51 ♪ Bochum
Du hast 'n Pulsschlag aus Stahl
Man hört ihn laut in der Nacht
Du bist einfach zu bescheiden
Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt
Du Blume im Revier
Bochum, ich komm aus dir
Bochum, ich häng an dir
Glück auf, Bochum
[ Herbert Grönemeyer ]
NIALL ║ „Ich kann nicht glauben, dass wir das tun", hörte ich mich zum gefühlten 100ten Mal sagen. Es war Mitte August und eigentlich wollte ich Mara nur in Berlin besuchen. Sie hatte fünf Tage frei und ich sieben. Doch stattdessen war ich jetzt in einen ganz anderen Teil von Deutschland und rannte hinter Spencer her, der genau zu wissen schien, wo er hin wollte und gleichzeitig auch nicht.
Leicht fröstelte ich und neben mir richtete Harry seine Snapback. Obwohl es draußen schon dunkel war, waren es immer noch gefühlte 35 Grad - knallharter Hochsommer eben. Unter der Erde sah es da anders aus. Wir standen an einem Hauptbahnhof und als Spencer endlich stehen blieb, da las ich, dass wir mittlerweile in Bochum waren.
Irgendwo bei Köln oder war es Düsseldorf? Deutschland kannte ich nicht besonders gut.
Den ganzen Tag hetzten wir schon. Erst von Berlin mit dem Zug hierhin, dann ins Hotel und jetzt hatte ich eigentlich das Verlangen nach einer kühlen Cola, gerne auch nach einem Pool.
Mara nahm den Hut von meinem Kopf und fächelte sich damit Luft zu. Obwohl sie lediglich eine Jeans mit gekrempelten Hosenbeinen trug und ein Ringelshirt in schwarzweiß – mein Shirt – so würde ich mit ihr viel lieber über ein Hotelbett rollen und sie ausziehen, als hier lang zu latschen.
„Hör auf zu mosern", hielt meine Freundin mir vor und grinste. „Du wirst das klasse finden! Es gibt nichts Tolleres als das!"
Alleine, wie überzeugt sie klang – ich bezweifelte, dass irgendetwas Zeit zu zweit toppen konnte. Deshalb schwieg ich. Eine Straßenbahn fuhr ein und Spencer kontrollierte die Nummer, dann sprangen wir rein.
Es war eine merkwürdige Aktion, Harry war seltsam unauffällig gekleidet, während Spencer sich mit dem Zeigefinger immer wieder eine Brille zurück auf die Nasenwurzel schob. Beide wirkten nicht wie sie selbst und noch mehr irritierte es mich, wie sie sich verhielten. Sie küssten sich selten, nur dann, wenn niemand so genau hinsah.
Ich wusste, dass sie in der Öffentlichkeit Händchen hielten, aber nicht in Anwesenheit von Freunden. Stattdessen waren da eher Blicke und kleine Gesten. Vielleicht war das auch einfach nur ihr Ding. Ich ließ mich jedenfalls nicht einschüchtern, wenn es darum ging meine eigene Freundin vor ihren Freunden zu küssen oder sie in meine Arme zu ziehen.
„Ich moser nicht", verteidigte ich mich nun als wir uns auf die Plastiksitze setzten. „Also, wo genau geht es jetzt hin?"
Spencer räusperte sich, dann ließ er die Bombe platzen: „Wir sind auf dem Weg zu einem Songbattle."
Ich blinzelte, Mara grinste und selbst Harry schien aus allen Nähten vor Vorfreude zu platzen. Und langsam dämmerte es mir: „Ihr wart alle schon einmal auf einem, oder?"
„In Berlin, es war sehr, sehr interessant", gab mein Kumpel zu, während meine Freundin strahlte: „Alex und ich haben Spencer in Nashville gefunden. Das ist definitiv etwas für dich!"
Die Bahn ratterte vor sich hin, Leute stiegen aus, andere ein und schließlich fragte Spencer: „Wie lange denkt ihr, dass ihr noch mit der Undercover-Nummer durchkommt, Miss England?" Er sprach darüber, dass wir es bislang noch nicht in die Klatschspalte geschafft hatten. Das war keine Absicht, wir waren einfach nicht aufgefallen.
„Ach, wir wollen euch nur nicht nachmachen", konterte Mara gelassen. „Die Instagram-Nummer ist euer Kram. Wäre platt, wenn wir das auch täten, also lassen wir es drauf ankommen."
