Kapitel 30

Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie den langen Anstieg nach oben wanderten. Die Bäume standen hier dicht an dicht und sorgten mit ihren zugeschneiten Kronen dafür, dass sich die ganze Gegend, wie eine typische Winterwunderwelt anfühlte. Lange war er nicht mehr hier gewesen. Seine Erinnerungen an diesen Ort lagen gut verpackt in einer Kiste ganz hinten in seinem Verstand. Dennoch fühlte es sich so an, als wäre es gestern gewesen, während sie den langen Weg entlang liefen. Jede Ecke und jeder Winkel kamen ihm vertraut vor. Er hätte niemals damit gerechnet, irgendwann in seinem Leben an diesen Ort zurückzukehren, doch hier war er. Das alles, es fühlte sich an, wie ein Deja-vu. Wie ein süßer Traum, aus dem er gleich wieder erwachen würde. "Was genau machen wir nochmal hier?", ertönte eine bekannte Stimme hinter ihm und riss ihn aus seinen Gedanken in die Gegenwart zurück. Als er sich umdrehte und den Mann hinter ihm betrachtete, konnte er den frustrierten Ausdruck in den goldenen Augen erkennen. Es war eindeutig, dass da die Faulheit aus Hawks sprach und bei dieser genervten Reaktion konnte er sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Der Blondschopf hatte schon herum genörgelt, als sie aufgebrochen waren und hatte sich seither, wie ein trotziges Kind benommen. Es war mehr als nur amüsierent mitanzusehen. Vorallem, wenn man bedachte, dass der Grund für dieses beleidigte Verhalten, reine Trägheit war. Normalerweise war sein Freund keine Person, die er als faul bezeichnen würde und sonst schreckte dieser auch nicht vor ein paar sportlichen Aktivitäten zurück. Allerdings war er es auch gewohnt zu fliegen und nicht, wie alle anderen Menschen, auf zwei Füßen zu laufen. Den gesamten Weg vom Hauptquartier der Liga aus, bis an diesen Ort zu Fuß zu gehen, musste sich daher sicher schrecklicher, als Fasten für ihn anhören. Da er gestern erst aus dem Krankenhaus entlassen wurden war, hatte er noch immer Flugverbot. Erst recht, wenn es darum ging, einen Passagier mitzunehmen. Dies war ein Befehl vom Boss höchstpersönlich. Tja, konnte man nichts machen...

"Trainieren. So, wie Shigaraki es uns gesagt hat.", antwortete er trocken und sein Grinsen vergrößerte sich, als er das erschöpfte Seufzen, welches nach seinen Worten folgte, hörte. "Das hätten wir doch auch irgendwo bei uns in der Nähe tun können. Warum mussten wir dafür extra hierher kommen?" Dabi war von Anfang an klar gewesen, dass diese Frage irgendwann kommen würde. Er war sich selbst nicht mal vollständig sicher, warum er so unbedingt an diesen Ort wollte. Er schätze, dass es einfach die Nostalgie war, die ihn dazu gebracht hatte. Er verband so viele Erinnerungen mit dieser Gegend. Erinnerungen an sein früheres Leben. Die Person, die er damals noch gewesen war. Nach diesen Worten wandte er seinen Blick wieder von dem geflügelten ab und ließ seine Augen über die verschneite Landschaft vor ihm schweifen. "Weißt du, wo wir hier sind?", stellte er eine eigene Frage. Er erwartete keine Antwort und doch musste er bei der Stille, welche nach seinen Worten folgte, schmunzeln. Verrückt, wieviele Mensen hier in Shizuoka lebten und wie wenige im Endeffekt diesen Ort kannten. "Das wundert mich nicht. Fast niemand weiß das. Es nennt sich Sekoto Peak. Mein Vater war derjenige, der mir diesen Ort zeigte. Es ist schön hier. Die perfekte Gegend, um zu entspannen und einfach mal allein zu sein. Früher, als mein Vater meine Familie und mich noch nicht so grausig behandelt hatte und mir das Training noch Spaß machte, kam ich oft hierher, um meine Mutation auszutesten und mich im Kampf zu beweisen. Danach kam ich die meiste Zeit über hierher, um meinen Frust herauszulassen und einfach ein paar Stunden weg von meinem Zuhause und all den krumen Dingen, die dort hinter geschlossen Türen abliefern, zu sein. Nicht, dass ich oft die Chance dazu hatte, aus diesem Haus heraus zu kommen.", gab er ehrlich zu. Seit er Hawks die Wahrheit über seine Vergangenheit und seine Familie erzählt hatte, fühlte es sich nicht mehr seltsam an, mit diesem über solche Themen zu sprechen. Im Gegenteil, es war befreiend. Jetzt war er nichtmehr der einzige, der diese Last mit sich herumschleppte.

