Die zehnte Narbe
Sie war nicht mehr aufzufinden. Musa war einfach abgehaut, nachdem sie ihn so angeschrien hatte. Er musste ziemlich verkackt haben, wenn sie dermaßen wütend auf ihn war. Doch was hatte er genau gemacht?
Riven bekam Kopfschmerzen und kramte in einer seiner Reisetaschen, die er im Schloss abgestellt hatte, nach - naja, was wohl - Gras. Er brauchte irgendetwas, um kurz zu entspannen. Dann rief er Sky am Handy an. Wenigstens funktionierte das Telefonnetz nicht nur in Alfea, sondern auch in Isis. Manche Technologien der Menschen waren unschlagbar.
"Hi, Riven?", ging ein verwirrt klingender Sky ans Telefon. "Alles okay bei dir? Darfst du mich anrufen, wenn du auf Mission bist?"
"Nein, eigentlich nicht, aber ein Notfall ist ein Notfall, Mann.", gab Riven zu und zog an seinem Joint.
"Ein Notfall? Riven, wenn du Hilfe brauchst, kann ich in weniger als in einer halben Stunde mit dem Portal in Isis sein. Was ist passiert?"
Sky wechselte sofort in seinen Spezialistenmodus. Riven wünschte sich wirklich, dass Sky mit ihm hier wäre. Er könnte einfach alles hier besser regeln als er. Er war ein Prinz. Er wusste doch, was es hieß, wenn am Hof Intrigen gesponnen wurden.
Nur dann schickten sie ihn her. Riven. Er kam sich wie ein Versager vor. Erneut ein Zug am Joint.
"Es ist - Musa.", murmelte Riven so leise, dass Sky wohl Probleme hatte, ihn zu verstehen.
"Was? MUSA?", hakte er nach.
Im Hintergrund tönte eine Stimme: "Musa? Was ist mit ihr? Sie ist nicht auf Urlaub?
Toll, Skys Angebetete, Bloom, wusste auch nun Bescheid.
"Du hast es versprochen, niemanden von der Mission zu erzählen, Sky!", herrschte Riven seinen besten Freund an.
"Aber es ist Bloom.", meinte Sky kleinlaut. Geräusche ertönten und auf einmal war es Bloom, die mit Riven sprach: "Wenn es um Musa geht, hat Sky keinen Schimmer. Ich kenne sie besser. Was ist mit ihr?"
Riven rollte mit den Augen. Klar, dass sie sich einmischte. Wie immer.
"Sie ist komplett angepisst auf mich.", erklärte Riven knapp.
"Wer ist das nicht?", lachte Bloom. "Warum?"
"Die Mission hat gut angefangen. Wir haben uns verstanden und konnten sogar mental kommunizieren durch ihre Fähigkeiten. Dann habe ich meine Mutter leider getroffen und alles ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Ich habe Musa weggeschickt. Als ich sie wieder getroffen habe, war sie stinkwütend und enttäuscht von mir."
"Deine Mutter?", rief Sky ins Telefon. Es ertönten erneut Geräusche und Sky war wieder am Apparat: "Was hat sie gesagt?"
"Ich soll ihr neues Machtmittel am Hof sein. Mutter-Sohn-Ausflug-oder-Versöhnung steht nicht an.", grummelte Riven und unterdrückte den Hass, den er auf sie hatte.
"Sie will dich benützen? Warum machst du es nicht umgekehrt? Verwende sie, damit du alles über den Hof erfährst. So wie sie drauf ist, weiß sie alle üblen Machenschaften, die hier so abgehen.", überlegte Sky.
Das war genial. So einen Einfall hatte eigentlich er, aber verdammt, wie er es prophezeit hatte, würde Musa ihn ablenken.
"Sky!", forderte Bloom den Hörer zurück. "Genug von einer Mission. Zurück zu Musa. Sie ist ja wohl wichtiger, oder?"
"Ja, das ist sie.", hauchte Riven. Er meinte es auch so. Sie war ihm wirklich wichtig und er hielt zwar seine Mutter nicht aus, doch er würde das noch hunderte Male über sich ergehen lassen, solange es Musa wieder gutging.
"Du musst ziemlich wütend auf deine Mutter sein, oder?", warf Bloom auf einmal ein.
