the end of the world (1)

Ein nerviges, hohes Piepsen riss mich aus meinem verdienten Schlaf. Müde tastete ich nach der Geräuschquelle, schmiss eine Flasche herunter, deren Inhalt sich augenblicklich auf dem Boden ausbreitete. Fluchend richtete ich mich auf und griff schließlich nach meinem Handy, von welchem dieses Piepsen ausging.
Ich öffnete mein Handy und starrte mit halboffenen Augen auf die Warnschilder und auf den Text darunter.

„Emergency Alarm-
WARNUNG, BUNDESWEITER KATOSTROPHENALARM, MO 22.12.2023- 8:30-
Warnung- für Deutschland- Es besteht die höchste Warnstufe- Meteorit 3X54-8 nähert sich der Erde- Bewahren sie Ruhe- Es wird mit einem Szenario der Erdzerstörung gerechnet- Weitere Infos in allen Medien verfügbar- Herausgegeben von: Bundesamt für Bevölkerungschutz und Katastrophenhilfe, Nationale Warnzentrale 1, Bonn"

Die Nachricht auf Englisch darunter las ich nicht mehr, obwohl das so offiziell aussah, musste es doch gehackt worden sein, oder?
Die Welt konnte nicht untergehen, nicht so schnell.

Und doch hatte ich ein mulmiges Gefühl als ich mir die Fernsehbedienung nahm und auf den kleinen Knopf drückte. Kurz flimmerte der Bildschirm, dann erschien eine Frau im Studio, sie wirkte sehr gefasst. Unter ihr bewegte sich ein leuchtender Balken, mit der gleichen Schrift wie aus meinem Handy.

„So müssen wir davon ausgehen, dass in weniger als vierundzwanzig Stunden die Erde bereits komplett zerstört sein wird. Grund dafür ist der Meteorit 3X54-8, der sich mit rasender Geschwindigkeit unserem Planeten nähert. Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist jegliche Evakuierung sinnlos und wird daher auch nicht unternommen werden. Stattdessen wird empfohlen sich an einen schönen Ort zu begeben und seine Angehörigen um sich zu sammeln. Aufgrund dessen sind die Straßen bereits um diese Uhrzeit überfüllt, alle, ich wiederhole alle möglichen Transportmöglichkeiten sind kostenlos, allerdings gibt es in allen Bereichen große Personalausfälle, weshalb die Bahn neuste autonome Züge für Sie eingerichtet hat. Jegliche Veranstaltungen sind abgesagt worden, dies ist der Ausnahmefall. Achtung, Achtung"

Es schien eine wiederholende Sendung zu sein und egal auf welchen Kanal ich umschaltete, erschienen die gleichen Leute, mit demselben Text, immer wiederholend und mein Kopf drehte sich, kreiselte hilflos hin und her.
Dann war eben Deutschland gehackt worden, doch der Text erschien auf italienischen Websites ebenso wie auf japanischen.
Das konnte nicht wahr sein.
Gestern war noch alles okay gewesen und bereits morgen sollte nichts mehr existieren?
Nein, nein, nein, nein, nein.
Fassungslos ließ ich mein Handy sinken.

Ich wollte noch soviel sagen.
Wollte noch so viel sehen, noch so viel fühlen.
Jetzt musste ich mich auf das Wichtigste beschränken.
Wo ich doch keine Ahnung hatte, was das Wichtigste war.
Was bedeutete überhaupt noch etwas, wenn man keine Zeit hatte?

Behutsam atmete ich aus, das half meinen Gedanken nicht. Meine Hände vergruben sich in meinen blonden Haaren und ich schrie lautlos.
Dann machte ich das einzig Logische.

Ich wählte Bastis Nummer, er hob ab und dieser vertraute Prozess brachte mich noch mehr aus dem Konzept.
Ich wollte ihm noch so viel sagen.
Und als ich seine vertraute Stimme hörte, war die Frage nach dem Wichtigsten plötzlich verschwunden.

Meine Schwester war gestorben, vor sieben Jahren mit ihrer Verlobten. Beide waren ertrunken, nachts beim Baden, und ich hatte sie so sehr geliebt und ich hatte es ihr nie gesagt. Ich hatte sie so sehr geliebt, dass ich dachte ,es könne sie unsterblich machen. Aber meine kleine Schwester, Lilly, war nicht unsterblich gewesen, und dadurch, dass ich sie geliebt hatte, war der Schmerz danach nur noch schlimmer geworden.