„Genau", ich legte einen Arm um ihre Schulter. „Wir können nichts dafür, dass Kiddos 0815-Gesicht funktioniert wie ein Tarnumhang." Ich bekam einen Ellenbogen in die Rippen, aber Mara wusste selbst, dass ich recht hatte. Trotzdem war es nur noch eine Frage der Zeit.
Nach fast 25 Minuten sah Spencer auf die Anzeige und stand auf. Wir mussten an der nächsten Station raus und zu meiner Verblüffung standen noch fünf ältere Rocker auf dem abgewetzten Bahnsteig. Die Anderen schienen sich da gar nicht drum zu kümmern und stattdessen hielt Spencer das Handy hoch und plapperte: „Jetzt sind wir im Revier, die Leute sagen auch Pott, wegen dem Bergbau."
„Das raffe ich nicht", gab Harry zu und Spencer erklärte: „Es ist die Abkürzung für Kohlepott. Denn die Städte sind auf Kohle gebaut, denn nach dem zweiten Weltkrieg-."
„Okay, das reicht, mach keine Geschichtsstunde raus", mischte sich Mara ein. Wir trampten einem schmalen Weg entlang, das Gras stand verwahrlost hoch und gerade, als es unheimlich dunkel wurde, da leuchteten die Rocker hinter uns mit riesigen Taschenlampen.
Sie rissen irgendwelche Witze auf Deutsch als sie an uns vorbeigingen. Doch wir konnten ihnen ohne Probleme folgen. Auf einem riesigen Parkplatz standen mehrere vereinzelte schwere Fässer in denen Feuer brannte. Ein paar Autos parkten zerstreut und eine Ansammlung von schweren Bikes war zu sehen, aber auch kleine Mofas. Das Gelände war umzäunt und wirkte verlassen, die Natur eroberte sich zurück, was einst ihr gehörte.
Ich war noch nie auf einem Zechengelände gewesen, jetzt sah ich, dass der Förderturm farblich beleuchtet wurde. Spencer erklärte was vom Maschinenhaus und was wusste ich nicht alles. Doch für mich sah alles nach geschlossenen Fabrikhallen aus.
Vor dem Gelände gab es zu meiner Verwunderung Security. Die Schlange war nicht besonders lang und irritiert sah ich, dass nicht jeder eingelassen wurde. Einige zogen frustriert wieder ab.
„Was ist da los?", fragte ich Spencer und dieser antwortete: „Sie haben die Codes nicht richtig entschlüsselt."
Es gab einen Code? Mara erklärte, dass nicht jeder wusste, wann und wo ein Songbattle stattfand, manchmal gab es zu Zeit und Ort noch ein Codewort. Kam ganz drauf an, wo man den Code fand. Nicht immer war das Wort am Ende gleich.
„Mach dir keine Sorgen", sprach Spencer. „Ich habe das drauf die Codes zu entschlüsseln." Bisschen weniger Arroganz würde ihm auch gut tun.
Vor uns die Männer murrten, denn Security diskutierte mit ihnen und schließlich dröhnten tiefe Stimmen. Sie sangen ein Lied und sofort ließ Harry es neben mir übersetzten.
„Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht schon angezündt, schon angezündt. Hat's angezündt, 's wirft seinen Schein, und damit so fahren wir bei der Nacht, und damit so fahren wir bei der Nacht ins Bergwerk ein, ins Bergwerk ein."
„'Glück auf' wird auch in England unter den Bergmännern gesagt, aber bei uns heißt es eher so was wie 'viel Glück'", erkannte Harry, „und das, was sie da singen ist das typische Steigerlied."
Als die Männer endeten, applaudierten sowohl Security, als auch weitere Leute, die hinter uns in der Schlange standen. Die Rocker wurden durchgelassen und wir schoben Spencer vor. Dieser räusperte sich und sprach: „Barbara von Nikomedien."
Unser Codewort war also ein Anderes. Ich hätte das Steigerlied auch kaum mitsingen können. Zwei der hünenhaften Aufpasser runzelten die Stirn, dann fragte einer etwas auf Deutsch und Spencer erklärte: „Sorry, wir sprechen nur Englisch."
„'kay. Du wissen wer Barbara von Nikomedien?"
Aua für das Denglisch.
„Ja, Schutzpatronin der Bergleute", antwortete Spencer sofort und ich begriff, dass er wirklich wusste, wie der Hase bei solchen Songbattles lief. Kurz zuckten die Mundwinkel des Aufpassers: „Wo kommst du her?"
