71 ♫ To you

Was wär ich ohne dich?

Ein Segelschiff aus Stein

Was wär ich ohne dich?

Ein Blatt im Wind allein

Was wär ich ohne dich?

Nur Regen überm Meer

Was wär ich ohne dich?

Ein Brunnen, kalt und leer

[ Ich + Ich ]




HARRY
║ Mein Zuhause sah aus, wie Disneyland im Weihnachtsmodus. Und es wurde jeden Tag schlimmer. Zuerst schlug Spencer zu, mit jeder Menge Klimbim, und den Baum zu schmücken fand ich nur fair. Allerdings war die verdammte Tanne über zwei Meter hoch. 

(Meine Mutter setzte ihren Weihnachts-Hype am 25 Dezember fort)

Unsicher stand ich auf einer Klappleiter in schwindelerregender Höhe und fummelte die Lichterkette dort rein. Spencer beobachtete mich dabei aus sicherer Entfernung, schließlich fing er sogar an zu filmen.

„Pass auf, dass du dir nichts tust. Sonst haben wir wirklich ein Problem", sprach er belustigt. Ich verhedderte mich in der langen Lichterkette und fluchte. Spencer schien das eher komisch zu finden: „Man merkt, dass du nicht viel Übung darin hast eine einfache Lichterkette zu befestigen."

Vielleicht, weil ich das in meinem Leben nur einmal hatte tun müssen. Nämlich bevor meine Mum Robin kennenlernte. Wütend wollte ich mich aus dem Kabelchaos befreien und machte es nur noch schlimmer.

Dann stürzte ich direkt in den Baum.

„Oh mein Gott, Harry, warte!", Spencer sprang sofort auf und ließ die Filmerei. „Alles okay mit dir?" 

Was dachte er? Ich fraß hier gerade Tanne. Außerdem glaubte ich, dass irgendetwas knackte. Hoffentlich nicht der Stamm des Baumes!

„W-Wo ist die Leiter?", kreischte ich hysterisch und zappelte. Erst, als meine Füße wieder auf der letzten Trittleiter standen, da ging mein Puls runter. Zuerst sah Spencer mich nur erschrocken an, doch dann lachte er hell auf.

„Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt!", pampte ich ihn an. Er schmunzelte und blieb bei mir an der Leiter stehen, nur um sicher zu sein, dass ich mir den Hals nicht wirklich brach. Nach einigen Schwierigkeiten und Unterstützung bekam ich die Lichterkette doch noch um den ganzen Baum. Selbst ich musste zugeben, dass sie toll aussah, als die Lichter an waren.

Doch das war nicht das Eigentliche, was ich schön fand. Sondern viel mehr die Tatsache, dass Spencer und ich den Baum zusammen schmückten. Vielleicht war es kitschig, aber es machte mich glücklich. Es würde das erste Weihnachten sein, das wir zusammen hatten und ich war mir sicher, dass ich mich gerade an die banale Dinge am besten erinnern würde.

Mein Glück wurde nur dadurch getrübt, dass ich Spencer ansah, dass ihn ein normaler Alltag völlig erschöpfte. Er konnte nicht lange laufen, nichts heben und brauchte Pausen. Ihn schien es zu frustrieren. Schlimmer waren nur die Momente in denen ich ihn erwischte, wie er gedanklich völlig weg war.

Meistens blickte er dabei nach draußen, betrachtete den Schnee oder die Wolken. Es passierte öfters und ich sah in seinem Gesicht, dass er irgendwo war, aber nicht anwesend. Wenn ich fragte, dann grinste er nur und winkte ab. Doch mir machte dies Sorgen.

Kurz vor Weihnachten sprach ich das offen in einer Runde bei meinen Freunden aus. Wir hockten in Liams halb fertigen Wohnzimmer und wir hatten erst ein langes Meeting mit Modest! hinter uns. Außerdem musste ich mit Parker beteuern, dass wir keine Zusammenarbeit anstrebten.