"Klar, wärst du etwa nicht?", erwiderte Riven bitter. "Hast du nicht auch Mommy-Issues, Bloom?"
"Das erklärt es!", jubelte Bloom. Hä, komplett out of context, dachte Riven. "Was erklärt was?"
Doch nicht etwa Mommy-Issues?
"Musa muss alles gefühlt haben, was du in der Situation gegenüber deiner Mutter und ihr empfunden hast.", meinte Bloom vorwurfsvoll.
Natürlich. Er war ja so ein Idiot.
"Scheiße.", fluchte er. "Ich bin das größte Arschloch, das je existiert hat. Kein Wunder, dass sie die mentale Verbindung zwischen uns kappen musste."
"Und dumm bist du auch.", rief Sky rein. "Du kennst Musa besser als ich und sogar ich weiß, wie ihre Kräfte funktionieren."
"Ich muss blind gewesen sein.", murmelte Riven und warf den Joint aus dem Fenster. Hofetikette hin oder her. Das war ihm jetzt egal.
Riven war in diesem Moment zwischen zwei Seiten gefangen.
Mission - Musa.
Musa - Mission.
"Ich habe immer gedacht, dass du Musa wirklich sehen kannst. Du bist sonst ein emotionales Trampeltier, aber ich hatte den Eindruck, dass du dir wenigstens bei ihr Mühe gibst.", urteilte Bloom und legte einfach auf.
Ich kann dich sehen, dachte Riven und schluckte. Ihm ergriff ein schlechtes Gewissen. Er besaß kein schlechtes Gewissen. Ihn stiegen auch leicht Tränen in die Augen. Er weinte auch nicht. Normalerweise.
Nur mit Musa war er nicht normal. Mit ihr war es anders, doch das war schon in Alfea klar gewesen, seitdem er sie gerettet und mit ihr trainiert hatte.
Riven lachte. Was hieß denn überhaupt anders? Naja, er mochte anders. Es war auch mit Sky anders. Anders waren Menschen, die ihm etwas bedeuten, die er näher an sich ran ließ.
Die Frage war: Wie nah war ihm Musa bereits? Er bekam Angst. Zu nah.
Gerade musste sie jedenfalls meilenweit entfernt sein und sie musste ihn für seine Ignoranz verachten.
Er hatte die Mission vor sie gestellt. Jetzt erkannte er den Fehler.
~
Rivens Klamotten hingen verschwitzt an seinem Körper. Er bräuchte dringend eine Dusche nach der ersten Trainingseinheit in Isis. Sein Herz hämmerte immer noch gegen seine Brust. Das Training war hier intensiv und er liebte es jetzt schon.
Nikolas, sein neuer Trainingspartner, meinte neben ihm: „Siehst du, die Steine sind nicht zur Zierde, Kyle."
„Das ist so ein abgefucktes Gefühl so zu trainieren.", gab Riven zu. Auf seinem Trainingsanzug in der Mitte seiner Brust thronte ein dunkelvioletter Edelstein.
„Anfangs ist es immer krass. Du bist die magische Wirkung des Steines noch nicht ganz gewöhnt.", erklärte Nick. Nick sah wirklich schräg aus mit seinen grüngefärbten Haaren, aber es passte ihm. Riven wurde ein wenig erinnert an Terra mit ihrem Helfersyndrom erinnert. Nick war auch gleich zu ihm hergekommen, als er gemerkt hatte, dass Riven neu war. Zwar hatte Riven nachdrücklich gesagt, dass er keine Hilfe bräuchte, aber jetzt war es schon zu spät. Nick folgte ihm wie ein Hündchen, was Riven wiederum auf Dane erinnerte.
„Man hat so viel mehr Kraft. Ziemliches High.", lachte Riven.
Mittlerweile war es offensichtlich, dass Isis bei den Grabungen nach Edelsteinen suchte, die noch mächtiger sein mussten als dieses Spielzeug hier.
Nick führte ihn wieder zurück zum Schloss, wo sie auf einmal Diaspro über den Weg liefen.
"Kyle!", begrüßte Diaspro ihn. Es glich jedoch eher einen herrischen Aufforderung, dass sie zu ihm kommen sollte und zwar schleunigst.
Diaspro musterte ihn, doch wohl eher seinen Oberkörper, da man seine Muskeln durch das verschwitzte Shirt sehen konnte.
