43 ♫ Explosion
Laß mich los, laß mich endlich allein
Ich unterdrück' meine Tränen, um wieder frei zu sein
Ich kann allein sein, und das weißt Du auch -
Mir scheint, als wär es gestern, doch es ist schon lange her
ich trau' mich's kaum zu sagen, doch mein Leben ist jetzt leer
ohne Dich - Du fehlst mir fürchterlich
Ganz heimlich - da denke ich nur an Dich
Je eher, je eher Du gehst
um so leichter, um so leichter
wird's für mich
[ Oli.P ]
SPENCER ║ „Ich möchte, dass du gehst."
Ruhig sprach ich diese Worte aus nachdem ich Harry das Glas Wasser gegeben hatte und die leichte Schmerztablette reichte. Wenn es ihm so ging wie mir, dann blieb das Ziehen im Hintern den Tag über unangenehm.
Statt sofort zu antworten, ließ er sich Zeit. Erst, nachdem er sich aufgerichtet hatte und das halbvolle Glas abstellte, da fragte er: „Wieso willst du unbedingt, dass jeder geht?"
„Ihr erdrückt mich. Ich war in den letzten vier Wochen nicht einen verdammten Tag alleine", sprach ich. Harry musterte mein Gesicht, schließlich nickte er: „Okay."
Zuerst glaubte ich mich verhört zu haben, aber dann beobachtete ich ihn dabei, wie er sich aus dem Bett kämpfte. Meine Augen huschten über seine Gestalt, ich nahm jedes Tattoo, jedes Muskelspiel unter seiner Haut und jede Bewegung wahr.
Er ging nackt ins Bad und prompt kribbelten meine Handflächen, denn nun wusste ich, wie es sich anfühlte ihn auf jeder erdenklichen Weise zu berühren. Es war ein tolles, eigentlich, beflügelndes Gefühl und obwohl ich mich total darüber freuen sollte, blieb ein komischer Nachgeschmack.
Mit Harry geschlafen zu haben war besonders, das wusste ich selbst. Aber mein unglaubliches Hochgefühl wirkte gedämpft und es erschreckte mich. Langsam schwang ich die Beine aus dem Bett, begann mich anzuziehen und ging runter in die Küche.
Dort kochte ich Kaffee und setzte mich mit einer dampfenden Tasse an den Küchentisch und las auf meinem Reader die Zeitung und Nachrichten. Es war eine seltsame Gewohnheit.
Vor Wochen hatte ich morgens eher Musik gehört, doch jetzt war mir das irgendwie zu viel. Ich musste den Tag anders starten.
Harrys Schritte klangen schwer und ich wagte es nicht mich umzudrehen. Seine Anwesenheit spürte ich trotzdem. Er beugte sich zu mir runter, automatisch wandte ich den Kopf und dann lehnte seine Stirn an meiner.
Ich liebte diese kleine Geste und ich wusste, dass es ihm genauso bewusst war. Sanft strichen seine Finger über meine Wange, nur kurz, dann löste er sich von mir und sprach: „Ich gebe dir den Raum, wenn du ihn unbedingt willst."
Und dafür war ich Harry unglaublich dankbar. Er ging, schloss die Tür hinter sich und als mich diese grenzenlose Stille umhüllte, da blieb ich einen langen Augenblick regungslos sitzen.
Ich erhob mich und ging fast lautlos durch die Räume. Sah das trübe Licht, die störenden Kisten und dann fing ich einfach an weiter auszupacken. So lange, bis alle Sachen, die sich bei mir in Laufe der Zeit angesammelt hatten, zum Vorschein kamen.
Diese ganzen goldenen und platinierten Schallplatten lehnte ich gegen die Wand, die Preise reihte ich auf und ganz ehrlich, ich wusste nicht wohin damit. Sie zu betrachten machte mich weder stolz, noch lösten sie sonst irgendetwas in mir aus.
Mittlerweile kamen mir die Preise eher wie Spott vor. Denn all das hätte Aaron gewinnen sollen, nicht ich. Es war sein Traum gewesen, nicht meiner.
Ich sah auf den Baseballhandschuh, der auf der Couch lag und setzte mich, dann nahm ich den passenden Ball in die Hand und drehte ihn. Mittlerweile wusste ich nicht einmal mehr, wieso ich damals damit aufgehört hatte, obwohl es mir viel Freude brachte.