„Nashville", sprach Spencer und deutete auf uns: „Zweimal London und dann Irland, irgend so eine Provinz."
Hey!
„Viel Spaß", nickte der Typ das Passwort ab und ließ uns rein. Jetzt betraten wir das eigentliche Zechengelände und ich staunte. Bei der Sommerhitze fand der Battle draußen statt. Es gab Bierbuden, Würstchen wurden gegrillt und man konnte Taschenlampen kaufen, aber auch Leuchtfarbe, die man in coolen Kunstwerken auf den Körper gemalt bekam.
„Ist ein bisschen wie auf dem Rave in Los Angeles", fand Harry und sah ihn verblüfft an: „Du warst auf einem Rave?"
„Was denkst du, wo ich Harry aufgegabelt habe", mischte Spencer sich ein. „In einem Höschen-Club?" Er klang spöttisch und zwinkerte, also konnte ich nicht sagen, ob er mich gerade verarschte oder das ernst meinte.
Mara lenkte mich ab, sie griff nach meiner Hand und dann mischten wir uns unter die Leute. Es war hier wie auf einem Festival, nur kleiner und bunter. Sämtliche Altersklassen, Gesellschaftsschichten und Musikliebhaber fanden zusammen.
Ich erkannte Rapper, Otto-Normal-Verbraucher, ältere Leute, aufgekratzte Studentinnen, als wären wir in einem Topf mit Schmelztiegeln gefallen. Aus zahlreichen Boxen dröhnte Musik, aber ich sah keinen DJ. Dafür aber eine Bühne, die sich mitten drin befand und rund war. Die Leute versammelten sich darum, allerdings ohne zu drängeln.
„Hey Niall, was hältst du davon hier mitzumachen?", fragte Spencer mich als wir Getränke holten. Mara und Harry hockten auf Gerüsten und hielten einen guten Platz frei. Da ich kein Alkohol trank, wollte ich der Hitze mit Wasser entgegentreten.
„Wie läuft so was denn ab?", stellte ich die Gegenfrage und wenige Sekunden darauf erklärte Spencer mir, dass Songbattle nach K.O. - System funktionierten. Aktuell gab es also 16 Plätze für Teilnehmer. Jeder brachte einen Song vor, es wurde nach dem Publikum entschieden. Pro Runde musste man einen neuen Song bringen. So gab es also insgesamt 30 Songs, die heute Nacht performt wurden.
„Eigentlich ganz simpel."
„Wieso machst du nicht mit?", horchte und Spencer schmunzelte: „Das habe ich schon. Ich dachte nur, es wäre für dich cool zu wissen, wie deine neue Stimme Abseits des bekannten Fandoms ankommt. Hier ist zumindest eine Gelegenheit, weil den Leuten total egal ist wer du bist und woher du kommst. Es geht nur um die Musik."
Wollte ich das?
Zugegeben, es klang mehr als nur verlockend. Wir gingen zur Anmeldung und ich erfuhr, dass noch drei Plätze frei waren. Spencer blieb gelassen: „Es macht Spaß und du bist kein Depp, der sich bei irgendeiner Talentshow zum Affen macht, nur um ins Fernsehe zu kommen."
„Es macht wirklich Spaß", sprach eine Stimme hinter uns und ich sah auf einen molligen Mann mit Glatze und rostroten Bart. „Gehört ein bisschen Mut dazu, aber ansonsten ist es eher eine Party als ein Wettkampf."
„Haben Sie das schon mal gemacht?", fragte ich und der dicke Mann nickte, das Lächeln auf seinen Lippen war breit und zufrieden: „Ja und ich kann Ihnen versichern, das Gefühl ist größer, als bei einer Talentshow mitzumachen."
Das klang ehrlich. Spencer klopfte mir auf die Schulter: „Ich schwöre, du bereust es, wenn du es nicht probierst."
„Das habe ich bei meinem ersten Songbattle auch gedacht", gab der Typ zu und ich atmete tief durch, dann wandte ich mich ab und meldete mich an. Ich war die Nummer elf und in der sechsten Runde dran. Man musste aufschreiben, welchen Song man brachte und dabei half Spencer mir.
Ich bekam erklärt, wie man auf die Bühne kam, dass die Live-Band verteilt auf dem Platz spielte und zum ersten Mal bemerkte ich das Schlagzeug auf einer Erhebung und Boxen auf denen der Eine oder Andere gerade seinen Bass anschloss. Es wirkte chaotisch, doch das war es nicht, die ganze Veranstaltung war gut durchorganisiert, lebte aber von der Bereitschaft der Musiker, die ihr Können demonstrieren wollten.