"Bis später, Nick.", meinte Riven und Nick stand perplex vor Diaspro. Er verstand anscheinend nicht, dass Riven jetzt bereits die Prinzessin kannte. Riven grinste überheblich.
"Milady.", kam Riven auf Diaspro zu. "Wie kann ich helfen?"
"Gib dir nicht die Mühe ritterlich zu wirken. Du bist kein Gentleman.", schmunzelte Diaspro.
"Nicht?", zog Riven eine Augenbraue sarkastisch hoch. "Ich dachte, ich habe einen Ruf verlieren."
"Den können wir ja noch aufbauen, wenn du mich zu Laurins Party begleitest.", zuckte Diaspro mit den Schultern und ergänzte: "Komm ein Stück mit."
Riven wollte sie definitiv nicht begleiten und Anhängsel für die Prinzessin spielen.
"Ich würde ohne Zweifel mit dir dahingehen, Di. Nur Enya habe ich bereits versprochen, dass -", fing er an. Es behagte Riven gar nicht, dass Musa ohne ihn bei Laurin aufkreuzte.
"Kyle, ich bin nicht blind. Ich sehe, dass es zwischen euch nicht alles rosig verläuft. Was liegt dir an ihr? Es gibt genügend andere interessantere Frauen.", antwortete Diaspro und legte ihm eine Hand auf den Arm.
"Gut.", kam es da schon wie aus der Pistole geschossen von ihm.
Riven blinzelte verwirrt: "What the fuck?"
"Gut!", strahlte Diaspro zufrieden, überging seinen Kommentar und ließ ihn stehen.
~
Ich war am Nachmittag in die Stadt zurückgekehrt und hatte mit Cleo Trandore gesprochen. Ich hatte noch immer ihre Worte in den Ohren: Konzentriere dich nicht auf Riven, sondern auf die Mission.
Die Mission hat Vorrang und nicht die Art und Weise, wie er zu dir ist. Auf einer Mission gibt es keine Freundschaften. Keine Sympathie für den anderen. Ihr seid Soldaten, Musa. Sei kalt. Sei strategisch.
Benütze deinen Kopf, nicht dein Herz.
Ich wusste, dass Cleo recht hatte. Riven war nur unnötiger Ballast. Ich musste eine Soldatin, eine Spezialistin, sein. Riven hatte sich ohnehin schon für die Mission entschieden. Es gab keinen Platz für mich und ich hatte keinen Platz für ihn. Weder im Kopf noch im Herzen.
Es war eine gute Idee gewesen, dass ich bei Cleo gewesen war. Sie hatte mich an einen Kontakt weitergeleitet: Ciara.
Ciara koordinierte die Grabungen auf Isis für den Hof und ich hatte beschlossen vor Laurins Party bei ihm zu erscheinen.
Mein Fokus galt von nun an nur mehr der Mission und ich könnte diese Mission auch ohne Riven weiterführen.
Ciara erwartete mich bereits. Er war im Glauben, dass mir Cleo aufgetragen hatte, dass ich ihm mit meiner Magie bei der Grabung helfen sollte. Ich hatte die Vermutung, dass Cleo mit ihm eine Affäre hatte.
"Du musst Enya sein, nicht wahr? Schön dich zu treffen.", kam er auf mich zu, als ich am Stadtrand sein Haus erreichte. Es lag auf der Seite eines Berges, wo wahrscheinlich Grabungen schon stattfanden.
Wie die meisten Männer hier auf Isis sah auch er gut aus. Er hatte große grüne Augen und dunkelgewellte Haare.
"Ja, genau. Hallo.", meinte ich und lächelte. Ich tippte mir kurz auf die Halskette. Ich hatte rausgefunden, dass ich meine Fähigkeiten wie bei einem On-Off-Schalter aktivieren und abschalten konnte. Ich war wirklich froh über dieses kleine Geschenk von Laurin.
Ciara wirkte nicht nervös. Ich prüfte nach. Er freute sich über mein Erscheinen. Ich machte mir keine Sorgen.
Ciaras Blick fiel auf meine Halskette: "Das ist ein königlicher Stein. Von wo hast du ihn her, wenn ich fragen darf?"
"Prinz Laurin hat ihn mir heute gegeben.", antwortete ich und fragte mich, wie er das so schnell erkannt hatte.
