An jedem der nächsten drei Tage ist abends jeweils ein Auftritt. Die Band und auch der Rest der Crew sind spannungsgeladen. Die Luft vor einem Auftritt flimmert und nach dem Auftritt brennt sie. Mit jedem Tag werden wir erschöpfter, gleichzeitig pushen wir uns hoch, genießen das Adrenalin und lassen uns komplett fallen.
Wincent hat mir gestern gesagt, dass ich jetzt ein Teil von ihnen bin und diese Wörter, seine Stimme, laufen nun in Dauerschlafe in meinem Kopf ab. Wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat und nun nur noch diesen einen, immergleichen Teil spielt.
Ohne Zeitgefühl, ohne Ahnung welcher Wochentag heute ist, landen wir am dritten Abend in Prag. Wir schlafen alle fast bis 14 Uhr und schaffen es dann tatsächlich eine Tour durch die Stadt zu machen. Wir schlendern, Macrones essend, durch die kleinen Nebenstraßen, entdecken einen Süßigkeitenladen neben dem Anderen und trinken Unmengen an Kaffee.
Spaßeshalber eröffnet Wincent eine Liste und bewertet jedes Cafe und jedes Restaurant, das wir betreten mit einer bis, im besten Fall, fünf Tassen Kaffee. Seine Instagram Follower freuen sich ungemein darüber, dass sie so genau über seinen Tag informiert werden. Wir folgen dem Tipp eines Fans und finden einen Starbucks, der mit dem schönsten Blick über Prag ausgestattet ist, den man sich vorstellen kann. Die Häuser, die Karlsbrücke und die Moldau wirken winzig, so weit oben sind wir.
Mein Handy quillt über von Fotos des Prager Burg oder der einzigartigen St. Vitus Kathedrale und machmal bleibe ich einfach abrupt stehen, weil mir die Bedeutung und die Schönheit dieses Ortes die Sprache und das Bewegungsvermögen raubt.
Wincent rempelt mich dann immer absichtlich an und legt schützend den Arm um mich, damit ich nicht stolpere. Dieser gerissene Idiot. Jedes Mal wagen sich seine Finger ein wenig weiter vor.
Als wir uns zum Soundcheck in der Open Air Bühne aufmachen, die eine halbe Stunde entfernt ist, sind wir alle schon wieder geladene Energiebündel. Wincents Hände wringen sich immer wieder und er fährt unzählige Male durch seine Haare. Keiner kann still sitzen oder ein vernünftiges Gespräch führen und ich nippe an meinem fünten Kaffee, während ich die anderen analysiere und mir dem Grinsen auf meinem Gesicht nur zu bewusst bin.
Ich bin so übermütig und glücklich in diesem Moment, dass ich mir keinen besseren Ort oder andere Menschen vorstellen kann. Das Mädchen auf der Toilette in dieser Nacht hatte mir gesagt, dass alles wieder gut wird. Und tatsächlich kommt es mir so vor, als hätte alles genau so kommen sollen. Denn sonst wäre ich nicht hier. Wenn es in meiner Macht stünde die Zeit zurück zu drehen, würde ich es nicht tun. Ich würde mich, trotz des Schmerzes, immer wieder für genau diesen Weg entscheiden.
Als ich gestern mit meiner Mutter telefoniert habe, hat sie schon etwas in diese Richtung angedeutet und mich damit überhaupt erst auf diesen Gedanken gebracht. Sie wusste es mal wieder, bevor es mir selbst klar wurde. Und das ist nur eine ihrer Superkräfte. Mit einem Lächeln wähle ich ein paar von den heutigen Fotos aus und schicke sie ihr.
