70 ♫ Shape of you
Ich will sagen:
So soll es sein
So kann es bleiben
So hab ich es mir gewünscht
Alles passt perfekt zusammen
Weil endlich alles stimmt
Und mein Herz gefangen nimmt
[ Ich + Ich ]
SPENCER ║ Ganze drei Wochen musste ich im Krankenhaus bleiben. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal froh darüber war alleine aufs Klo gehen zu dürfen. Laufen musste ich zwar nicht neu lernen, aber mein Gleichgewicht war nicht besonders gut.
Zum Glück hatte ich nette Schwestern und Pfleger, die genug Geduld mit meinen Dickkopf hatten. Physiotherapie wurde Pflicht, auch nach meiner Entlassung. Eigentlich hätte ich die Ruhe im Krankenhaus genießen sollen, aber stattdessen hatte ich die Langeweile des Todes.
Fenton war ein guter Verbündeter. Wir begannen zuerst alleine spät Abends im Aufenthaltsraum an Karten zu spielen. Ausgeruht war ausgeruht und die Glotze so langweilig, dass wir das Gefühl von Verblödung bekamen.
Was als Poker zu Zweit anfing, wurde schließlich zu einer ganzen Runde mit zwei rüstigen Herrn, einer alten Dame und einem jungen Fußballspieler. Die Pflegekräfte fanden das nicht besonders witzig, also frönten wir unser Laster heimlich.
Fentons Physiotherapie dauerte oft eine weitere Stunde, also war ich meinen Eltern umso länger ausgeliefert. Nur Alex, Mattheo, Mara und Harry konnten mich retten, doch die ließen sich häufig bis Nachmittag Zeit.
Manchmal, wenn ich mir mit Fenton alleine die Zeit vertrieb, dann sah ich förmlich, wie seine Gedanken abdrifteten. Er gab sich Mühe locker und gelassen zu sein, aber ich konnte in seinem Gesicht lesen, dass er sich nur sehr stark anstrengte.
Ich konnte ihm nicht helfen. Mit mir wollte er nicht reden und ich wusste nicht, ob er das überhaupt tat. Die Angst, dass ich meinen besten Freund Stück für Stück verlor, war da.
Als ich es Alex bei einem seiner zahlreichen Besuche erzählte, da hörte er mir aufmerksam zu und nickte schließlich. „Ich verstehe", murmelte er und ein leises Gefühl ließ mich glauben, dass er das wirklich tat.
Um meine Haare kümmerte sich Penny, Maras beste Freundin. Leider scherte sie mir eine Billiardkugel und der rappel kurze Schnitt ließ mich frösteln. Außerdem glaubte ich, dass man die genähten Stellen jetzt umso deutlicher sah.
Beim Zahnarzt war es unproblematischer. Zumindest hatte ich jetzt wieder ein lückenfreies Gebiss. Es fühlte sich nicht mehr komisch an und ich war froh im Spiegel zumindest wieder einen Ansatz an Vertrautheit zu sehen.
Als ich den Knast, alias das Krankenhaus verlassen durfte, da war es nur noch eine Woche vor Weihnachten.
„Kommt mit uns nach Nashville", schlug meine Mom vor, aber ehrlich gesagt würde ich mich lieber in Berlin verkriechen, als bei meinen Eltern übergangsweise einzuziehen.
Ich redete mich raus, dass ich noch nicht fliegen wollte und Harry verstand den Wink sofort: „Ich habe Spencers halben Schrank schon zu mir bringen lassen. Vielleicht ist es eine Alternative Weihnachten in London zu verbringen? Sie sind herzlich eingeladen."
Für meinen Vater klang das stressfrei, er stimmte sofort zu. Meine Mom wollte Bedenkzeit, aber ich konnte in ihrem Kopf bereits hören, dass sie so einiger lästigen Veranstaltungen der Nachbarschaft und der Kanzlei entkam.
Dankbar ließ ich mir also am Entlassungstag aus seinem Auto helfen und vermisste die WG. Mara hatte einen neuen Ort gefunden, der nur uns fünf gehören würde, aber es gab noch Einiges, um das sie sich kümmern wollte.
