Kapitel 21
"Ich hoffe dieser Kontakt kann uns weiterhelfen, sonst waren all unsere Bemühungen bisher für umsonst.", murrte Hawks neben ihm. Gemeinsam liefen sie den langen Flur in der oberen Etage entlang, der überraschend ruhig und leer war. Normalerweise lungerte hier immer mindestens eine gelangweilte Person auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung herum. Sei es eine hyperaktive Toga oder ein, mit sich selbst in Streit geratener, Twice. Jetzt jedoch waren alle Türen verschlossen und kein anderes Geräusch, als ihre eigenen Stimmen zu hören. Dies lag wahrscheinlich an der nächtlichen Atmosphäre, die im Winter gefühlt den ganzen Tag lang herrschte. Auch ihn selbst machte die dunkle Umgebung und die ruhige Atmosphäre um ihn herum seltsam schläfrig, obwohl es noch nicht einmal so spät war. Die Sonne war bereits vor Stunden am Horizont verschwunden und ließ vermuten, dass es bereits Mitternacht war. "Ja, das hoffe ich auch. Wer weiß auf welche schrägen Ideen Shigaraki sonst noch kommt...", antwortete er mit einem schiefen Grinsen. Er wollte die dicke Stimmung zwischen ihnen ein wenig auflockern und nach dem amüsierten Lachen neben ihm zu urteilen war ihm dies auch ganz gut gelungen. Sein Kopf wandte sich automatisch zur Seite und sofort blickte er in zwei strahlend goldene Seelenspiegel. Die Wärme, die von diesen ausging schien die gesamte Umgebung zu erfüllen und verpasste ihm ein kribbliges Gefühl im Bauch. Es fühlte sich elektrisierend an, belebend irgendwie. Dieser traumhafte Anblick ließ ihn fast vergessen, dass noch etwas unschönes auf ihn zukommen würde. Fast.
"Hey hör mal. Ich, ähm...also das was heute passiert ist, tut mir Leid und ich dachte es wäre das beste, wenn ich dir...nunja, die komplette Wahrheit über meine Vergangenheit erzähle." Seine Stimme wurde mit jedem Wort immer leiser und sackte schließlich so weit ab, dass man wahrscheinlich keine Silbe verstanden hätte, wären sie sich nicht so nah gewesen. Er sprach nur äußerst ungern über seine Vergangenheit. Das war nun wirklich kein Geheimnis. Es war eines der Themen, welche er am liebsten in einem Sarg stecken und tief unter der Erde vergraben wollen würde. Jedoch, wie hieß es nunmal so schön? 'Die Vergangenheit stirbt nie!' Er konnte sich nicht erinnern, wo er diesen Satz einmal gehört hatte, aber es stimmte. Es war schon beinahe gruselig, wie akkurat dieses lächerliche Sprichwort zu seinem eigenen Leben passte. Immer, wenn er daran dachte, hinterließ es einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Hawks schien von diesem spontanen Angebot, wenn es denn überhaupt ein Angebot war, überrascht und die goldenen Raubtieraugen weiteten sich leicht, bevor er sich wieder fasste. "Du weißt, dass du mir nicht alles erzählen musst, richtig? Falls es dir zu viel wird, dann kannst du das ruhig sagen. Ich werde dich nicht bedrängen oder zwingen über Themen zu sprechen mit denen du selbst nicht umgehen kannst. Ich...ich will bloß, dass du die Wahrheit sagst und dich nicht mehr vor mir verstecktst. Das musst du nicht." Hah, es war geradezu ironisch diese letzten Worte von jemandem wie Hawks höchstpersönlich zu hören, der seine eigenen Mauern vermutlich schon seit Jahren schützend um sich herum aufgebaut hatte und niemanden hinein ließ. Beklagen konnte er sich darüber allerdings nicht. Sie beide lebten in einer Welt, in der Macht und Ruhm das Zentrum bildeten und alle Menschen, wie Fliegen darum herumschwirrten. Jede Person war in dieser Welt stets auf den eigenen Vorteil aus und scherte sich einen Dreck um den Zustand ihrer Mitmenschen. So war es und so würde es vermutlich auch noch lange bleiben. Zum Überleben brauchte man eben gewisse Maßnahmen, wie eine gut aufgebaute Fassade, welche einen vor der Ignoranz und dem Egoismus der Gesellschaft bewahrte. Er war sich nicht sicher, ob er selbst schon bereit dazu gewesen wäre, seine Maske abzulegen, wäre der heutige Tag anders verlaufen. Jetzt blieb ihm mehr oder weniger keine zweite Möglichkeit, als die Wahrheit. Jedenfalls...er verstand, weshalb Hawks selbst jetzt noch ziemlich distanziert in gewissen Gebieten reagierte und nicht immer mit offenen Karten spielte. Er konnte es nachvollziehen und hielt es diesem auch nicht vor. Die Zeit würde kommen, in der sie beide ihre Mauern Stein für Stein bröckeln ließen und all die Lügen und Geheimnisse aus ihren beiden Leben verbannten. Wenn er selbst dafür den ersten Schritt machen müsste, dann sollte es eben so sein.