Bei einem zögere ich einen Moment länger. Es sieht so intim aus, dass ich kurz die Fassung verliere. Wir sehen aus wie ein Team. Wie eine richtige Einheit. Als würden wir uns schon Jahre kennen. Als wüssten wir alle Geheimnisse der Anderen. Ich lächle in die Runde und kichere leise, als Jack meinen Blick auffängt und mich kritisch mustert. Seinen Blick nach zu urteilen könnten gerade rote Flammen in meinen Augen glühen. Er streckt die Arme nach oben. "Was stimmt nicht mit dir? Allen tun die Füße weh von deinem erzwungenen Spaziergang und du erfreust dich an unserem Leid? Weißt du, wie man sowas nennt, du Sadist!?"
Ich lache los und und sehe genau wie Jack schmunzelt, bevor er sich wegdreht. Ray lächelt mir gutmütig zu, keine Spur mehr von seinen Rachegelüsten. Und Ed ist mit seinem Handy beschäftigt, also nur körperlich anwesend.
"Jungs, was haltet ihr davon, wenn wir morgen den Off Day mit einer kleinen und entspannten Party feiern? Ich finde, dass habt ihr euch verdient." Kleines Friedensangebot.
"Auja!" Jacks euphorischer Ausruf bringt die anderen zum Lachen, aber auch sie stimmen deutlich zu. "Dann ist das beschlossene Sache", stelle ich erheitert fest.
Als der Souncheck durch ist und alle Vorbereitungen getroffen sind, ziehen wir uns in die Lounge, die sich unter der Bühne befindet, zurück. Caro, ein Mitglied der Crew, bringt uns ein paar Cocktails und lässt sich dabei auf einen kurzen Flirt mit Jack ein. Wir anderen beobachten das mit einer Mischung aus Ekel und Faszination.
Ich stürze meinen Cocktail runter und Ed nimmt sich ein Beispiel an mir und bestellt gleich noch mehr. "So ein Verhalten lobe ich mir", rufe ich ihm mit hochgestrecktem Daumen zu. Die Musik zu übertönen stellt sich als gar nicht so einfach heraus und als ich mich auf die Suche nach dem Handy begebe, dass mit der Anlage verbunden ist, steht Wincent auf und hält es mit einem überlegenden Grinsen über seinen Kopf. "Witzig", bemerke ich trocken und ernte dafür lediglich ein höchstamüsiertes Grinsen.
"Nehm dich in Acht, Bruder", empfiehlt Jack weise, während ich mich auf Wincent zu bewege. Dieser verharrt siegesgewiss. "Zeigs ihm, Vila", feuert Ed mich leise an und nimmt einen Schluck von seinem neuen Cocktail. Er sieht begeistert und mit funkelnden Augen zu.
Ich stelle mich ganz nah vor Wincent und beuge mich zu ihm rüber. "Was willst du?", frage ich leise und darauf bedacht mich ganz ruhig zu geben. Er schluckt und mustert mich mit frisch erwachtem Interesse. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, so dass mein Atem an seinem Ohr kitzelt, als ich sage: "Das ist schon fast enttäuschend leicht, Süßer." Ich lasse meine Hand über seinen Arm auf seine Schulter gleiten und greife mir in einer flinken Bewegung mit der anderen das Handy.
Lachend tanze und singe ich zu Lily Allens Fuck You und trinke genüsslich meinen nächsten Cocktail. Ich versuche meinen provozierenden und triumphierenden Blicke Einhalt zu gebieten, aber sie machen einfach was sie wollen. "Du wirst das nachher bereuen." Wincent steht plötzlich hinter mir und hat seine Hand beitzergreifend auf dem unteren Teil von meinem Bauch platziert.
"Achja?", frage ich herausfordernd und recke das Kinn. "Was willst du denn machen?" Er leckt sich über die Lippen und ich folge gebannt jeder Bewegung. "Das wirst du noch früh genug herausfinden. Mach dich auf etwas großartiges bereit." Mit einer wegwerfenden Geste versuche ich ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber mein trockener Mund lässt sich davon nicht beirren. Nicht mal ein winziges bisschen.
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War von euch schon mal jemand in Prag?
Das ist die Aussichtsstelle, die oben erwähnt wurde❤️
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