6. Kapitel
Ich fülle mein Glas zum unzähligen Mal nach und trinke ein paar Schlücke. Es brennt nur leicht, ich lege den Kopf in den Nacken und drehe mich. „Komm her." Wincent steht plötzlich neben mir und streckt seine Hände in meine Richtung. Ich ergreife sie und wir drehen uns gemeinsam. Immer schneller und schneller.
Das ist das Letzte woran ich mich erinnere, dann ist alles schwarz.
Als ich das nächste Mal aufwache, ist mein Blick verschwommen, ich starre an die hohe Decke und die protzige Lampe, die herab baumeln. Dann richte ich mich auf, und das viel zu schnell. Ich springe auf, steuere die nächste Tür an und habe Glück. Es ist das Badezimmer.
Ganz dunkel erinnere ich mich an Wincent's Stimme, die mir sagt, dass er mich jetzt in sein Hotelzimmer bringt und ich mir keine Sorge machen muss. Und ich wusste genau, das alles gut werde würde.
Es braucht über eine halbe Stunde bis ich das Badezimmer im Hotel wieder verlassen kann. Ich bin vollkommen ausgelaugt, verschwitzt, aber den Alkohol endlich los. Ich habe nie viel getrunken und hatte noch nie einen Absturz. Und deshalb bin ich jetzt so fertig. Mark hat nie zugelassen, dass ich betrunken bin, aber obwohl es mir so schlecht geht, bereue ich es nicht.
Ich stelle mich für fünf Minuten unter die Dusche, weil ich das Gefühl habe, mich nicht mehr länger auf den Beinen halten zu können. Und putze mir dann im Sitzen und mit geschlossenen Augen die Zähne. Zum Glück gibt es in diesem Hotel alles, was ich dafür brauche.
Dann lege ich mich zurück ins Bett, kuschle mich in die Decke und schlafe sofort wieder ein. Was gut ist, denn dann lassen meine Kopfschmerzen vielleicht ein bisschen nach.
Als ich die Augen wieder öffne, bin ich nicht alleine. Merkwürdig, wie ich mich zu hundert Prozent darauf verlasse, dass Wincent sich um mich gekümmert hat. Ich bin froh, dass ich das Bad wieder ordentlich hinterlassen habe und stütze mich behutsam hoch. Ich lerne aus meinen Fehlern. Jedenfalls manchmal.
„Hey, du bist ja wach. Wie geht es dir?" Er hat sein Summen unterbrochen und setzt sich neben mich auf die Bettkante. „Gut," lüge ich und nehme die Wasserflache, die er mir reicht. Die, die vorhin neben meinem Bett stand, habe ich ausgetrunken. „Und jetzt wirklich?", hakt er nach und ich zucke nur mir mit den Schultern.
Wie soll es mir gehen? Der Enthusiasmus von gestern ist verflogen, so als wäre ich nach meinem Hoch in ein ganz, ganz tiefes Loch gefallen. „Ich weiß nicht, was ich machen soll", gebe ich kleinlaut zu und betrachte wieder meine schwarzen Fingernägel.
„Wo wohnen deine Eltern?"
„Meine Mom wohnt in Wilmersdorf."
„Das ist ein Stadtteil von Berlin, oder?" Ich nicke schwach und hebe meinen Blick zu Decke.
„Was hast du gerade gemacht?"
„Wir waren auf einem Ausflug mit dem Team. Du hast so tief geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken." Er zieht einen Mundwinkel hoch und lächelt leicht.
Aber auch er scheint nicht so fröhlich und ausgelassen wie gestern. „Ist denn alles oke gewesen? Nach unserem Drehen auf der Bühne ist bei mir nämlich alles schwarz." Ich versuche mich an einem schiefen Grinsen und es scheint wenigstens ein bisschen zu funktionieren, denn seine Miene hellt sich leicht auf.
„Du hast mich gefragt, ob wir schlafen gehen können und dann hat mein Fahrer uns ins Hotel gebracht. Ich gehe zum Fenster und ziehe die schweren Vorhänge beiseite. Das Brandenburger Tor. Natürlich.
„Ernsthaft, Adlon? Das ist so klischeehaft." Ich grinse und er ebenfalls. „War nicht meine Entscheidung", rechtfertigt er sich schulterzuckend während ich amüsiert den Kopf schüttle.
Als ich ihn auf dem Bett sitzen sehe überkommt mich ein Gedanke, der gleichermaßen beunruhigend und schön ist. „Hast du..?" Ich deute auf das Bett, aber er schüttelt den Kopf. „Nachdem ich mich vergewissert habe, dass es dir gut geht, bin ich rüber gegangen." Er deutet auf eine Tür die der des Badezimmers gegenüberliegt, und die ich zugegebenermaßen noch nicht wirklich wahr genommen habe.
„Achso," sage ich nur und bemerke sofort die leichte Enttäuschung, die sich in mir breit macht. „Traurig darüber?" Er grinst schelmisch und ich zucke nur mit den Schultern. „Ich wäre gerne bei dir geblieben, aber ich wollte dir nicht zu nah treten."
Er lächelt unsicher und mein Herz flattert unruhig. Er ist so unglaublich süß. Meine Wangen färben sich rosa und ich lächle ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. „Wo fahrt ihr morgen hin?", wechsle ich das Thema abrupt und lehne mich ans Bettende. Dann ziehe ich die Bettdecke hoch und kuschle mich ein.
„Dresden." Er setzt sich neben mich und ich hebe die Decke damit er sich ebenfalls zudecken kann. Mit klopfendem Herzen beobachte ich, wie er sich neben mir niederlässt. Sein Oberschenkel streift meinen und ich vergesse für einen Moment zu Atmen. Dann muss ich mich anstrengen, um überhaupt genug Luft zu kriegen.
„Wie spät ist es eigentlich?" Ich räuspere mich, meine Stimme klingt belegt und ich versuche wieder normal zu klingen. „Gleich 19 Uhr, wieso?"
„Was?", entfährt es mir eine Spur zu laut. „Schockiert es dich wirklich, dass du nach deinem Vollrausch einen Tag Schlaf brauchtest?"
„Hm ja oke, eigentlich nicht." Wir lachen und bevor ich drüber nachdenke, lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. Wir sind viel vertrauter miteinander als Menschen, die sich nicht einmal 24 Stunden, normalerweise sein sollten.
„Was möchtest du gucken?", fragt er mich und lehnt seine Schläfe gegen meinen Kopf. Sein Gewicht liegt angenehm auf mir und ich versuche möglichst ruhig zu atmen, damit er seinen Kopf bloß nicht bewegt. Ich will ihn weiterhin spüren.
„Mach einfach irgendwas an", flüstere ich leise und schaue mit einem kurzen Seitenblick zu ihm hoch. Sogar im Profil und von so Nahem sieht er unglaublich gut aus. Seine braunen Haare sind wieder total zersaust und ich würde unglaublich gerne mit meinen Finger durch seine festen Strähnen fahren. Sie sind bestimmt total weich.
„Was ist los?"
„Hm?", brumme ich nur, weil ich nicht weiß, was er meint. „Du hast so süß geseufzt. Und das hat bestimmt irgendeinen Grund."
„Ich bin müde," schwindle ich nur und sehe zu, wie Wincent Prison Break anschaltet.
„Ist das okay?"
„Viel mehr als das", antworte ich leise, rutsche kurz hin und her, bis ich ein Stück näher an ihm dran sitze. Yes, Ziel erreicht.
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