"Dabi? Hey!", riss ihn eine bekannte Stimme aus seinen wirren Gedanken. Er blinzelte perplex, bevor er in das leicht besorgte Gesicht seines Gegenübers blickte. War er etwas schon wieder in Tag Träumereien abgedriftet? Dem Blick des Anderen nach zu urteilen, ja. Oh mann, in letzter Zeit passierte ihm das ganz schön oft! Dabei wollte er nicht, dass es so aussah, als hätte er kein Interesse an den Gesprächen mit dem Blondschopf, denn das entsprach definitiv nicht der Wahrheit. "Alles gut?", fragte dieser etwas zögerlich und bei der unüberhörbaren Sorge in seiner Stimme, musste sich Dabi ein Grinsen verkneifen. Es war niedlich, wie der geflügelte in jeder Situation auf sein Wohlbefinden achtete und sich wie eine besorgte Mutter, um ihn kümmerte. Die meisten hätten dies womöglich als lästig angesehen, doch ihn störte es seltsamerweise kein bisschen. Es gab ihm das Gefühl von jemandem gemocht und anerkannt zu werden. Etwas, worauf er ein Leben lang gehofft hatte. "Alles gut, bin nur gerade etwas in Gedanken versunken.", erklärte er und konnte schwören, dass er seinen Gegenüber für den Bruchteil einer Sekunde erleichtert aufatmen sah. Vielleicht sollten sie ihn statt Hawks, doch lieber Henne nennen? Die Fürsorge von einer hatte der geflügelte ja schonmal...
Während des Redens waren sie bereits an dessen Zimmer angekommen und blieben gleichzeitig unschlüssig vor der Tür mit der Nummer 7 stehen. Hawks wechselte einen unschlüssigen Blick mit ihm, bevor sich dessen Gesichtsausdruck zu etwas gespielt verführerischen änderte. "Also, dein Bett oder mein Bett?", fragte er in der Stimme eines typischen Charmeurs und einem eindeutigen Schlafzimmerblick, der dafür sorgte, dass sich die kleinen Härchen auf seinem Körper aufstellten. Normalerweise hätte er sich jetzt vermutlich vor Scham innerlich zusammengezogen, doch in dieser Situation war Dabi ihm über diese Albereien äußerst dankbar. Ein Stimmungsauflockerer war gerade defintiv erwünscht. Mit gespieltem Schock fasste er sich an die Brust, direkt an die Stelle, wo sein Herz wild vor sich hin schlug und tat, als wäre er empört über diese Aussage. "Und du willst mich vorher nicht erst auf ein Date ausführen? Schäm dich! Ein echter Gentleman sieht jedenfalls anders aus." Der Angesprochene lachte bei seinen entrüsteten Worten kurz auf, bevor er sich ihm langsam näherte. Ein hungriger Ausdruck lag in den goldenen Augen, welche ihn an Raubtier erinnerten, das Jagd auf seine Beute machte. In dem Fall war er die Beute.
