16 ♫ (Girl-)Boyfriend
Du brennst, dein Herz steht niemals still
Du ziehst dich an wie du willst
Du siehst geil aus, Berlin
Du sagst was du meinst, doch du meinst es nicht so.
Du redest sehr laut und sehr viel
Doch zwischen jedem ironischen Ton
Schwenkt immer ein bisschen Gefühl.
Du liebst auf selbstbewusste Art
Du kommst mit jedem klar, offenbar
Ein Duft, wie ein Schuss Adrenalin
Du riechst so geil, Berlin
Du schmeckst nach Crem' und Koffein
So herb und doch feminin
Du küsst so geil, Berlin.
Ich glaub, ich bleib heut Nacht, Berlin.
[ Roger Cicero ]
SPENCER ║ Harry schluckte hart und ich setzte mich aufrecht hin. Jetzt war ich aber mal gespannt. Er würde ausweichen, ganz sicher. Prompt in dieser Sekunde wollte er sich aus dem großen Bett ziehen und mir mit irgendeiner unwichtigen Ausrede davon kommen.
„Ich glaube mein Handy klingelt."
Bingo!
So schnell ich konnte, robbte ich hinter ihm her und erwischte ihn am Rand. Dort schlang ich die Arme um seinen Oberkörper und zog ihn fix zurück ins Bett. „Du bist echt ein Schisser", stellte ich fest und war froh, dass er sich zumindest nicht aus meiner Umarmung wand.
„Was sind wir, Harry?", ich wollte es von ihm hören, vor allem, um zu wissen, ob wir in dieselbe Richtung dachten. Er roch so wunderbar nach Seife und Creme. Total schlicht, doch ich mochte es.
Unter meinen Händen spannte er sich an und ich bekam eine ziemlich gute Vorstellung davon, was ich finden würde, wenn ich ihn endlich komplett ausziehen durfte. Harry war definitiv ein sportlicher Typ und bislang hatte ich der Versuchung widerstanden ganz stumpf nach Shirtless-Bilder zu googeln.
Die Vorfreude wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Meine Lippen pressten sich hinter sein Ohr und kurz seufzte er, bevor er sich beschwerte: „Du spielst scheiße unfair!"
„Und du funktionierst scheinbar nur, wenn man dich unter Druck setzt", hielt ich dagegen. Harry holte tief Luft: „Okay... okay... gut, also, was wir sind... ist schwierig."
„Was ist daran schwierig?", trieb ich ihn in die Enge und sein Gesicht wandte sich mir zu. Ich war versucht mit den Daumen über eines seiner Grübchen zu streichen, aber ich unterließ es. Zu gespannt war ich auf seine Antwort.
„Weil du dich... hundert pro beschwerst, wenn ich dich... als meine Freundin bezeichne", gab er zögern zu: „Aber ich kann auch nicht Freund sagen, denn das macht mich ja irgendwie... zum Mädchen."
Ich musste so laut und heftig über diesen Scheiß lachen, dass ich Harry losließ und mich überhaupt nicht mehr ein bekam. Das Verlangen in ein Kissen zu beißen, war unglaublich groß. Harry machte es auch nicht besser, indem er mich mit seinem Kissen schlug und sich dann auf mich warf.
„Das ist nicht witzig! Du wolltest eine Antwort, jetzt hast du sie, also sei zufrieden damit!", verlangte er und ich hatte Mühe wieder Luft zu bekommen. Dann ergab ich mich: „Oh man."
Harry rollte sich von mir runter und ich rappelte mich auf, ein schiefes Grinsen schlich über meine Lippen: „Also bin ich inoffiziell deine Freundin?"
„Definitiv, denn ich bin nicht die Tussi von uns", behauptete Harry und zog sich aus dem Bett. Ich sah ihm nach, wie er so tat, als hätte sein Handy tatsächlich geklingelt. Ich hatte etwas anderes hören wollen, aber das reichte mir auch. Denn 'Freundin' klang doch arg nach etwas Festem - so was, wie nach einer Beziehung.
Dass wir den gesamten Tag im Hotel verbrachten, störte mich zuerst nicht, immerhin tobte draußen das typische Sommerunwetter. Trotzdem war ich unglaublich froh, dass wir den folgenden Tag wieder raus konnten.