Sein Freund schwieg einen Moment. Allem Anschein nach nicht sicher, was er darauf antworten sollte. "Ist es dir denn nicht unangenehm wieder hierher zu kommen? Es muss doch sicher Dinge im deinem Inneren triggern, die du gern dort drin behalten würdest?" Die Stimme des anderen klang verwirrt. Er konnte es verstehen. Normalerweise versuchte Dabi konsequent alles, was mit seiner Familie und seinem alten Ich zu tun hatte, zu meiden. Es triggerte unschöne Erinnerungen, genauso wie sein Begleiter gesagt hatte. Die Erinnerungen, welche er mit diesem Ort verband waren jedoch nicht vollständig schlecht. "Nicht wirklich, nein. Es wäre etwas anderes, würden wir zu meinen alten Zuhause laufen, aber dieser Ort...Ich weiß nicht. Früher war es immer mein Rückzugsort. Mein sicherer Hafen, vor all dem Scheiß, der in meinen Leben passiert ist. Ich schätze mein Verstand verbindet das alles hier noch immer mit Schutz und Geborgenheit.", erklärte er so gut er konnte, wo er seine eigenen Gefühle doch selbst kaum verstand. Sein Partner sagte nichts weiter dazu, sondern trottete nur stumm hinter ihm her. Allerdings musste er das auch gar nicht, da sie nun an der Stelle angekommen waren, zu der Dabi schon die ganze Zeit über wollte. Als er seinen Blick durch die Umgebung schweifen ließ, hätte er durch das Nostalgie Gefühl in seinem Inneren beinahe angefangen zu weinen. Noch immer konnte er die mit roter Farbe bemalten Zielscheiben an den Bäumen hängen sehen und automatisch tauchte ein Abbild seiner selbst vor seinem inneren Auge auf, als er noch ein kleines, unbeschwertes Kind gewesen war und voller brennender Entschlossenheit seine leuchtenden Flammen abschoss, nur um die Befriedigung zu spüren, wenn sie direkt in die Mitte der runden Metallscheiben trafen. Er war so unglaublisch sorglos und frei gewesen. Manchmal wünschte er sich, er könnte noch einmal der kleine unbeschwerte Junge von damals sein.

"Hier habe ich früher immer trainiert.", erklärte er und deutete dabei auf die Zielscheiben an den Bäumen, die zwar durch Wind und Wetter schon ein wenig beschädigt waren, allerdings noch immer einen Treffer aushalten würden. Es war immerhin die Qualität von Enji Todoroki. Hawks trat ein wenig nach vorn und stand nun direkt neben ihm, während sein Blick nachdenklich herumwanderte. "Genauigkeitstraining?", fragte er und bei den Worten zogen erneut Bilder aus seinen Erinnerungen vor dem inneren Auge des Schwarzhaarigen dahin. "Jep. War ziemlich gut darin, aber ich bezweifle, dass das noch immer der Fall ist. Mein Körper mit Augen, Ohren und allem drum und dran wurde durch meine Verbrennungen ganz schön in Mitleidenschaft gezogen." Es war nicht so, als ob er taub oder blind wäre, aber auch bei seinem Körper gab es eben gute und schlechte Tage. Glücklicherweise hatte er noch nie einen wirklich schlechten Tag bei der Liga erlebt, denn dies war für keine der Beteiligten etwas angenehmes. "Besser, als ich wärst du doch sowieso nicht.", antwortete der geflügelte mit neckischer Stimme und er schnappte einmal mit gespielter Empörung nach Luft. "Soll das etwas eine Wette sein? Nicht, dass du dich noch überschätzt, Spatzenhirn." Der andere schenkte ihm daraufhin nur ein breites Grinsen und streckte seinen Arm nach vorn hin aus, sodass seine Hand mit einer stillen Aufforderung in der Luft schwebte. "Na dann, die Wette gilt."