Louis ließ sich in den wuchtigen Sessel fallen und Niall raschelte mit der Chipstüte. Ich hockte auf einer Kiste und rieb mir über die Stirn. Liam kam mit der riesigen Pizzaschachtel zurück und stellte sie auf den Wohnzimmertisch ab.

Niall ließ die Tüte in den Händen sinken und sprach: „Wundert dich das wirklich, Harry?" Leicht neigte er den Kopf und wir sahen ihn der Reihe nach an: „Dein Freund ist angeschossen worden und war fast drei Minuten tot."

„Ich weiß", bekräftigte ich, doch Niall lächelte schief: „Nein, das tust du nicht. Man sagt, dass Menschen, die tot waren und zurückgeholt wurden, an einem hellen Ort waren. Die Meisten erinnern sich nur noch an warmes Licht."

„Stimmt, davon habe ich auch gelesen", gab Louis zu und wir sahen ihn an, als hätte er sich den Kopf gestoßen. Empört behauptete er: „Hey! Wenn man beim Kinderarzt sitzt, dann hat man zwischen all den laufenden Nasen eine verdammt lange Wartezeit!"

„Jedenfalls", fuhr Niall schmunzelnd fort, „war Spencer vielleicht an einem Ort, an dem alles gut war. Eventuell etwas, wie ein Paradies oder einer Vorstellung, wo er Menschen und Dingen begegnete, die er hier nicht mehr hat."

Prompt fiel mein Gesicht in sich zusammen. Natürlich. Spencers Paradies war der Ort, an dem sein Bruder war und mir fiel ein, was er sagte, als ich ihm im Krankenhaus besuchte. Er behauptete, ich hätte gesagt, es wäre okay zu gehen.

„Kopf hoch, Harry", versuchte Louis mich aufzumuntern. „Das Meiste wird die Zeit regeln und wenn nicht, kannst du dir immer noch Sorgen machen. Außerdem ist es kurz vor Weihnachten und wir wissen alle, dass es eine heikle Zeit sein kann."

Liam öffnete den Pizzakarton und gab mir den wunderbaren Rat: „Versuch doch einfach die Weihnachtszeit zu etwas Positiven zu machen."

Unweigerlich musste ich lächeln, denn genau dies hatte ich vor. Aus der simplen Aufgabe was die Weihnachtsgeschenke betraf, hatten Spencer und ich einen Wettbewerb raus gemacht, der jetzt langsam heikle Züge annahm. Wir mobbten uns gegenseitig, fest davon überzeugt, das beste Geschenk zu haben.

Laut ihm stand es unentschieden. Die Sternschnuppe vs. die Schublade. Eigentlich war es albern.

Ich nickte knapp: „Danke für den Rat, Liam und nun lass mich dir einen geben; hör auf um Sophia herumzukriechen. Du wirst so keinen Schritt vorankommen. Entweder sie verzeiht dir und wagt den Neuanfang, oder du lässt sie los."

Liam blinzelte und die anderen beiden gaben mir recht.

„Ich weiß, du willst das auf deine Weise machen, aber ihr solltet dann auch unbedingt Zeit miteinander verbringen", schlug ich vor. Liam selbst seufzte tief: „Ich wüsste nicht mal, wo ich mit Sophia hinfahren könnte."

Da konnte ich vielleicht aushelfen. Ich telefonierte fix und machte ihm dann einen Vorschlag, den Liam sofort annahm. Der Rest lag bei ihm. Meine letzte gute Tat war also für dieses Jahr getan und nach einer weiteren Stunde verabschiedeten wir uns der Reihe nach.

Niall würde Weihnachten in Irland verbringen, bei seiner Familie. Komischerweise sah er es gar nicht so eng, dass er Mara eine Woche nicht sehen würde. Louis fuhr nach Doncaster und war Silvester in Los Angeles. Was Liam anging, das würde sich wohl noch zeigen.