Ich war so ausgeruht, dass ich um halb sechs hellwach neben Harry lag und seinen Atemzügen lauschte. Möglichst leise stand ich also auf und machte mich zum joggen fertig. Ich hatte ihm zwar gesagt, dass ich keine Lust darauf hatte hechelnd auf einem Laufband herum zu latschen, aber draußen zu joggen war für mich so etwas wie Erholung.
Unterwegs hörte ich Musik, genoss die frische, leichte Sommerluft und machte die erste Dehnungspause an einer Parkbank. Die meisten Leute waren auf dem Weg zur Arbeit und achteten nicht auf mich. Gerade, als ich nach einer neuen Playlist suchte, ging ein Anruf von Parker rein.
»Entschuldige die Störung im Urlaub, Spencer. Aber ich wollte dir die Datei schicken für 'Teenage Symphony', ein alter Freund hat es auf italienisch eingesungen. Vielleicht hilft es dir.«
„Hat der alte Freund auch einen Namen?" Nachdem Carrie mich Steven Tyler und Gary Barlow ausgeliefert hatte, traute ich auch Parker alles zu. Dank ihm waren wir unglaublich viel am arbeiten und ohne ihn wären wir ganz sicher nicht als Hauptband in Europa unterwegs.
»Ich denke nicht, dass er dir bekannt ist, also darf ich dir die Datei zuschicken?«, wich Parker aus und ich machte es ihm leicht: „Von mir aus." Kurz darauf hatte Parker auch schon aufgelegt, Von einer höflichen Verabschiedung hielt er nicht viel.
Sekunden später ging die Datei bei mir ein. Man hatte in der Mail das Produktionsstudio, Management erwähnt und als Artist einen gewissen Eros Ramazzotti angegeben.
Ich spielte 'Teenage Symphony' auf italienisch zum ersten Mal ab und wurde enorm überrascht, denn dieser Eros Ramazzotti hatte eine großartige Stimme.
Statt die Strecke zurück zu laufen, ging ich und lud nebenbei eines seiner eigenen Alben herunter. Als ich zurück im Hotel war, sprang ich unter die Dusche und versuchte mich zu entspannen. Denn heute wollte ich nur den Tag genießen, Berlin sehen und Harrys Anwesenheit nutzen.
Es kostete immer ein bisschen Überredung, damit er das Frühstück im Hotel ausfallen ließ und wir stattdessen irgendwo in Berlin etwas kauften. Heute war es draußen definitiv erträglicher. Wir schwitzen unter unseren Snapbacks nicht so heftig, wie am ersten Tag. Außerdem tat sich Harry dieses Mal nicht ganz so schwer damit gelassen zu bleiben.
Wir hockten auf einer Bank, tranken Kaffee to go und machten Pläne, was wir uns von Berlin heute ansehen würden. Harry kratze sich an der Stirn: „Wir könnten auch eine Rundfahrt mit so einem Bus machen. Direkt durch den Berufsverkehr", schob er trocken hinterher.
„Ich möchte auf jeden Fall noch auf die Autobahn und einmal No Limit ausprobieren", gab ich zu und Harry schlug vor: „Das können wir für morgen auf die Liste setzten."
Mein Blick fiel auf das Park Inn Hotel vor uns. „Heilige Scheiße, ich glaube hier, kann man Base Jumping machen! Du weißt schon, das, was gestern auf dem Flyer stand."
Man konnte tatsächlich.
Es ging ganze 125 Metern in die Tiefe und zu unserem Glück machten sie an diesem Morgen für uns eine Ausnahme. Eigentlich war die Attraktion gemietet für eine Abiturklasse, die zum Abschluss noch einmal mutig sein wollte.
Zuerst zögerte Harry, aber man erklärte ihm, dass diese Art Sprünge sicherer waren, als Bungee Jumping und man vorher eingewiesen wurde. Man musste auf eine Art Sprungbrett gehen und wurde dann, wie eine Ware von einen krahnähnlichen Ding, in die Luft gehoben. Danach hieß es, Augen zu und ab in die Tiefe.
Grade streckte ich mich in der Weste und wurde an Drähten festgemacht, als ich bemerkte, dass Harry ziemlich käsig im Gesicht wurde. So als überlegte er es sich gerade anders. Ich würde vor ihm springen und ging auf dem Sprungbrett in die Hocke, sein Blick dagegen glitt über die Aussicht und er schluckte hart.
„Hey", sprach ich, als der Mitarbeiter von mir abließ und wir so einige Meter Abstand zu den anderen Anwesenden hatten. „Was ist los?"
