59 ♫ Holmes Chapel

Understand the things I say, don't turn away from me

'Cause I've spent half my life out there, you wouldn't disagree

Do you see me? Do you see? Do you like me?

Do you like me standing there? Do you notice?

Do you know? Do you see me? Do you see me?

Does anyone care?

[ The Cranberries ]



HARRY ║ Es war eine schwere Entscheidung in New York Abschied von Spencer zu nehmen. Er sprach mir Mut zu und erinnerte mich daran, dass ich meine Familie doch kannte. Natürlich tat ich das, aber was das betraf konnte ich sie nicht einschätzen.

„Wenn du nach Rousay kommst, dann schalten wir komplett ab, ja?", versprach Spencer mir und ich hoffte, dass es wirklich so sein würde.

Während ich also alleine zurück nach England flog, ab London meinen Wagen bis nach Holmes Chapel nahm, da dachte ich unaufhörlich darüber nach, wie ich es anpacken sollte. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich Spencer dabei haben würde, wenn es passierte. Aber ein Gefühl sagte mir, dass ich diese Hürde alleine nehmen musste.

Regen klatschte auf meine Autoscheibe und ich konnte mich nicht richtig auf die Musik konzentriert. Zum Glück hatte ich noch bei Harrolds angerufen und den typischen Babykorb bestellt.

Zuhause war sicher die Hölle los und Stunden später wurde mein Verdacht bestätigt. Bevor ich das Haus betrat, sah ich auf mein Handy, aber außer eine Nachricht von James, der mich um ein Interview bat, war nichts dabei.

Die Einfahrt meiner Familie war zugeparkt und ich trat samt Korb an die feuchte Frühabendliche Luft. Kurz fröstelte ich und als ich an meinem Elternhaus klingelte, da sprang die Tür auf und mir schlug lebhaftes Durcheinander entgegen. 

Eine von Gemmas zahlreichen Freundinnen öffnete mir. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass die Party im privaten Kreis gehalten wurde, aber ich täuschte.

Hinz und Kunz waren erschienen, es gab Sekt, zahlreiche Babyklamotten und überall hingen Luftballons mit Schnuller und Rasseln drauf. Da es sowohl blaue, als auch rote Ballons gab, stand das Geschlecht wohl noch nicht fest. Es gab ein Zuckergusskuchen und überall standen Leute. Großonkel, Großtante, Cousins, Oma, Opa und wer wusste ich nicht noch alles.

„Harry! Das wir dich hier sehen!", hörte ich Tante Debbies dröhnende Stimme und sie blies mir als erstes ihren Nikotinatmen ins Gesicht. Sie drückte mich an sich und ich hustete, denn kurz darauf hüllte mich das schwere Parfüm von Tante Ronda ein. Mein Cousin Marco schlug mir so heftig auf die Schulter, dass ich glaubte mein Kreuz gäbe nach.

Schließlich fand ich meine Schwester, umgeben von ihrer Gang im Wohnzimmer. Alles weißblonde Mädels, die darauf standen irgendwelche Enthüllungen zu finden und zu eröffnen. So lange ich das nicht war, war mir das ziemlich egal.

„Hazz!", Gemma fiel mir um den Hals und ich drückte sie fest. Breit grinsend sah ich an ihr herunter: „Also, wann wirst du fett?"

Sie gab mir einen ruppigen Stoß mit dem Ellenbogen und lachte: „Ich habe noch genug Wochen vor mir. Hast du mir etwas mitgebracht, du Zukunftsonkel?"

„Steht im Flur und geht in der Flut an Windeln und Strampler unter", erklärte ich mich. „Und jetzt zeig mir den Wahnsinnigen, der dir den Braten in die Röhre gelegt hat."

