68 ♫ All around us

As I'm standing here

And you hold my hand

Pull me towards you

And we start to dance

All around us

I see nobody

Here in silence

It's just you and me

[ Colbie Caillat ]





HARRY ║ „Lass mich Angst haben, so viel ich will!"

Mit dem Ärmel rieb ich mir über die Augen und versuchte mich wieder in den Griff zu bekommen. Doch die Erleichterung schien mich von innen nach außen zu zerreißen. Spencers Mundwinkel zuckten und ich sah, dass ihm vorne ein Zahn fehlte, doch das war mir total egal. Ich umfasste seine Hand fester.

Tief atmete ich durch und zwang mich zu lächeln: „Du kommst morgen vielleicht auf eine normale Station."

Spencer schluckte leicht und nickte. Ich rückte mit dem Stuhl näher zu ihm und nahm seine Hand mit meinen Beiden und drückte meine Lippen auf seine Fingerspitzen. Ich spürte, dass er sich anspannte, weshalb ich fragte: „Was ist los?"

„Das... hast du schon... mal getan", sprach er rau.

Ich blinzelte: „Wie meinst du das?"

Zuerst glaubte ich nicht, dass er noch antworten würde, denn er schien Schwierigkeiten zu haben die Augen auf zu lassen. „Da, wo wir waren", erklärte er langsam. „Es war so warm... wie... nach dem Rave, weißt du noch?"

Ich konnte nicht nachvollziehen, geschweige denn begreifen, was er da von sich gibt oder worauf er anspielte, aber das war nicht wichtig. Spencer neigte leicht den Kopf: „Du... hast gesagt, es ist okay zu gehen."

„Nein", widersprach ich sofort. „Das hätte ich dir niemals gesagt." Zum Teufel, nein!

„Hm... ja, kann sein", Spencers Stimme wurde träge und ich begriff, dass er jeden Moment einschlafen würde, also schwieg ich und betrachtete ihn dabei, wie das Schmerzmittel ihn wieder mit in den Schlaf riss.

Eine ganze Weile blieb ich einfach bei ihm sitzen und ließ das Gefühl auf mich wirken, dass er da war. Alleine dies reichte mir. Seine Atmung ging gleichmäßiger und der Druck seiner Hand ließ nach. Diese ewige Warterei für diese paar Minuten waren es mir wert gewesen. Ein letztes Mal strich ich über seine Innenhandfläche, dann stand ich auf, damit er seine Ruhe bekam.

Kaum schloss ich die Zimmertür hinter mir, fühlte ich mich Jahrzehnte gealtert. Draußen auf dem Flur wartete niemand auf mich und so fuhr ich ins Erdgeschoss des Krankenhauses. Erst dort traf ich auf Niall, den ich fast vergessen hatte. Neben ihm stand Mara.

Keiner von ihnen sagte ein Wort und wir schritten schweigend zum Auto. Noch immer hatte Niall die Wagenschlüssel und als er vom Parkplatz fuhr, da sprach er: „Ich bringe dich zu Liam, der hat eine Tasche für dich gepackt und sein Gästebett bezogen."

„Okay", ich war einfach nur froh, dass meine Freunde sich kümmerten, denn er fuhr fort: „Morgen Mittag kommt die Umzugsfirma und baut die Möbel auseinander. Vielleicht suchst du dir nach dem Frühstück eine neue Immobile. Richard hat eine beachtliche Liste bei Liam vorbeigebracht."

Ich hörte Nial auf dem Beifahrersitz kaum zu. Seine Worte drangen von ganz weit weg zu mir. Einigen Lofts, Penthouses und Häuser waren sofort bezugsfertig, in anderen musste man noch das eine oder andere machen.

Nie hätte ich gedacht, dass das so schnell gehen würde.

Die Strecke zu Liams neuen Haus kannte ich nicht und war überrascht, dass es recht weit außen lag. Überrascht sah ich Niall an, als dieser hielt. „Hier wohnt er jetzt?"

„Ist definitiv ein Fortschritt zu seiner üblichen Protzbude", befand der Ire. In der Tat, denn wir standen vor einem alten Landhaus, das man handwerklich etwas aufmöbeln musste. Die ersten Arbeiten konnte man bereits sehen.