Ich hatte kein Mitspracherecht, Fenton auch nicht. Mattheo wollte die Renovierungen überwachen und Alex sich der Einrichtung widmen. Wenn alles fertig war, dann durfte ich meckern und Möbel rücken. Eigentlich eine fiese Aufgabenaufteilung, weil ich im Moment nicht einmal einen Schuhkarton richtig halten konnte.
„Wohnst du jetzt wirklich in einem Hochhaus?", fragte ich und folgte Harry, der meine Reisetasche schulterte. Er und ich nahmen den Fahrstuhl und dann lernte ich sein neues Penthouse kennen. Es war unglaublich Lichtdurchflutet, im Fabrikstil und hatte zwei Stockwerke.
Die Küche war fertig und ich betrachtete die wuchtigen Möbel: „Wieso hast du deine eigentlichen ausgetauscht?" Harry hatte verdammt wenig Dinge aus seinem Haus mitgenommen. Außer einem Regal und mehreren Bildern konnte ich nichts Vertrautes entdecken.
„Weil sie hier nicht reingepasst hätten", teilte er mir mit. „Im oberen Stockwerk sind die Schlafräume und man kann raus zum Garten."
„Hast du ein Tonstudio hier?"
Er schüttelte den Kopf: „Irgendwo muss die Arbeit aufhören. Es gibt genug Leute, die eines haben, ich brauche das nicht." Mit den Kopf nickte er zur breiten Treppe, damit er mir zeigen konnte, wo sich das Bad und das Schlafzimmer befand.
Der Ausblick auf die Themse war herrlich, trotz des schmuddeligen Wetters. Als ich Harry Richtung Treppe folgte, da fiel mir auf, dass seine Bude nur spärlich weihnachtlich eingerichtet war. Stufe für Stufe kämpfte ich mich schwerfällig hoch und verliebte mich auf den ersten Blick in den Garten. Man könnte ihn auch Terrasse nennen, aber sobald hier oben der Frühling anbrechen würde, wäre es eine regelrechte Oase.
„Warum hast du kaum Weihnachtsbeleuchtung?", fragte ich und erkannte die Möbel aus dem Schlafzimmer. Zumindest die hatte er mitgenommen. Harry schob seine linke Schranktür auf und scheinbar war aus meiner einen Schublade eine ganze Schrankseite geworden.
„Uh, ist das mein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk?", witzelte ich und Harry räumte meine Klamotten ein. Ich ließ mich schwerfällig auf das Bett fallen.
„Nein", antwortete er. „Mara hat mir paar Dinge von dir vorbei gebracht und da du für einige Zeit meine Geisel bist, dachte ich, das wäre nett von mir." Kaum war alles verstaut, da gab Harry zu: „Ich bin irgendwie nicht dazu gekommen für Weihnachtsstimmung zu sorgen, außerdem passt das Meiste bei mir im Stil nicht rein."
Zum Teufel mit Stil.
„Du hast nicht einmal einen Weihnachtsbaum. Bei deinen hohen Decken wäre der doch perfekt", behauptete ich. Im Endeffekt hatte Harry sich darum überhaupt keinen Kopf gemacht: „Ich bin so froh, dass alles gut ausgegangen ist, du dich erholst und bei meinen Freunden alles läuft, dass mir das nicht wichtig erschien. Irgendwie dachte ich nur noch an das, was wirklich wichtig ist. Gesundheit, neue Arbeit und das hier im Haus alles funktioniert."
Ich schmunzelte: „Aber Weihnachtsstimmung ist wichtig!"
„Wir haben doch noch eine Woche, ich kaufe morgen oder übermorgen einfach ein paar Lichterketten", beschwichtigte er mich. „Die Tischdecken bringt meine Mutter mit und um den Babykram kümmert sich meine Schwester."
Ah, ja ich erinnerte mich. Vor einiger Zeit war Harry Onkel geworden. Die kleine Polly kam mit viel Krawall zur Welt. Sie hatte es unglaublich eilig und erblickte in einem Taxi das Licht der Welt. Tony und der Taxifahrer heulten um die Wette und zur Erleichterung aller war die kleine Polly gesund und munter.