Gemma grinste, dann sah sie sich um und zog mich durch das Gedrängel an Leuten. Stehen blieben wir vor einem überbräunten, dünnen Männchen, mit Goldkettchen, schlechtsitzendem Anzug. Das schwarze Haar lockte sich im Nacken und ich glaubte im ersten Moment, sie würde mich verarschen.

„Tony, das ist mein Bruder, Harry, dies ist Tony", stellte sie uns einander vor und Tony entblößte einen Goldzahn, als er mir die Hand gab. Noch dazu war er locker fünfzehn Jahre älter als meine Schwester.

War das ihr Ernst?

„'lo", größte mich mein zukünftiger Schwager lässig. „Hab' schon viel von dir gehört."

„Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen", entwich es mir ehrlich und wieder bekam ich einen Stoß in die Seite. Das Einzige, was ich wusste war, dass Mum und Gemma sich wegen Tony zofften und langsam schien ich die Bedenken meiner Mutter auf den ersten Blick zu verstehen.

Dröhnendes Lachen entwich Tony und er legte zärtlich einen Arm um meine Schwester: „Gemmy hatte Bedenken, ich wär nich' spießig genug für Holmes Chapel."

Das war er wirklich nicht, aber seine Lache war ansteckend und mir gefiel es, wie er Gemma ansah, glücklich und ein bisschen so, als wäre sie das hübscheste Ding, das ihm je unter die Augen gekommen wäre.

Armer Kerl.

„Nun ja, du siehst ein bisschen aus, wie ein Zuhälter", erklärte meine Schwester grinsend und sie hatte recht. „Dabei verteidigst du lediglich das kleine Volk."

Also war Tony Anwalt, man sah es ihm leider absolut nicht an. Er drückte ihr einen Kuss gegen die Schläfe und meinte: „Lieber die kleinen ehrlichen Leute, als die reichen fetten Säcke, ne?"

Ich sah ein, dass Tony speziell war und ignorierte, dass ich wahrscheinlich zu den reichen Säcken gehörte, aber es war egal. Denn als ich fragte, wie er Gemma kennengelernt hatte und mir berichtete, dass sie eigentlich auf der Suche nach einer skandalösen Story war und er sie für eine durchgeknallte Alte hielt, die ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen, da hatte er mich eigentlich schon auf seine Seite gezogen.

Tony war bodenständig, etwas ruppig, doch dafür sehr humorvoll. Er sah sich schon im Spießerreich mit Gemma nach einem gemeinsamen Heim um, auch, wenn sie sich noch nicht einig waren, was genau sie wirklich wollten. Hauptsache es war in der Nähe von Holmes Chapel.

Ich wollte Tony gerade ein paar Tipps geben, wo er sich umhören sollte, aber Gemma pfuschte immer wieder dazwischen, weil sie irgendeinen Hampel kannte, der sich in der Nachbarschaft aufhielt.

„Gemmy, vielleicht sollten wir dann auf den Mond ziehen", zog Tony sie liebevoll auf. „Dort wirst du keinen bekannten Menschen begegnen."

Das war definitiv eine Alternative.

Während also Tony und Gemma nun über die Viertel diskutierten und eine von Gemmas Mädels sich einmischte, seilte ich mich gut amüsiert ab. Ich sah gerade noch, wie mein Stiefvater in die Küche verschwand und dort ging ich nun auch hin.

Belustigt sah ich, wie meine Mum von dort aus eine Platte mit süßen Speisen, nach der nächsten nach draußen schickte. Sie schien total gestresst, ihr Haar war durcheinander und Robin goss ihr erst einmal ein großes Glas Rotwein ein.

„Schätzchen, tief durchatmen, hier trink ein wenig, dann kommst du runter", redete er munter auf sie ein. „Es wäre nicht gut, wenn das Baby auf die Welt kommt und seine Oma ist schon total gestresst und sieht aus, als ginge sie auf die 90 zu."

Prompt hielt meine Mutter mit ihrem Rotweinglas inne und sah Robin wütend an: „Willst du mir damit etwa sagen, dass ich alt aussehe?"