Geschmeidige Finger strichen ihm sanft über die Wange und weiche Lippen verteilten einen hauchzarten Kuss auf seiner Stirn. "Glaub mir, Süßer, ich würde dich wirklich gern hier und jetzt auf ein Date ausführen, aber ich denke, das hier ist nicht der richtige Zeitpunkt für sowas. Vielleicht ein anders Mal." Mit dem letzten Satz schenkte er ihm einen entschuldigenden Blick und verteilte noch einen Kuss auf seiner Nasenspitze, bevor er sich wieder von ihm entfernte. Er hatte gerade genügend Zeit um seinen Herzschlag halbwegs zu normalisieren, als Hawks auch schon eine Hand nach ihm austreckte und ihn ohne Umschweife mit in sein Zimmer zog.
In dem Raum herrschte eine angenehm kühle Temperatur und ein leicht fruchtiger Duft begrüßte ihn, welchen er schnell als das Parfüm seines Gastgebers identifizierte. Es war ganz anders als in seinem eigenen Zimmer. Dort war es durch seine hohe Körpertemperatur immer so schrecklich warm und stickig. Hier dagegen herrschte eine Atmosphäre, an die er sich gewöhnen könnte. Ein wenig verloren wanderte sein Blick durch den quadratischen Raum mit dunkelroter Tapete und größtenteils weißen Möbeln. Es war schlicht, aber dennoch recht hübsch eingerichtet und die bequeme Fenstersitzecke erinnerte ihn an seine eigene. Es war deutlich zu erkennen, dass der Besitzer dieses Zimmers ein Händchen für Stil hatte.
Ein Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit und er beobachtete, wie Hawks sich erst träge auf seine Matratze niederließ, bevor dessen Augen zu ihm wanderten und er einmal demonstrativ auf die leere Stelle neben sich klopfte. Ein wenig zögerlich kam er der Aufforderung nach und ließ sich dicht neben den geflügelten auf die Matratze sinken. Diese war überraschend weich, weicher als seine eigene und sorgte dafür, dass seine Nerven sich ein wenig entspannten, statt ihn die ganze Zeit über an das zu erinnern, was gleich auf ihn zukommen würde. Rascheln ertönte neben ihm und er konnte hören, wie jemand seinen Sitzplatz auf dem Bett änderte. Im nächsten Moment schlangen sich auch schon von hinten zwei starke Arme um seine Hüfte und zogen ihn mit dem Rücken voran an einen dünnen, aber dennoch muskulösen Körper. Etwas weiches streifte seine Arme und Schultern und im nächsten Moment wurde die Welt um ihn herum rot, als Hawks seine Schwingen um sie ausbreitete. Wie ein roter Ball aus Federn sahen sie nun wahrscheinlich aus. Von seiner Umgebung konnte er nichtmehr viel erkennen. Es waren nur noch er und der Mann hinter ihm. Niemand sonst. Er beschwerte sich nicht über diese neue Position. Mehr war er froh darüber, während des Gesprächs nicht in diese goldenen Augen starren zu müssen, die ihm sämtlichen Verstand raubten. Das alles würde auch so schon kompliziert genug werden und er war dankbar, dass Hawks versuchte ihm diese Situation so angenehm wie möglich zu gestalten.
