Die siebzehnte Narbe
Ich schmunzelte über meine eigenen Gedanken: Osiris war eine Mischung zwischen einem ägyptischen Pharao und Voldemort?!
"Du siehst das, was du sehen willst, Musa.", las er auch schon meinen Gedankengang.
Ich schluckte. Das Lachen verging mir. Vor mir erstreckte sich eine gähnende Leere. Ein Nichts. Eine abgrundtiefe Finsternis, die sich hinter der ganzen Magieansammlung des Berges und der Kreuzung der magischen Kraftlinien liegen musste.
War das das Ende der Welt? Verbarg sich hinter dem Leben das Nichts? Keine Farbe, kein Licht?
"Wo bist du, Riven?", hauchte ich.
Ich hatte nach seiner Lebensflamme, seinem Geist, gegriffen. Es hatte nur mehr einem schwachen Flackern geglichen, bis es ganz auszugehen drohte. Ich hatte seinen Tod riskiert, um mich Osiris zu stellen und Riven zu retten. Nur wusste ich nicht, wie ich das tun sollte.
Riven retten...
Ich fand seinen Geist nicht, als hätte ich seine Flamme versehentlich ausgelöscht.
Mein Fehler. Mein Fehler. Mein Fehler.
Ich fand ihn nicht. Riven müsste sich bei mir aufhalten. Irgendwo in meinem Bewusstsein. Das Irgendwo verwandelte sich langsam in ein Nirgendwo. Ich fand ihn einfach nicht. Egal, wie weit ich suchte.
Nichts.
Osiris beobachtete mich. Er kalkulierte jede Reaktion meinerseits ein.
Er lächelte und schien zu wissen, dass es leichter gesagt als getan war, kein Bedauern, keine Reue zu haben. Sie nicht zu zeigen, war etwas anderes, als sie nicht zu haben.
Ich bedauerte und bereute jeden meiner Schritte, wenn mich das Riven verlieren ließ. Dafür gab es keinen Ausweg, nur Leere. Ohne Riven war ich nichts.
Wusste Osiris das auch? Ich war mir so sicher gewesen, dass es ich es mit ihm aufnehmen konnte. Ich war so sicher, dass ich mich ihm stellen würde, gerade weil ich es war. Niemand sonst, nur ich. Ich würde mein Leben sofort aufs Leben setzen, um ihn aufzuhalten.
Ich hätte Riven niemals bitten sollen, mich zu finden und zurück nach Isis zu kommen. Er hätte in Alfea bleiben sollen.
"Nichts schließt alles mit ein, Musa.", Osiris kam auf mich zu. "Hab keine Angst."
Kein Zögern.
Aber ich hatte gezögert.
Ich war ein wandelnder Widerspruch. Ich nahm mir vor, das zu sein, was ich nicht war. Ich versagte jedes Mal, bis ich alles vor mich hinwarf.
Riven war mein Lichtblick gewesen. Er war derjenige gewesen, der mich aus meinem Loch geholt hatte, als ich absichtlich meine magischen Kräften diesen Magiesaugern überlassen hatte. Ich wäre beinahe gestorben. Wie jetzt hatte ich mit dem Tod gespielt. Es war mir egal gewesen und vor Osiris würde es mir auch nichts ausmachen. Schon wieder ein Totentanz.
Dazwischen war Riven aufgetaucht. Auf einmal hatte ich das Gefühl gehabt, dass mein Leben etwas bedeutet, weil mir seines so viel mehr bedeutet hatte.
Weiterhin bedeutet.
"Musa, du verstehst, dass uns nichts trennt. Zwischen Leben und Tod gibt es nur eine materielle Grenze, aber der Geist durchdringt alles.", sprach Osiris weiter.
Der Geist ist überall. Er ist im Leben, im Tod und geht darüber hinaus. Er schlägt die Brücken zwischen jeder Zelle, jedem Molekül. Jedem Atom.
"Laurin will, dass ich dich befreie. Er will deine Macht, die Macht des Berges. Isis und Osiris. Bist du der Geist, die Seele, dieses Planeten? Brauchst du eine andere Seele, damit freikommst?", ich brauchte mehr Informationen.
Osiris lächelte ergeben: "Ich will dir nichts Böses, Musa. Auch, wenn es so scheinen mag. Die Prophezeiung wurde von kümmerlichen Kreaturen und ihren Hirngespinsten ersonnen. Ich will dich nicht im Berg einkerkern. Ich brauche auch deine Kraft nicht. Ich habe meine eigene. Laurin lügt, traue keinem seiner Worte. Du solltest auch deinem Raben nicht mehr trauen. Laurin hat einen Fluch auf ihn gelegt."
"Was ist es dann? Was brauchst du?"
Ich biss mir auf die Zunge. Welchen Fluch? Mir wurde schlecht. Übelkeit schlug wie eine Welle über mich ein.
"Ich möchte, dass du mit mir einen Pakt eingehst. Ich bringe deine Freunde und dich nach Alfea zurück. Dafür schenkst du mir diese Gestalt. Bisher war mein Geist, meine Energie, die Kraft dieses Planeten an keine Form gebunden. Laurin hat die magischen Linien einfach anzapfen können oder meine Kraft ist in die Edelsteine geflossen. Alle haben sie benützen können und daraus ist nichts Gutes erwachsen. Es gibt noch mehr Leute wie Laurin. Sie verzehren sich nach Macht. Sie sollen sie nicht mehr einfach so bekommen, Musa. Es ist nicht richtig, dass Magie in falsche Hände geht.", seine Worte hallten in meinem Bewusstsein nach.