„Nein, nur angespannt", wand Robin sich und ich eilte zu seiner Rettung. Breit lächelnd trat ich in die Küche, wich einer Tante mit kalten Häppchen aus und rief: „Hey Mum!"

Sofort verschwand ihre strenge Miene und sie strahlte: „Harry, schön, dass du es geschafft hast!"

„Ich werde Onkel, wie könnte ich da nicht kommen?", empörte ich mich und umarmte sie herzlich. Meine Mum roch, wie nur sie riechen konnte und auch Robin begrüßte ich, dann stellte sie fest: „Du hast Tony schon kennengelernt."

„Ja, er ist echt interessant", wich ich aus. Definitiv nicht langweilig. Meine Mutter schnaubte und nippte an ihrem Wein: „Das ist doch nicht von Dauer!"

„Sie sind bereits seit vier Jahren zusammen", korrigierte ich sie und bediente mich an einem Cupcake. „Vielleicht passt Tony nicht in deine Vorstellung eines perfekten Freundes für Gems, aber er ist ja auch nicht mit dir zusammen, oder?"

Leicht neigte sie den Kopf, dann seufzte sie: „Das stimmt. Ich denke nur, dass er vielleicht nicht das ist, was Gemma braucht."

„Schätze, das kann Gemma schon alleine entscheiden", meinte Robin ruhig. „Vielleicht solltest du Tony wirklich eine echte Chance geben, besonders, wenn du willst, dass in den nächsten Jahren ein Zwerg durch die Räume tobt."

Das schien sie einzusehen, denn meine Mum seufzte tief: „Dann will ich mal freundlich sein und versuchen zu ignorieren, dass Tony aussieht, als würde er ein Bordell betreiben."

Tja, er würde auf jeden Fall der neuste Klatsch beim Tee mit den neugierigen Nachbarsfrauen meiner Mutter werden. Schon schade, dass das Äußerliche immer noch ein Grund war drüber zu tratschen. Als meine Mum die Küche verließ, da suchte Robin unter der Spüle nach seinem Scotch, den brauchte er ab und an, wenn der ganz normale Wahnsinn zu viel wurde. „Auch einen, Harry?"

„Ja", und wie ich den wollte.

Wenig später reichte mein Stiefvater mir ein Glas und wir stießen an. Die gesamte Familie fand eigentlich nur Weihnachten zusammen. An Geburtstagen konnte ich mich regelmäßig rausreden und etwas schicken, aber die Schwangerschaft der eigenen Schwester umging man nicht so einfach.

Und so war ich auf dieser Babyparty anwesend und erfuhr, dass Gemma bereits in der 15ten Woche war und die Fete sichtlich genoss. Es wurden alberne Spiele gemacht, typische Elternsprüche wurden zum Trinkspruch umfunktioniert, wobei Gemma nur Saft bekam.

Babybingo war der Renner, Großonkel Keith schlug sie alle und dann mussten Gemma und Tony Kindersachen erraten, die sie nur in einem Sack ertasten konnten. Was sie richtig rieten, konnten sie behalten und Tony stellte sich dabei echt geschickt an.

Sehr viel Mühe hatte sich Gemmas beste Freundin, Catherine, gegeben. Anhand von Babyfotos musste man anwesende Gäste erkennen und leider war meine Mum so freundlich gewesen und hatte ein peinliches von mir rausgerückt.

Die Party endete erst sehr spät, nach und nach gingen die Gäste oder wurden abgeholt. Schlussendlich zog ich sogar Großonkel Keith aus dem Sessel zu wuchten und Tante Debbie in ihren Mantel zu stecken. Gemma war so erschöpft, sie schlief auf der Couch ein, direkt vor der Nase einen halbgegessenen Kuchen.