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Mit einem erschöpften Seufzen ließ er sich zu Boden sinken. Sein Rücken lehnte gegen die harte Rinde eines Baumstammes und er brauchte einen Moment, um seine hektische Atmung zu normalisieren. Immer dann, wenn er seine Mutation verwendete, erhitze sich sein Körper auf eine unangenehme Stufe und seine sowieso schon beschädigte Lunge begann ihm mehr denn je klar zu machen, dass er sich ja nicht übernehmen sollte. Manchmal mehr, manchmal weniger. Heute bekam er seine hektische Atmung zum Glück wieder schnell in den Griff und er streckte seine trägen Beine mit einem Seufzen nach vorne hin aus. Sie waren nun schon seit ein paar Stunden an diesen Ort und hatten bisher fast jede Sekunde zum trainieren genutzt. Hawks war dabei sowas, wie sein Mentor gewesen, während er selbst die Rolle des fleißigen Schülers einnahm. Es gab noch jede Menge Techniken und Tricks, die er im kämpfen erlernen könnte, nein, müsste! Er brauchte dieses Training, denn seine Flammen waren vielleicht so gut, wie unbesiegbar, doch dafür auch umso schwerer zu kontrollieren und er wollte sich auch nicht komplett abhängig von dieser Kraft machen. Wenn sie das Tartarus angreifen würden, wäre dies der Zeitpunkt, in dem er beweisen müsste, was er gelernt hatte. Er könnte sich nicht immer auf die Stärke von Hawks oder jemand anderem verlassen. Er müsste selbst zeigen, dass er dazu bereit war, ein Teil der Liga zu sein!

Seine Augen waren entspannt geschlossen und seine Brust hob und senkte sich sich in einem ruhigen Rhythmus, als er schließlich hörte, wie sich jemand neben ihm niederließ. Das Rascheln von Hawks Federn ertönte, bevor dieser sich dazu entschied aus Gründen der Bequemlichkeit seine Schwingen einzuziehen, damit sie sich nun beide an den dicken Baumstamm einer Tanne anlehnen konnten. Sie hatten Glück, dass die breiten, mit dunkelgrünen Nadeln besetzten Äste den vom Himmel fallenden Schnee einigermaßen abhielten und ihnen eine trockene Stelle zum sitzen boten. "Heh, hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist, ein Lehrer zu sein.", witzelte der Blondschopf und auch aus seiner Stimme konnte man deutlich die Erschöpfung heraushören. Dabi brachte nicht die Mühe dazu auf, etwas darauf zu erwidern, sondern machte nur einen zustimmenden Laut, bevor er seinen Kopf schließlich schräg zur Seite fallen ließ und ihn auf die Schulter seines Partners lehnte. Auch ohne es zu sehen, wusste er, dass Hawks gerade schmunzelte und fühlte im nächsten Moment schon, wie sanfte Finger ihm durch das Haar strichen. Die Fingerspitzen schabten leicht über seine Kopfhaut und zogen an seinen Ansätzen, doch es war kein unangenehmes Gefühl. Ganz im Gegenteil. Es war eine Geste zum wohlfühlen, die von reiner Zuneigung sprach. Etwas, was er Zuhause nie bekommen hatte. Ohne, dass er es kontrollieren konnte, neigte er sich noch weiter in die sanfte Berührung und schloss dann mit einem wohligen Seufzen die Augen. Irgendwie wusste Hawks in jeder Situation immer ganz genau, wie er dafür sorgen konnte, dass der Schwarzhaarige sich gut fühlte. Noch nie hatte er ihm weh getan, ob bewusst oder unbewusst und er bezweifelte stark, dass es auch noch jemals kommen würde. Er wusste gar nicht, was genau er getan hatte, um jemanden, wie den Mann an seiner Seite zu verdienen, aber was er definitiv wusste, war, dass er sich verdammt glücklich schätzen konnte!

Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas. Sie saßen einfach nur nebeneinander und beobachteten, wie die schüchterne Wintersonne langsam den Horizont verließ und die Welt um sie herum sich langsam verdunkelte. "Du hattest Recht, es ist wirklich schön hier.", erklang die Stimme des geflügelten neben ihm und er summte ein zustimmendes "Hmm". Einen weiteren Augenblick umgab sie die Stille, bevor der Blondschopf erneut das Wort ergriff. "Mein Vater hätte mich niemals an so einen Ort mitgenommen." Es war dieser eine Satz, welcher ihn schließlich vollständig aus seiner Gedankenwelt ins Hier und Jetzt zurück holte. Er brauchte einen Momemt, um das gesagte zu verarbeiten, doch dadurch wurde er im Endeffekt nur noch verwirrter. Langsam löste er sich aus seiner Position und hob seinen Kopf von der Schulter seines Freundes, um diesen direkt ansehen zu können. "Wie meinst du das?", fragte er irritiert. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Auf dem Gesicht seines Begleiters lag ein unlesbarer Ausdruck und die goldenen Raubtieraugen waren nicht auf ihn, sondern starr in die Ferne gerichtet. Es wirkte fast so, als hätte der andere Angst, ihn anzuschauen. Sein Gegenüber antwortete nicht und zeigte auch sonst keine weiteren Reaktionen auf seine Frage. Er saß einfach nur da und starrte geradeaus. "Keigo?", hakte er vorsichtig nach. Er wusste nicht, was plötzlich in den Blondschopf gefahren war, doch er wollte, dass dieser mit ihm redete, ihm sagte, was falsch war, statt nur resigniert dazuhocken. "Mein Vater hatte mich nie irgendwohin gelassen. Er hat mich in seinem Haus eingesperrt, wie ein Tier. Für ihn war ich immer nur ein Fehler. Unnötiger Ballast, den er mit sich herumschleppen musste. Ich war ihm nichts wert. Wahrscheinlich wäre ihm eine Heroin Spritze lieber gewesen."

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte zwar schon vor langer Zeit erkannt, dass auch Hawks nicht aus dem besten Elternhaus stammte und die beste Kindheit erlebt hatte, aber es so klar und deutlich bestätigt zu bekommen, war nochmal etwas anders. Der geflügelte hatte noch nie zuvor mit ihm so offen über seine Vergangenheit gesprochen, hatte es vermieden an solche Themen anzuecken und wollte das, was damals mit ihm passiert war einfach nur sichtlich vergessen. Das ganze jetzt so spontan zu hören, überforderte daher ihn leicht. "Kei-", bevor er überhaupt dieses eine Wort zu Ende aussprechen konnte, wurde er von seinem Partner auch schon unterbrochen. Wo dieser es vorher so konstant vermieden hatte, über dieses Thema zu sprechen, wirkte er nun geradezu hektisch. In Eile, alles zu auszusprechen, bevor der Moment vorbei wäre. "Mein Vater war ein Verbrecher, schwerer Alkoholiker und süchtig nach allen Drogen, die er in die Finger bekam. Seit ich mich erinnern kann, tat er Dinge, die niemals irgendjemand tun sollte. Er war nicht einfach nur ein Dieb oder gewalttätig. Er war ein Vergewaltiger und Mörder, der nichtmal vor Frauen und Kindern zurückschreckte. Ich weiß, dass alle aus der Liga auch Mörder sind, aber weißt du, was der Unterschied ist? Hinter unseren Morden steckt eine Absicht, ein nachvollziehbarer Grund. Wir bringen nicht einfach irgendjemanden um, sondern nur diejenigen, die es auch verdient haben und wir...wir haben keinen Spaß daran. Mein Vater war das genaue Gegenteil davon. Er tötete aus reiner Langeweile und Vergnügen. Er genoß es richtig seinen Opfern Schmerzen zuzufügen und sie solange, wie möglich leiden zu lassen. Einmal, da...da brachte er eine Frau zu uns nach Hause. Sie war jung, viel zu jung. Vielleicht 20 bis 21 Jahre. Ich glaube, sie war betrunken oder High. Jedenfalls schien sie keine Angst zu haben. Zumindest solange, bis sie seine wahren Absichten erkannte. Er lockte sie zu sich in sein Zimmer und dann...dann schlug und vergewaltigte er sie für Stunden. Als er fertig mit ihr war, seinen Spaß gehabt hatte, holte er einfach ein Messer aus seiner Tasche und schnitt ihr den Bauch auf, sodass sie elendig verblutete. Man konnte ihre Schreie im gesamten Haus hören. Er...gott, er hatte mich gezwungen das ganze mitanzusehen. Meinte, dass ich dadurch lernen würde, härter und gnadenloser zu sein. So, wie er. Als er fertig mit ihr war, benutze er mich, um ihre Leiche zu entsorgen und die Blutflecken, als Beweisspur, zu beseitigen. Nach ihrem Tod hatte er sie einfach auseinandergeschnitten. Körperteil für Körperteil. Ihre abgetrennten Gliedmaßen hatte er einfach in eine Mülltüte gesteckt und ließ mich...ich musste sie einfach in einen Container werfen. Es war, als...als wäre sie nur Müll. Abfall, der zu beseitigen war. Ich musste nichtmehr tun. Ich...ich warf die Mülltüte einfach hinein. Das ganze kam niemals ans Licht."