Liebe war etwas Teuflisches.

Selbst meine Eltern hatte ich geliebt, obwohl ich ausgezogen war, kaum war ich achtzehn gewesen, obwohl wir uns an Lillys Beerdigung ignoriert hatten. Ich hatte es immer verdrängt, doch beim Klang von Bastis Stimme wurde es mir bewusst.

„Oh Stegi" flüsterte er und das war der Auslöser, dass ich langsam anfing zu weinen.
Basti weinte nicht, Basti klang fast gefasst.
Als würde ihn selbst der Weltuntergang nichts angehen.

„Was machst du jetzt?" fragte ich schniefend.
„Ich weiß es nicht, Kevin war kurz hier, sonst bin ich gerade am Autofahren, Richtung meinen Eltern."
Es tat weh zu sehen, wie er die Prioritäten setzte.

Im nächsten Moment war ich wütend auf mich selbst, weil Basti seine Eltern liebte. Lilly wäre auch immer vor jedem anderen gekommen.
„Stegi hast du irgendwen?"
Ich schluchzte noch stärker und schüttelte den Kopf.
„Stegi?"
„Nein" presste ich hervor.

Klar hatte ich Freunde, die jetzt überall waren, aber nicht bei mir.
Was ich verstehen konnte.
Alleine sterben.
Ich dachte eigentlich ich würde heiraten, Kinder kriegen, ein Haus bauen und umringt von meinen Kindern und Enkeln sterben.
Wie vielen Leuten es genauso ging?

„Okay, hör zu Stegi, denkst du kommst von Köln zu meinen Eltern?"
„Was?" hauchte ich, unsicher ob ich mir nichts einbildete.
Doch Basti nannte mir nur die Adresse und ich versprach ihm loszufahren, sobald ich die Kraft gefunden hatte, mich von Köln zu verabschieden.

Ich musste raus, die Wände verschlangen mich. Die Vögel zwitscherten, die Dezembersonne schien mir auf mein Gesicht und in den Fenstern der Wohnungen war Weihnachtsdeko zu erkennen. Keiner von uns würde Weihnachten feiern.
Es waren die Kleinigkeiten, die so wehtaten.
Ich schritt in meinen Lieblingspark, schaute mir jeden Grashalm an.

An mir vorbei lief ein kleines, braunhaariges Mädchen, an der Hand seiner Mutter.
„MAMA, bald kooommt der Weihnachtsmann. MAAMAAA ich freu mich so, MAMAA"
Die Mutter sagte nichts, ihr Mund formte sich zu einem Strich und sie drückte die Hand der kleinen fester. Ein kleiner Junge neben mir tapste zögerlich in die Richtung seiner Schwester. Seine Hose war kariert mit Teddybären, noch nicht einmal zwei Jahre war er alt.

Die Mutter hatte ihren Kindern nicht erzählt was sie erwartete, warum auch. Es hätte ihnen doch nichts genützt. Ich wollte nicht wissen, welcher Schmerz es sein musste, zu wissen, dass die eigenen Kinder niemals eingeschult werden würden, niemals die Tür zu ihrem Zimmer zu knallen würden, weil die Eltern so sehr nervten. Kein erster Kuss für den Jungen in der Teddybärhose, kein erfolgreiches Abitur für das Mädchen mit den lustig hin und her fliegenden Zöpfen, keine Zukunft für die beiden, bevor sie überhaupt gelebt hatten. Ich legte den Kopf in den Nacken, ließ mir den Wind durch die Haare zausen. Diese Welt war so wundervoll, und der Gedanke, dass sie ausgelöscht werden würde, war so unbegreiflich.

Ich bezweifelte, dass es so etwas Einzigartig Schönes irgendwo in diesem weiten Universum gab. An einer steinernen Mauer am Rhein gelegen hielt ich an. Ich setzte mich auf sie und starrte den Fluss entlang. Das hier war ein Stück heimkommen, saß ich doch sooft auf ihr, wenn mir das lange Streamen zu viel wurde.