„Ich glaube, ich hab's mir anders überlegt", gab er zu und ich fragte mich, ob er vieles anders betrachtete, wenn es zur Sache ging. Eiskalt sprach ich: „Überlegst du es dir auch anders, was deine 'Freundin' angeht?"
Harry studierte mein Gesicht und ich bemerkte den angespannten Zug um seine Mundwinkel: „Rede keinen Müll."
„Dann zeig mir, wie ernst ich das nehmen kann, indem wir das hier zusammen machen", provozierte ich ihn. Harry seufzte schwer: „Ich muss mich als erst von einem Hochhaus werfen, damit ich an Glaubwürdigkeit gewinne?"
„Ja", nickte ich dreist. „Wäre ein prima Anfang, oder?" Breit grinste ich und kniff Harry in die Wange: „Oder es ist offiziell, dass du die Pussy von uns bist."
„Ach bitte, hab' zumindest den Anstand und sag Tussi", verbesserte er mich. Mein Grinsen wurde noch breiter: „Ich hätte dich eher für eine Dame gehalten."
„Damen sind anders drauf", behauptete er und ich nickte: „Ja, sie machen sich ins Röckchen, wenn sie 125 Metern in die Tiefe sausen."
Geräuschvoll atmete Harry aus, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck: „Wir sehen uns unten."
„Ich revanchiere mich, wenn du wirklich springst", setzte ich noch einen drauf, als einer der Zuständigen zu uns kam. Harry verschränkte die Arme vor der Brust: „Ich nehme dich bei Wort."
Ich sprang demnach als Erstes, genoss den Adrenalinkick und war total enttäuscht, als es schon wieder vorbei war. Die warme Luft, der Nervenkitzel, es war absolut herrlich.
Am Boden filmte ich dann Harrys Sprung und erkannte, dass auch er am liebsten direkt noch einmal gesprungen wäre. Die anfängliche Angst schien wie weggeblasen.
„Das war genial!", verkündete er. „Als würde man fliegen."
„Leider nur nach unten", pflichtete ich ihm bei und schickte ihm das Video. Hinter uns lärmte die Schulklasse, sie war mittlerweile angekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass du für Action dieser Art bist."
Harry setze sich gerade seine Snapback wieder auf und irgendwie vermisste ich seinen extravaganten Stil. Er zuckte mit den Schultern: „Manchmal. Von Bungee Jumping halte ich nicht viel, aber ein paar Sachen sind ganz cool."
„Wie mit Haien zu tauchen?", fragte ich und Harry verneinte: „Eher so was wie surfen, oder Rennautos zu fahren."
„Ich dachte das macht eher dein Kumpel, dieser Louis?"
Harry nickte: „Er teilt so etwas leichtfertiger in sozialen Medien mit. Ich finde, es geht niemanden etwas an, wie ich meine Freizeit verbringe." Von der außerdem er nicht besonders viel besaß.
Die Jungs, Mara und ich waren da auf Instagram ziemlich aktiv, allerdings posteten wir ziemlich viel harmloses Zeug und eher weniger die großen Sünden. So datete Alex zwar Demi Lovato, machte es jedoch nicht offiziell, während Matteo durchaus Bilder von sich und Finja online hatte. Leider wurden die Bilder immer weniger.
Wir beschlossen zuerst den Zoologischen Garten zu besuchen und ich bat vor dem Elefantentor am Eingang um ein Foto. „Kriegen wir das hin?"
„Klar", antwortete Harry, aber wir merkten, als er das Selfie machte, dass es uns nicht gelang den Hintergrund gut mit drauf zu kriegen.
Kurzerhand fragte ich eine ältere Dame, doch die verstand kein Englisch. Mit Händen und Füßen gestikulierte ich, damit sie verstand, wie sie mit meinem Handy ein Foto mache konnte.
Als ihr ein Licht aufging, da lächelte die Dame und nickte hastig.
Wie Idioten posierten wir vor dem Elefantentor. Ich musste mich arg anstrengen, dass ich in die Kamera sah und nicht auf Harry.
Der Drang, in der Öffentlichkeit einfach nach seiner Hand zu greifen, oder zu zeigen, dass – ich schluckte hart bei dem Gedanken – er mit mir hier war und zwar nicht als Kumpel, war ziemlich groß. Die Versuchung nieder zu wälzen war nur deshalb scheinbar leicht, weil ich wusste, wie viel Harry daran lag, dass wir nicht auffielen.
