41 ♫ Well, all I need
I'll find the places where you hide
I'll be the dawn on your worst night
The only thing left in your life
Yeah I would kill for you, that's right
[ OneRepublic ]
HARRY ║ Es war erschreckender Weise genauso wie Fenton gesagt hatte. Spencer vergaß zu essen, war extrem launisch und wollte im Endeffekt einfach nur seine Ruhe haben. Die Ruhe ließ ich ihm, aber es war schwer sich nicht einzumischen, wenn er sich mit stoischer Sturheit daran machte Möbel so aufzubauen, wie er es für richtig hielt.
Nicht jede Schublade wurde so, wie sie sein sollte, manchmal blieben Schrauben übrig, aber das machte ihn nicht besonders nervös. Er sprach nicht viel mit mir, trotzdem gelang es mir mich an seine Fersen zu heften, als er loszog, um durch einen Laden zu stöbern, der Lampen und Licht aller Art anbot.
„Was genau suchst du?", fragte ich, als ich ihm folgte und mir die Mütze aus dem Gesicht schob. Es machte mich immer noch nervös mich öffentlich ohne Personenschützer zu bewegen.
„Nichts Besonderes", antwortete er gleichgültig und ich blickte auf seinen zerzausten Hinterkopf. Auf uns achtete im Laden niemand. Wir sahen wohl nicht so aus, wie Leute, die ordentlich Geld dalassen würden.
Doch genau das tat Spencer. Obwohl er nicht direkt auf der Suche war, wusste er doch ganz genau, was er haben wollte. Klassische Lampen mit Schirm, interessante kleine Modelle im Fabrikstil und schließlich meterlange Lichterketten in weiß reihten sich ein.
Er gab die Bestellung auf und wollte sie als Lieferung. In den nächsten zwei Tagen würden sie also ankommen. Dann verließen wir den Laden wieder. Aber statt direkt nach Hause zu gehen, machte Spencer einen Umweg. Ich musste feststellen, dass er sich in Berlin mittlerweile ziemlich gut auskannte.
Das Wetter war düster, feucht und kaltnass. Immer wieder setzte Nieselregen ein, doch das schien Spencer nicht zu stören. Ich fragte mich, ob er es überhaupt bemerkte. Mit ihm Schritt zu halten war nicht immer leicht, mir war furchtbar kalt, ich fröstelte. Wasser fraß sich durch meine Füße und ganz leise begann eine hässliche Stimme in meinem Kopf zu flüstern, dass ich völlig umsonst hier war.
Wieso tat ich ihm nicht den Gefallen und ging einfach? Er forderte mich schließlich jeden Tag aufs Neue auf endlich zu verschwinden. Bislang ignorierte ich diese Worte, aber ich begriff auch, dass er es ernst meinte.
Es war schwierig in seiner Nähe zu bleiben und sich nicht von dieser Haltlosigkeit erdrücken zu lassen. Nachts hörte ich, wie er sich von einer Seite auf die andere rollte und aufstand. Regelmäßig verließ er das Loft, verschwand für Stunden und war am Morgen wieder da. Wenn ich fragte, wo er gewesen sei, war die Standartantwort: „Es ist nicht wichtig."
Dabei war es das.
An der Spree mit Blick auf die Museumsinsel blieb ich schließlich stehen. Es dauerte ganze fünf Schritte, da hielt auch Spencer vor mir inne und wandte sich um. Ich musterte ihn und so sehr ich auch alles tun wollte, damit ich Zeit mit ihm verbringen konnte, so musste ich wissen, ob es nicht vielleicht ebenso sinnlos war, wie es sich anfühlte.
„Hast du vor irgendwann wieder vernünftig mit mir zu reden?", fragte ich direkt heraus und beobachtete keinerlei Regung. Also setzte ich hinzu: „Ernsthaft Spencer, du kannst nicht für immer schweigend durch die Welt laufen und von allen verlangen, dass sie dich in Ruhe lassen. Irgendwann wird jedem die Geduld mit dir ausgehen."
Die Hände in den Jackentaschen vergraben musterte er mich, dann atmete er tief aus und sprach: „Okay... du willst reden. Schön. Fangen wir doch damit an, warum zum Teufel du hier bist."
Meine Mundwinkel zuckten, wenn auch nicht vor Belustigung. „Musst du das echt fragen? Du kennst die Antwort."
