Flaschengrün(1)
Die Flasche rollte mit einem leisen Klirren über die Küchenfliesen. Dort in der Ecke gesellte sie sich zu den restlichen ihrer Art. Dann herrschte wieder unerträgliche Stille. „Zwei Bier, wir maachen Fortschridde" lallte ich und stand auf.
Etwas schwankend musste ich mich am Spülmaschinengriff festhalten. Als ich noch Freunde hatten die mit mir tranken, war das ganze irgendwie lustiger gewesen. „Oder waren schons drei Bier?" Die Selbstgespräche waren mitterweile eine dumme Angewohnheit von mir geworden, warum wusste ich selbst nicht genau. Vielleicht lag es am vielem streamen, vielleicht am mangel an Gesprächspartnern. Ich blinzelte mehrmals um die Kontrolle über meinen Körper wiederzugewinnen. Wie war ich hier nur gelandet? So genau wusste ich das selbst nicht mehr.
Seufzend lief ich zu dem umgedrehten Karton, der mir in meiner Wohnung immer noch als Esstischstuhl diente. Mein steifes Bein zog ich hinter mir her, wie immer gab es dabei ein schlurfendes Geräusch. Ich hasste dieses Geräusch so abgrundtief, es erinnerte mich mit jedem Schritt an vor zwei Jahren. Wieder waren dort Bilder, die ich nie sehen wollte. Ich konnte nicht vergessen, es zerfraß mich.
„Alkohol, ich brauch noch nen Bier". Ich musste doch vergessen, so sehr. Ich wollte mich gerade erheben da wurde mein Bildschirm hell. Der Sperrbildschirm war einfach gehalten, umso mehr stach die Whatsappbenachrichtigung hervor. „Basti <3" Zwei verdammte Jahre war es her, dass es mir über Whatsapp geschrieben hatte. Zwei lange Jahre. Wir hatten danach noch Kontakt über Discord oder andere Sachen gehabt. Doch Whatsapp nie wieder.
„Hey Stegi, Wenn du..."Ich musste auf die Nachricht klicken um sie zu lesen. Ich musste wieder unseren gemeinsamen Chat öffnen. Ich würde lügen wenn ich das nicht seit dem es passiert war mehrmals gemacht hatte, es war schon fast zu einer Gewohnheit geworden.Mir so vielen Fragen dabei gestellt.Gab er mir immer noch die Schuld?Ging es ihm gut?Vermisste er mich?Doch nicht in diesem Zustand, entscheid der letzte vernünftige Teil in meinem Gehirn. Ich schloss die Augen, wollte nur kurz eine Pause bekommen.
Wir saßen in dem Auto, wir alle zusammen. Ein Taylor Swiftsong lief laut durch das Auto. Ich hörte die Stimmen meiner Freunde, wie sie alle sangen. Ich sang mit, doch ich wusste was geschehen würde. Ich wollte schreien, ich wollte sofort aus dem Auto aussteigen,doch ich hatte meine Hände fest am Lenkrad den Fuß auf dem Gaspedal. Neben mir saß, lachend, Heiko, der sich mit Veni, der auf dem Rücksitz saß, um eine Gummibärchenpackung balgte. Ich drehte mich kurz nach hinten, dort hockte ein sehr aufgebrachter Venicraft, mit den leicht verschwitzeten lockigen Strähnen, denn immerhin war es ein Augusttag. Neben ihm saß Bastighg höchstpersönlich schmunzelnd über den Streit. Mein Blick streifte ihn ein wenig länger, seine blaugrünen Augen hatten dieses magische Strahlen, seine dunklen Haare wurden von der Sonne angestrahlt, sein weites T-Shirt flatterte im Fahrtwind. Ich konnte nicht entkommen, ich konnte nicht schreien, obwohl ich wusste was gleich kommen würde. Das einzige was ich konnte, war den Blick auf die, vom Sommerregen noch leichtglänzende, Landstraße zu konzentrieren. Sie machte einen Bogen durch den lichten Wald, durch diese Kurve konnte ich den entgegen kommenden LKW zu spät erkennen. Er überholte einen anderen Wagen, hielt direkt auf mich zu. Er fuhr definitiv zu schnell, doch ich hatte auch zu spät reagiert. Ich riss den Lenker nach links, unser Auto hob ab, ich hörte Heiko neben mir Brüllen und ich fiel in die Dunkelheit. Ich fiel und dort war nur die schwärzeste Schwärze. Die Luft fehlte mir zum Brüllen, ein ungeheurer Druck presste auf meine Lungen.