Ich beobachtete, wie Tony sich daran machte Robin bei den Aufräumarbeiten zu helfen, sie verfrachteten die Geschenke ins Auto und ich brachte meiner Mum Gläser und Teller mit Resten in die Küche. An diesem Abend hatte ich keine Gelegenheit mehr mit ihr über etwas Wichtiges zu sprechen, stattdessen begnügte ich mich damit den Abend neben Robin ausklingen zu lassen.

Wir tranken einen weiteren Scotch und lästerten über nervige Verwandte.

Erst als ich alleine in meinem alten Kinderzimmer lag und es ruhig im Haus war, da war der Drang Spencer anzurufen, sehr groß. Aber ich durfte es nicht. Niemand sollte ihn anrufen und so begnügte ich mich damit Bilder durchzuschauen, die ich selbst nach der Trennung nicht gelöscht hatte.

Jetzt war ich froh darüber.

Berlin, Boston, Silvester in London, auf all diesen Bildern sahen wir aus wie Kumpels und zum ersten Mal störte mich das. Es gab kein einziges Foto, das die Wahrheit widerspiegelte. Mir war klar, dass es an mir lag und Spencer sich angepasst hatte, aber jetzt hätte ich zu gerne eines, was über Freundschaft hinausging.

Ich würde nicht noch einmal so dumm sein und das, was ich mit ihm hatte gefährden. Wenn das hieß über den eigenen Schatten zu springen, dann würde ich das tun. Stück für Stück.

Spencer hatte mich daran erinnert, was es außerhalb von all der Oberflächlichkeit des Showbizz gab. Das es nicht hieß, dass ein Hotel langweilig war, wenn man den richtigen Menschen dabeihatte oder dass man ab und an mutig sein musste, um Normalität zu erleben. Ich glaubte immer, dass es mit ihm schwer und unvernünftig war, aber eigentlich war es das Gegenteil.

Es war normal.

Ich hatte das nur vergessen.

Genauso, wie mich nicht mehr nach das zu richtigen, was die Leute von mir erwarteten. Spencer machte mich glücklich, ohne, dass er etwas dafür verlangte, außer, dass ich dazu stand. Er wollte meine Zuneigung nur genauso sehr fühlen, wie ich seine.

Am Morgen wurde ich durch den Kaffeegeruch wach und musste mich nicht einmal zwingen aufzustehen. Kurze Katzenwäsche, frische Klamotten und ich packte direkt alles, um heute erneut zum Flughafen zu reisen. Gedanklich war ich halb auf Rousay und beschloss mir am Flughafen im Internet einmal genau anzusehen, was mich da erwarten würde.

„Harry Schatz, auch einen Kaffee?", begrüßte mich meine Mum im Bademantel und mit zerzausten Haar in der Küche. Ich nickte und sie nahm direkt eine weitere Tasse aus dem Schrank. Der Küchentisch war gut gedeckt und Gemma gähnte herzhaft. 

Sie trug ihre uralte Jogginhose aus der Schulzeit und hielt eine Tasse Tee in den Händen, während Robin neben ihr sein beschmiertes Brötchen in der Luft hielt und auf die Schlagzeile der Zeitung linste.

„Tony noch am Schlafen?", fragte ich und nahm den Kaffee entgegen. Gemma schüttelte den Kopf: „Nein, schon wieder auf den Weg nach London, er hat übermorgen einen anstrengenden Fall im Gericht und will sich vorbereiten. Ich werde mir in der Zeit zwei Häuser hier ansehen."

Unwillkürlich lächelte ich, aber gleichzeitig hatte ich einen Knoten im Magen. Der Kaffee schmeckte seltsam stark und ich hatte keinerlei Hunger mehr. Um mich herum begann meine Familie zu frühstücken und ich ignorierte, dass Gemma sich Gurken auf den Quark ihres Brötchens legte.