„Du bist scheiße darin Beziehungen ganz loszulassen, was?", ich hörte den Spott in seiner Stimme, aber es war mir egal. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und korrigierte: „Ich bin scheiße darin deinen Weg nicht zu kreuzen und das weißt du auch."
„Rede keinen Stuss!", behauptete er und hatte recht, also presste ich erst die Lippen aufeinander und dann erklärte ich: „Du hast in Paris den Entschluss gefasst, dass es vorbei ist. Ich wurde überhaupt nicht gefragt, ob ich das wollte! Von jetzt auf gleich stellst du mich vor die Wahl und weil es nicht nach deiner Nase ging-!"
Ich unterbrach mich, hatte die Hände zu Fäusten geballt und war froh darüber, dass so gut wie niemand unterwegs war, oder wir einfach ignoriert wurden. „Ich bin nicht hier, weil ich drum gebeten wurde, oder ein schlechtes Gewissen habe, sondern, weil ich es will und dachte du willst es vielleicht auch. Scheinbar habe ich mich geirrt."
Spencer erwiderte daraufhin nichts, also fuhr ich fort: „Aber weißt du was? Das ist mir ziemlich egal! Ich bleibe trotzdem hier, schmiere dir die Butter aufs Brot und spiele dein Hausmädchen und wo wir bei Brot sind, kann man hier irgendwo gescheit frühstücken?"
Ich stampfte an ihm vorbei und zu meiner Verblüffung folgte Spencer mir in ein kleines Café. Ohne ein Wort Deutsch zu können schaffte ich es irgendein Menü zu bestellen und hockte in einer Ecke an einem kleinen Tisch, der überladen wurde von Eiern, Brötchen und zahlreiche Auswahl, was den Beleg anging. Das typische deutsche Frühstück mit O-Saft und tausend Sorten Marmelade.
Der Duft von Tee stieg mir in die Nase und ich wagte es sogar die Beanie abzusetzen. Das Café war gut besucht, obwohl es unter der Woche war. Mir gegenüber ließ sich Spencer nur langsam nieder, er bemühte sich nichts umzustoßen und wagte es tatsächlich zu sagen: „Würdest du besser einkaufen gehen, hättest du so ein Frühstück auch bei mir."
„Bei dir ist es gerade nicht sehr gemütlich, außerdem hast du kaum Küchengeschirr", klärte ich ihn auf. „Ein Wunder dass du so etwas wie einen Wasserkocher und eine Kaffeemaschine besitzt."
„Das wusste ich selbst nicht mal", gab er zu und bestellte sich einen Macchiato und beobachtete die Menschen im Cafè. Den Opi mit der Zeitung, dem die Brille immer wieder von der Nase rutschte, den Frührentner mit Brummi-Statur, in unglaublicher Vielfalt mischten sich die unterschiedlichsten Menschen in Berlin und das war etwas, was mir sehr gefiel.
Als ich nach dem zweiten Brötchen griff, da hörte ich Spencer sagen: „Tut mir leid."
Überrascht sah ich ihn an und tat, als hätte ich nicht zugehört: „Was hast du gesagt?"
„Du kannst mich mal", antwortete er trocken, aber Hauptsache er redete überhaupt wieder. Radikal änderte er das Thema: „Wieso bist du nicht bei deinem Kumpel, der falschen Blondine?"
„Wir wechseln uns ab", gab ich zu. „Noch bin ich nicht dran und ich schätze du bist nicht besonders scharf darauf, dass es auch bei dir einen Schichtwechsel gibt?"
„Bloß nicht", gab er zu und ließ den Blick wieder schweifen. Ich frühstückte in Ruhe zu Ende, lauschte dem Radio und bestellte einen zweiten Tee. Leute zu beobachten entspannte und für diesen Moment fühlte es sich ein bisschen so an, wie bei unserem ersten Berlinbesuch.
Auf dem Heimweg spürte ich, dass sich die Stimmung zwischen uns ein wenig verändert hatte. Sie war nicht mehr feindselig, aber auch nicht so gut, dass Spencer mir von alleine mehr erzählte. Immer noch verschwand er Nachts, wenn er nicht schlafen konnte und dieses mal fragte ich, wohin genau er verschwand.