"Der Prinz muss sehr viel von dir halten, da er das anvertraut. Gut zu wissen, dann werde ich dich auch näher ins Vertrauen ziehen. Mentalfeen sind sehr kostbar für uns...", erklärte Ciara und führte mich ins Haus. Es war finster. Ciara schaltete mehrere elektrische Lampen an. Im Licht erkannte ich, dass das Haus eigentlich nur eine Tarnung für den Schlund, der in den Berg führte, war.
Ich befand mich direkt gegenüber einem Eingang in den Berg.
Welcome to hell, dachte ich mir, aber sagte nichts. Der Abstieg in die Hölle konnte einem zu leicht fallen.
"Das hast du nicht erwartet. Ich liebe den verstörten Ausdruck, wenn man jemand zum ersten Mal das hier sieht.", lachte Ciara. Wow, das hatte sich gerade richtig merkwürdig angehört. Mich schauderte es.
"Was ist da unten? Warum sind Mentalfeen kostbar für Isis?", löcherte ich Ciara mit Fragen.
"Das wirst du jeden Moment sehen, Enya. Gehen wir. Nur eines muss ich wissen...", blieb Ciara verschlossen.
Er berührte mich am Arm. Seine grünen Augen leuchteten violett auf und in meinem Verstand dröhnte die Frage: Bist du LOYAL gegenüber Isis? BIST DU? WIRST DU UNSERE GEHEIMNISSE WAHREN?
Natürlich war ich nicht loyal, nicht vertrauenswürdig und schon gar nicht würde ich irgendetwas, was die Mission betraf, für mich behalten. Ich war nur treu gegenüber Alfea, gegenüber Riven. Alfea und Riven müsste ich schützen. Nicht Isis. Doch das durfte Ciara nie erfahren.
Ich fuhr meine mentalen Schilde mit voller Wucht hoch. Ich sperrte alle Zugänge, die Ciara zu meinen Gedanken haben könnte. Die Anstrengung brannte wie Feuer. Auf einmal gesellten sich eiskalte Flammen dazu. Sie ließen mich ruhiger werden, gaben mir Halt. In der Hölle war das Feuer kalt.
Ich sagte zu Ciara über einen Kanal, den ich erschuf und ich kontrollierte: Ich werde nichts sagen. Ich werde Isis dienen.
~
Endlich war Riven erschienen. Mit Diaspro. Er hatte sich wohl schnell jemanden Neues gesucht, nachdem ich mich mit ihm gestritten hatte.
Was für ein Arsch.
Ich drängte mich nur die ganze Menge der Gäste, die Laurin zu seiner Zirkelfeier geladen hatte. Eigentlich wollte ich nicht ihm sprechen, aber die Mission hatte Vorrang. Ich musste mit ihm dringendst sprechen.
Über Isis, über die Grabungen, die Höhlen und die unzähligen Gefangenen, Menschen, die unter der Erde waren!
Die mentale Verbindung wollte ich nicht wiederbeleben. Noch nicht. Also zwängte ich mich weiter durch die Leute.
Plötzlich stellte sich mir Laurin in den Weg.
"Enya, ich habe dich bereits gesucht.", lächelte er.
"Mich? Ich bin mir sicher, dass es hier interessantere Personen gibt.", erwiderte ich.
"Nein, mein Fokus liegt gerade ganz bei dir.", flüsterte er mir ins Ohr.
WAS? Ich bekam eine Gänsehaut. Das war gerade wirklich attraktiv gewesen.
"Ich habe gehört, du warst bei Ciara.", meinte der Prinz.
"Äh, ja.", nickte ich.
"Wie findest du die Höhlen? Sie sind mein persönliches Projekt."
Sein Projekt? Ich finde sie schrecklich, hätte ich am liebsten gesagt. Mit einem Male fand ich ihn nicht nicht mehr so faszinierend. Mir wurde übel.
Ich spürte einen Arm um meine Schultern. Ich wusste, dass es Riven war, bevor ich ihm in die Augen sah. Ich atmete erleichtert aus.
"Ich muss meine Freundin kurz entführen, Hoheit.", zog er mich weg.
"Rettung in letzter Sekunde.", murmelte ich, klammerte mich an ihn und merkte, wie gut es sich anfühlte wieder bei ihm zu sein.
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