Der runde Kerl hinter mir meldete sich als nächstes an und würde somit mein erster Gegner sein, er nickte mir freundlich zu: „Freue mich drauf." Seinem Aussehen nach würde er sicher Heavy Metal oder Hard Rock bringen.
Zurück am Treffpunkt mit den Getränken in den Händen sah Mara mich mit großen Augen an, als ich ihr erzählte, was eben geschehen war: „Oh wow! Ich drücke dir ganz fest die Daumen, das wird sicher toll."
Ich reichte ihr die Flasche Bier und merkte erneut kurz das Ziehen im Magen. Seit dem Entzug trank ich keinen Alkohol mehr, geschweige denn nahm ich Medikamente. Doch manchmal vermisste ich den Geschmack von Bier qualvoll.
Als hätte Mara meine Gedanken gelesen, stellte sie sich auf die Zehnspitzen und küsste mich. Das unangenehme Gefühl im Magen wurde durch etwas Warmes vertrieben. Wir sahen kurz stumm einander an und der Verzicht wurde leichter.
Ganze zwanzig Minuten mussten wir noch warten, dann wurde die Musik eiskalt abgedreht und man hörte das Horn eines Typhon. Sofort verstummten die Gespräche und das Licht veränderte sich. Die Scheinwerfer gingen aus, man sah Taschenlampen, Leuchtfarbe und ansonsten Handys.
Und plötzlich, völlig überraschend hörte man eine verlebte, dynamische Stimme. Ich hatte sie noch nie gehört, aber sie war unglaublich speziell. Die Leute um uns herum jubelten auf, jeder schien die Stimme zu erkennen.
Klaviermusik setzte ein, ein Scheinwerfer leuchtete schwach auf die runde Bühne, dort stand jetzt ein riesiger Flügel und je heller das Licht wurde, umso besser erkannte ich den Mann.
Er war bereits etwas älter und komplett in schwarz gekleidet. Seine Stimme hallte wie ein Intro über unsere Köpfe hinweg. Leider verstand ich nicht, was er da sang und sofort rückten wir näher zu Harry, der das Lied erkennen und übersetzten ließ.
Erst viel später wurde mir klar, dass wir uns auf dem Territorium von Herbert Grönemeyer befanden und er mit dem Song 'Bochum' sein Revier absteckte. Für die Menschen hier war er der Herr über der Kohle und das machten sie unmissverständlich klar, als sowohl Schlagzeug, Bass und andere mit einstiegen.
„Ich würde das echt gerne filmen", seufzte Spencer, doch ich verstand warum er es nicht tat. Das Videomaterial würden die Fans nicht verstehen, wenn sie kein Deutsch konnten.
Grönemeyer ließ den Refrain aus und stattdessen sangen sämtliche Besucher ihn mit. Das Ganze hatte ein Bisschen etwas von einem Stadionbesuch beim Fußball. Die Stimmung war jedenfalls unglaublich gut und ich verstand den Reiz hinter dieser Sache.
Ob es so etwas in London oder Dublin auch gab?
Nach seinen Auftakt klatschte Grönemeyer mit einen unscheinbaren Mann in Kappe, Karohemd und Jeans ab, dieser bedankte sich höflich und tobender Applaus war zu hören. Mara informierte sich bei der Frauentruppe vor uns, wer die Moderation übernahm.
„Das ist Wolle", erklärte eine fragwürdig geschminkte Blondine. „Der ist in Rente, aber das hier macht er immer!"
Da die Moderation auf Deutsch war, verstanden wir nichts, aber das störte uns nicht. Wolle, oder wie Google sagen würde, Wolfgang Petry, begrüßte die Leute, zeigte auf die Tafel, wo der Songbattle im K.O. - System aufgestellt war und dann wechselte er ganz kurz ins Englische.
Sichtlich geflasht röhnte Wolfgang Petry ganz Herr der Lage ins Mikro: „Haben wir Besuch aus anderen Ländern?"
Oh ja und wir waren nicht wenige, dann nicht nur wir jubelten, sondern auch andere kleine Gruppen, die in der Menge versteckt waren.
„Genießt den Abend Leute! Wir beginnen mit Runde eins!", kündigte er an.