Die Antwort war seltsam.
„Hier und dahin, ich gehe einfach los."
Müder schien er dadurch nicht unbedingt zu werden.
Während Spencer sich damit beschäftigte das Wandregal an die richtige Stelle zu setzten, spielte ich die Sekretärin vom Dienst. Wie Fenton gesagt hatte, eine Menge Päckchen, Pakete und Kisten trafen ein. Die Boten waren zu zweit und waren dankbar für den Aufzug. Zuerst kam man nicht mehr durch den Flur und ich fragte mich, was um Himmels Willen das alles war.
Vier Stunden später klingelte es noch einmal und ein Lieferdienst aus Übersee hatte Gepäck dabei. „Was ist das alle?", fragte ich und beobachtete Spencer dabei, wie er die ersten Kisten öffnete: „Nur Kram."
Ohne inne zu halten riss er den Brief, in der ersten Kiste in zwei, warf ihn weg und begann die Kiste auszupacken. Zum Vorschein kamen Massenweise alte Schallplatten, Kassetten und CDs. Geduldig räumte er sie in das Wandgroße Regal, ordnete sie und begann das Loft zu füllen.
Was fehlte war die passende Technik um all die Tonträger abzuspielen. Doch auch daran hatte Spencer gedacht, denn als er weiter auspackte, da kam eine Anlage zum Vorschein, die er geduldig aufbaute und anschloss.
Ich kümmerte mich um all das Papier, die Pappe und versuchte ein System zu schaffen. Dabei fand ich zahlreiche Briefe, die in zwei gerissen waren und ich begann mich zu fragen, ob nicht in jeder Kiste einer gewesen war.
Obwohl das eigentlich nicht meine Aufgabe war, fing ich an sie zu sammeln und zur Seite zu legen. Die Schrift auf den Umschlägen war geschwungen und definitiv weiblich.
Im Wohnzimmer lehnten die großen Preise, Gold, Doppelplatin gerahmt gegen die Couch, so, als wären sie aussortiert. Am Anfang hing man sich die Auszeichnungen an die Wand, aber je mehr es wurden, umso mehr wusste man nicht, wohin damit.
Gerade, als ich die Briefe in der Küche in einer Cornflakes-Packung versteckt hatte und zum kochen die ersten Lebensmittel zusammen suchte, da hörte ich Musik aus dem Wohnzimmer. Nirvana den Song Blew.
Ich schob mich an den Kisten vorbei und fand Spencer, wie er auf der Seite auf dem Teppich lag und sich nicht mehr regte. Er wollte alleine sein, das verstand ich, aber Einsamkeit als Flucht würde ihn irgendwann entweder explodieren, oder verkümmern lassen.
Als ich auf ihn zu ging, da fiel mein Blick auf eine offene Kiste und ich erblickte einen originalen amerikanischen Baseballhandschuh. Er war abgenutzt, aber auch alt, so als hätte man schon sehr lange nicht mehr damit gespielt. Da drunter befand sich ein grauer Pullover der NYU und es juckte mich in den Fingern mir die Kiste weiter anzusehen.
Nun begriff ich, dass all dieses Zeug mir vielleicht so viel mehr von Spencer verraten würde, als ich glaubte, denn all die Sachen – das war er. Es waren Seiten, die ich nicht kannte, die geschwärzten Zeilen.
Doch ich hielt meine Neugier in Grenzen und stattdessen legte ich mich zu Spencer auf den Boden und umarmte ihn. Er war wieder irgendwie kalt, sein Rücken drückte sich gegen meine Brust und ich konnte das Gesicht in seinem Nacken vergraben.
Automatisch schien er schwer zu atmen. Wir blieben so liegen, ich sog seinen Geruch auf, genoss es die Augen zu schließen und Spencer einfach nur zu halten. Besonders, weil er es passieren ließ. Stumm lauschte ich der Musik und verlor das Zeitgefühl. Mein Nacken schmerzte irgendwann, aber das war okay.
„Ich habe dich jeden verdammten Abend vermisst", gab ich zu, ohne, dass man mich gefragt hatte. „Und dann habe ich angefangen dich zu hassen."
„Warum?", Spencer drehte sich auf den Rücken. Die Schatten unter seinen Augen wirkten wie tiefe Kummerfalten. Ich hob die Hand und konnte es nicht lassen drüber zu streichen. Der mangelnde Schlaf war dabei seinen ersten Preis zu fordern.
