Der letzte Daimon
Hast du wirklich vor, mich Laurin zu überlassen?
"Meditation besteht gerade darin, einmal nicht zu grübeln und seine Sorgen loszulassen.", öffnete ich die Augen, entspannte meine Finger und legte sie auf meine Knie ab. Mittlerweile war mir sogar Yoga und Meditation recht, um meine Kräfte aufrechtzuerhalten. Nach der Teleportation vor einer Woche fühlte ich mich immer noch wie eine verschrumpelte Oma. Ich schaffte es gerade zum Unterricht, aber verzog mich sonst in der Wohngemeinschaft bei den Mädels. Zwischenzeitlich kam auch Laurin vorbei. Sogar er sah ein, dass ich für jegliche Trainingseinheit in meinem Zustand nutzlos war. Es verwunderte mich, dass wir einen Waffenstilland eingegangen waren. Was mich noch mehr aus der Bahn warf, war, wie schnell sich alles verändern konnte. Laurin und ich auf einer Seite im Kampf gegen Riven? What the fuck.
Ein Namaste wird weder dich noch mich retten. Nicht vor Laurin und auch nicht vor Riven.
"Osiris, wenn ich die ganze Zeit über die beiden nachdenke, werde ich noch wahnsinnig.", knirschte ich mit den Zähnen.
Du weichst meiner Frage aus.
"Ich habe es geplant, ja, jedoch nicht in der Art und Weise, wie Laurin und du glauben.", antwortete ich wahrheitsgemäß. In meinem Inneren zuckte Verrat wie ein Sturm von Blitzen durch mich hindurch. Osiris fühlte sich betrogen, doch müsste er mir vertrauen. Er verbarg so viele Geheimnisse, dass ich einmal mein eigenes haben konnte. Ich fühlte mit ihm, ich verstand ihn. Riven hatte mich aufgegeben. Er wollte mich umbringen. Allein der Gedanke daran war absurd, aber es machte ihn nicht weniger wahr.
"Weißt, du...", murmelte ich, "Ich kann es ihm trotzdem nicht verübeln, dass er mir den Tod wünscht. Ich trage die Schuld, dass er jetzt ein Dämon ist. Wäre ich nie auf die Mission gegangen, wäre alles noch gut. Und du hättest mir damals in der Höhle sagen müssen, was auf dem Spiel steht, wenn du Riven rettest. Du hättest mir sagen, was passieren wird, zu was er werden wird, Osiris. Dafür allein schon würdest du Laurin verdienen. Ihr verdient euch wirklich."
Stille. Blendend, jetzt hatte es einem jahrtausendealten Seelenbegleiter die Sprache verschlagen.
Mein Wecker läutete. Ich musste zum Unterricht.
Später beim Mittagessen saß ich mit Flora und Laurin zusammen.
"Sind Dowling und Silva schon zu einem Urteil gekommen?", fragte Flora nach, die gerade einen Smoothie schlürfte.
Wir hatten mit Laurin den Vorfall mit Riven gemeldet, sodass wir Riven Hausarrest für die Woche verpasst hatten. Ich hatte ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen.
"Silva hat Riven ja zu Conrad geschickt, also waren sie sich der Konsequenzen bewusst, was es bedeutet, wenn er seine dämonischen Fähigkeiten ausbildet. Ich schätze, dass sie Riven wieder freilassen, ihn verwarnen und im Auge behalten werden.", antwortete Laurin ihr und stopfte sich Spaghetti Bolognese in den Mund.
"Schmeckt's?", zog ich die Augenbrauen hoch.
"Köstlich.", nickte er und versuchte seine Begeisterung zu verstecken.
"Riven ist ein Experiment für sie. Es hat noch nie einen Dämon oder eben Halbdämon, wie er jetzt noch einer ist, in Alfea und im Roten Turm gegeben.", erklärte ich Flora.
"Sie sehen eine Waffe in ihm?", senkte Flora ihr Glas und starrte mich entsetzt.
"Anscheinend.", gab ich zu.
"Kannst du nicht mit Riven reden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich umbringen will. Das ist doch komplett verrückt. Er ist nach Isis zurückgekehrt, um dich zu retten, Musa.", fing Flora an.
Laurin schnitt ihr das Wort ab: "Unterschätze niemals die Motive von Macht und Rache."
"Und du, Laurin, unterschätzt das wichtigste Motiv von allen.", blieb Flora stur.
"Und welches wäre das denn?", triefte Überheblichkeit aus seiner Stimme, "Bitte, sag jetzt nicht, ich flehe dich an, Liebe."
Laurin und ich sahen uns angewidert an und blickten dann zu Flora, um unsere Skepsis zu unterstreichen, die nur mit dem Kopf schüttelte.
"Sorry, ich kann nicht mehr idealistisch sein, nicht, wenn mein Leben auf dem Spiel steht. Ich lebe lieber, als mich für die Lüge einer Liebe zu opfern.", murmelte ich Flora zu.
Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie Laurin neben mir lächelte. Ich spürte, wie zufrieden er über meine Einstellung war, als würde ich geradewegs in seinen Plan spielen. Wann hatte ich angefangen ihm zu vertrauen? Hatte ich nicht gelernt, wie gefährlich es war, sich mit ihm einzulassen? War er nicht derjenige gewesen, der durchgehend seine eigene Agenda verfolgte und mich als Mittel zum Zweck manipulierte?
Oder gönnte ich es ihm nicht, dass er hier in Alfea glücklich zu sein schien? Passte Glück zu so einer verdorbenen Person wie ihm überhaupt?
"Ich muss mit Riven sprechen.", verkündete ich. Es war wirklich verrückt, eher auf Laurin als auf Riven zu hören. Ich musste wenigstens wissen, was los mit ihm war. Seit wann war mir mein Leben lieb? Ich war doch immer bereit es wegzuwerfen.
"Lass mich nur den letzten Bissen essen.", meinte Laurin gelassen.
"Kannst du auch. Ich spreche mit Riven unter vier Augen.", erwiderte ich ruhig.
"Auf keinen Fall! Warst du es nicht, die mich angefleht hat, dich nicht mit ihm allein zu lassen? Er ist gefährlich, Musa!", schäumte Laurin auf. Auch Flora musterte mich besorgt.
"Willst du ihn nicht mitnehmen?", hakte sie nach.
Natürlich wollte ich Unterstützung haben, aber ich besann mich. Laurin war genauso gefährlich wie Riven. Ich tauschte die eine Gefahr mit der anderen.
"Vergiss nicht unseren Deal.", flüsterte Laurin und fixierte mich. Ich ließ ihn stehen.
Riven befand sich in den Wohnräumen des Roten Turms, wie ich vermutet hatte. Sein Haar war länger geworden und er wirkte noch eigenbrötlerischer, als ich es gewohnt war. Ihn umgab eine Dunkelheit, eine Aura.
"Wenn du mich jetzt angreifst, dann wissen alle, wer dafür verantwortlich ist. Du wirst nicht so einfach davonkommen.", trat ich auf den Balkon in seinem Zimmer. Ich wusste nicht, ob ich mit meinen Worten ihn warnen oder mich beruhigen wollte. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Ich hätte nie gedacht, wie sehr ich mich einmal vor Riven fürchten würde. Ich konnte ihn nicht einschätzen. Er war unberechenbar.
"Haltest du mich für einen Mörder, nur weil ich ein Halbdämon bin?", drehte er sich zu mir um.
Ich hielt den Atem an und zuckte mit den Schultern: "Ich weiß nicht mehr, wer oder was du bist. Du hast dich verändert."
Ich hatte angenommen, dass ich ihm egal geworden war, aber ich hatte nicht mit dieser Wärme gerechnet, die sich in seinen Augen spiegelte, als er mich sah. Ich hätte gerne gesagt, dass er kein Recht hatte, mich zu vermissen.
"Ich möchte nicht dich aus dem Verkehr ziehen, sondern Laurin. Er ist immer das Problem hier gewesen.", begann er.
"Das mag schon sein, aber du bist derjenige, der zu einem Volldämon werden will, nicht wahr? Du würdest alles daransetzen, Riven!", aus mir musste die Angst sprechen. Mein Puls raste. Mein Kopf fühlte sich so an, als wäre ich unter Wasser und in der Luft gleichzeitig. Mir war nicht klar, wo ich war. Mir wurde schwindlig. Ich bekam kaum Sauerstoff.
"In dir baut sich zu viel Magie auf, beruhige dich!", forderte mich Riven auf.
"Das geht nicht. Wie soll ich mich beruhigen, wenn du wieder hier bist?"
Ich war den Tränen nahe und eine tickende Zeitbombe in seiner Nähe.
"Ich brauche Osiris, um zu überleben. Entweder werde ich durch ihn zum Dämon oder er stirbt und ich werde wieder zu dem Riven, den du kennst. Ich muss ihn haben oder du musst ihn aufgeben.", erreichten seine Worte meine Ohren. Ich war immer noch so weit weg von ihm, von der Welt.
"Aber, wenn ich ihn aufgebe, dann könnte auch ich sterben.", hickste ich, "Du willst doch nicht wirklich zu einem Dämon werden? Du verabscheust Magie!"
"Nicht mehr, das hier ist anders.", erklärte Riven. Ich trat neben ihn zum Geländer des Balkons und klammerte wie ein Rettungsseil daran.
Er legte seine Hand auf meine Schultern und ich musste nicht seine Gedanken lesen, um zu erraten, was in ihm vorging. Ein Stoß würde genügen und ich würde fallen. Ich wäre tot und er wäre ein Dämon und am Leben.
Riven wird sowieso zu einem Dämon, wenn du mich freigibst und Laurin vermachst. Du kannst ihn nicht retten.
"Gefällt es dir etwa?", fragte ich Riven atemlos. Ich verstand es nicht. Riven hasste Magie.
"Ja.", hauchte er.
"Aber...", ich suchte nach Worten.
Riven lachte: "Aber bin ich dann nicht durch und durch böse, unerträglich und verabscheuungswürdig? Bilde dir nicht ein, dass alle Dämonen gleich den Weltuntergang planen. Ich mag es, Musa. Die Welt sieht zwar für mich anders aus, aber sie ist nicht schlechter geworden. Einfach anders."