Eine Weile saßen sie einfach still so da und genoßen die Nähe des jeweils anderen, bevor die Stimme des geflügelten schließlich die Stille durchbrach. "Also, Toya Todoroki...erzählst du mir von deiner Vergangenheit?" Es war keine direkte Aufforderung oder gar ein Befehl. Es war eine schlichte Frage, die er noch immer verneinen könnte, doch das wollte er gar nicht. Es wäre nicht fair, immerhin hatte sein Gegenüber die Wahrheit, nach allem was heute so passiert war, mehr als verdient. Außerdem, jetzt, wo er dicht an dessen Körper gepresst da saß und die wohlige Wärme spürte, die von dem Körper und den Berührungen des Anderen ausging, war seine Angst auf ein Minimum gesunken. Es gab noch immer diesen Teil in seinem Gehirn, welcher ihm einredete, dass Hawks und alle anderen ihn hassen würden, wenn er ihnen die Wahrheit erzählte, doch diese Gedanken waren nur noch irgendwo im Hintergrund zu hören. Das Gefühl von Wärme und Sicherheit hatte seinen Körper eingenommen und hüllte ihn ein, wie eine weiche Decke. Statt also erneut zu kneifen, ergriff er diese eine Chance die Dinge zwischen ihnen richtig zu stellen. "Tja, das ist eine lange Geschichte. Wo soll ich denn anfangen?", fragte er nach einem Moment des Schweigens. Der Blondschopf überlegte kurz, bevor er ihm mit sanfter Stimme antwortete. "Ich würde sagen ganz am Anfang. Erzähl mir von deiner Familie. Sag mir, wie du zu dem Menschen geworden bist, den ich in der Seitengasse in Tokio kennengelernt habe." Bei der Erinnerung an diesen Tag kroch ein winziges Lächeln seine Lippen hinauf. Es war, als wäre es gestern gewesen. Der Tag, der sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, hätte Hawks ihn damals nicht mit zur Liga genommen...
Es war schön in diesen Erinnerungen zu schwelgen. Allerdings war es nicht die rechte Zeit dafür. Es gab andere Erinnerungen, welchen er sich nun widmen müsste. Er dachte einen Moment nach, über das, was er sagen könnte und was nicht, bevor er tief Luft holte. Dann begann er zu erzählen.
"Tja, wo soll ich da nur anfangen? Die meisten kennen die Todorokis nur als Mutantemfänger, doch von meinen Eltern und Geschwistern war es stets nur mein Vater, der diesen Titel gewahrt hat. Meine Mutter ist eine typische Hausfrau, die nie das Recht bekommen hatte sich zu beweisen. Arbeiten zu gehen, Auto zu fahren und soweiter. Sie hatte stets nur das Recht dazu auf mich und meine Geschwister aufzupassen und häusliche Pflichten zu erledigen, so wie es ihr Mann ihr gerade vorschreibt. Ich habe insgesamt 3 Geschwister. 2 Brüder und eine Schwester. Es waren allerdings immer nur ich und mein jüngster Bruder Shoto, der Junge von heute, welche von meinem Vater auch nur beachtet wurden. Enji, mein Vater, er...er ist kein guter Mensch. Seit ich mich erinnern kann war sein Ziel immer nur besser zu werden. Das war in allen möglichen Bereichen so, aber vorallem in seinem Beruf. Als er sein eigenes Unternehmen, in dem er Mutanten dazu ausbildet, andere ihre Art zu fangen oder zu töten, gründete, war ihm bewusst, dass er jemanden bräuchte, der nach seinem Tod seine Nachfolge antritt. Jemand starken und klugen. Jemand auf den er sich verlassen kann. Du kennst doch bestimmt seine Mutation? Kurz gesagt, er kann Flammen aus seinem Körper erschaffen und sie kontrollieren. Ziemlich mächtig, doch mit einem großen Problem. Überhitzung. Sein Plan war es ein Kind zu zeugen, dessen Fähigkeit noch stärker und mächtiger als seine eigene wäre. Das ganze ohne nervige Nebeneffekte, wie Überhitzung. Aus dem Grund hat er dann auch meine Mutter geheiratet. Es war eine arrangierte Ehe und die große Liebe zwischen ihnen gab es nie. Mein Vater wollte einfach jemanden, der ihm ein perfektes Kind erschaffen kann. Die Mutation meiner Mutter lässt sie Eis aus ihrem Körper erschaffen. Das genaue Gegenteil von der meines Vater, also. Er dachte, wenn sich diese beiden Mutationen vermischen, entsteht vielleicht eine Fähigkeit, die sowohl Eis, als auch sein Feuer beinhaltet. So wäre sein eigenes Überhitzungs Problem gelöst und die perfekte Kraft geboren. Ich war das erste Kind. Meine Mutation war in den Augen meines Vaters nicht annähernd so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Mein Körper ist zu schwach, um meinen eigenen Flammen standzuhalten und ich kann sie nicht kontrollieren. Dennoch war ich die einzige Option, die er zu dem Zeitpunkt hatte, um sein Meisterwerk zu erschaffen und er begann mich zu trainieren. Der Unterricht bestand zum Großteil daraus, dass ich verschiedene Anwendungsarten meines Feuers erlernte, statt es einfach abzufeuern. Mein Vater war von der Stärke meiner Flammen beeindruckt, doch die Hoffnung auf ein perfektes Kind hatte er nicht aufgegeben. Während er mich also trainierte...nunja, bekam ich noch weitere Geschwister. Meine Schwester und meinen ältesten Bruder hatte er gleich nachdem sich ihre Mutation zum ersten Mal zeigte als Fehler abgestempelt. Sie hatten lediglich die Kräfte meiner Mutter und waren daher für seine Zwecke nutzlos. Er glitt in eine regelrechte Hysterie. Seine Enttäuschung und Frustration ließ er entweder an meiner Mutter oder mir, während des Trainings, aus. Er wurde unfassbar streng und grausam. Beging ich auch nur einen kleinen Fehler oder sagte etwas, was ihm nicht gefiel, dann...wurde ich bestraft."
