4. Wir bekommen ein Stellenangebot von ...

Wir waren von Bäumen umringt. Sonst noch was? Ach ja, die Bäume. Und da auch! Habe ich die Bäume bereits erwähnt? Vermutlich schon. Sofia und ich gingen hinter Otrera her, welche sich aus mir unbekannten Gründen hier auskannte.

Mir ging es gerade echt schlecht, wie ihr vielleicht bemerkt haben könntet. Erst die unfreiwillige Zeitreise, welche aus purem Zufall entstanden war, dann die Männer auf dem Marktplatz, und jetzt auch noch das. Wie konnte ein Mensch nur so viel Pech haben?

"Pst!" mahnte Otrera. "Eure Schritte sind so laut, ihr dürft noch ein bisschen lauter trampeln, damit ALLE wissen, dass wir hier sind." Ihr Gesicht wurde von dunklen Strähnen umrahmt, was ihre Augen noch kampflustiger erscheinen ließ, als sie bereits waren.

"Sorry!" flüsterte ich zurück, und Sofia und Otrera machten ein verwirrtes Gesicht. Mir fiel zum x-ten mal am heutigen Tage ein, dass ich mich im antiken Griechenland befand. Die alte Sprache also. "Es tut mir leid." verbesserte ich mich, und wir versuchten, so leise wie möglich weiter zu gehen.

Der Wald war dunkel, still jedoch nicht. In der Ferne heulten Wölfe. Ab und zu hörte man ein Flügelschlagen und ein Kreischen. Die dunklen Silhouetten der Bäume drohten einen zu ersticken, und die Baumkronen waren so weit oben, dass man sich bei dem Versuch bis nach oben zu blicken, beinahe den Hals verrenkte. Ständig fühlte man sich beobachtet.

"Leo?" fragte Sofia nach einer Weile. Ich blickte zu ihr. Sofias dunklen Haare ließen ihre haselnussbraunen Augen übernatürlich hell wirken. "Danke." murmelte sie leise, mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht.

Ich beschloss, nur "Gerne" zu erwidern. Sonst hätte ich wahrscheinlich irgendeinen Mist gestammelt, und wäre wieder rot geworden. Und ich war mir absolut nicht sicher, ob man das im dunklen erkennen konnte oder nicht.

Plötzlich blieb Otrera stehen. 

"Halt. Da ist etwas." Ihre Augen blitzten wachsam auf, und wir blieben wie auf Kommando stehen. Blätter raschelten, als ein Wind aufkam. Direkt vor uns landete ein...


...Mädchen, etwa zehn oder elf Jahre alt. Sie hatte kalte, silberne Augen, die nicht zu ihrem jungen Aussehen passten, Bogen und einen Köcher mit silbernen Pfeilen um die Schulter hängen. Ihr Kleid war einfach geschnitten, jedoch schien der Stoff so, als ob er pures Mondlicht eingefangen hätte.

Das Mädchen schnippte mit den Fingern, und um uns herum tauchten plötzlich ein Zelt und ein Lagerfeuer, umringt von kleinen Holzhockern auf. "Setzt euch." sagte sie. Es klang eher wie ein Befehl, also setzten wir uns vorsichtig um das Lagerfeuer.

"Sie sind - " Otrera schnappte nach Luft.

"Artemis." Ein Lächeln schlich sich in das Gesicht des Mädchens. Für ein so junges Kind klang ihre Stimme unpassend erwachsen und kalt. Vor allem aber machten mich ihre Augen nervös. Sie sahen so aus, als ob sie gerade überlegten, wer im nächsten Moment in ein Wildschwein verwandelt werden sollte. "Göttin des Mondes und der Jagd, Beschützerin von Kindern und Frauen."

Es klang wie ein Werbespruch. "Ich bin gekommen, um euch ein Angebot zu machen. Wollt ihr euch der Jagd anschließen?" fragte sie. Na gut, es war tatsächlich ein Werbespruch gewesen. Artemis wollte, dass wir uns...der Jagd anschließen?

"Oh mein Gott." murmelten Sofia und Otrera. Beide sahen so aus, als ob sie gleich in eine Ohnmacht verfallen würden. Ich sah die Göttin verwirrt an. Sie bemerkte meinen Blick, und für einen Moment trafen sich unsere Augen. Einfach nur gruselig.