Noch nie, wirklich nie, hatte Dabi seinen Partner so gesehen. Seine sonst so strahlenden Augen, waren gerötet und die Tränen glitzerten in ihnen. Gleichzeitig spuckte er die Worte mit voller Verachtung aus und in seinem Blick lag soviel Hass, dass man meinem könnte, er wäre Satan selbst. Er hatte Hawks noch nie zuvor weinen gesehen. Der Blondschopf war ein typischer Optimist und Kämpfer. Seine Seele war stark und um ihn an so einen Punkt zu bringen, müsste man schon ganz schön weit gehen. Er hätte nicht erwartet, seinen Freund überhaupt jemals richtig zerbrechen zu sehen, doch hier waren sie nun. Die Maske war von seinem Gesicht gebrochen und all die unschönen Emotionen, welche sich dahinter versteckten, krochen ans Tageslicht. Dabi wusste gar nicht, was er dazu sagen oder wie er darauf reagieren sollte. Das, was Hawks ihm da über seine Vergangenheit erzählt hatte, klang so grausam, dass sein Verstand wie leer gefegt war. Kein Wort brachte er aus seiner Kehle und er konnte keinen Muskel bewegen, während er seinen Begleiter in purem Schock anstarrte. "Mein Vater, er...er hat mich nie geliebt. Ich bezweifle, dass dieser Bastard überhaupt dazu in der Lage war, jemanden zu lieben, außer sich selbst natürlich. Ich entstand nur aus einer Vergewaltigung heraus. Meine Mutter war eines seiner Opfer. Er hatte sie bereits Jahre vor meiner Geburt entführt, zu sich nach Hause geschleppt und sie nie wieder heraus gelassen. Sie war für ihn nicht, wie ein lebender Mensch mit Gefühlen. Mehr war sie eine Trophäe für seine Sammlung. Ich weiß nicht, weshalb er mich behalten hat. Wahrscheinlich diente ich nur als weiterer Stressball für ihn, um seinen Frust auszulassen. Ich war Dreck und dafür da, seinen Dreck wegzumachen. Einen weiteren Zweck hatte ich nicht. Genauso, wie meine Mutter hielt er mich in seinem Haus gefangen. Wie Sklaven behandelte er uns. Wir hatten keine Rechte oder Freiheiten. Wir waren voll und ganz auf diesen Bastard angewiesen! Er-", bevor er weitersprechen konnte unterbrach ein mitleiderregendes Schluchzen Hawks Rede und Dabis eigenes Herz sackte in seine Kniekehlen. Die Tränen flossen nun in Strömen über die geröteten Wangen des geflügelten und sein ganzer Körper zitterte, wie Espenlaub. Mit einem weiteren Schluchzen, vergrub dieser sein Gesicht in seinen Händen und rollte sich in sich zusammen, wie ein Neugeborenes.