Seine Stimme sakte nach dem letzten Satz ab und er musste für einen Moment tief ein und Ausatmen. Die pulsierenden Emotionen in seinem Inneren herunterschlucken, bevor er weitereden konnte.
"Als Shoto, mein jüngster Bruder, geboren wurde, war meinem Vater sofort klar, dass er sein Meisterwerk werden sollte. Und er sollte Recht behalten. Shoto hat die perfekte Mutation, die er sich immer gewünscht hatte. Feuer und Eis in einer Person vereint. Er friert nicht ein, noch überhitzt er. Perfekt also. Mein Vater hatte Shoto immer von uns separiert, so gut es ihm möglich war. Er wollte nicht, dass sein Meisterwerk von unserer Schwäche verdorben wird. Ich weiß nicht genau, was er mit ihm gemacht hat. Vermutlich hat er ihn noch härter und grausamer, als mich trainiert. Jedenfalls ging nach Shotos Geburt alles in unserer Familie den Bach hinunter. Mein Vater wurde zu einem gewalttätigen Monster, meine Mutter wurde mental instabil und musste in eine Klinik geschickt werden, in der sie noch heute lebt und ich...tja ich hielt es irgendwann nichtmehr aus. Mein Vater hatte in all der Zeit nie aufgehört mich zu trainieren. Ich weiß nicht genau, was er sich erhofft hatte. Dass mein Körper von einem Tag auf den nächsten plötzlich so stark wird, dass er meinen Feuer standhalten kann? Eigentlich ist auch egal, welche Intentionen er dabei hatte. Fakt ist, er hat mich grottig behandelt und ich habe es irgendwann nichtmehr ausgehalten. Nicht nur meine Psyche, auch mein Körper hat es irgendwann einfach nichmehr ausgehalten. Es war einer dieser Tage, an denen mein Vater besonders viel von mir verlangt hat. Er wollte, dass ich eine seiner stärksten Attacken erlernen. Jeder normale Mensch hätte sich denken können, dass ich zu schwach dafür bin, doch er hat das anscheinend nicht so gesehen. Meine Flammen gewannen an diesem Tag vollständig die Oberhand. Sie zerstörten den ganzen Trainingsraum und vermutlich auch unser ganzes Haus. So genau, weiß ich das nicht mehr. Ich jedenfalls...ich sah meine Chance. Mein Vater war damit beschäftigt den Brand zu löschen und ich...ich bin einfach gerannt. Mir war es völlig egal, wo mich meine Füße hin trugen. Ich wollte einfach nur weg von diesem grausamen Ort. Das ganze hatte seinen Preis. Ich habe diese Narben davongetragen und bin auf der Straße ohne Geld oder Schulabschluss gelandet, aber ich bereue diese Aktion nicht. Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte, von diesem Ort zu fliehen. So selbstsüchtig es auch klingen mag."