Draußen wünschten sie mir schöne Weihnachten und ich atmete vor dem Auto tief die kalte Luft ein. Heute Nacht würde es sicher wieder schneien.

Ich behielt recht, denn am 25 Dezember waren wir fast eingeschneit. Früh schlug meine Mum ihre Zelte bei mir im Penthouse auf und erklärte die Küche für ihr Reich. Robin, Spencer und ich wurden ausgesperrt.

Statt, wie üblich, morgens Bescherung zu machen, verschoben wir das auf den frühen Abend. Wir schmuggelten nacheinander sämtliche Geschenke unter den Baum als wären wir Kleinkinder. Robin betrachtete das Treiben belustigt während er durch das Fernsehprogramm zappte und schließlich erwischte ich meinen Stiefvater dabei, wie er auf einer Leiter stand und Mistelzweige befestigte.

„Wir lassen wohl keine Tradition aus, hm?", zog ich ihn auf und er antwortete: „Wenn deine Mum später völlig entkräftet ins Wohnzimmer kommt, um die Tischgedecke zu prüfen, wird sie nervlich so angespannt sein, dass ich sie überlisten muss."

Ich kannte das Spiel. Jedes Jahr musste das Essen für sie perfekt sein, dabei ging es wirklich nur darum, dass es schmeckte. Der Geruch des Truthahn, gefüllt mit Äpfeln, Hackmasse und Brot, breitete sich in meinem Penthouse aus.

Bratensoße, Würstchen im Schlafrock, Christmas Stuffing, Kartoffeln, Karotten, Pastinaken und Rosenkohl würden aufgetischt werden und ich begann mich zu fragen, wer die riesigen Mengen essen sollte. Plumpudding gab es zum Nachtisch.

Um 15 Uhr begann die Weihnachtsansprache der Queen, die wir uns alle anhörten und dann trudelten die Gäste nacheinander ein. Spencers Eltern waren pünktlich, sie brachten einen Geschenkkorb mit und bedankten sich noch einmal für die Einladung. 

Es wurde der Abend, an dem ich zu Lauren nicht mehr Mrs Jones sagen musste. 

Zu meiner Verwunderung verstanden sich unsere Mütter auf Anhieb. Lauren half gerne in der Küche und ließ meine Mum wissen, dass sie ruhig den Wein aufmachen sollte. Sie störte sich daran nicht. „Wenn jemand neben mir etwas Trinkt, dann ist das in Ordnung."

Bram staunte über den Weihnachtsbaum und ließ sich von Spencer das Video zeigen, als ich in die Tanne stürzte. Ironischerweise konnten Robin und Bram sich das Video gefühlte hundert Mal ansehen und darüber lachen.

„Ärger dich nicht, Harry", sprach Spencer und schlang von hinten die Arme ungelenkt um mich und drückte mir einen Kuss auf das Haar: „Ich habe dir jede Tannennadel einzeln aus dem Hintern gezogen."

Ich griff nach ihm und zog ihn vorsichtig über die Lehne der Couch. Dann raunte ich: „Langsam denke ich, wir hätten einfach nach Rousay oder Berlin fahren sollen."

„Ne', ne' sag so was nicht", widersprach er mir. „Ich bin froh, dass wir ganz normal feiern."

Kurz hielt ich inne, denn ich hatte völlig vergessen, dass Weihnachten für Spencer jahrelang anders ausgesehen hatte. Wenn ich ihn jetzt mit seinen Eltern sah, dann konnte ich mir nur noch schwer vorstellen, wie lange und schlecht das Verhältnis gewesen war. Und vielleicht war das auch besser so.

Gemma, Tony und die kleine Polly trafen ein und sofort eroberte das Würmchen sämtliche Herzen im Raum. Sie hatte einen dunklen Haarflaum und ihre Augen waren strahlend blau. Jeder wollte sie halten, wissen ob sie schon durchschlief, gegessen hatte und ob sie den Schnee wahrgenommen hätte.