Erneut war der Schwarzhaarige an der Stelle angelangt, an welcher er weder wusste, was er sagen, noch was er tun sollte. Er-oh Gott! Wenn er sich vorstellte, dass sein Freund diese unfassbare Last all die Zeit stumm mit sich herumgetragen hatte, dann fühlte er sich unglaublich schlecht. Schlecht dafür, niemals näher nachgehakt, sondern dessen Schweigen einfach still akzeptiert zu haben. Er...er wollte nicht, dass es so wirkte, als ob er sich nicht für den Blondschopf und seine Probleme interessierte. Er hatte diesen nur einfach nie überfordern wollen. Wenn er bereit dazu war, darüber zu reden, dann würde er schon selbst auf ihn zu kommen. So hatte er immer gedacht. Niemals hätte er erwartet, sowas zu hören. Niemals...niemals hätte er gedacht, dass sein Partner so sehr unter seiner Vergangenheit litt. Bevor sein Verstand überhaupt richtig mit seinem Handeln mithalten konnte, hatte er auch schon seine Arme um den zitternden Körper seines Begleiters geschlungen. Bei der spontanen Geste zuckte dieser einmal kurz zusammen, doch presste sich danach so fest an ihn, dass man meinen könnte, er würde sterben. Seine Hände strichen vorsichtig über den bebenden Rücken des anderen, während er sie beide sanft auf und ab wiegte. Die Finger, die sich in seine Hüfte gekrall hatten, zogen und brannten unangenehm an seinen Narben, doch keine Beschwerde verließ seinen Mund. Hier ging es um Hawks Wohlbefinden und wenn sein eigenes dafür ein wenig leiden musste, dann sollte es so sein! "Shhh. Es ist alles in Ordnung. Du bist nicht mehr an diesem Ort. Du bist hier. Bei mir. Es ist alles in Ordnung.", flüsterte er beruhigend in das Ohr seines Gegenübers und rieb sanfte Kreise über dessen Rücken, doch er wusste nicht, ob es wirklich viel brachte. Die Tränen, welche dessen Körper schüttelten, schienen gar nicht mehr aufhören zu wollen. Er fürchtete schon, er würde hyperventillieren und einem Nervenzusammenbruch bekommen, als es plötzlich einfach...stoppte.

Ein Ruck fuhr durch den geflügelten und mit einem Mal wurde er ganz ruhig und still. Kein Schluchzen verließ mehr seine Lippen und seine Muskeln waren nun starr wie Eis. Diese plötzliche Reaktion verunsicherte ihn und er drückte sich ein Stück von diesem ab, um ihn besser ansehen zu können. Purer Hass lag in seinen Zügen und seine geschwollenen Augen glänzten voller Verachtung. "Weißt du wer es war, der meinen Vater schließlich für seine Taten bestraft hat?" Die Frage war an ihn gerichtet und der Blick des anderen lag nun starr auf seinem Gesicht. Dabi wusste nicht, was er darauf antworten sollte und welche Reaktion der Blondschopf sich von ihm erhoffte, weshalb er einfach zaghaft den Kopf schüttelte. Ein bitteres Lachen erklang und dieser beugte sich ein Stück zu ihm nach vorn, sodass sich ihre Nasenspitzen leicht berührten. Tief starrte er ihm in die Augen und sein hasserfüllter Blick bohrte sich förmlich in seine Seele. "Es war Enji Todoroki. Der bekannte Mutantenfänger. Dein Vater." Diese Worte ließen ihn innerlich zusammenzucken. Das...das war nicht gut. Gar nicht gut. Er hatte keine Ahnung, wie Hawks in seinem aktuellen Zustand darauf reagieren würde, dass er der Sohn von dem Mann war, der ihn zu einem Waisenkind gemacht hatte. Er erwartete Wut, Enttäuschung...Hass. Alles was jedoch kam, war ein weiteres freudloses Lachen, bevor sich der andere wieder zurück beugte und weitersprach. "Tartarus lebenslang. Danach bin ich auf der Straße gelandet. Ich war...ich weiß gar nichtmehr, wie alt ich da war. Ich war viel zu jung, soviel stand fest. Meine Mutter hatte sich kurz nach der Festnahme meines Vaters das Leben genommen. Ich schätze, sie hatte nur auf diesen Moment gewartet. Sie war nicht so grausam zu mir, wie er, aber sie hat mich nie geliebt. Für sie war ich nur das Kind einer Vergewaltigung. Sie konnte mir nie in die Augen schauen, weil ich...heh, ich bin förmich das Ebenbild meines Vaters. Die selben Haare, die selben Augen, die selben Flügel. Meine Mutation war das einzige was mich auf der Straße am Leben behalten hat. Ich war schnell genug, um mir Essen und Trinken zu stehlen und konnte mich vor meinen Feinden verteidigen. Als ich 16 oder 17 war, traf ich dann auf Shigaraki und Kurogiri, ein altes Mitglied der Liga. Sie sahen Potential in mir und nahmen mich bei sich auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Liga noch eine unbekannte Gruppe Verrückter. Wir hatten noch kein richtiges Ziel oder einen Plan von dem, was wir da taten, aber...ich könnte ihnen nicht dankbarer sein, dass sie mich bei sich aufgenommen haben. Ohne sie, wäre ich in den Händen von irgendwelchen Mutantenfängetn gelandet und würde jetzt in einem dieser verdammten Sicherheitslager verrecken."