"Würde ich dich nicht erst so befreien? Was ist mit den Sklaven, den Menschen, hier?", so leicht stimmte ich keinem Pakt zu.
"Nein, ich bin an Isis gebunden. Ich bin die Seele des Planeten, wenn ich weg wäre, dann würde der Planet untergehen. Ich muss zu jeder Zeit auf Isis bleiben. Laurin will etwas anderes. Er will, dass ich mit ihm ausziehe und andere Planeten erobere. Er nimmt es in Kauf, dass Isis stirbt. Es ist mein Zuhause. Ich lasse Isis nicht sterben."
Ich musterte Osiris. Er erinnerte mich nicht mehr an ein Monster. Als Kind hatte ich mit meinen Eltern ganz viele Animes angeschaut und Osiris ähnelte nun eher dem Gott des Waldes von Prinzessin Mononoke. Dem Beschützer dieses Planeten. Weder gut noch böse, als könnte er sich über die Gegensätze erheben und beides sein. Tag und Nacht. Leben und Tod. Geist und Materie.
Ein Energieball formte sich in meinem Inneren.
"MUSA, ICH STELLE MICH UNTER DEINEM BEFEHL. WENN DU MICH ANERKENNST, MIR ALS MENTALFEE UND SEELENGESANDTE EINE GESTALT GIBST, DANN LASSE ICH DIE MENSCHEN ZIEHEN. ICH BRAUCHE DAFÜR EINE FORM, VERSTEHST DU?"
Jedes Wort glich einem flehenden Ruf tief in mir.
"WENN ICH EINMAL MEINE GEFOLGSCHAFT LEISTE, DANN KANN SIE SONST NIEMAND BEANSPRUCHEN. NICHT EINMAL LAURIN."
Es war merkwürdig, dass Osiris mein Verbündeter sein sollte. Ein Geisterwesen. Ich überlegte: "Was ist mit Riven?"
"Den Fluch kann nicht ich nicht von ihm nehmen, aber ich finde seine Seele, keine Angst. Ich kann ihn für dich wiederfinden und dir zurückbringen."
Erleichterung flammte in mir auf. Ich musste Luft holen, um den Schmerz, der damit einherkam, zu bändigen.
"Eine letzte Frage.", zeigte ich mich versöhnlich, "Wie konntest du bereits vorher diese Form annehmen können? Wieso bleibst du nicht in ihr?"
"Das ist mir nur möglich, solange du im Berg bist. Du ankerst mich. Du ankerst, kanalisiert die Seele von Isis, mich, in diese Form.", erklärte er.
Das machte Sinn. So etwas Ähnliches hatte Laurin auch gesagt.
Apropos Laurin... Es hörte sich so an, als hätte Osiris nicht den Plan, sich mit ihm zu verbünden.
"Was wirst du mit Laurin machen?"
Osiris lächelte wieder: "Eine Frage zu viel, aber ich gewähre sie dir. Er hat sich mir verschworen, hat mit seinem Blut dafür bezahlt. So war es mir überhaupt möglich, zu erwachen und mit dir zu sprechen. Ich habe ihn bedauerlicherweise einen Teil meiner Macht verliehen. Nun kann ich sie ihm auch nicht mehr entziehen. Doch, wenn du zu meinem Anker wirst, dann wird er auch dir nichts mehr anhaben können. Er wird unter dir stehen, muss deinen Befehlen folgen."
Angst ergriff Besitz von mir. Ich wollte das nicht. Mich interessierte Laurin nicht. Er würde mich hassen, würde alles versuchen, um den Anspruch, den ich an ihn hatte, nichtig zu machen.
Er würde versuchen mich zu töten.
Doch was war das für ein kleiner Preis, wenn wir endlich nach Alfea heimkehren könnten? Ich war so unbeschreiblich müde.
"Du kannst alle retten. Sogar seine Pläne auf Eraklyon vereiteln und ich werde an deiner Seite sein. Es gibt einen Ort in dir, den niemand kennt außer dir. Dort werde ich auf dich warten, wenn du mich brauchst."
Ich nickte. Ich war zu müde, um mehr zu sagen. Ich ließ mich auf seinen Handel ein. Er versprach mir Hilfe. Meine Seele, mein Geist war so allein, so verzweifelt, dass ich seine Hand annahm und ihm ein Zuhause in der Leere meines Bewusstseins gab.
Eine Unterkunft. Ein Seelenheim.
"Manus manum lavat.", sprachen wir gemeinsam aus. Eine Hand wäscht die andere.
Dann ließ ich los und fiel und fiel und fiel. Es war nicht mehr so dunkel in mir, als ich in Alfea im Krankensaal aufwachte. Ein wenig Frieden für meine geschundene Existenz. Ich befand mich in einem Vakuum. Wunschlos zufrieden.
Bis ich einatmete und die Gedanken zu rasen anfingen...
Fehler. Fehler. Fehler.
Das Gewicht der Mission drückte sich wie eine Tonne von Steinen auf mich. Was hatte ich nur getan?
Eine Stimme flüsterte: "Errare humanum est."
Irren ist menschlich.
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