Als er seine Geschichte beendete, spürte er Erleichterung in sich aufkeimen. Er hatte erwartet, es würde ihm schwerfallen darüber zu reden, doch die Wort hatten geradezu von selbst seinen Mund verlassen. Es fühlte sich gut an, all diese Dinge, welche ihn sein Leben lang gequält hatten, endlich mit jemandem zu teilen. Jemandem, dem er vertraute. Jemandem, der genau hinter ihm saß und ihn während seiner Erzählung nicht ein einziges Mal unterbrochen hatte. Einerseits war er äußerst dankbar darüber, denn so fühlte er sich nicht so sehr unter Druck gesetzt. Andererseits machte es ihn schrecklich nervös. Was würe Hawks nun über ihn denken? Würde er ihn hassen, weil er aus der Familie eines berüchtigten Mutantenfängers kam? War er...war er enttäuscht von ihm, dass er seine Familie einfach wie ein Feigling im Stich gelassen hatte? Er selbst war es. Viele Nächte lang hatte er wach auf Tokios Straßen gelegen und hatte darüber nachgedacht, was wohl passiert wäre, wenn er damals nicht von Zuhause weggelaufen wäre. Er schämte sich dafür, seine Geschwister einfach an diesem schrecklichen Ort zurückgelassen zu haben und nur an sein eigenes Wohlbefinden zu denken, aber er war eben selbst noch ein Kind gewesen. Ein verstörtes, verletztes und zu tiefst verängstigtes Kind. Er war sich sicher, dass sein Vater ihn irgendwann in einer dieser Trainingseinheiten umgebracht hätte, weil er etwas forderte, zu dem sein Körper nicht imstande war...
Eine Bewegung hinter ihm erregte seine Aufmerksamkeit und er beobachtete, wie der Blondschopf mit einem nachdenklichen Ausdruck hin und her rutschte. Allem Anschein nach nicht sicher darüber, wie er mit der Situation umgehen sollte. Es war viel auf einmal, dass musste er selbst zugeben.
Es verging ein Moment, bevor dessen Stimme ertönte. Anders, als er erwartet hatte klang der geflügelte nicht aufgebracht oder wütend. Seine Stimme war ruhig und sanft mit einem leichten Hauch von Mitleid. "Und er...er war schon immer so? Dein Vater mein ich. Es ist ziemlich...naja, ungewöhnlich von einem Mutanten andere seiner Art zu fangen und zu töten." Ja, diese Frage hatte er sich auch schon oft gestellt. Was hätte er nicht dafür gegeben nur einmal hinter Enjis Fassade blicken zu dürfen und den Menschen dahinter zu erkennen. Er konnte seinen Vater nicht ausstehen, das gab er offen zu, doch er war sich sicher, dass dieser nicht nur schlecht war. Dass irgendwo in dieser ständigen Wut und Aggression noch ein Fünkchen Gutes lag, welches nur darauf wartet ans Tageslicht zu gelangen. "Ich weiß es nicht. Mein Vater hat nie über seine Gefühle und sowas gesprochen. Ich bezweifle manchmal, dass er überhaupt welche hat. Vielleicht hängt es mit seiner Erziehung zusammen. Ich habe seine Eltern nie getroffen, deshalb ist das nur eine Theorie. Ich denke...ich denke er wollte einfach nur Überleben. Länger, als alle anderen."