Sein Herz nicht an sie zu verlieren war unmöglich.

Schlussendlich drückte man mir das Püppchen in die Arme, damit ich sie wickelte und ich hatte sie zu beschäftigen während das Essen aufgetischt wurde. Polly gähnte nur niedlich, spielte mit meinen Fingern und als ich sie Spencer übergab, damit ich zumindest ein Bisschen Truthahn bekam, da schlief sie in dessen Armen ein.

„Jetzt wissen wir, wo wir sie öfter abladen können", stellte Gemma zufrieden fest. Tony verzog das Gesicht: „Ich habe nicht neun Monate auf unsere Kleine gewartet, nur damit du sie bei der nächsten Gelegenheit verleihst, Gemmy!"

Neben Tony wurde Robin böse angesehen, weil er einen Knallfrosch zünden wollte. Der Blick meiner Mum sagte alles: „Wenn du das jetzt tust, hast du Zirkus vom Feinsten!"

Vorsichtig legte Spencer Polly in ihre Babyschalen und legte eine bunte decke über sie. Dann versuchte er sich mehr Soße als erlaubt auf den Teller zu schmuggeln. Auch die Würstchen im Schlafrock behielt ich im Auge.

Als ich einmal nicht hinsah und Spencer mit der Gabel auf die Platte der Würstchen zugreifen wollte, da machte Lauren ihm einen Strich durch die Rechnung. Beinahe hatte er in seiner gesunden Hand die Zacken der Gabel stecken.

„Du solltest auf Harry hören", sprach sie im typischen Mutter-Ton. Immerhin eine, die mir recht gab. Ich legte unter dem Tisch kurz die Hand auf Spencers Knie und tröstete ihn. 

Sekunden darauf umfasste seine gesunde Hand meine. Sanft strich sein Daumen über meinen Handrücken. Es war nur eine kleine Geste und doch ließ sie mich fast platzen vor Glück.

Ich liebte diese unauffälligen, zärtlichen Momente.

Das Essen zog sich sehr in die Länge, es war köstlich und zu meiner Überraschung gliederten sich Lauren und Bram kinderleicht ein. Sie waren angenehme Gäste und ich begriff, dass sie das gewöhnt waren sich anzupassen. Doch es sah so aus, als würden sie sich wirklich wohl zu fühlen.

Den Nachtisch schaffte ich nicht mehr, ich war dermaßen vollgefressen, dass ich Schwierigkeiten hatte meiner Mum beim Abräumen des Tisches zu helfen. Es ging recht schnell, weil alle mit anpackten und helfen wollten.

Gemma packte eine gewaltige Dose mit Plätzchen aus, es gab Punsch und heißen Tee und wir fanden uns etwas weiter hinten im Wohnzimmer ein. Nach und nach verteilten wir uns auf den Sitzmöbeln und damit Robin nicht allzu eingeengt neben Tony saß, hockte Spencer sich vor meinen Füßen auf den Boden. Er stopfte sich ein Kissen in den Rücken und streckte langsam die Beine aus.

„Setzt dich besser-", wollte ich ihn meinen Platz anbieten, doch er wollte nicht: „Bleib bloß sitzen, noch bin ich nicht alt."

Außerdem konnte er so besser mit Polly spielen, die mittlerweile die Augen in ihrer Babyschale wieder aufgeschlagen hatte und den riesigen Weihnachtsbaum ansah. Ich musste zugeben, dass ich froh war nun im Wunderland zu sitzen. Denn die ganzen Lichterketten, Kerzen und die Schneeflocken von der Decke machten den riesigen Raum sehr gemütlich.

Im Steinkamin brannte nun ein warmes Feuer und während ich am Punsch nippte, da konnte ich mich nicht erinnern, was ich das letzte Mal mit meiner Familie so friedlich zusammen saß. Ich hörte meiner Mum schließlich zu, wie sie von Missgeschicken aus Gemmas und meiner Kindheit erzählte und schmunzelte.