Weihnachten würden sie alle kommen, Robin, Anne, Gemma, Tony und natürlich das neuste Familienmitglied. Dazu noch meine Eltern. Jetzt kam mir das Ganze vor wie ein Minenfeld.
Abends lagen Harry und ich nach einem Streit zusammen auf der Couch. „Ist das dein Ernst? Gemüse, Gemüse, Gemüse? Willst du mir jetzt noch sagen, dass alles Bio ist?", ich konnte nicht glauben, dass er mir nur Kaninchenfutter vorsetzte. Da hätte ich ja im Krankenhaus bleiben können.
Harry ließ sich jedoch nicht bedrohen: „Man hat mir einen Ernährungsplan für dich gegeben." Brav ratterte er runter: „Empfohlen wird eine salz- bzw. natriumarme, gesunde Ernährung mit Gemüse, Obst und Vollkornprodukten, aber wenig Fleisch. Vorsicht ist geboten bei Nahrungsmitteln mit viel Cholesterin und gesättigten Fettsäuren, bei extrem eiweißreicher oder -armer Kost, bei salzhaltigem Essen und beim Genuss von Alkohol und Nikotin."
Ich starrte ihn fassungslos an, doch er knickte nicht ein, also spachtelte ich in meinem Essen herum und würgte es runter. Jetzt vermisste ich Pancakes, Sahne und Burger noch mehr.
„Ich muss noch Punkte bei deiner Mom gewinnen", redete Harry sich raus. Sein schlechtes Gewissen merkte ich ihm an, weil er mich aussuchen lassen wollte, was wir in der Glotze schauen würden.
Aber danach war mir nicht, also lief wenig später irgendein alter, britischer Comedy-Mist, den ich nicht witzig fand. Umso besser, denn ich bediente mich an meinem Laptop und beschloss, wenn Harry mich die nächsten Tage sowieso hier gefangen hielt, dann könnte ich es mir auch gemütlich machen.
Ich bestellte ohne Limit jeden Weihnachtsschnickschnack, von dem ich überzeugt war, er würde die Räume wunderlicher machen. Lichterketten, Kunstschnee, tanzende Weihnachtsmänner, Lametta, eine riesige Tanne, die bestimmt bis zur Decke ging, Kuscheldecken mit Engel, Elchen und Schneeflocken drauf, Kissenbezüge – es nahm kein Ende.
Vielleicht war das auch einfach der Zuckerentzug. Noch immer dachte ich mit Wut daran, dass man mir jedes Geschenk mit Schokolade entrissen hatte, bevor ich „Twister", sagen konnte.
Indem ich einen Zusatz bezahlte, wollte die Firma mit den Weihnachtsartikeln mir die Sachen möglichst schnell liefern. Sichtlich zufrieden mit mir gab ich die Bestellung auf. Ich wusste auch nicht wieso, aber ich wollte das volle Programm. Vielleicht gelang es mir sogar ein paar Lebkuchenkekse hier hereinschmuggeln.
Es war die erste Nacht nach dem Angriff, in der ich wieder neben Harry schlafen sollte. Irgendwie war das ein merkwürdiges Gefühl. Ich kämpfte mich aus meiner Hose, aber was das Shirt anging, da kam ich an meine Grenzen.
Harry kam sichtlich amüsiert aus dem Bad. Er roch nach Seife und fragte verschmitzt: „Soll ich dich ausziehen?"
„Wenn du schon so fragst... das wird aber kosten", antwortete ich und er grinste süffisant: „Eigentlich sollte ich mir das was kosten lassen, immerhin mache ich die Arbeit."
Vorsichtig zwängte ich mich aus dem Shirt und war total erleichtert. Die Weste, die ich noch ein paar Tage tragen musste, war störrisch und nervte mich. Aber bald war es geschafft. Ich genoss die sanften Berührungen von Harry.
Wir lagen in der Nacht nebeneinander, er spielte mit den Fingern meiner gesunden Hand und ich ließ ihn gewähren. Es tat gut seinen Duft einzuatmen, seine Wärme zu spüren und zu wissen, dass da jemand war.