Nie wieder und genau deshalb genoss ich es noch mehr.
Ich legte meine Hände auf den unebenen Stein und atmete.
Darauf bedacht nicht wieder zu weinen.
Es war so simpel und so wertvoll.

Ich verabschiedete mich von der Mauer, von dem Rhein und verließ den Park ohne mich nochmal umzudrehen. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, hätte ich diese Mauer nochmal gesehen oder gar die beiden Kinder.

Als ich die Treppen zu meiner Wohnungstür hochstieg, fragte ich mich, ob ich Basti nicht nerven würde.
Doch die beiden Gestalten vor meiner Tür ließen diese Gedanken verstummen.

„Mama? Papa?"
Fassungslos starrte ich meine Eltern an, sieben Jahre lang hatten wir ans nicht gesehen.
Plötzlich war ich wieder fünfzehn, brüllte meine Eltern an, dass sie es nicht verstanden, dass das keine Phase war und dass ich ihn wirklich liebte.
Und plötzlich war ich wieder drei, lag neben Mama und Papa und fühlte mich geborgener denn je.

Beide Gefühle zerrissen mich.

„Wir wollten uns noch mal sehen"
„Dachten wir" ergänzte mein Vater und wirkte seltsam alt dabei.
Wir redeten nie über Gefühle, und ich wusste, dass ich jetzt kaum damit anfangen konnte.
„Bisschen doof, alles, was?" fragte ich und wurde von meiner Mutter in einer Umarmung erstickt. Peinlich berührt ließ sie mich nach ein paar Sekunden los, weil ich nicht erwidert hatte.
„Wir sind auf dem Weg zu Freddy und fanden es wichtig vorbeizuschauen"
„Du bist immer noch unser Sohn"
„Ja" sagte ich, das Gespräch war unangenehm und ich wollte losfahren, damit ich nicht alleine sterben würde oder in Anwesenheit meiner Eltern, was fast genauso schlimm wäre.
„Wir würden dann auch wieder" sagte mein Vater und drehte sich um, fast als bereue er hier gewesen zu sein.
„Danke, dass ihr da wart" sagte ich ruhig.
„Ich wünschte Dinge wären manchmal anders verlaufen"
Meine Mutter nickte nur und als sie schon halb draußen waren, brüllte ich noch ein „Hab euch lieb"

Ich wusste es nicht ob sie es noch gehört hatten.
Bedeutete es etwas?
Ich wünschte, ich hätte ihnen alles sagen können, aber selbst am letzten Tag konnte ich nichts tun. Ich konnte ihnen nur zusehen wie die, die mich ins Leben geholt hatten in ihr Auto stiegen und verschwanden. Ich musste aus Köln raus, jetzt, all diese Leute mit all ihren Hoffnungen und Träumen dort unten zerstörten mich.
Alles was ich wollte war meinen besten Freund zu sehen.

Das war eine Lüge, ich wollte noch soviel mehr, alleine meine Spotifyplaylist war länger als meine verbleibende Lebenszeit.
Bastis Eltern wohnten zwei Stunden von Köln entfernt.

Mein Handy nahm ich noch aus der Wohnung, ebenso wie Kopfhörer, Lillys Teddybär und ein paar Fotos und drei Pullover. Viel zu Lange blieb ich vor meinem PC stehen stricht wehmütig über die Tastatur.
Was würde ich dafür geben ihn morgen hochfahren zu können.
Ich hatte endlose Tage und Nächte hier verbracht, mit dem Chat gelacht, mit meinen Freunden gezockt und Deeptalks geführt, hatte Hugo aufgezogen, war am PC eingeschlafen.
So viele Erinnerungen und sie waren jetzt alle wertlos, weil das alles nichts mehr bedeuten würde in weniger als dreizehn Stunden.

Für die Strecke zu Bastis Eltern hätte ich laut Google Maps eine brauchen sollen ich brauchte zweieinhalb, und das nur, weil ich die Nebenstraßen der Nebenstraßen fuhr.
Erst war ich sauer, dann gestresst, dann deprimiert und schließlich akzeptierte ich es einfach.

Ich hatte Zeit nachzudenken nochmal über mein ganzes Leben nachzudenken.
Sagte man nicht immer wenn man starb, lief nochmal das ganze Leben wie ein Film vor einem ab?
Galt das auch wenn man von einem Kometen getroffen wurde?
Nur zur Sicherheit sollte ich mich nochmal an alles erinnern.