Wo er schon zuvor überfordert gewesen war, so war er es jetzt erst recht. Er wusste gar nicht, wo er überhaupt anfangen sollte. Hawks Stimme war schnell und die Worte verließen seinen Mund so hektisch, dass man meinen könnte, sie würden aus seiner Seele flüchten. Dabi wurde förmlich mit neuen Erkenntnissen und Informationen überhäuft und brauchte einen Moment, um seine Gedanken halbwegs zu ordnen. Also, dann hatte sein Vater den Vater seines Partners gefangen genommen und ins Tartarus gebracht? Das...nun, bei den Dingen, die er über diesen Mann erfahren hatte, klang es eigentlich gar nicht so schlecht, dass er hinter Gittern saß, immerhin hatte dieser seinen Freund behandelt, als wäre er Müll. Dennoch hatte er das Bedürfinis sich für die Taten seines eigenen Vaters und all die schrecklichen Dinge, welche Hawks ihm gerade anvertraut hatte, zu entschuldigen. "Das tut mir Leid. Das tut mir so Leid, Keigo.", flüsterte er in die bedrückende Stille zwischen ihnen. Er wusste, dass seine Entschuldigung nichts von dem, was geschehen war, besser machen würde, doch ihm fiel nichts anderes ein, was er dazu sagen sollte. Bei seinen Worten jedoch schnaubte der Blonde nur einmal verächtlich auf und schüttelte dann mit dem Kopf. "Nein, entschuldige dich nicht, es war eine gute Sache, dass dieser Penner aus meinem Leben verschwunden ist! Irgendwann hätte er mich noch aus reiner Langeweile umgebracht. Ich kann es gar nicht erwarten, dass Tartarus zu stürmen! Wenn ich ihn dort finde, dann beweise ich ihm, dass ich nicht nur ein unnützer Schwächling bin!" Der Hass triefte geradezu aus jeder Pore des geflügelten. Er konnte es verstehen. Am Anfang hatte er sich genauso gefühlt. Er war auch voller Hass und Verachtung gewesen. Hatte all seine Gedanken nur noch auf ein Ziel ausgerichtet. Rache. Am Ende hatte es ihn zu nichts und wieder nichts gebracht. Jahre seines Lebens, vergeudet für ein Ziel, welches er niemals erreichen könnte. Rache brachte einem nichts. Er selbst hatte nie die Chance dazu bekommen, sich richtig an seinem Vater zu rächen, doch auch so konnte er nun sagen, dass es ihm nicht viel gebracht hätte. Er war sich gar nicht mehr sicher, woher diese Erkenntnis damals gekommen war, doch es war gut, dass er es erkannt hatte. Es hatte ihm vor einem bösen Schicksal bewahrt. Rache machte dich nur blind und krank. Es machte dich nicht glücklich oder ließ dich deinen Schmerz von einer Sekunde auf die andere vergessen. Wenn man es so wollte, dann konnte man es wohl als eine reine Zeitverschwendung bezeichnen.