Leicht drehte ich mich um. Mara war auf der Rückbank eingeschlafen und Niall versprach, dass er mir den Wagen morgen vorbei brachte. Ich verabschiedete mich und hoffte, dass ich mich gleich nur noch ins Bett fallen brauchte. Hinter mir fuhr Niall weg und ich klingelte.

Es dauerte etwas, bis Liam zur Tür kam, er hatte Farbe an der Wange und den Händen. Aufmunternd lächelte er: „Super, dass du da bist, soll ich eine Pizza in den Ofen schieben?"

„Nein", wehrte ich ab, spürte aber gleichzeitig meinen Magen knurren: „Oder vielleicht doch. Hast du Bier?" Ich zog die Jacke und Schuhe aus und betrachtete die Baustelle, die mein Kumpel sein neues Zuhause nannte.

Die Räume waren toll erarbeitet und Liam blieb den ländlichen Stil treu, es passte erstaunlich gut. Liam zeigte nach links: „Geh schon mal in die Küche, ich holte die Pizza aus dem Keller."

Ich bog ab und betrat eine weite, geräumige, helle Küche, doch mitten im Türrahmen blieb ich stehen. Die dämliche Pizza nutze mein Kumpel nur, um sich vom Acker zu machen. Müde rieb ich mir über das Gesicht, dann sprach ich: „Was willst du hier, Mum?"

Meine Mutter erhob sich vom Küchentisch, vor ihr stand eine Tasse Tee. Statt etwas zu sagen, kam sie einfach auf mich zu und schlang die Arme um mich. Völlig verdattert ließ ich das geschehen. Es tat gut ihre Wärme zu spüren und ihren vertrauten Duft einzuatmen. Er hatte etwas unglaublich Tröstliches.

„Liam hat mich angerufen und mir alles erzählt", begann sie und strich mir liebevoll über die Wange. „Es tut mir so leid, Harry."

Überrumpelt musterte ich sie und sie fuhr fort: „Es war dumm von mir, zu glauben, dass du dich nur in einer Phase befindest. Du bist überhaupt nicht der Typ dafür, der so etwas laut aussprechen würde, wenn er sich nicht sicher wäre."

So etwas?", echote ich und sofort schlug meine Mum die Hand vor den Mund: „Nein, so meine ich das nicht!" Geschockt über sich selbst setzte sie hastig hinzu: „Eigentlich wollte ich sagen, dass du dir gut überlegst, mit wem du eine Beziehung eingehst und das nicht tust, weil es sich gerade anbietet oder um ein bisschen oberflächlichen Spaß zu haben."

Das war wahr.

Meine Mum musterte mich sorgenvoll: „Es tut mir leid, wirklich! Ich hätte so nicht reagieren dürfen."

„Was solls's", sprach ich und ließ mich müde am Küchentisch nieder. Normalerweise hätte ich das nicht so abgetan, aber ich war total erschöpft und ausgelaugt.

„Nein, nicht 'was solls's!', das darfst du nicht sagen!", widersprach Mum energisch und setzte sich neben mich. „Ich war einfach so schockiert und verletzt darüber, dass du mir ganze drei Jahre nichts gesagt hast."

Ich strich mir durch das Haar und erklärte: „Ich musste mir selbst erst mal klar werden!"

„Ja", sie nickte langsam. „Das ist mir schließlich auch bewusst geworden. Ach Harry, es tut mir so leid! Ich hätte dir in aller Ruhe zuhören sollen und nicht mich selbst im Vordergrund sehen sollen. Stattdessen hätte ich mich besser gefragt, wieso du so lange damit gewartet hast offen mit mir zu sprechen."

Ihre Hand strich zärtlich über meine Wange. Schwer atmete ich aus: „Hat Liam das Bier im Kühlschrank?"

„Ich denke schon", antwortete Mum und wenig später nahm ich einen großen Schluck aus einer Flasche. Sofort entspannte ich mich merklich und lehnte mich müde zurück: „Ich muss mich auch entschuldigen, denn ich hätte anrufen sollen."

„Nein", sie schüttelte den Kopf. „Das ist schon in Ordnung. Ich hätte mich auch nicht angerufen an deiner Stelle. Schwierig war es nur dich endlich zu finden, du warst die letzten Wochen unglaublich viel unterwegs."

Liam kam zurück, machte ein entschuldigendes Gesicht und schob zwei Pizzen in den Ofen, dann sprach er: „Ich bin im Wohnzimmer, muss jetzt endlich den Anstrich fertig kriegen."

