«
»Aber dafür wohnst du direkt am Meer! Du kannst jeden Tag an den Strand.«
»Klar. Ist aber ohne Freunde auch nur halb so spaßig. Und hier im Dorf wohnt niemand in meinem Alter.«
Mein Gegenüber schien zu überlegen.
»Okay, dann ist das natürlich doof.«
»Jup.«
»Wie heißt du eigentlich?«
Ich lächelte verlegen.
»Dennis. Du?«
»Marik. Mik.«
»Bist du mit Freunden hier? Oder Familie?«
»Mit meiner Familie.«
Ich nickte, wusste nicht mehr, was ich sagen wollte. Nervös ballte ich eine Hand zur Faust, mein Daumen knackste. Warum war Marik so ein absoluter Traumtyp?
*
»Hier. Aufs Haus.«
Ich drückte Mik sein Eis in die Hand, wobei seine warme Haut sich pricklig gut auf meiner anfühlte. Er lächelte verlegen und deutete hinter sich auf die Tische.
»Leistest du mir wieder Gesellschaft?«
Ich sah mich um, eine Familie musterte gerade unser Aushangschild, schien noch unschlüssig zu sein, ob sie ein Eis wollten oder nicht (Wobei die drei Kinder sich ganz eindeutig dafür entschieden hatten, ihren Rufen nach).
»Ich komme gleich nach.«
Mik erwiderte mein unsicheres Lächeln und ließ sich auf den gleichen Stuhl sinken, auf dem er gestern schon gesessen hatte.
Die Eisdiele war heute um einiges voller als gestern, vier Tische waren besetzt und dazu kamen die Kunden, die immer wieder hereinschneiten und zum Mitnehmen bestellten.
Ich bediente die Familie, die sich nun doch für ein Eis entschieden hatte, kassierte und wartete, bis sie weiter gegangen waren, bevor ich mich doch hinter meiner Theke hervorwagte und zu Mik setzte. Er lächelte mich süß an.
»Wie kommt es eigentlich, dass du in Frankreich in einem Dorf am Meer lebst, aber so gut Deutsch sprichst? Bist du zweisprachig aufgewachsen?«
»Ja. Also irgendwie. Wir kommen ursprünglich aus Deutschland, sind aber hier her gezogen, als ich fünf war. Ich hab also relativ früh französisch gelernt und zuhause haben wir irgendwann beides gesprochen, wobei man meinen Eltern schon noch anhört, dass es nicht ihre Mutterprache ist. Meine Schwestern sprechen dafür besser Französisch als Deutsch.«
»Und wieso schmeißt du hier den Laden?«
»Tu ich eigentlich nicht. Ich muss bloß ein paar Stunden am Tag arbeiten. Meine Mutter sollte in 'ner viertel Stunde oder so kommen und mich ablösen.«
»Und deine Schwestern?«
»Sind zu jung noch, um alleine zu arbeiten. Manchmal helfen sie, aber es gibt ein paar Kinder hier im Dorf, mit denen sie lieber was machen. Und da ich eh den ganzen Tag nur rumsitze ...«
»Willst du nachher mit an den Strand kommen?«
Mik hatte schnell gesprochen, fragend. Ich war überrascht.
»Was?«
»Also ich meine ... wenn dir so langweilig ist. Hast du Lust, nachher zusammen zum Meer runter zu gehen?«
Der Blick des Jungen war unsicher geworden, angespannt musterte er seine Hände.
»Klar. Ich mein ... Gerne.«
»Cool!«
Ich versuchte, meine zweifelsfrei roten Wangen einfach zu überspielen. Zum Glück kam in diesem Moment meine Rettung in Form von zwei Kunden, die auf die Theke zusteuerten.
»Sorry, ich muss ...«
Ich lächelte Mik kurz entschuldigend an, bevor ich mich wieder hinter den Tresen flüchtete.
*
»Das ist doch einfach krass, oder? Ich wünschte, ich könnte auch hier leben. Heute war toll.«
Ich nickte. Mik hatte recht. Das hier war eindeutig schön.
Es war der dritte Tag in Folge, dass wir zusammen zum Strand gingen und inzwischen war es später Abend, nachdem wir (Mik hatte sich heute von seinen Eltern lossprechen können und meine waren froh, dass ich zur Abwechslung in den Ferien mal Gesellschaft hier hatte) zusammen Abend essen gewesen waren. Zwar war es irgendwie merkwürdig gewesen, hier ins Restaurant zu gehen, wo man den Besitzer wie jeden anderen Einwohner des Dorfs kannte, zumal es sich irgendwie wie ein Date (Schön wär's!) angefühlt hatte, aber trotzdem war der Tag mit Mik wirklich toll gewesen. Seitdem ich ihn getroffen hatte war ich so viel am Strand gewesen wie schon lange nicht mehr und nie war es langweilig gewesen. Wir hatten viel über alles mögliche gesprochen und inzwischen hatte ich das Gefühl, Mik schon lange zu kennen.
Jetzt saßen wir wieder auf einer Decke am Strand, die Luft war nach dem warmen Tag angenehm kühl geworden, und betrachteten den Himmel, wo eben die Sonne untergegangen war.
Irgendwann merkte ich, dass Mik mich anzuschauen schien und als ich meinen Kopf ein Stück drehte, konnte ich tatsächlich sehen, wie er mich beobachtete.
»Ist etwas?«
»Nein.«
Miks Haut, die an seinem Arm leicht meine dicht daneben berührte, vibrierte leicht und unbewusst begann ich zu lächeln.
Mik hatte mich vom ersten Moment an beeindruckt und fasziniert, was in den letzten Tagen nicht weniger geworden war, im Gegenteil. Er sah gut aus und war unglaublich nett. Dass er nicht auf Distanz ging, sobald ich ihn, unabsichtlich oder nicht, berührte, half mir dabei nicht wirklich.
Ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich mich ein Stück zu Mik gelehnt, war ihm nun viel zu nahe, um noch vernünftig zu denken. Denken? War es dazu nicht eh schon zu spät jetzt?
Im nächsten Moment legte ich meine Lippen auf Miks, wusste selbst nicht, woher ich den Mut dazu nahm. Seine Lippen waren wie sein ganzer Körper warm und vibrierten leicht unter meinen Berührungen, öffneten sich dann aber ein Stück und erwiderten denn Kuss gerade dann zärtlich, als ich mich fast schon von ihm hatte lösen wollen.
Miks Hand legte sich an meine Brust, schien mich aber nicht von sich drücken zu wollen und eine kribbelige Wärme durchfuhr mich.
Als wir uns wieder von einander lösten, sagte keiner von uns ein Wort, aber das glückliche Lächeln in Miks Blick sprach Bände. Ein paar Sekunden lang betrachtete ich nur sein schönes Gesicht, bevor ich ihn erneut küsste.
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Wie fandet ihr den Oneshot?
Zur Abwechslung mal ein wenig Urlaubsstimmung und Heile-Welt, anstatt Drama.
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Ich freue mich über jeden Kommentar zum OS! :)
Liebe Grüße, minnicat3
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