Seinen Partner jetzt in dem selben Zustand zu sehen, verursachte einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge und er spürte den unglaublichen Drang dazu, diesen in seinem engstirnigen Denken umzustimmen. "Bitte, tu das nicht! Rache fühlt sich vielleicht jetzt nach einer guten Lösung an, aber das ist sie nicht! Ganz und gar nicht. Glaub mir Keigo, wenn du das tust, dann wirst du danach nur noch verbitterter. Ich weiß, wie schwer es ist, diesen inneren Hass zu überwinden, ich habe das gleiche durchgemacht, aber du darfst dich von diesen Gefühlen nicht einnehmen lassen. Bitte, Keigo, tu mir den Gefallen und lass es einfach sein." Seine eigene Stimme klang bittend, fast wie ein Flehen. Der geflügelte schwieg und starrte ihn nur mit einem unlesbaren Ausdruck an. Dabi wusste, dass ihn diesen Wort nicht sofort überzeugen würden, das hätten sie bei ihm auch nicht getan, aber er wollte den andern zumindest zum nachdenken anregen. Er könnte es nicht ertragen mitanzusehen, wie dieser die falsche Entscheidung traf und daran zerbrach, ohne einen Versuch zu gestartet zu haben, diesen vor seinem Schicksal zu bewahren. "Aber er hat es verdient! Am liebsten würde ich ihn einfach nur brennen sehen..." Die Worte waren nun nichtmehr ganz so entschlossen, wie noch Minuten zuvor. Man konnte deutlich spüren, dass sein Freund über das nachdachte, was er ihm da gerade gesagt hatte. Es ließ einen Funken von Erleichterung in ihm aufkeimen. Zumindest fühlte es sich jetzt nicht mehr so an, als hätte er gar nichts für Hawks getan. Er rutschte ein wenig auf dem Boden herum, sodass er nun direkt vor dem Blonden kniete und nahm sein Gesicht in beide Hände, sodass er ihm fest in die Augen blicken konnte. "Ich weiß, dass du so fühlst, aber weißt du was ich finde? Ich finde, dieses Arschloch hat gar nichts von deiner Aufmerksamkeit verdient. Wenn wir ihn dort wirklich finden, dann verschwinden wir einfach wieder, hörst du? Wir lassen ihn einfach in seiner Zelle. Soll er doch verrecken! Du bist viel zu gut für ihn und er hat dich nicht verdient.", flüsterte er und lehnte seine Stirn gegen die seines Gegenübers, bevor er die Augen schloss. Die Welt um sie herum verblasste in diesem Moment. Alles was zählte, waren sie beide.

Eine Weile zog sich dieses Schweigen dahin, bevor er eine Bewegung vor sich wahrnahm und danach jemanden seufzen hörte. "Ich weiß, dass...dass es nicht fair ist, aber können wir es dabei belassen? Nicht mehr über dieses Thema sprechen und einfach so weitermachen, wie zuvor?...Bitte." Hawks hatte Recht. Gegenüber Dabi war diese Bitte mehr, als unfair, doch er beschwerte sich nicht. Er konnte den Entschluss des anderen verstehen und wenn dieser seine Vergangenheit hier und jetzt begraben wollte, dann sollte er es ruhig tun. Das einzige, was zählte, war, dass er sich damit wohl fühlte. "Natürlich. Solange es dir damit besser geht, halte ich meine Klappe. Du hast mein Wort.", versprach er und konnte schwören, dass er seinen Freund erleichtert aufatmen hörte.

"Danke, Toya. Du bist wirklich viel zu gut für mich."

Endlich hat Dabi auch etwas über die Vergangenheit seines Partners erfahren. Wurde ja auch langsam Zeit...

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