Tony überraschte uns alle, denn er gestand, dass seine Familie normalerweise immer im Garten am Lagerfeuer grillte. An Weihnachten natürlich. „Jeder bringt etwas mit, wir ziehen uns dick an und am Ende werden Weihnachtslieder gesungen.  Fast alle Kinder in meiner Familie spielen ein Instrument, es ist also fast ein kleines Konzert." 

 Die Vorstellung gefiel mir und ich könnte mir vorstellen, das im nächsten Jahr zu machen.

Polly bekam ihr Fläschen und wurde Tony dafür in die Arme gedrückt. Dann fragte er völlig nicht wissend in die Runde: „Wie wird bei euch Weihnachten immer gefeiert?", und sah Spencer, Bram und Lauren der Reihe nach an.

Ich befürchtete, dass eine peinliche Pause entstand, doch Spencer löste das geschickt: „Wir verbrachten die Feiertage immer bei den Grands. Den Baum haben wir zusammen gesucht, Dad und Grandpa durften ihn dann fällen und schlüren."

Just in diesem Moment prustete Lauren in ihren Tee. Sie platzte fast vor lachen: „Ihr habt euch beim Christmas Tree Hunt einmal hoffnungslos verlaufen. Ich glaube, da warst du sechs oder so."

„Das war wahrlich peinlich", gab Bram zu und sofort wollte Robin wissen, was passiert sei. Die Männermannschaft, Jones Senior, Jones Junior und die beiden Enkel suchten tief im Wald den perfekten Baum. Dann bogen sie falsch ab und liefen drei Stunden im Kreis im Wald herum.

„Der Rancher hat uns schließlich gefunden, es wurde schon dunkel und kalt", erzählte Bram. „Zu Hause wartete dann die Hölle. Ich bin noch nie im erwachsenen Alter auf mein Zimmer geschickt worden."

„Schlimmer war das Jahr, als Grandpa und du den Baum nicht richtig fest auf das Dach des Autos geschnürt habt und in der ersten scharfen Kurve war das Ding weg", warf Spencer ein, doch Lauren winkte ab: „Das war doch gar nichts. Erinnerst du dich daran, als dein alter Herr-"

„Hey!"

„-meinte, er müsste sich das blinkende große Rentier umschnallen und es auf dem Dach befestigen?", fuhr sie fort. Spencer lachte so heftig, dass er sich die Rippen hielt und Sekunden darauf musste ich den Punsch abstellen. Bram war auf die Leiter samt Rentier rauf, die an der Hauswand lehnte, während seine Jungs das alles skeptisch beobachteten.

Dann verlor er das Gleichgewicht nach hinten und segelte mit Leiter in die Hecke der Nachbarn. Großes Glück bewahrte ihn davor, dass er sich nichts brach. Doch die Tatsache, dass Lauren direkt am Fenster stand, als es passierte und Spencer und Aaron brüllten: „Das Rentier, das Rentier!", machte es urkomisch.

Die Bescherung begann eine Stunde später endlich, da Robin anfing die Päckchen zu sortieren. Während Spencer umständlich zum Baum robbte und an Gemma die Geschenke weiterreichte, da zog ich mein Handy aus der Hosentasche und überprüfte kurz Instagram. 

Schließlich legte ich es zur Seite und sah mit an, wie sich meine Mum über die neue Wohnzimmerdecke freute und Robin inspizierte sein neues YAMAY Fitness Armband, welches Uhr, Pulsmesser, Schrittzähler, Kalorienzähler und sonstigen Schnickschnack anzeigte.

„Jetzt steht deiner Diät im neuen Jahr nichts mehr im Wege", behauptete meine Mum schadenfroh und ich sah Robin an, dass er nicht wusste, ob er sich freuen sollte oder nicht.