Wie gerne hatte ich auf dem Mound gestanden, mit meinen Teamkollegen gewonnen und ein Run nach dem Nächsten verhindert. Doch als Aaron ins Koma fiel, da erschien es mir so furchtbar unwichtig und banal.
Es klingelte und wenig später gaben sich bei mir Lieferboten die Klinke in die Hand. Die Lampen kamen, sowie weitere Möbel. Ich würde das Gästezimmer aufbauen können und die Küche erweitern. Außerdem war die coole Hängematte da, die ich im Wohnzimmer anbringen wollte.
Ein paar deutsche Worte fielen, wahrscheinlich waren alle dankbar für den Fahrstuhl. Ich erklärte, wo ich die Kisten hin haben wollte und bemerkte, dass zwei jüngere Boten mich immer wieder verstohlen betrachteten.
Am Ende rangen sie sich zu der Frage nach einem Foto durch und als sie grinsten, wie Honigkuchenpferde, da war meine gute Tat für den Tag schon wieder getan. Ich musste mehrfach Lieferungen unterschreiben und es dauerte bis sämtliche Boten wieder verschwunden waren. Ich hatte so viele Dinge bestellt, dass ich mir erst einmal einen neuen Überblick verschaffen musste.
Mit der Tasse Kaffee in den Händen schritt ich ins Wohnzimmer und suchte nach dem Teppichmesser, als mir sämtliches Blut in den Adern gefror.
Zwischen all den Kisten stand meine Mutter und hielt zwei große Tüten in der einen Hand, während sie mit der anderen Hand vorsichtig über den Rahmen, der an der Wand lehnenden Auszeichnungen, strich.
In all dem Chaos hatte ich nicht bemerkt, dass sie sich Zutritt verschafft hatte, während ich mit den Boten beschäftigt war. Sie trug einen eleganten grauen Mantel, das blonde Haar zu einem Bob geföhnt und war sorgfältig geschminkt. Ganz die typische Politiker-Ehegattin. Klein, zierlich, konservativ und adrett gekleidet.
Nur, dass meine Mutter zu den Mann hinter den Kulissen gehörte. Ich hatte sie gefühlt ewig nicht gesehen, da ich jede Begegnung mit ihr vermied.
Beinahe zuckte sie schuldbewusst zusammen als sie mich bemerkte. Ihre grauen Augen scannten mich und bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, da sprach ich barsch: „Raus!"
„Spence, bitte-"
„Nein", unterbrach ich sie rüde. „Ich will, dass du gehst, sofort!"
Regungslos blieb sie, wo sie war: „Ich möchte doch nur mit dir reden!" Sie klang bittend und gleichzeitig so sanft, dass mir die Hutschnur hoch ging.
„Mein Bedarf an Gesprächen mit dir ist bis an mein Lebensende gedeckt!", fuhr ich sie an und wiederholte mich noch einmal, damit sie endlich begriff, dass sie verschwinden sollte.
Doch stattdessen stellte sie die Tüten ab und strich sich nervös mit den Fingern durch das gefärbte Haar: „Ich... habe ein wenig eingekauft, du bist so dünn geworden. Wahrscheinlich isst du nicht richtig und-!"
In diesem Moment explodierte ich und verlor jeden Funken meiner Beherrschung.
Ich warf die Tasse Kaffee mit aller Kraft zu Boden, ein hässliches Geräusch klirrte in meinen Ohren und sie zersprang. Heiße Tropfen landeten auf meinen Füßen, doch es war mir egal.
„Du sollst abhauen, verdammt noch mal!", brüllte ich sie an und dann tat ich das, was ich nie tun wollte. Wofür ich sie immer gehasst hatte. Ich warf Dinge nach ihr, so wie sie früher nach mir.
Die Kontrolle war gänzlich weg.
Völlig in die Ecke gedrängt wich sie zurück - immer mehr zu Tür. Ich konnte sie nicht ansehen, wie im Wahn griff ich nach der ersten Tüte mit Lebensmittel, die sie mitgebracht hatte und beinahe traf ich sie. Dann folgte die Zweite.
Essen verteilte sich an den Wänden, auf dem Boden. Milch lief aus und Eier zerbrachen. Meine Mutter verschwand aus meinem Blickfeld. Doch es spielte keine Rolle, dass ich sie mit diesen Anfall vertrieb.
Denn ich konnte nicht aufhören.
Alles, was ich in die Hände bekam, zerbrach ich. Die Schallplatten, Glas splitterte, Lampen, Keramik, es war, als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ein Regal warf ich um und jedes Geräusch der Zerstörung ließ Risse in meinem Inneren aufspringen.