Ich riss die Augen auf, schweißgebadet, nach Luft keuchend. Der Raum kam auf mich zu, ich zitterte am ganzen Körper. Meine Finger hatten sich in die Tischplatte gekrallt, sodass meine Knöchel weiß hervortraten. Wieder trat diese lächerliche, lächerlich dumme Flüssigkeit aus meinen Augen raus. Mein Kopf pochte schmerzhaft und ich brauchte dringend Wasser. Meine Beine wackelten als ich zum Waschbecken trat, mein Herzschlag war immer noch schnell. Ich hasste ihn, ich hasste mich, ich hasste mich so sehr.Ich hasste den Hass, es war ein bitteres Gefühl, der Selbsthass war jedoch noch eine Spur stärker. Er verlieh einem Stärke, doch sie richtete sich gegen einen selbst. Man war so wütend, so traurig, so viele verwirrende Gefühle auf einmal. Ich ließ mich auf den Boden gleiten, die Welt schwankte schon wieder zu sehr.Dann ergrff ich mein Handy, öffnete den Chat mit Basti.
„Moin, Moin Stegi :^) Ewig nicht mehr miteinander geredet was?Ich wollte dich was fragen.Raphael heiratet demnächst und ich darf 'nen paar Freunde einladen, die ich als richtig erachten würde.Ich habe wirklich lang überlegt dich einzuladen, zwei Jahre kein Kontakt mehr ist eine lange Zeit, aber du hast damals zu Raphis engstem Freundeskreis gehört, deshalb warum nicht?Es ist ok wenn du gar keinen Bock hast, aber es wär gut wenn du kommst. Damit wir endlich abschließen können"
Er brachte alles aus dem Konzept. Einfach alles geriet ins Wanken. Ich befand mich schon so lange auf einem sinkenden Schiff, doch jetzt wurde ich mir dessen bewusst. Veni heiratet..? Ich war eingeladen? Das ganze konnte nur ein schlechter Witz sein, ein verdammt schlechter Witz
.Die Wunden heilten, langsam, so unglaublich langsam, aber sie heilten. Meine Freunde wiederzusehen würde mir nochmal klar machen, was ich getan hatte. Ich schloss die Augen, probierte krampfhaft die Erinnerungen wieder zurückzudrängen. Ich wollte mich nicht erinnern. Es tat so weh.Meine Fäuste hatten sich geballt, mein Magen schlingerte hin nd her. Ich musste, ich musste-
Gerade rechtzeitig schaffte ich es mich übers Waschbecken zu beugen, dann erbrach ich. Zitternd hielt ich mich fest, vor meinen Augen tanzten flimmernde Flecken und der übelriechende Gestank schaffte es, dass mir immer noch kotzübel war.Wieviel Uhr war es? Drei? Halb vier?Ich wollte doch nur mein Leben in den Griff kriegen, ich wollte doch nur wieder die Kontrolle über mich selbst haben.
„Damit wir endlich damit abschließen" echote Bastis Nachricht in meinem Kopf. Ich würde es nicht shcaffen meine Freunde zu sehehn und dann danach nie wieder. Nie wieder. Meine Finger rissen an meinem schmutzig-blonden Haarsträhnen, ich war in die Hocke gegangen und wiegte mich hin und her. Basti hatte mich anderthalb Jahre lang blockiert. Ich hatte wieder sein Profilbild gesehen, ihn, mit dem Rücken zur Kamera am Meer, sein dunkles Haar und alles an ihm sah aus wie früher. Warum war er so perfekt?
Einatmen.
Ausatmen.
Manchmal war das schwerer als alles andere.Ich öffnete das Tastaturfeld. Der Schreibstrich blinkte auf. Er war so geduldig und doch stresste er mich.Ich tippte mit zitternden Fingern.
„Boah, es ist so lange her. Raphael heiratet? Unfassbar, ich dachte der Junge findet nie irgenjemanden.Ich freu mich voll für ihn. Und ja, ich komme, es wird toll sein euch Jungs nach den zwei Jahren alle wieder zusehen."
Ich hielt inne dann löschte ich den letzten Satz.
„Ja ich komme. Sagst du mir noch genauere Informationen?"
Unter Bastis Namen poppte die Information „Online" auf, die kleinen grauen Häkchen verwandelten sich in blaue. So wie ich Basti kannte war der doch so spät eigentlich nicht mehr wach. Aber ich hatte einst einen anderen Basti erkannt, wir hatten uns vermutlich alle verändert. Am allermeisten ich selbst. Wenn ich heute in den Spiegel schaute, erblickte ich nicht den gepflegten jungen Mann, der steht's ein Lächeln auf den Lippen hatte, sondern einen müden ausgelaugten Menschen mit tiefen Augenringen, oft rotverwaschenen Augen, blonden, verfilzten Haaren und fleckigen, zu großen T-Shirts. Mit matten grünen Augen, in denen sich nichs widerfand.Sagte zumindest meine Mutter bei jeden Familienfest.Mein Handy vibrierte erneute und ich las mir aufmerksam Bastis Nachricht durch
„Am 14.7. um 10:00 Heiraten Raphael und Naomi in der Johanniskirche."