Es fühlte sich an, als hätten wir das Monate lang nicht mehr gemacht. Einfach nebeneinander gelegen und die Nähe des Anderen zu genießen.
Zum ersten Mal seit langem schlief ich gut, richtig tief und fest. Leider änderte dies nichts daran, dass ich morgens wach wurde und geschockt nach Orientierung suchte. Es war ein Reflex. Keuchend schnappte ich nach Luft und versuchte mich langsam aufzusetzen.
Endlich flaute das dumpfe Gefühl von Panik ab. Mit der Hand wischte ich mir über die schweißnasse Stirn und hoffte, dass diese kleinen Anfälle bald aufhörten. Zumindest träumte ich keinen Blödsinn mehr oder konnte mich dran erinnern.
„W-Was ist los?", Harrys raue Morgenstimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken und ich ließ mich wieder ins Kissen fallen.
„Dein Wecker klingelt", antwortete ich und just in diesem Moment ging er los. Harry tastete nach dem Gerät und machte das Nachtlicht an. Sein irritierter Blick traf mich und er rollte sich zurück: „Spencer, wenn-"
„Ein Glas Wodka kriege ich von dir nicht", unterbrach ich ihn und strich beruhigend durch sein Haar. Ich mochte es nicht, wenn er mich so seltsam besorgt ansah. „Okay, komm, lass uns aufstehen." Stattdessen zog Harry mich zurück ins Bett.
Ich genoss es seine Wärme an meinem Rücken zu spüren und seine Arme, die mich umschlungen hielten. Es vermittelte das Gefühl von Sicherheit, weshalb ich müde die Augen schloss und auf seinem Atem in meinem Nacken achtete.
Umständlich hantierte ich mit meiner verletzten Hand und versuchte das Ziehen an meiner linken Rippenseite zu ignorieren. Doch als das nicht mehr ging, bat ich Harry, mir zu helfen, damit ich mich ohne Schmerzen aufsetzten konnte.
Ich hasste das, ich wollte mich endlich wieder richtig bewegen können, aber man hatte mir schon im Krankenhaus gesagt, dass Schussverletzungen nur langsam verheilten.
„Ich komme mir dämlich vor, aber würdest du mir noch mal helfen mich anzuziehen?", bat ich ihn und hatte schon am Morgen schlechte Laune. Harry schien damit jedoch kein Problem zu haben, vorsichtig zog er meinen Arm durch den Ärmel: „Jetzt sei nicht pissig."
„Wärst du es an meiner Stelle nicht?", fragte ich und atmete tief durch. Er neigte leicht den Kopf: „Doch, du hast recht. Aber hey, verschieben wir das so lange, bis es dir wirklich besser geht."
„Verschieben was?", zog ich ihn auf, wohl wissend, dass ich dies ganz genau wusste. Harry versuchte keine Miene zu verziehen: „Was willst du frühstücken?"
„Ich weiß auch nicht, vielleicht nichts, was man im Kühlschrank findet", reizte ich ihn und umschlang ihn mit meinen gesunden Arm. Seine Mundwinkel zuckten: „Schätze, da musst du bis nach Silvester warten."
Wenn nicht sogar noch länger.
So eine verdammte Scheiße.
Ich würde ihn gerne wieder richtig berühren, mit ihm schlafen und ihm so nahe sein, wie es ging. Es war frustrierend, dass ich nicht lange in einer Position liegen bleiben konnte und mich bewegte, wie ein alter Mann.
Wir frühstückten zusammen – nur gesunden Mist – und Harry musste zu zwei Terminen, die sein Management betrafen, außerdem wollte er bei Niall vorbei und schauen, ob er okay war. Diesen Freundschaftsdienst mochte ich an ihm, also hatte ich genug Zeit in seinem Penthouse die Hölle losbrechen zu lassen.
Ich schauspielerte, als würde ich einen Oscar gewinnen wollen und versprach: „Ich ruhe mich aus, versprochen und nein, ich bestelle keine heimliche Pizza. Das würdest du doch eh riechen, wenn du wieder kommst."
„Wehe Spencer, ich frage den Portier und der macht mir nichts vor", drohte Harry mir, doch ich lächelte nur: „Jetzt geh schon."