Spencer erklärte seinen Eltern gerade die Trekkingrucksäcke, er hörte ihnen in Nashville damals ganz genau zu und wusste, dass beide thailändischen Inselurlaub machen wollten. „Dad sagte, dass dein Besichtigungsdrang kein Ende kennt, Mom und vielleicht solltet ihr verstärkt Trekkingreisen machen."

Jetzt wusste ich zumindest genau, von wem er sein Touristen-Gen hatte.

Seine beiden Eltern waren fit und die Idee gefiel ihnen. Noch mehr, als Bram die fertig gebuchte Reise im Rucksack fand. Sichtlich überfahren wollten sie das Geschenk erst nicht annehmen, doch Spencer bestand drauf.

Ich hatte keine Ahnung, wann er das alles gemacht hatte. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis alle mit ihren Geschenken beschäftigt waren. Gemma schimpfte über den Berg an Windeln, den Spencer und ich sponserten und Polly plärrte nach Aufmerksamkeit.

Endlich hatten Spencer und ich einen Moment für uns. Mit nur einer Hand schob er einen großen, verpackten Karton über den Boden und ich rutschte vom Sessel. Selbstsicher meinte er: „Das kannst du nicht toppen!"

„Dir auch frohe Weihnachten", antwortete ich trocken und zog an der kleinen Karte. In vertrauter Schrift stand dort: »Ein Geschenk, das du in jede Wohnung mitnehmen kannst.«

Neugierig entfernte ich das rote Band und klappte den Deckel der Kiste auf. Im ersten Augenblick war ich verwirrt, dann hob ich vorsichtig einen altmodischen Globus aus dem Karton und sah mehrmals hin.

Kleine bunte Fähnchen markierten Länder und Orte an denen Spencer und ich schon gemeinsam gewesen waren. Feine, gestrichelte Linien wirkten wie Spuren. Auf den Fahnen standen die Städte und ich schluckte hart.

Das musste doch furchtbar viel Arbeit gemacht haben. Mir fiel auf, dass der Globus seltsam schwer war und erkannte, dass man ihn öffnen konnte. Ich fand Schätze in einer Schachtel, die man nicht kaufen konnte.

Da waren die Konzertkarte für die Rolling Stones, die wir in Boston gesehen hatten, ein Foto aus Berlin, quasi unser erstes gemeinsames Selfie, auf dem wir zwar nicht aussahen, als wären wir zusammen – doch das war egal. Außerdem war Berlin vertreten mit den Kinokarten von der Rocky Horror Picture Show. Für London stand die Bolotie, welche ich während der BRITs trug. 

Doch als ich die Erinnerung von Los Angeles sah, da musste ich laut lachen.

Ich zog den Fetzen Stoff heraus: „Ist das dein Ernst?" Zwischen den Fingern befand sich ein Slip mit übertrieben viel schwarzer Spitze. Fast lautlos raunte ich: „Du hast da ein verfluchtes Höschen gekauft?"

„Es hat nur 600 Dollar gekostet", sprach Spencer und ich ließ es fallen, weil es benutzt war. Nun hob er es auf und hielt es mir ins Gesicht: „Du Blödmann, es ist sauber, so ekelhaft pervers bin ich jetzt auch nicht."

Hastig schnappte ich es mir, damit er damit nicht übertrieben auffällig herumwedelte.

„Wieso hast du nie gesagt, dass du es hast?", wollte ich wissen und er rollte mit den Augen: „Wir haben uns in einem... speziellen Club kennengelernt, außerdem dachte ich, dass es sowieso keine Rolle mehr spielt."

Ich zog ihn zu mir und dankte ihm. So lange ich ihn jetzt schon kannte, waren Geschenke für ihn nie ein nerviger Punkt auf einer langen Liste. Die Art, sich Gedanken zu machen, liebte ich. Leise gestand Spencer: „Ich hatte ein bisschen Hilfe, um alles wieder zusammen zu kriegen. Jetzt steht es 2:1 für mich."