Dahinter stand die Adresse die Kirche die tatsächlich, kaum zu fassen, nur 80 Kilometer von mir entfernt war. Nachdem Unfall war ich ans Meer gezogen, um genauer zu sein an die Nordsee.Damals hatte ich aus der Wohnung raugemusst und wenn mir jetzt alles zuviel wurde, half mir manchmal nur noch das Meeresrauschen.
„Wohnst du immer noch in Berlin?"
Ich hatte ihn das gefragt, weil ich kurz den Eindruck haben wollte, alles wäre so wie früher.Doch die Häkchen bleiben grau, egal wie lange ich sie anstarrte. Und vielleicht sollte ich das verdammt einfach mal akzeptieren. Das nix werden wie früher. Ich schlich zu meinem Pc, doch bevor er hochgefahren war, war ich bereits wieder über der Tastatur eingeschlafen.
Gefühlt Minuten später erwachte ich, zu meinen Kopfschmerzen kamen nun auch Rückenschmerzen hinzu. Ich seufzte, streckte mich und setzte mir dann die Kopfhörer auf. Es war Zeit zu schauen, was meine besten Freunde taten. Ich öffnete einen neuen Google Tab und gab in die Suche „Bastighg" ein, klickte auf seinen Youtubekanal. Dann hielt ich inne. Die Erinnerungen umrissen wieder meine sorgsam aufgeschichteten Mauern.
Das erste was ich spürte waren die Schmerzen. Mein Kopf fühlte sich an als drohte er zu zerspringen und mein Bein hatte einen unermesslichen Schmerzbereich erreicht. Dann hörte ich die Geräusche. Erst konnte mein Kopf die Worte nicht zu zusammenhängenden Sätzen bilden, ich verstand nur Bruchstücke.
Schließlich öffnete ich die Augen. Ein grünes Blätterdach lächelte mich an, die Sonne fiel zwischen den Blättern sanft und friedlich hin durch. Meine Augenlider wogen erneut Tonnen, doch ich zwang mich mit aller Kraft weiter wachzubleiben. Vorsichtig, mit zusammengebissenen Zähnen richtete ich mich auf und schaute mich um. Anscheinend lag ich auf weichem, von Kiefernadeln bedeckten Waldboden. Neben mir konnte ich drei Paar Schuhe erkennen, die zu komplett fremden Menschen gehörten. Dann wanderte mein Blick meinen Körper hinunter, zu meinem verletzten Bein. Das T-Shirt hatte einzelne Blutflecken, doch beim Anblick meines Beines stockte mir der Atem.
Dort wo normalerweise mein linkes Bein wäre, war ein verdrehtes, verkrüppeltes, blutiges etwas. Das konnte nicht zu mir gehören, unmöglich. Neben mir lag nun jemand anders, sie mussten ihn hingetragen hatten, während ich mein Bein begutachtet hatte. Ich starrte zu meiner Rechten, erkannte die Person auf dem Waldboden. Ebenso erkannte ich die starren, glasigen blauen Augen, die das Blätterdach betrachteten wie ich vorhin. nUr konnten diese Augen das Blätterdach nie wieder wahrnehmen, und der Besitzer dieser Augen würde sich nie wieder freuen, dass ihm in die Sonne warm ins Gesicht schien. Nie wieder.
Er schauspielerte ganz sicher, ich riss an seinem Hoodie, brüllte ihn an, dass das gefälligst nicht witzig sei, dass er damit aufhören sollte. Irgendwer zog mich weg, sagte ich solle mich beruhigen. Ich begriff nicht, ich verstand nicht, dass einzige was ich sehen konnte waren die leeren Augen Heikos, die nur die Außenwelt spiegelten.
Ich geriet in den Strudel, in diesen verdammten Abwärtsstrudel. Hier saß ich weinend und nahm das umgedrehte Foto von der Wand. Es hing hier seitdem Unfall, es war das letzte Foto von uns 4 vor dem Unfall. Ich stand gerade ohne Krücken am Strand die Arme um meine Freunde gelegt.
Veni lachte laut, ich probierte Heiko Hasenohren zu zeigen, dieser wehrte sich sehr vehement. Basti gluckste still in sich hinein, seine blaugrünen Augen lagen auf dem weiten Meer.
Irgendwann hoffte ich dieses Bild wieder umzudrehen, hinzuschauen können ohne zu weinen, ohne das es sich anfühlte als würde man mir ein Messer durch die Brust rammen.
Irgendwann.
Ich schaffte es nicht seine Stimme zu hören, nicht heute.
Hallo, ich habe mit dem Oneshot begonnen, dann ist er explodiert. Deshalb sind es jetzt circa 500 Wörter weniger, aber dafür bekommt ihr noch einen zweiten Teil. JUHUUU! Ein bisschen Spannungsaufbau kann ja nicht schaden, oder?
PS: GruenerDino7 ich hab deinen Wunsch nicht vergessen, der kommt sobald der hier fertig ist, die Idee ist jetzt nämlich schonmal da :D
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