Die ersten Takte des nächsten Liedes wurden angestimmt.

Langsam und behutsam bevor Harry Styles anfing zu singen:
Just stop your crying
It's a sign of the times

Ironischerweise fing ich an zu weinen, Lilys Lieblingslied.
Was sie wohl jetzt tun würde?
Ich vermisste sie so.
So sehr.

Welcome to the final show
Hope you're wearing your best clothes

Ich wollte nur zu Basti, wollte mich in seine Arme fallen lassen, einschlafen und wieder aufwachen. Und wieder.
Ich wollte Lilys Kinder in die Arme schließen, wollte mein Kind zur Einschulung schicken, wollte jemanden kennenlernen mit dem ich alt wurde.
Ich wollte Lilys Verlobten sagen, dass niemand meine Schwester mehr hätte lieben können.

Außer mir.

You can't bribe the door on your way to the sky
You look pretty good down here
But you ain't really good

Harry Styles fing nun an den Refrain zu singen und automatisch musste ich an ein Mädchen mit zwei kleinen Zöpfen denken.

Das Mädchen was auf mich zusprintete, wenn ich sie vom Kindergarten abholte, das Mädchen, dass darauf bestand, dass wir zusammen Hausaufgaben machten. Das kleine blonde Mädchen, was mich im Schwimmbad so geschubst hatte, dass ich mit dem Kopf gegen den Beckenrand geknallt war.
Langsam fuhr ich mit meinem linken Zeigefinger  über die Narbe.
Das Mädchen, dem ich so oft mitgeteilt hatte, dass es sich doch bitte allein beschäftigen sollte.

Ich hatte soviel Zeit vergeudet.
Viel zu viel.

Dann schweiften meine Gedanken zu Basti ab.
Wir hätten uns früher treffen sollten.
So viel früher.

They told me that the end is near
We gotta get away from here
Just stop your crying
Have the time of your life

Weil er irgendwie zu meiner Lieblingsperson geworden war, über die Jahre. Ich verstand was er sagen wollte, und er verstand was ich sagen wollte.
Obwohl wir nichts sagten.
Ich würde Craft Attack vermissen, würde Minecraft vermissen. Konnte ich überhaupt Dinge vermissen, wenn ich tot war?

Breaking through the atmosphere
And things are pretty good from here
Remember everything will be alright

Nichts würde gut sein, nichts würde gut werden. Außer der Tod war unser Happy End.
Ich hasste mich, dass ich so dachte.
Was hatte ich bisher erreicht?
In meinem Leben?
Worauf war ich stolz?

Auf viele Dinge, wenn ich genauer darüber nachdachte.
So alles im Allem war ich zufrieden mit dem Leben was ich gelebt hatte.
Ich hätte einen paar Menschen früher sagen sollen, wie sehr ich sie mochte.
Hätte ein paar Dinge mehr erleben sollen, Dinge von denen ich mir immer gesagt hatte, ich hätte später auch noch Zeit.

We can meet again somewhere
Somewhere far away from here

Basti.

Der nichts und niemanden an sich heranließ, und mir dennoch am nächsten stand. Mit einem Lachen was einem Wasserkocher glich und der fürsorglichen Art. Ich sollte sein Trauzeuge sein, dann hatte er sich von seiner Freundin letztes Jahr getrennt.
Er hatte es nie gezeigt, nie wirklich aber ich merkte, wie ihn diese Trennung zerstört hatte. Wie er Wochen danach frustriert und unkonzentriert gewesen war, wie seine Streams darunter gelitten hatten und er nur noch mehr arbeitete in der Hoffnung, dass Dinge besser wurden.

We never learn, we been here before
Why are we always stuck and running from
The bullets?
The bullets?

Ich hatte Angst vor Basti. Hatte Angst vor dem Ende.
Angst vor allem, meine Hände umklammerten das Lenkrad etwas zu fest.
Ich wollte nicht sterben.
(2139 Wörter)

Ja ist eskaliert aber bin schon viel weiter gewesen und dann hab ich die Autofahrt ausgeschrieben und joa. Also gibts wohl nen zweiten Teil, peepohappy. 

Ich mag den Herbst btw.







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