Wütend, verletzt und vollkommen überfordert schrie ich auf, blieb irgendwann stehen und bemerkte, dass ich vor lauter Tränen nichts mehr sehen konnte. Auf einem Schlag war es wieder still und es zerriss mich.
Ich hatte schon viele Art von Schmerz gespürt, aber dieser war der Schlimmste.
Es fühlte sich an wie sterben, wie eine unglaubliche Qual, die versuchte mir das Herz in zwei Stücke zu reißen. Ich bekam kaum noch Luft, meine Wangen brannten und so sehr ich mich auch bemühte ruhig zu atmen, ich konnte es einfach nicht.
Zahlreiche Emotionen überwältigten mich, ich hatte keine Chance zu sortieren und eins nach dem anderen zu spüren. Das Zimmer begann sich zu drehen, ich versuchte meinen Blick auf die Scherben am Boden zu konzentrieren, aber es ging nicht.
Furchtbar jämmerliche Laute entwichen mir, meine Brust zog sich mehr und mehr zusammen. Nirgendwo konnte ich mich festhalten, also ballte ich die Hände zu Fäusten, meine Fingernägel gruben sich in mein Fleisch.
Aber der Schmerz konnte mich nicht von den anderen Qualen ablenken. Ich wollte zu der Couch gehen, nach der Rückenlehne greifen, aber gerade noch rechtzeitig hielt ich inne.
Vor meinen nackten Füßen erstreckte sich ein Meer an Verwüstung. Ein sauberer Kreis hatte mich eingeschlossen.
„Verdammte Scheiße, was zum-"
Ich sah nicht einmal auf.
Harry war wieder da und sofort kam es mir vor, als würde der Raum schrumpfen und die Wände unbarmherzig näher rücken.
„Wieso verschwindest du nicht!", brüllte ich ihn an. „Was muss ich noch tun, damit du endlich abhaust! Ich will meine verdammte Ruhe haben!"
„Spencer", sprach Harry ruhig, ich bemerkte seinen nervösen Gesichtsausdruck nicht einmal, „ich will, dass du-"
„Da!", fuhr ich ihn lautstark an. „Ständig willst du etwas von mir und verlangst alles Mögliche! Ich soll dir ständig erzählen, was du wissen willst. Dir ist scheißegal, ob ich das überhaupt will!"
Harry machte einen Schritt auf mich zu und automatisch machte ich einen zurück, sofort hielt er inne.
„Ich habe mir buchstäblich den Arsch abgesungen, als Aaron und ich mit der beschissenen Karre im Graben lagen", brach es aus mir heraus. „Irgendwann hat er nicht mehr geantwortet und ich habe einfach immer und immer weiter gemacht."
Damals war es mir vorgekommen wie eine Ewigkeit, bis ich irgendwann müde wurde und nur am Rande endlich Stimmen hörte.
„Von Heute auf Morgen war er nicht mehr da! Weißt du, was für ein furchtbares Gefühl es ist, wenn man vor jemanden sitzt, der die Augen offen hat, atmet, aber einfach nicht reagiert? Ich war jeden verfluchten Tag im Krankenhaus und habe ihn angefleht, dass er aufwachen würde!"
Mit jedem Tag mehr musste ich irgendwann begreifen, dass Aaron nicht zurückkam indem ich ihn drum bat.
„Meine Mutter hat angefangen zu trinken, anders hat sie den Alltag nicht mehr ertragen. Und immer, wenn sie sich betäuben musste, dann habe ich sie im Bad auf dem Boden gefunden. Manchmal in einem Teppich aus Tabletten und manchmal in ihrer eigenen Kotze!" Es laut auszusprechen machte es nicht schlimmer, aber auch nicht weniger schlimm.
„Ich habe sie geliebt, wirklich. Aber als ich älter wurde, da fing sie an Dinge nach mir zu werfen, mich zu schlagen und mir immer weder zu sagen, dass ich Schuld an alldem habe", mittlerweile glaubte ich das selbst. „Ich habe versucht ihr zu helfen, immer wieder, aber sie trank einfach weiter, kotze sich selbst an, war überhaupt nicht mehr bei Sinnen."
Und dann war ich einfach gegangen.
„Meinem Dad ging das am Arsch vorbei! Er hatte nichts anderes zu tun als zu arbeiten und seine verdammten Sekretärinnen zu ficken!" Ihm war es egal, was zu Hause passierte, blieb er doch selbst dort weg.