Ich bedankte mich bei der alten Lady und zeigte Harry schließlich die drei Bilder, die sie gemacht hatte. „Die Faxen sehen gut aus", und vor allem so, als wären wir Kumpels. Ein bitterer Beigeschmack machte sich auf meiner Zunge breit.
Wir stellten uns an und ich schickte Harry auch diese Bilder. In der Schlange sah er sie durch: „Sollte Louis die je sehen, wird er mir im Schlaf die Kehle aufschlitzen."
„Wieso?", fragte ich und Harry lachte trocken: „Er ist an Fan von The Metropolis und hat es noch nicht zu euren Konzerten geschafft."
„Schenke sie ihm doch zum Geburtstag", warf ich ein und Harry antwortete: „Dann dauert es noch lange. Er hat das Pech am 24 Dezember nicht nur Weihnachten zu feiern."
„Was ein Scheiß", fand ich. Harrys Blick ging an mir vorbei, er spannte sich an: „Ich glaube, wir sollten besser gehen."
Ich studierte gerade den Lageplan in einer Broschüre, die ich in der Schlange an einem Drahtgestell entwendete und runzelte verwirrt die Stirn: „Wieso?"
„Weil die vier Mädchen da hinten verdächtig diskutieren und immer wieder zu uns rüber sehen", erklärte er knapp. Jetzt hörte ich sie mehrere Leute hinter uns kieksen und schnattern. Dabei taten sie betont lässig und so, als würden sie gerade nicht versuchen uns möglichst unauffällig zu fotografieren. Sie schienen eindeutig die Tattoos auf Harrys Armen zu studieren.
Zu unserem Glück dürften ihnen immer wieder Leute ins Bild drängen. Wir machten, dass wir möglichst unauffällig bei der nächsten Gelegenheit verdrückten. Flexibel änderten wir unsere Pläne, sobald wir sicher waren, dass die Mädchengruppe uns nicht verfolgte.
„Auf zu den Berliner Unterwelten", nahm ich die Rolle des Planers in die Hände. Die Führung war sogar auf Englisch und wir entkamen so der Mittagshitze, die nun über der Erde auf die Stadt knallte.
Man reichte uns Taschenlampen, die Gruppe war mit zwölf Leuten überschaubar und wir begannen in einem ehemaligen Bunker am U-Bahnhof und hatten ganze vier Etagen unter der Erde vor uns.
Es roch muffelig, die Luft war kaltnass und der Gruselfaktor überraschend hoch. Die Stimme unseres Fremdenführer hallte an den nackten Steinwänden zurück. Eine Gänsehaut vor Kälte jagte über meinen Körper und wir ließen uns sowohl die Führung 'Dunkle Welten' durch das Berliner Unterwelten Museum, als auch Bunker und Mauerdurchbrüche nicht entgehen. Es war erstaunlich interessant.
„Pause", verkündete Harry draußen, wo uns die Sonne nun ein paar Stunden später doppelt traf und ich fühlte mich wie ein Vampir, der verbrannte. Normalerweise hätte ich ihm zugestimmt, aber so fragte ich: „Pause an der Berliner East Side Gallery, dann haben wir ein bisschen was zu gucken."
Er seufzte schwerfällig, nickte allerdings knapp und über eine Stunde später biss ich genüsslich in meinen Lahmacun, während Harry neben mir seinen inneren Wassertank wieder füllte.
Die East Side Gallery war ein 1,3 Kilometer langer Abschnitt der Berliner Mauer, der nach dem Mauerfall nicht zerstört wurde. Nach der Wende wurde die Mauer von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt und so zur längsten Open-Air-Galerie unter freiem Himmel.
„Sie ist großartig", fand ich. Harry war derselben Meinung: „Oh ja. Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas in Deutschland gibt." Er machte unzählige Fotos und ich musste grinsen: „Du meinst mehr als Lederhosen und Bier?"
„Bin voll ins Klischeekistchen gestolpert", gab er offen zu, sein Blick ging weiter nach rechts zur Bruderkuss-Kulisse: „Das allerdings ist nicht meine Kunst."
„Das ist das tolle an Kunst, sie legt nicht fest, was einem gefallen muss und was nicht", meinte ich, dann kräuselte ich die Nase. Obwohl ich mich am Morgen eingecremt hatte, machte sich der Sonnenbrand wieder bemerkbar.