Das konnte ganz sicher auch bis morgen warten, aber ich verstand, dass es seine Art war höflich zu sein. Meine Mum goss sich ein Glas Rotwein ein, schließlich verlangte sie: „Erzähl mir von Spencer. Also... wenn du das möchtest."

Schwerfällig zwang ich mich zu lächeln. Ich würde so schnell nicht ins Bett kommen, aber vielleicht war das auch besser so. „Ich weiß nicht, bist du sicher, dass du damit klar kommst?"

„Natürlich!", empörte sich meine Mum nun. „Mich hat der Gedanke, dass du mir nicht vertrauen könntest mehr zugesetzt, als die Tatsache, dass Spencer ein Mann ist. Daran störe ich mich nicht."

Ich hätte laut aufgelacht, vielleicht, wenn ich ausgeschlafen gewesen wäre und nicht die schlimmsten Stunden an Wartezeit überhaupt hinter mir hätte. So kam es, dass ich meiner Mutter fast alles erzählte. 

Wo ich Spencer das erste Mal traf, dass wir damals in London eigentlich Zeit miteinander verbringen wollten und Gemma und sie störten. Ich berichtete von Berlin, der wohl beste Urlaub überhaupt und es tat so gut, das nun mit ihr zu teilen.

Sie interessierte sich für die Kleinigkeiten. Warum er mich glücklich machte, was seine drei größten Fehler waren, wo er herkam. Wir redeten lange, verspeisten die Pizzen und für mich war das ein bisschen, als würde ich mich an viele tolle Momente zurückerinnern.

Die Rolling Stones und wie stark der Wunsch damals gewesen war einfach nach ihm zu greifen. Der illegale Song Battle, der Kuss in der U-Bahn und das unschlagbare Geburtstagsgeschenk. Ich merkte erst, während ich erzählte, wie unglaublich viel wir schon erlebten. 

Trotz der ständigen Distanz. 

Es waren die ganzen Nachrichten, die Spencer mir schickte und mir das Gefühl gaben an seinem Leben teilzuhaben und anders herum.

Meine Mutter schmunzelte: „Es klingt danach, als hätte er dir gezeigt, wie viel es Abseits des typischen Business noch zu erleben gibt. Als wäre deine Arbeit nicht mehr dein Mittelpunkt, sondern... leben und neu zu genießen."

„Ja", gab ich offen zu. „Ich habe völlig vergessen, dass die simplen Dinge glücklich machen können."

Sie reichte mir das zweite Bier: „Manchmal brauchen wir nur einen einzigen Menschen, der Prioritäten ändert."

„Wir haben ewig gebraucht um uns zu einigen, wo wir uns zusammen eine Bude nehmen", sprach ich offen. „Letzten Endes kauften wir auf Rousay, einer schottischen Insel ein kleines Haus."

„So viel Kram, wie du hast, da wirst du ordentlich ausmisten müssen", behauptete meine Mutter, so korrigierte ich sie: „Nein, nicht so ein Haus. Ich brauche eine Bleibe in London. Rousay wird eher ein Ort von Rückzug und absoluter Ruhe. Dort kommen keine Fotografen hin, man ist da total für sich."

Außerdem war ich mit Spencer nie so normal und glücklich gewesen, wie dort. Selbst Berlin konnte da nicht mithalten. Vielleicht lag es daran, dass ich auf Rousay nicht paranoid war oder Angst hatte, wir könnten gesehen werden.

„Normalität ist teuer", schloss ich. „Jetzt muss ich allerdings erst dafür sorgen, dass ich umziehen kann und hier in London was finden."

„Stimmt, ich habe die Liste von Richard gesehen", gab sie zu. „Darf ich dich morgen begleiten?"

Sie durfte, denn ich konnte erst Mittags wieder zu Spencer. Morgens war die Visite und ich hatte Verständnis dafür, dass seine Eltern den Vortritt hatten. Deshalb stand ich nach einer kurzen, traumlosen Nacht früh wieder in Liams Küche, trank starken Tee und telefonierte mit Richard.

Ich bedankte mich bei dem Manager, dass er sich um solche Dinge kümmerte und beschloss mich sehr bald erkenntlich zu zeigen.