Sobald ich nicht mehr redete, hatte ich Probleme beim atmen. „Ich habe mich immer um mich selbst gekümmert und bin prima klar gekommen, und dann meinst du ständig Ansprüche stellen zu müssen!"
Harry blinzelte, ich merkte mittlerweile nicht mal mehr, dass er näher gekommen war.
„Alles musst du wissen, ständig geht es nach deiner Nase und ich habe verflucht noch mal versucht es dir recht zu machen! Das, was du willst, das reicht mir nicht! Da verzichte ich lieber ganz auf deine Anwesenheit!"
Das war eine Lüge und irgendwie auch nicht. Für ein bisschen Zeit mit Harry tat ich alles.
„Du wagst es mir zu sagen, dass du mich gehasst hast als wir nicht mehr zusammen waren! Meinst du, mir ging es auch nur eine verfluchte Minute besser als dir? Alles, was ich tun konnte, war mich genauso erbärmlich vor der Realität drücken, wie es meine Mutter getan hat!" Nur, dass ich nicht getrunken hatte, sondern mit Gigi geschlafen.
Ich rieb mir mit den Händen über das verheulte Gesicht, meine Kontrolle kam einfach nicht zurück, meine Brust schien lichterloh zu von innen heraus zu verbrennen. „Aber dich interessiert das nicht! Wieso auch, was ich will interessiert hier niemanden! Ihr tut nicht, was ich euch sage, ich-", hilflos hob ich die Hände, „-kann machen was ich will-"
Ich verlor den Faden.
„Alles, was ich will ist... dass ich die Möglichkeit gehabt hätte Aaron zu sagen, dass es mir leid tut", gestand ich und musste aufkommenden Schluckauf unterdrücken. „Ich bin schuld, dass er nicht auf die Straße geachtet hat. Wegen mir sind wir im Graben gelandet."
Das Geräusch von knirschenden Glas drang zu mir durch und ich begriff, dass Harry nur noch einen Schritt von mir entfernt stand. Er überbrückte den Abstand.
Ich wollte keine Nähe, ich wollte sie wirklich nicht.
Aber mal wieder war es egal, was ich wollte. Doch dieses Mal war ich auf unerklärlicher Weise froh drum.
Warme Arme umschlangen mich, ganz langsam und vorsichtig zog Harry mich zu sich. Die Umarmung wurde fester. Meine Finger gruben sich in seinen Pullover.
Der Halt war da, ohne, dass ich es merkte.
Harry sagte nichts, wir schwiegen und ich verlor den hauchdünnen Faden an Kontrolle, den ich gerade erst zurück bekommen hatte. Es war so furchtbar erbärmlich zu heulen und zu glauben jemand würde mir die Luft abschnüren.
Ich ertrug mich selbst nicht. Doch Harry tat es für mich.
Meine Stirn lehnte auf seiner Schulter und es war, als würde ich förmlich explodieren. Wut, Traurigkeit und Hilflosigkeit ließen sich nicht mehr unterdrücken.
All das fühlte sich furchtbar an und so, als müsste eine Tür, hinter der sich irgendwelche Emotionen verbargen, nach der Nächsten aufbrechen.
Irgendwann war ich so erschöpft von all den Empfindungen, die meinen Körper beherrschten und die ich nicht unterdrücken konnte, dass ich Harrys Finger bemerkte, die mir beruhigend über den Rücken strichen. Immer wieder.
„Ich hebe dich hoch, schlinge die Beine um mich, ja?", hörte ich seine belegte Stimme, doch noch bevor ich antworten konnte, da verlor ich den Boden unter den Füßen und tat, was er wollte.
Harry hielt mich so fest, dass ich nicht eine Sekunde glaubte, ich sei zu schwer für ihn. Langsam drehte er uns herum und setzte einen Schritt vor dem Nächsten.
Ich sah über seine Schulter und bemerkte den sauberen Kreis und die zahlreiche Verwüstung. Die ganze Situation war unglaublich bescheuert, doch trotzdem kam es mir so vor, als würde er mich durch meine inneren Scherben tragen.
Es war das erste Mal, dass ich zugab, das es in Ordnung war sich nicht alleine um sich selbst zu kümmern. Ausgelaugt, leer und erschöpft schloss ich die Augen.
Der brennende Schmerz ließ nach.
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Danke an Jenny, die mir mit diesen Cover eine Freude machen wollte und einen schlimme Tag weniger schlimm machte, ohne es zu wissen <3
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