Der arme Mann am Empfang würde ganz andere Sorgen haben. Meine paranoide Schissbuchse machte sich auf, jedoch nicht ohne sich vorher zu mir runter zu beugen und sich zu verabschieden, wie wir es ausgemacht hatten.
Dieses kleine Ritual machte mich glücklich. Ich war froh, dass wir es beide direkt beschlossen als es mit uns anfing. Leicht benebelt sah ich Harry nach, wie er für ein paar Stunden verschwand. Langsam wurden wir echt ekelhaft - wie diese kitschigen Dauerverliebten.
Ich schob demonstrativ die Schüssel mit dem Müsli zur Seite und machte mir einen Kaffee. Noch mehr Tee und ich sah selbst aus wie ein Teebeutel.
Um halb elf rief der Portier an und erklärte, er habe eine menge Lieferungen. Ich ließ sie nach oben verfrachten und bestaunte die Welle an Pakete. Zum Schluss zogen mehrere Männer einen riesigen Tannenbaum aus dem Fahrstuhl und stellten ihn dort auf, wo ich ihn im Wohnzimmer haben wollte. Sie verdienten alle ein saftiges Trinkgeld und zogen gut gelaunt wieder ab.
Ich suchte gerade nach einem Messer, als ich jemanden zwischen den Kisten entlang gehen sah. Anne erkannte ich erst auf den zweiten Blick und blieb prompt stehen. Mit Harrys Mutter hatte ich abolut nicht gerechnet und er sie auch nicht angekündigt.
„Oh", entwich es mir und ich räusperte mich. „Harry hat nicht erzählt, dass du vorbeikommst."
Unsicher strich sie sich durch das Haar, eine Geste, die der von Harry ähnelte: „Ja, ich habe ihm auch nicht genau gesagt, wann ich kommen würde." Sie hob ihre Hand, in der sie eine Tüte hielt: „Eigentlich wollte ich die Tischdecken für Weihnachten vorbei bringen und ein paar Kleinigkeiten, die ich zum kochen brauche." Nun sah sie sich um: „Was ist das hier alles?"
„Harrys Albtraum", gab ich zu. „Das volle Weihnachtsprogramm!"
Anne sah den Baum im Wohnzimmer und zuerst wirkte sie geschockt, doch dann lachte sie laut auf: „Der ist ja riesig!"
„Ein Kleiner hätte hier echt mickrig ausgesehen", meinte ich und wandte mich an die erste Kiste, doch es war schwer sie mit nur einer Hand zu öffnen. Einen Augenblick später stand Anne neben mir und fragte: „Brauchst du vielleicht Hilfe?"
Die brauchte ich in der Tat. Kurz darauf packte wir eine Kiste nach der Nächsten aus. Es war komisch es ausgerechnet mit Anne zu tun. Wir sprachen nur das Nötigste und über die Dinge, die ich bestellt hatte.
Große Rentiere, die blinkten, Lichterketten, bunt und lang genug, damit man sie an den Fabrikfenstern entlang befestigen konnte und zahlreiche Fensterbilder. Am Treppengeländer wickelten wir eine Girlande an Tannenzweige entlang und befestigten rote Schleifen.
Wir wechselten die Bezüge der Wohnzimmerkissen und verteilten kleine fette Engel. Ein bimmelnder Weihnachtsmann tapste hinter uns her und schließlich packte Anne kitschige Punschtassen aus. Wenn schon, denn schon.
Am Kamin befestigte ich die typischen Socken, die man in Amerika hatte und half Anne dabei an der hohen Decke des Lufts Schneeflocken am Faden zu bekleben. Es war eine mörderische Arbeit, vor allem, weil Anne nach einer Weile auf der Leiter schwindelig wurde.
„Spencer?", begann sie schließlich, als ich ihr den nächsten Stern reichte. „Wieso hast du damals keine Andeutungen gemacht, als ich dich das erste Mal bei Harry getroffen habe?"
Ich blinzelte kurz: „Weil er damals schrecklich paranoid war und ich das nicht unbedingt fördern wollte. Außerdem wusste ich nicht, dass... wir... mal sind was wir sind."