»Keine Ursache«, wehrte er am Telefon ab. »Ich würde an deiner Stelle auch nicht weiter in diesem Haus wohnen wollen. Soll ich mich um den Verkauf kümmern?«

„Das wäre gut", antwortete ich. „Der Tod und die Angriff sollten den Wert allerdings mindern."

»Ich sehe mal, was ich machen kann«, blieb Richard optimistisch. »Bis dahin halte mich auf dem Laufenden, ob bei den Immobilien, wenn keine dabei ist, suche ich weiter.«

„Werde ich tun", versprach ich und hörte Richard sich räuspern: »Es wäre vielleicht... ähm angemessen, wenn du demnächst im Büro einmal vorbei schaust. Wegen gewisser News und was die Privatsphäre angeht. Ich möchte Mr Parker nicht die gesamte Arbeit alleine machen lassen.«

Ich begriff sofort, worauf er anspielte. Die letzten Jahre hatte ich es immer alleine geschafft meine Privatsphäre zu regeln. Doch je mehr Menschen von Spencer und mir wussten, umso schwieriger wurde es. Besonders jetzt. Mr Parker schien diskret zu sein, aber meinem eigenen Management entging es nicht, wenn ich mit jemand anderen aus der Branche agierte.

Um zehn Uhr traf ich den ersten Makler, der mir ein Haus, außerhalb von London zeigte. Es war riesig und für mich eine Nummer zu extrem. Umgeben von Feldern, gab es einen gigantischen Garten und als ich mit meiner Mutter im Wohnzimmer, das halb wie eine Halle war, einen Blick tauschte, war mir klar, dass ich dieses Haus nicht kaufte.

Es folgten Stadtteile wie Mayfair, Marylebone, Chelsea und Notting Hill, doch das Richtige war nicht dabei. Erst am sehr späten Nachmittag stand ich in einem Penthouse, dass den Blick auf die Themse freilegte. Und das gefiel mir sofort am Besten.

Keine Räume im Erdgeschoss, sondern sehr weit oben. Die Dachterrasse gehörte zum Penthouse, sie war bereits bepflanzt und hatte klare Strukturen. Schweigend schritt ich über den dunklen Boden und hörte die übereifrige, stark blondierte Maklerin, die auf meine Mutter ein quatschte. Dass ich es war, der das Geld besaß, schien nebensächlich.

„Fußbodenheizung", schnappte ich auf. „Automatische Rollos, absolute Privatsphäre, Klimaanlage, alles nach dem neusten Stand."

Hörte sich doch gut an.

Ich sah über die Fenster im Fabrikstil. Die Wände waren teilweise in Backsteinmauern und ich mochte den Charme. Hier hätte ich genug Platz. Zwei Stockwerke, Gästezimmer, großes Wohnzimmer, noch Möglichkeiten die Küche zu verändern und auch ansonsten war ich recht angetan. Platz im Keller hatte ich auch für zwei Autos. Ich hatte kein Haustier, als würde es nicht gegen eine Hausordnung verstoßen.

„Ich möchte es kaufen", sprach ich und der Maklerin fielen fast die Notizen aus den Händen: „Sofort?"

„So schnell wie möglich", bekräftigte ich, denn der Preis stimmte auch. „Am Besten noch diese Woche."

„Die Küche ist noch nicht fertig", erinnerte mich die blonde Frau und ich lächelte sie freundlich an: „Das stört mich nicht besonders und kann nachgeholt werden. Oder spricht etwas gegen einen Kauf?"

Das schien sie nervös zu machen: „Nein, natürlich nicht. Ich werde schnell meinen Vorgesetzten informieren und dann die Verträge fertig machen." Sie eilte davon und meine Mum trat zu mir: „Hier gefällt es mir auch am Besten." Sie sah auf die Themse herunter.

„Ich werde einige Möbel umtauschen müssen, damit sie hier reinpassen", stellte ich fest. Aber eigentlich war mir das gleichgültig, denn diese Arbeit würde mich beschäftigen.

Während ich die Sonne betrachtete, die London in ein kaltes Licht tauchte, bemerkte ich, dass es gut tat etwas verändert zu haben. Ich würde in dieses furchtbare Haus nicht mehr zurückkehren. Den hässlichen Geruch von Bleiche verdrängte ich aus meinen Gedanken.

Jetzt ging es hoffentlich nur noch aufwärts.

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