Nach diesen Worten herrschte wieder Stille. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet und er begann die Federn in den roten Schwingen zu zählen, welche noch immer um ihn herum geschlungen waren. Für eine lange Zeit sagte keiner von ihnen etwas, bevor er spürte, wie sich der Griff um seine Hüfte verfestigte und er noch enger, falls das überhaupt möglich war, an den warmen Körper hinter ihm gezogen wurde. Zuerst versteift er sich bei dieser unerwarteten Geste, doch entspannte sich wieder, als er ein fremdes Gewicht auf seiner Schulter spürte. Blonde Locken kitzelten ihm im Nacken und er konnte fühlen, wie jemand hauchzarte Küsse auf seinem Schulterblatt verteilte. Nach einem Moment des Zögerns lehnte er seinen eigenen Kopf auf den Schädel auf seiner Schulter und schloss die Augen, während sich ein kleines zufriedenes Lächeln den Weg auf seine Lippen bahnte. "Es ist nicht deine Schuld. Das weißt du, oder?", hörte er eine leise Stimme neben seinem Ohr murmeln. Er murrte und öffnete erneut die Augen. "Ja, ich weiß. Mein Vater ist derjenige, der die Schuld trägt. Vielleicht nicht alles davon, aber das meiste. Ich weiß, dass ich nicht viel hätte tun können, um etwas zu ändern. Es ist nur...ich habe all die Jahre stumm dabei zugesehen, wie er meine Mutter und meine Geschwister verletzt hat. Wie er unsere Familie zu Grunde gerichtet hat. Manchmal....manchmal denke ich, dass ich etwas hätte tun sollen. Irgendwas, um nicht einfach nur stumm zuzusehen. In den Momenten kann ich mich selbst nicht ausstehen. Ich fühle mich dumm und schwach. Nutzlos.", flüsterte er und seufzte einmal auf. All diese Dinge waren so verdammt verwirrend und er würde nichts lieber tun, als diese Gedanken einfach zu ignorieren, doch er konnte nicht. Zumindest nie ganz.
"Das bist du nicht. Du bist nicht schwach oder nutzlos. Ich finde du bist unglaublisch stark. Du wusstest, dass du niemals den Ansprüchen deines Vaters gerecht werden kannst und dennoch hast du immer weiter trainiert. Du hast gesehen, wie sich deine Familie mit der Zeit immer weiter voneinander abgespaltet hat und trotzdem hast du immer weiter gemacht und weißt du auch wieso? Weil du Hoffnung hattest. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und ein besseres Leben. Andere würden das vermutlich als sinnlos und idiotisch bezeichnen, aber willst du wissen, was ich denke? Ich denke, dass ist es was wahre Stärke auszeichnet." Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Diese Worten waren so ziemlich das ehrlichste und emotionalste, was ihm jemals jemand gesagt hatte. Niemand hatte ihn jemals als stark oder mutig bezeichnet. Er hatte immer nur gehört, wie schwach und nutzlos er doch war. So lange, bis er es selbst geglaubt hatte.
Vorsichtig drehte er sich in dem Griff des Blondschopfs um und sah diesem tief in die wunderschönen goldenen Augen. "Danke...", murmelte er leise und beugte sich ein Stück nach vorn. Gerade, als er seine Lippen mit dem weichen Paar vor ihm verbinden wollte, wurde er jedoch aufgehalten. Verwirrt zog er eine Augenbraue hoch und sah Hawks schüchtern grinsen. "Ah, noch nicht. Es gibt noch eine Sache, die ich dich fragen möchte, Toya." Ein eigenes kleines Grinsen bahnte sich den Weg auf sein Gesicht und er legte den Kopf schief. "Was denn, Keigo?" Er hatte diesen Namen lange nichtmehr laut ausgesprochen. Er verstand, dass sie sich alle aus Sicherheitsgründen mit ihren Tarnnamen anreden sollten, doch die jetzige Situation kam ihm dafür viel zu intim und emotional vor. Der Blondschopf druckste bei seiner Frage etwas herum und schien unsicher zu sein, ob er seine Gedanken wirklich äußern sollte oder nicht. "Also, ich hab mir gedacht. Jetzt, wo ich deine Vergangenheit kenne und wir wissen, was wir beide füreinander empfinden. Nun, da habe ich mir gedacht....also...naja....Ach, weißt du was? Fuck it, möchtest du mein Partner sein, Toya Todoroki?" Die Frage überrumpelt ihn etwas. Mehr als etwas, wenn er ehrlich war. Er hatte schon damit gerechnet, dass der Andere ihn in näherer Zukunft fragen würde, doch dass es ausgerechnet heute so weit wäre, hatte er nicht erwartet. Über die Antwort musste er jedoch nichtmal eine Sekunde nachdenken. Mit einem Lächeln beugte er sich vor und sprach die Worte aus, auf die sie beide gewartet hatten.
"Sehr gerne...Partner."
Ich schwöre, hätte Toya nicht Ja gesagt, dann hätte ich dieses Buch verbrannt und die Asche ganz tief in der Erde vergraben...
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