„Harry Schatz, was ist los, du isst ja gar nichts", merkte meine Mum an. Statt drauf einzugehen, ließ ich die Tasse in meiner Hand sinken und musterte sie kurz, dann räusperte ich mich und beschloss es nicht länger hinauszuzögern. Jetzt war der Augenblick günstig. Meine Familie war zusammen, niemand in Hektik und ich würde mich sonst davor drücken.

„Ich... ähm... wollte mit euch etwas besprechen", begann ich und erstaunt sah Gemma mich an. Ich wusste nicht wo ich hinsehen sollte und spürte, dass mir das Herz bis zum Hals schlug.

„Dann raus damit", ermutigte Robin mich lächelnd und machte den Eindruck eines kuscheligen Teddys. Ich schluckte hart: „Also... ich bin in einer Beziehung."

Ein Strahlen ging über drei Gesichter und meine Mum grinste: „Aber nicht in so einer, wie die mit Taylor, Kendall und den üblichen 1. 90 Meter großen, unterernährten, armen Mädchen, oder?"

Unwillkürlich zuckten meine Mundwinkel: „Nein, nein, dieses Mal nicht. Es ist... eine richtige Beziehung."

„Dann warst du aber gut darin die zu verstecken, denn auf Twitter war es bis vorgestern verdammt ruhig um dich", witzelte Gemma. „Wo habt ihr euch getroffen, unter dem Meer oder auf dem Mars?"

Normalerweise hätte ich darüber gelacht, aber jetzt machte es mir nur bewusst, wie gut Spencer und ich eigentlich unter den Radar gelaufen waren. „Nein, nichts davon." Nun beugte ich mich vor, umfasste die Tasse fester und höre, wie Robin fragte: „Wann stellst du sie uns vor?"

„Das tust du doch, oder?", horchte Mum direkt nach. Das sie Taylor bis heute nicht persönlich kannte, schien sie immer noch zu wummern.

„Natürlich, deshalb will ich mit euch darüber reden." Wieder räusperte ich mich, atmete tief durch und erklärte dann überraschend ruhig: „Ich... bin mit einem Mann zusammen."

Niemand aus meiner Familie regte sich, meine Mutter blinzelte als Erstes, während Robin langsam sein Brötchen sinken ließ und sich über den Mund wischte. Es war Gemma, die irritiert das Gesicht verzog: „Was? Sag das noch mal."

„Ich habe einen Freund. Also keinen Kumpel, sondern einen festen Freund", widerholte ich mich noch einmal und es ausgesprochen zu haben ließ eine Tonne Last von meinen Schultern purzeln. „Das war nicht geplant, es ist einfach so passiert."

Gemma sah mich an, als würde sie mich jetzt zum ersten Mal sehen: „Ernsthaft, ein Mann? Du?"

„Was ist daran so merkwürdig?", wollte ich ernst wissen und es war Robin, der antwortete: „Du bist bislang nur mit Frauen ausgegangen und Harry, wir sprechen nicht von irgendwelchen Frauen, sondern mitunter den-!"

„Schönsten", schob Gemma hilfreich nach. „Die Meisten sind für Victoria's Secret gelaufen oder sind öffentlich sehr erfolgreich."

Mein Blick ging zu meiner Mum und sie lächelte unsicher: „Harry Schatz, bist du sicher, dass... na ja... dass nicht gerade eine Phase ist?"

In diesem Moment wurde ich wütend: „So was ist nicht nur eine Phase!"

„Warum bist du so sicher, ich meine, im Moment gibt es eine Menge Veränderungen, mit denen du zurechtkommen musst", zählte sie auf. Dabei schien sie es nicht böse zu meinen. „One Direction hat eine Krise hinter sich und du zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frei."

„Aber das verwirrt mich doch sexuell nicht!", wehrte ich mich. „Ich bin nicht erst seit gestern-!", ich unterbrach mich selbst und in diesem Moment veränderte sich die Miene meiner Mutter: „Wie... ähm... lange weißt du das schon?"