Der Erste zu sein war immer Scheiße, aber ich erkannte sofort, dass jemand mit Erfahrung den Anfang machte. Ein blonder Typ mit Locken wusste, wie er die Runde Bühne für sich benutzen konnte. Tim Bendzko hatte eine weiche und markante Stimme. Der Song war kein Knaller, aber er hatte definitiv Gefühl.
Sein Gegner war ein Mann Namens Max Giesinger und schien ebenfalls kein Unbekannter zu sein. Das Duell ging allerdings für diese blonde Locke positiv aus.
Was richtig interessant am Songbattle war, war die Vielfalt. Wir hörten Old Country vs. Rap. Und komischer Weise entschied sich die Menge für den Country des alten Mannes, der einen Schlauch in der Nase hatte.
Runde drei gewann ein hübsches Mädchen mit dunklen Locken, sie sang auf Türkisch und obwohl ich kein Wort verstand, war die Stimme nicht übel. Außerdem sah man ihr an, dass sie nicht vorhatte das nächste Treppchen auszulassen.
Da hatte der typisch deutsche Schlager keine Chance gegen. Doch das schien den steifen Kerl mit dem akkuraten Seitenscheitel egal zu sein. Er bedankte sich trotzdem für die Unterstützung und schien glücklich darüber, dass er seine vier Minuten bekommen hatte.
Ein sportlicher Student coverte von OneRepublic den Song 'Stop and stare', das war wirklich nicht übel. Ausgelassen grölten Spencer und Harry den Refrain mit, aber auch Mara schien er gut zu gefallen. Ich filmte die Drei dabei, damit ich Louis zeigen konnte, was er verpasste.
Die Band, die bei diesem Songbattle spielte hatte jedenfalls arg was drauf, das hier war definitiv kein schlechtes Karaoke. Viel, viel später würde uns jemand erklären, dass die Band früher bei einem Entertainer namens Stefan Raab in der Show spielte und für heute nicht eben fix zusammengewürfelt worden waren.
Doch jetzt verstärkte sich nur ein Gefühl mehr und mehr, nämlich: Hier war es tatsächlich egal, wer man war, denn die unbekannten Leute waren mehr Herzmusiker, als die beiden Pflaumen am Anfang.
Die vierte Runde entschied eine Hausmutter, die 'Too good at goodbyes' von Sam Smith so traurig auf uns losließ, dass in einigen Reihen Tränen flossen. Es war unglaublich still und die klare Stimme berührte. Dagegen kam ein gutes Aussehen und eine normale Stimme nicht an.
Ich sah, wie Harrys Hand Spencers umschloss und er kurz deren Fingerspitzen küsste. Da war sie wieder, eine kurze Geste, die im Augenblick darauf wirkte, als wäre sie nie dagewesen.
Mara blinzelte angestrengt aufstauende Tränen beiseite: „Hab' was ins Auge bekommen."
Automatisch musste ich grinsen und zog sie in eine Umarmung: „Vielleicht in bisschen viel 'Too good at goodbyes'?"
Nervosität machte sich in mir breit als die fünfte Runde begann. Wolfgang Petry sprach mit dem Publikum und ich wünschte erneut, ich würde Deutsch verstehen. Er hatte die Leute gut unter Kontrolle, sie hoben alle einmal den Becher und die Bierflaschen, da sie auf irgendetwas tranken.
Der Blick der Leute ging auf die Tafel, wo man das K.O. - System genau überblicken konnte und schließlich kam der nächste Künstler und Musiker. Ein junger Mann mit blonden Haaren turnte auf der Bühne herum, er wirkte wie ein harmloser Milchbubi, doch Milchbubi setzte die Latte hoch an.
Ich kannte das Klaviersolo, das zuerst gespielt wurde und meine drei Begleiter auch. Sofort fummelte Spencer sein Handy aus der Hosentasche und wir hörten 'Rockstar' von The Metropolis.
„Ist nicht war!", kreischte Mara völlig außer Rand und Band. Auch Spencer bekam sich überhaupt nicht mehr ein: „What the hell!"
Harrys und mein Blick kreuzten sich, wir kannten die Begeisterung, denn für welchen Künstler war es keine Ehre, wenn sein Song genutzt wurde?
'Rockstar' brachte definitiv ordentlich Schwung in den Battle und ich konnte die Freude von Mara und Spencer also nur zu gut verstehen. Überschwänglich tanzten sie zur Party und wir bekamen raus, dass der Milchbubi, alias Luke Mockridge eigentlich ein Komiker war.