"Leo." Sie lachte. Anders als ihre Stimme klang ihr Lachen warm und fröhlich, wie das Lagerfeuer, welches in der Mitte von uns brannte. "Ich hatte dich schon im Auge, seit dem du hergekommen bist."

Sofia sah abwechselnd von Artemis zu mir, als ob sie versuchte, unsichtbare Punkte miteinander zu verbinden, damit es irgendwie Sinn ergab. "Hergekommen? Woher denn?" fragte sie verwirrt. 

Artemis musterte sie mit einem mitleidigen Blick. "Leo kommt aus der Zukunft. Keine Sorge, jetzt mag es dich vielleicht verwirren, aber es ist nun einmal so."

Offensichtlich verwirrt nickte Sofia. Ich musste lachen. So reagierte ich, wenn die Schreitante im Englischunterricht versuchte, uns die unregelmäßigen Verben zu erklären.

"Also?" fragte Artemis. "Wollt ihr euch der Jagd anschließen?"

Otrera schüttelte langsam den Kopf. "Edle Herrin, das ist ein wirklich zu schätzendes Angebot. Aber ich bin noch nicht bereit, alle Männer aufzugeben. Vielleicht findet sich später einer, der Frauen freundlicher gesinnt ist. Ich möchte - " sie errötete. "Kinder haben."

Artemis rümpfte angewidert die Nase, dann seufzte sie. "Alles gut. Nur schade. Ich werde euch trotzdem die Sachen da lassen. Und das hier." Sie schnippte mit den Fingern, und vor ihren Füßen erschienen mehrere Dutzend Silberpfeile, Köcher, Bögen und Silberdolche. Außerdem noch kleine Tücher wobei ich nicht wusste, wofür sie waren.

"W-was?" fragte Sofia. "Ich verstehe nicht."

"Damit ihr nicht wehrlos in der Wildnis ausgesetzt seid." erwiderte Artemis. "Sofia. Wenn die Zeit gekommen ist, weißt du, was zu tun ist. Und nun zu dir, Leonora." Ihre kalten, silbernen Augen schienen jedes einzelne Detail von mir einzufangen. Jeder Atemzug, jedes nervöse Schlucken - ihr entging nichts.

"Du hast nicht so viel Zeit. Aber nutze sie gut. Ich schenke dir das hier." Sie warf mir zwei silberne Säbel zu. Ich fing sie auf, und fühlte das kalte Metall unter den Fingern. Ein hoch auf meine Reflexe, sonst wären mir vielleicht die Beine abgehackt worden.

"Säbel?" fragte ich. Der Trainer von Kung Fu hatte einmal vorgeführt, wie mit Säbeln gekämpft wurde - Es war furchtbar kompliziert, und man musste ständig auf der Hut sein, damit man sich nicht aus versehen selber verletzte.

"Du kannst es." ermutigte sie mich lächelnd. Dann stand sie wortlos auf, und zeigte auf eine Efeuwand. "Hinter euch ist eine Höhle, versteckt durch eine Efeuwand. Viel Spaß."

Dann verschwand sie, ohne jegliches dramatisches Tamtam. Das Lagerfeuer knisterte noch immer. Otrera sah uns an. "Leo, Sofia. Artemis hat etwas anderes gemeint."

Wir sahen sie erwartungsvoll an.

Ruckartig stand Otrera auf. "Also. Die Männer verbieten uns so ziemlich alles. Kein Spaß, kein Kämpfen, nichts. Deshalb habe ich angefangen - "

"Was?" fragte Sofia erwartungsvoll.

"Zu trainieren." Ihre Stimme war kaum zu hören. "Ich möchte nicht, dass die nächste Generation Frauen wieder unter der Herrschaft von Männern leidet. Ich werde etwas ändern. Ich muss!"

Ich musterte sie. Ein teuflisches Grinsen hatte sich in ihr Gesicht geschlichen, und sie sah so aus, als ob sie jedem einzelnen Typen eine reinhauen könnte. Ehrlich gesagt, hätte ich das auch nicht so schlimm gefunden.

Sofia lächelte mich an, und ich spürte, wie mir schon wieder das Blut ins Gesicht schoss. Meine Güte, das musste ich echt unter Kontrolle kriegen.

Ich lächelte zurück.

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