„Eine Weile", wich ich aus, aber Robin roch den Braten: „Was heißt eine Weile?"

Der Nachgeschmack von Kaffee schmeckte bitter auf meiner Zunge. Zerstreut kratze ich mich hinter dem Ohr: „Länger eben."

Gemma seufzte gespielt dramatisch: „Schön! Bringst du deinen Freund mit zur Einweihungsparty, wenn Tony und ich ein Haus gefunden haben?"

„Vielleicht, wenn es passt, ja", ich nickte knapp und Gemma sah mich eindringlich an: „Nun denn, wo soll ich die Einladung hinschicken, gibt es eine Anschrift, Adresse, Handynummer, oder einen Namen?"

Mein Herz pumpte so heftig, dass es weh tat und meine eigene Stimme hallte in dieser vertrauten Küche wieder. „Sein Name ist Spencer."

Just in diesem Augenblick stellte meine Mum ihre Tasse so hart auf der Tischplatte ab, dass sämtliche Köpfe in ihre Richtung ruckten. Ich konnte in ihrem Gesicht nicht lesen, es wirkte wie aus Stein. Sie schien nach Luft schnappen zu müssen, als sie wissen wollte: „Spencer, den ich bei dir in London kennengelernt habe?"

„Ja", gab ich zu und sie fragte: „Wart ihr damals schon...?"

Nun verneinte ich, musste aber zugeben: „Wir... ähm... haben damals angefangen uns zu treffen."

„Das ist über drei Jahre her!", empörte sich Gemma laut. Dazu schwieg ich und der Rest meiner Familie tat es auch. Das Ganze lief nicht so, wie ich es mir erhofft hatte, stattdessen schien die Stille uns in der Luft zu zerreißen und ich fühlte mich unglaublich unwohl.

Robin schüttelte knapp den Kopf, zuerst sagte er nichts, dann murmelte er: „Drei Jahre... oh Mann."

„Ist das schlimm?", fragte ich überfordert, aber Robin antwortete darauf nicht, stattdessen stellte er selbst eine Frage: „Harry... hattest du je das Gefühl, das du uns nicht vertrauen kannst?"

Er überrumpelte mich damit: „N-Nein, natürlich nicht."

„Drei Jahre sagen etwas anderes", fand Robin und meine Mutter erhob sich. Sie schien nicht zu wissen, was sie jetzt tun sollte, sah zerstreut auf ihre Tasse in der Hand und entschied sich, einen weiteren Kaffee zu holen. Die Maschine ratterte, zermahlte die Bohnen und ich wusste nicht, wie ich Robin widersprechen sollte.

Gemma warf unsicher einen Blick zum anderen und ich brauchte Luft zum Atmen. Also stand ich auf und wandte mich an meine Mutter. „Mum, hör zu, ich-!"

„Ich muss das verdauen, okay?", unterbrach sie mich und hielt mir dabei den Rücken zugedreht. Ich verstand diesen Wink und da beschloss ich zu gehen. Niemand hielt mich auf, im Flur schnappte ich mir meine Tasche und kaum fiel die Haustür hinter mir zu, da fühlte ich mich furchtbar alleine.

Zu der Erleichterung vermischte sich die Gewissheit, dass ich meine Familie enttäuscht hatte und zwar auf mehreren Ebenen. Ich verstand das und begann zu begreifen, dass es nicht nur falsch gewesen war Spencer zu verschweigen, sondern all die Zeit, die es ihn schon in meinem Leben gab, noch dazu.

Aber was hatte ich auch erwartet?

Ich setzte mich ins kalte Auto, startete den Motor und fuhr fast schon auf Autopilot aus der Einfahrt. Das Geständnis wollte ich verdrängen und versuchte mich darauf zu konzentrieren, wo ich jetzt hinfahren würde.

Nach Rousay, zu Spencer.

Dort würde alles besser sein. Hoffte ich.

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