„Weil du viel zu einfach weiter gemacht hast und ich mich gefühlt habe, wie der letzte Dreck", sprach ich. Er sah mich an, runzelte die Stirn: „Ich habe mir Mühe gegeben, dass es so aussieht." Sein Daumen strich über meine Hand, die auf seinem Bauch lag.
Wir schwiegen kurz und schließlich machte ich gesprächsmäßig wieder einen Sprung. „Bevor du heute schlafen gehst, kriegst du eine Tasse heißer Milch mit Honig."
Spencer lachte und es war schön es zu hören. „Kriege ich dann auch noch eine Wärmflasche?"
„Wenn du willst, aber ich neige eher zu Schlaftabletten, damit du aufhörst den Mond anzuheulen", erwiderte ich. Er schnaubte: „Ich besinge den Mond und heule nicht."
„Ist dasselbe", zog ich ihn auf und genoss es, dass mir endlich nicht nur Abstand entgegen schlug. Wir blieben liegen, ich wusste nicht wie lange, aber es war irgendwie genau das, was wir zu brauchen schienen.
„Ist die Post aus Nashville?", fragte ich und Spencer antwortete: „Ja und aus New York. Das ist alles, was ich behalten wollte."
„Und von wem sind die Briefe, die du alle zerreißt?", horchte ich. Eigentlich rechnete ich mit keiner Antwort, aber nach zwei Atemzügen gab er sie mir: „Schätze meine Mom. Dass sie sich überhaupt die Mühe macht ist schon lachhaft."
Ich dachte an die blonde Frau, der ich auf dem Konzert in London begegnet war. „Ich habe sie getroffen... sie und deinen Vater – zumindest glaube ich das."
„Was?", sichtlich geschockt sah Spencer mich an und ich schob hinterher: „Auf dem Konzert damals, als Louis sein inneres Fangirl stillen musste."
Er schien sich das nicht vorstellen zu können und ich sprach: „Sie hatten die Plätze neben uns und du siehst deiner Mom recht ähnlich."
Spencer schnaubte: „Genau das will ein Kerl auch hören."
„Das ist doch nichts Schlimmes, ich sehe meiner Mum auch ähnlicher, als meinem Dad", gab ich zu und Spencer bekräftigte: „Das stimmt allerdings."
Mir war, als würde ganz langsam all die Wut und Überforderung aus Spencer weichen, jedoch war ich zu voreilig. Emotional blieb er im Ungleichgewicht, ich merkte es daran, dass ich in der Nacht hörte, wie er aufstand und anfing sich anzuziehen.
Noch halb im Schlaf machte ich das Licht an und blinzelte: „Haust du wieder ab?"
„Ich will ein bisschen laufen", erklärte er mir und langte nach seinem Pullover. Schwerfällig schwang ich die Beine aus dem Bett und rieb mir über die Augen. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, stolperte ich angezogen hinter ihm die Treppen herunter.
Im Flur wandte Spencer sich um: „Du hast nicht ernsthaft vor mitzukommen."
„Doch, bisschen spazieren gehen schadet doch nicht... um halb zwei", gähnte ich. Seine Mundwinkel zuckten und er drückte mir eine Beanie in die Hand: „Schlaf mir unterwegs nicht ein."
„Und wenn schon, dann schleppst du mich huckepack nach Hause", behauptete ich. Eigentlich wollte ich nur wieder zurück ins Bett, dorthin, wo es warm und kuschelig war.
Im ersten Moment bereute ich es meinen Hintern hoch bekommen zu haben, doch als ich fünfzehn Minuten mit Spencer durch das nächtliche Berlin lief, da... war mir das warme Bett egal. Kalter Wind blies mir um die Nase, es roch feucht und ungemütlich, noch dazu schien Spencer es nicht besonders eilig zu haben.
Dann, ganz automatisch, griff ich irgendwann nach seiner Hand. Meine Finger verschränkten sich mit seinen, so, wie sie es vor einer gefühlten Ewigkeit schon einmal getan hatten. Hier in Berlin, mitten in einer U-Bahn nach einem Song Battle. Doch das war nicht wichtig.
Wichtig war nur, Spencer ließ es zu.
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