Meine Mundwinkel zuckten und meine Lippen strichen an seiner Schläfe entlang: „Abwarten. Du musst mein Geschenk schließlich erst finden."

„Was?", empörte er sich. „Das hier ist Weihnachten, nicht Ostern!"

„Nicht mein Problem", behauptete ich, aber ich sah, dass Spencer nicht wirklich sauer war. Im Gegenteil. Zusammen suchten wir einen Platz für den Globus und schoben dafür ein paar tanzende Weihnachtsmänner zur Seite.

Es war ein schönes Weihnachten.

Im Verlauf des Abends wurde die Stimmung gemütlich. Tony bediente sich an meiner Anlage und kitschige Weihnachtslieder spielten. Ich machte mich daran in der Küche die Spülmaschine auszuräumen. Gemma half mir, denn seit Ewigkeiten war das schon unsere Aufgabe.

„Denkst du... großer kleiner heiliger Bruder... ähm... du könntest vielleicht Polly nehmen, damit Tony und ich länger schlafen können als halb vier?", fragte sie und ich verzog das Gesicht: „Von mir aus, aber nur heute. Ich verspreche jedoch nicht, dass ich sie sofort höre." Das war gelogen, ich würde sie hören, sobald sie nur tief Luft holte.

„Du bist ein Schatz", schleimte Gemma durchschaubar. Ich winkte ab: „Ja, ja. Bekämpfe du mal besser deine Augenringe. Siehst mittlerweile aus wie vierzig."

Wir verließen eine aufgeräumte Küche und als ich zurück ins Wohnzimmer trat, da sah ich, dass Spencer mittlerweile im Sessel saß. In den Händen hielt er umständlich eine Tasse Tee und blickte nach draußen, so wie er es in den letzten Tagen oft getan hatte.

Ich mochte den Blick nicht, warum konnte ich selbst nicht sagen. Vielleicht, weil ich wollte, dass er im Hier und Jetzt blieb und nicht an das dachte, was geschehen war.

Seine Haltung veränderte sich, er stellte die Tasse weg und zog sein Handy aus den Taschen seines Hoodies und dann betrachtete ich mit klopfenden Herzen sein Mienenspiel. Zuerst wirkte er irritiert, vielleicht durch mehrere Nachrichten und schließlich schien er etwas zu suchen.

Ich wusste ganz genau was.

Seine erste Adresse war Instagram. Vor über zwei Stunden war ich ebenfalls dort gewesen, um etwas hochzuladen. Etwas, was ich vielleicht schon viel eher hätte tun sollen. Mein Geschenk konnte Spencer nicht übertrumpfen und als er den Kopf hob und mich ansah, da wusste er es.

Ich lud ein Foto von uns hoch, das wir auf Rousay aufgenommen hatten. Dort hatte ich Spencer am Strand zu mir nach hinten gezogen, er schob sich die Mütze aus dem Gesicht und meine Lippen streiften seine Wange. Leicht drehte er sich auf dem Bild in meine Richtung.

Es war das schönste und ehrlichste Selfie, das wir je zusammen machten. 

Auf keinem Foto erkannte man so deutlich, wie ich ihn sah und er mich. Vielleicht war es dumm so etwas Intimes mit Millionen Menschen zu teilen. Doch für mich war es nicht dumm. Etwas, was mein Glück war, konnte nicht negativ sein.

Was zählte, war die Lebendigkeit und die Liebe, die ich empfand, wenn ich mit Spencer zusammen war. Seit ich ihm begegnet war, änderte sich mein Leben und zwar zum Guten. Auch, wenn ich es oft nicht merkte und der Preis mir manchmal furchtbar hoch vorkam. Doch das war es jeden Tag wert.

Mein Glück war nicht mehr greifbar und unglaublich kostbar. Deshalb schrieb ich die wohl ehrlichsten Zeilen, die ich je im sozialen Netzwerk verfasst hatte.

»Mit dir zusammen habe ich keine Angst mehr.«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top