„Wird Zeit dem auf Instagram zu folgen", fand Spencer und Mara linste über sein Handy, damit sie das später nachholen konnte.
Da ich direkt los musste, um gleich in Runde sechs anzutreten, bekam ich nur am Rande mit, dass 'Everybody needs somebody' von einem Couch-Potato versuchte nach Luke Mockridge für Stimmung zu sorgen.
An sich ein super Song, aber der Mann hätte es besser mit etwas Ruhigerem versucht. Seine Stimme war zu dünn für so viel Volumen, noch dazu für einen Song der von zwei Leuten gebracht wurde.
Hinter der Bühne gaben mir zwei Techniker Anweisungen, wo ich mich aufhalten durfte, wie das Mikrofon funktionierte und während das Publikum entschied, dass Milchbubi weiter kam, da bemerkte ich, dass auch der dicke Typ mit der Glatze und dem rostroten Bart da war.
„Aufgeregt?", fragte er und ich verneinte: „Wird schon."
Er lächelte: „Ich mache mir immer fast in die Hose, wenn ich irgendwo dran bin."
„Man gewöhnt sich doch dran", behauptete ich, aber er sah das ein wenig anders: „Es ist keine Angst, sondern eher Vorfreude. Hab gleich Spaß da draußen."
Ich wusste nicht warum, aber wir stießen die Faust aneinander und ich sprach: „Viel Glück."
„Dir auch."
Dieser Wolfgang Petry checkte die Tafel ab, kündigte die sechste und vorletzte Runde an. Ich nahm mir fest vor, dass ich unbedingt einen Songbattle in einem Land besuchen würde, dessen Sprache ich verstand. Ich hörte, wie er nur meinen Vornamen sagte und leider sprach er ihn auch noch: „Neal", aus.
Das Mikro wog schwer in meiner Hand als ich die runde Bühne betrat und der ordentliche Drums meines Songs ging los. Spencer hatte mir zu 'Walk this way' von Aerosmith geraten und obwohl ich das Lied kannte, hatte ich es noch nie gesungen.
Es war ein kluger Ratschlag.
Die Akustik-Band war der Hammer und ich hörte zum ersten Mal, dass meine neue Stimme so viel mehr konnte als ich ihr überhaupt zutraute. Ohne auch nur einmal ein Brennen im Hals zu spüren, kam meine Stimme gegen den E-Bass erstaunlich kraftvoll an.
„Backstroke lover always hidin' 'neath the covers, till I talked to your daddy, he say. He said you ain't seen nothin' till you're down on a muffin, then you're sure to be a changin' your ways." Sich auf einer Bühne zu bewegen, das hatte ich schon immer recht gut gekonnt, aber dieses Mal war es anders.
Vielleicht lag es am Song, ich wusste es nicht.
„I met a cheerleader, was a real young bleeder, oh the times I could reminisce. 'Cause the best things of lovin' with her sister and her cousin, only started with a little kiss. Like this!", ich holte Luft und als ich: „Walk this way", zum Refrain machen wollte, da stiegen die Leute mit ein. Sie dröhnten den Refrain mit mir zusammen.
Das hier war großartig.
Ich stand alleine auf der Bühne und gleichzeitig war ich es nicht. Es ging nicht darum Leute zu unterhalten, sondern mit ihnen eine riesige Party zu feiern.
Ich versuchte Mara, Harry und Spencer in der Menge auszumachen, aber das war aussichtslos. Stattdessen genoss ich vier Minuten, die viel zu schnell vorbeigingen.
Meine eigene Stimme hallte in meinen Ohren wieder. Rau, kräftig und komplett anders, doch das war in Ordnung. Mit einem energischen und treffsicheren: „Just gimme a kiss. Like this!", beendete ich die Herausforderung in totaler Zufriedenheit. Der Applaus war nebensächlich, mein rasendes Herz dagegen nicht.
Absolutes Glück durchflutete mich.
Es war mir völlig egal, dass ich nicht über das Achtelfinale hinaus kam und es gar nicht erst in den zweiten Durchgang schaffte. Nach mir trat ein Meister des Souls an und gegen ihn zu verlieren war keine Niederlage, denn Andreas Kümmert war inspirierend.
Ich hörte ihn mit meinen Freunden zusammen. Neben Mara genoss ich seine Stimme, hielt sie in meinen Armen und war glücklicher denn je. Ich hatte etwas viel Wichtigeres an diesem Abend gewonnen.
Denn dies war die Nacht, in der ich meine Stimme wieder lieben lernte.
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