Nachdenklich musterte sie mich: „Hat es lange gedauert, bis er das wusste?"
„Ja", gab ich zu und hielt mit einer Hand die Leiter fest. „Harry ist nicht der Typ, der auch nur irgendetwas überstürzt."
Nun lächelte Anne: „Das ist wahr." Sie klebte den letzten Stern fest und ging dann vorsichtig von der Leiter runter. „Ist es okay für dich, mit uns Weihnachten zu feiern?"
„Spricht denn was dagegen?", wollte ich wissen. „Ich meine, meine eigenen Eltern sind ja auch da."
Anne wusste das bereits: „Ich habe gelesen, dass du nicht so ein gutes Verhältnis zu deinen Eltern hast." Damit verriet sie, dass sie mich gegoogelt hatte.
„Es wird seit einiger Zeit besser. Wir geben uns Mühe und ich wäre froh, wenn Weihnachten kein Alkohol hier ist, weil...", leicht zögerte ich. „... ich will es meiner Mom nicht allzu schwer machen und sie irgendwie ein bisschen unterstützen."
Das schien sie zu überraschen: „Dann werde ich ohne Rotwein kochen."
Wir schwiegen, es wurde etwas merkwürdig, denn bei unserem ersten Treffen war sie redseliger. Aber vielleicht hemmte es einfach, jetzt zu wissen, dass ich nicht nur ein normaler Kumpel von Harry war. Die Vorstellung, dass ich ihn mehr als nackt gesehen hatte, verwirrte sie wohl.
Doch das war okay, irgendwann lief es sicher besser.
Obwohl ich mir Mühe gab, so brauchte ich immer wieder Pausen. Mich strengte jede kleine Tätigkeit an, aber ich hielt tapfer durch und war froh, als ich endlich länger sitzen konnte. Mir tat die Schulter und die linke Seite weh.
Fast zwei Stunden später kam Harry zurück. Da hatten wir den Großteil der Kisten schon weggeräumt und nur den Schmuck für den Baum hoben wir auf. Anne und ich hockten im Wohnzimmer im Weihnachtswunderland und nippten am verdienten Tee, als wir Harry aus dem Fahrstuhl kommen hörten.
„Was zum Teufel ist hier passiert?", völlig geschockt trat er durch die Räume. „Ich war doch nur ein paar Stunden weg."
Als er den Baum im Wohnzimmer sah, da blieb er völlig erschlagen stehen. Das Monsterding von einem Baum war über zwei Meter hoch, aber es machte ordentlich etwas her.
„Willkommen zurück", dröhnte ich schadenfroh und beobachtete, wie Harry sich fast ans Herz griff. Fassungslos drehte er sich um sich selbst.
Anne grinste: „Du hast uns alle eingeladen und wir haben dieses Jahr ein kleines Mädchen dabei. Dachtest du wirklich, du müsstest hier nicht schmücken?"
„Ich... dachte... jedenfalls nicht, dass es hier voll einschlagen muss", gab er zu und pellte sich aus seiner Jacke. Ich genoss seinen überforderten Gesichtsausdruck total. Knapp nickte ich auf die übrigen Kisten: „Der Baum ist als Hausherr deine Aufgabe."
Harry schien sprachlos. Schließlich empörte er sich: „Dafür werde ich ja ewig brauchen!"
„Dann fängst du besser gleich an", meinte ich pragmatisch. „Ich darf dir ja nicht helfen, muss mich schonen und so."
Sein Blick sprach Bände, doch ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. Zu meiner Überraschung kam er auf mich zu und kurz blinzelte ich. Harry hielt Wort, er begrüßte mich so, wie wir es immer machten, sanft streiften seine Lippen meine. Dann strich mir mit den Fingerspitzen über den geschorenden Kopf und sah dann auf die Kisten.
Ich spürte meinen Nacken prickeln als er sich an die Arbeit machte.
Es war das erste Mal, dass Harry mich küsste, während jemand anderes dabei war.
Leicht leckte ich mir über die Lippen und genoss dieses wunderbare Gefühl, dass durch meine Adern floss.
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