Nachdem wir die Mauer durch hatten, unzählige Fotos schossen, da pausierten wir auf einer Bank an der Spree. Zum Abschluss des Tages wäre eine Fahrt mit dem Schiff nicht übel, die Füße hoch und gammeln, das wäre es doch.
Harry ging los, um zu schauen, ob überhaupt noch ein Schiff fuhr und um sich an dieser Kioskbude die nächste Flasche Wasser zu holen.
Ich blickte die neuen Bilder durch und spürte, wie müde meine Füße von diesen vielen Besichtigungen waren. Der Tag war lang und ich streckte die Beine aus. Dabei fiel mir ein Werbeplakat auf der anderen Straßenseite auf. Zuerst nur, weil ich es witzig fand, dann allerdings bemerkte ich, dass es angekritzelt war und stand auf.
Eine Limette pinkelte in das Pepsiglas, wahrscheinlich, um auf den Schuss Limette aufmerksam zu machen. Ich studierte das Gekritzel ganz rechts und dann musste ich breit grinsen. Hier stand dick und fett der Code für den nächsten Song Battle.
Aaron brachte mir bei, wie man sie las und es war krass, dass der Code in mehreren Ländern derselbe zu sein schien. Unglaublich, wie viel Glück ich hatte, denn hier in Berlin würde morgen Nacht ein Battle sein. Schnell fotografierte ich den Code ab, damit ich im Hotel schauen konnte, wo er genau stattfand und um wie viel Uhr.
„Spencer?"
Automatisch reagierte ich und wandte mich um. Ich kannte die Stimme nicht und just blickte ich in das Gesicht eines jungen Mannes mit knallblauen Haaren und einem Skateboard unter den Arm. Seine Augen weiteten sich überrascht. „Fuck!", entwich es ihm und er sagte irgendetwas zu seinen Freunden, die wenige Meter hinter ihm standen.
Zwei weitere Jungen und zwei Mädchen, vielleicht achtzehn starrten mich völlig von den Socken an.
Scheiße.
Ich war entdeckt worden.
Sie redeten so schnell, dass ich mich möglichst unauffällig nach Harry umsah, aber er war nicht zu finden. Gut so. Endlich wechselte die Truppe ins Englische.
„Wir waren bei Rock am Ring und haben das Konzert gesehen", sprach der Typ mit den grünen Haare. „Das war großartig!"
„Kommt ihr noch mal nach Deutschland?", fragte die hübsche Blondine und automatisch lächelte ich, denn ich hatte eine Schwäche für blonde Frauen. Sommersprossen tanzten auf ihrer Nase und sie hatte ein dünnes pinkes Band um ihren Kopf geschlungen.
„Leider nicht", antwortete ich und blickte in fünf enttäuschte Gesichter. Das zweite Mädchen der Truppe, kurvig und mit rotbraunen Locken räusperte sich und wurde verlegen: „Dürfen wir ein paar Fotos machen?"
„Klar", sprach ich und dann stellten sie sich direkt für ein Gruppenfoto auf, dabei wurde ich gefragt, ob ich alleine unterwegs war, wo die anderen seien und sie erzählten mir, welche Songs ihnen am besten gefielen. Die drei Jungs waren sich überraschend einig, während die Mädchen schwankten, je nachdem welche Laune sie hatten.
Ich spürte beim Gruppenfoto, wie die Blondine neben mir ihre Hand verdächtig von meinem Rücken abwärts gleiten ließ, aber ich sagte nichts dagegen. Es gab eine Menge Fans, die etwas anhänglicher waren. Mattheo bekam ständig irgendwelche Schmatzer auf die Wange gedrückt, während die meisten Kerle Mara hochheben wollten oder sie hielten, als wäre sie das neuste Lieblingsspielzeug.
Ein angesprochener Passant machte das Gruppenfoto und als die Jungs es sich sofort ansehen wollten, da sprach Blondinchen neben mir: „Machst du noch ein Selfie mit mir?"
„Sicher", ging ich drauf ein und als sie ihr Handy hochhob da beugte ich mich zu ihr, sie war dreist aufdringlich, ich roch ihr blumiges Parfüm. Nach dem gemachten Foto, da sprach ich: „Tut ihr mir den gefallen und postet die Bilder erst Ende der Woche? Ich bin mit Kumpels hier und will Berlin genießen."
„Okay", stimmte der Typ mit den grünen Haaren zu und die Bohnenstange neben ihm nickte wild: „Kein Problem", dabei reckte er den Daumen nach oben. Die Dunkelhaarige traf passend: „Dann sind die Leute aufmerksamer, wenn sie wissen, dass du hier bist?"