"Du weißt ja gar nicht, wie es sein wird!", protestierte ich, "Noch bist zur Hälfte du!"
"Ich sollte eigentlich tot sein, Musa. Ich bin schon lange nicht mehr ich.", entgegnete mir Riven traurig.
Seine Hand lag weiterhin auf meinen Schultern.
Ich seufzte: "Dann hasst du mich nicht?"
"Nein, ich hasse dich nicht. Ich könnte dich nicht hassen, auch wenn ich es wollte.", antwortete er.
Das reichte ich mir. Mehr brauchte ich nicht, um Riven und mich zu teleportieren.
"Was zur Hölle?!", keuchte er auf, als wir am Boden aufknallten. Ich hörte nur seine Stimme, aber sah ihn nicht. Mit meiner Mentalmagie manifestierte ich Feuer in meinen Händen, um uns Licht zu spenden.
"Wir bringen Osiris zurück.", erklärte ich Riven, "Wir sind auf Isis in der Höhle."
Oh, Gott, ich fühlte mich, als hätte ich Tage nicht geschlafen und gerade einen Marathon gelaufen.
MUSA!!!
"Ich lasse dich wieder frei, Riven wird zum Dämon, wie er es möchte. Genau genommen halte ich sogar meinen Deal mit Laurin ein. Er bekommt dich zurück. Du bist wieder auf Isis, auf seinem Planeten, den er einmal beherrschen wird.", sprach ich zu Osiris.
Bitte, mach das nicht...
Seine Verzweiflung ging mir durch Mark und Bein, doch ich blieb standfest: "Zeige dich, Osiris."
Ein Schatten löste sich von der Höhlenwand. Ich kannte die Person nicht, die vor uns stand. Sie sah nicht wie der Osiris aus, den ich damals gesehen hatte. Er glich keinem Monster, sondern sah so menschlich aus.
Der junge Mann mit kohlschwarzen Haaren und Augen und dieser blassen Haut schien mir trotzdem so vertraut zu sein.
"Scheiße.", kam es von Riven, "Musa, werde ich nicht sterben, wenn du ihn freigibst? Muss ich ihn nicht besitzen?"
"Du wirst zum Dämon. Du musst mich nicht töten. Ich habe mich an die genauen Worte von Osiris erinnert und er kann nicht lügen. Laurin hat die Wahrheit so verzerrt, dass ich glaubte, dass auch ich sterben muss, damit zu einem Dämon werden kannst. Ich entscheide mich für dich, Riven, nicht für Osiris. Ich gebe ihn für dich auf, wenn du wirklich zum Dämon werden willst. Ich wollte das unter allen Umständen verhindern, aber, wenn es dein Wunsch ist..."
"Verlass mich nicht.", mischte sich da der junge Mann, Osiris, ein.
Verwirrt wandte ich mich ihm zu: "Was meinst du?"
"Bitte, verlass mich nicht wieder.", fuhr er fort, steuerte auf mich zu und zog mich in eine Umarmung. Vor Überraschung war ich wie erstarrt.
"Lass sie in Ruhe!", knurrte Riven von der Seite.
"Musa...", seufzte Osiris.
"Wer bist du wirklich?", hauchte ich.
In einem früheren Leben waren wir zusammen, du und ich, Musa. In einem Leben, in dem unsere Seelen noch nicht die Rollen aufgebürdet wurden, die wir heute tragen müssen. Ich war nur ein Mann, als ich dich vor Jahrhunderten das erste Mal getroffen habe. Ich habe dich nicht vergessen, konnte deine Seele immer und überall spüren. Egal, in welchem Körper du warst. In diesem Körper hast du es endlich zu mir geschafft. Als Mentalfee warst du imstande, meine Seele als Daimon noch einmal zu sehen. Ich will dich nicht gehenlassen.
"In einem früheren Leben...", versuchte ich zu verstehen, "... hast du mich geliebt."
Eine Liebe, so tief, ist unvergesslich. Nicht auslöschbar.
"Ich bin die letzte Seele, die dein wahres Ich, deine wahre Gestalt, gekannt hat."
Ja.
"Wir kennen sie jetzt beide.", sagte Riven und sah nicht mehr so wütend aus, "Wir werden dich in Erinnerung behalten, aber in diesem Leben... In diesem Leben liebe ich sie. Lass mich sie lieben, okay?"
Osiris Gesichtszüge wurden weich. Er hörte Riven zu. Nein, er verstand Riven, weil mich beide liebten.
Ich wollte nur noch einmal ganz bei dir sein.
"Du wirst immer bei mir sein und ich werde wieder nach Isis kommen. Das ist kein Abschied für immer.", stellte ich klar.
Tempus sanat omnia. Bis bald, meine Seele.
Als Nächstes wurde ich in einen Abgrund gerissen, als die Magie von Osiris aus mir schwand. Da war nur mehr Leere, wo er gewesen war, und da waren diese unzähligen Schreie. Tausende Schreie, aber es waren nicht meine, es waren seine.
Riven verwandelte sich in einen Dämon.
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