„Ja und es wäre nervig, wenn ich jetzt ständig aufpassen müsste", was ich zwar eh tat, aber so blieben die Meisten gedankenloser. Blondie himmelte mich unverfroren weiter an, was den dritten Kerl im Bunde, einen kleinen mit runder Brille, sichtlich amüsierte: „Unter einer Bedingung!"
Ich war ganz Ohr und Blondinchen sprach: „Ich habe nächste Woche Geburtstag, ein Vorgeburtstagsgeschenk wäre nett."
Die Jungs rollten mit den Augen und die Dunkelhaarige kicherte, dabei wurde sie knallrot. Es stand außer Frage, was Püppchen von mir wollte. „Auf die Wange?", schlug ich vor und Blondinchen nickte eifrig.
Was war schon ein kleiner Kuss für das Versprechen bis zum Ende des Urlaubes Ruhe zu haben? Gar nichts. Ich machte einen Fan glücklich, denn sie schwebte über den Boden, als ich die Gruppe schließlich weiter ziehen ließ.
Ich wartete nicht, dass sie verschwunden waren, sondern zog mein Handy aus der Hosentasche und versuchte aus ihren Blickwinkel zu verschwinden. Gerade wollte ich Harry anrufen, fragen, wo er war, als ich ihn auf der Bank hocken sah, wo ich bin vor Kurzem gewesen war.
„Morgen Nacht findet ein Song Battle statt, lasst uns hingehen, ja?", sprach ich gut gelaunt. „Ich war noch nie in einem anderen Land auf diesen Battle und es wird bestimmt total cool!"
Statt darauf zu reagieren, verzog Harry keine Miene. Er erhob sich, drückte mir die kleine Tube Sonnenmilch in die Hände und warf die leere Dose in seiner linken Hand weg. „Wir haben das letzte Schiff verpasst", teilte er mir lediglich mit.
Ich zuckte mit den Schultern: „Wir können die Fahrt ja auch morgen irgendwann machen." So tragisch fand ich das nicht.
Harry ignorierte mich und schlug den Weg zur U-Bahn ein, ich war irritiert, seine Laune schien radikal umgeschlagen zu haben: „Hast du kein Bock auf den Battle, wir brauchen nicht hin, wenn du nicht willst."
„Mir egal", antwortete er knapp. In diesem Moment griff ich nach seinem Arm: „Was ist los mit dir, wieso bist du so pissig?"
Kurz streifte sein Blick mich, dann wand er sich aus meinem Griff und ging weiter: „Was soll schon los sein."
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen und ich wusste nicht, warum. Wie bestellt und nicht abgeholt quasi.
Die Fahrt zum Waldorf Astoria Hotel verlief sehr schweigend. Ich wollte nicht in der Öffentlichkeit nachhaken und wissen, was dieser Zirkus sollte, während Harry einfach nur sauer zu sein schien. Selbst im Fahrstuhl gab er mir das Gefühl nicht zu existieren.
Kaum hatte ich die Tür unserer Unterkunft geöffnet und hinter mir verschlossen, als ich sprach: „Ich raff das nicht, wieso bist du so sauer und sag jetzt nicht, dass du das nicht bist!" Ich war doch nicht dämlich.
Harry hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sich die Snapback vom Kopf gezogen, wieder studierte er mich mit einem Blick, der mich glauben ließ, dass ich irgendetwas falsch gemacht hatte.
Ohne zu antworten ließ er mich wieder stehen und zog sich im Wohnzimmer die Schuhe aus. Ich erkannte einen leichten Sonnenbrand in seinem Nacken.
„Jetzt antworte!", sprach ich mit Nachdruck. Langsam wurde ich wirklich wütend.
Harry rieb sich das Kinn, noch immer konnte ich in seinem Gesicht nicht lesen, oder gar einschätzen was er dachte: „Bist du immer so freundlich zu deinem Fans?"
„Natürlich bin ich nett zu ihnen", sprach ich prompt. „Das bist du doch auch."
„Oh ja, sicher", der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ich lasse sie auch gerne an mir herumgraben. Verdammt Spencer, das läuft so nicht!" Er war unglaublich wütend, was mich nur noch mehr verwirrte.
„W-Was?"
Ein Zug der Erkenntnis ratterte durch mein Hirn.
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