48 ♪ Amazing
There's a hole in my soul
But one thing I've learned
For every love letter written
There's another one burned
So you tell me how it's gonna be this time
[ Aerosmith ]
SOPHIA ║ Spät und mit schweren Schritten verließ ich das Piccola Italia. Dank Mara und Penny liebte ich die Küche von Donna Rossi und Eleanor bekam man sowieso nirgendwo anders mehr hin, wenn es darum ging essen zu gehen.
Gemütlich, mit Wein aufgeputscht und vom italienischen Essen geschwängert, schlenderte ich die eisigen, verschneiten Londoner Straßen entlang. Ich hatte eine Flasche Wein dabei und ein paar Häppchen, die Donna Rossi übrig hatte.
In drei Tagen war Weihnachten und ich hatte zwar mittlerweile sämtliche Geschenke und meine komplette Arbeit erledigt, aber richtig frei fühlte ich mich nicht.
Irgendetwas schien zu fehlen und ich wusste ganz genau, was es war. Denn ich hatte seit drei Wochen keine Blumen mehr bekommen. Mir fehlte das. Diese kleine Überraschung, die einen ganzen Tag verändern konnte.
One Direction war wieder in London, ich sah auf Twitter einige Bilder. Niall wirkte erholter, frischer, wenn auch noch nicht komplett so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Hin und wieder schrieb ich mit Liam, aber da blieb diese Grenze. Ich mochte sie nicht, wusste allerdings auch nicht, wie ich sie überschritt.
Unter meinen Füßen knirschte der frische Schnee und als ich das letzte Mal abbog, da erreichte ich endlich die Straße, in der ich wohnte. Ralph wartete sicher auf mich, wir mussten noch eine Runde Gassi gehen.
Vor der zweiten Laterne blieb ich stehen und blinzelte verblüfft.
Neben einem schwarzen Hyundai lehnte Liam. Er hatte sich die Mütze tief ins Gesicht gezogen und trat von einem Bein auf das andere. Dann hob er den Kopf und entdeckte mich, er lächelte leicht.
„Was machst du hier?", fragte ich und trat auf ihn zu. Es war mitten in der Nacht und er rieb die Hände aneinander: „Eigentlich wollte ich dir Blumen vorbeibringen, aber dann habe ich es mir anders überlegt."
Ich verstand ihn nicht und schwieg. Liam stieß sich vom Wagen weg, schließlich sprach er: „Musst du Weihnachten unbedingt nach Hause?"
„Nein", ich wurde erwartet. Meine Schwester schwenkte ihr vor meiner Nase herum, mein Vater hatte seine neue Lebensgefährtin und im Endeffekt würde ich ganz sicher das fünfte Rad am Wagen sein. Das war in Ordnung, aber ich hätte nichts dagegen auch einfach nicht zu ihnen zu fahren.
Kurz räusperte er sich, sah mich fest an und fragte: „Würdest du Weihnachten auch mit mir verbringen?"
Ich musste lachen: „Liam, deine Familie teilt dich an den Feiertagen nur ungern und das weißt du. Außerdem ist es bei denen Schwestern am Tisch immer sehr eng."
„Du wirst mich nicht teilen müssen", sprach er ruhig. „Ich will gar nicht erst nach Wolverhampton fahren."
Jetzt war ich komplett verwirrt und er sah mir das an der Nasenspitze an. Liam nahm die Hände aus den Manteltaschen: „Wie schnell kannst du packen, Sophia?"
„Ich kann Ralph nicht hierlassen", antwortete ich prompt und dachte an meinen kleinen Hund. „Eleanor fährt morgen früh nach Manchester und-"
„Wir nehmen Ralph mit", beschloss Liam und machte eine Handbewegung die zum Hauseingang deutete. Überrumpelt sperrte ich wenig später die Tür zu meiner Wohnung auf, wurde von Ralph freudig begrüßt, doch der kleine Verräter sprang zuerst um Liams Beine herum, so als würde er einen alten Freund wiedersehen.
„Was für Gepäck brauche ich?", ich konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich mit ihm mit wollte. Eigentlich war das doch absurd. Hinter mir streichelte Liam Ralph ausgiebig und antwortete: „Alles was warm hält wäre praktisch."
Also zog ich meinen Reisekoffer aus dem Schrank und warf rein, was mir zwischen die Finger kam. Dicke Pullover, lange Hosen, gefütterte Stiefel und Mütze samt Schal. „Wo fahren wir hin?"
Im Flur spielte Ralph mit Liam und dieser hielt inne: „Nach Schottland."
„Und was wollen wir da?", horchte ich und schritt ins Bad. Schnell hatte ich alles beisammen, was mir wichtig vorkam. Schlussendlich nahm Liam mir den Koffer ab und nickte auf die Tüte in der Küche: „Wenn das Essen ist solltest du es auch mitnehmen."
„Man könnte meinen, du entführst mich", sprach ich und er grinste: „Ein wenig ist das auch so."
Minuten darauf verstauten wir mein Gepäck, einen Sack Hundefutter für Ralph, den Kleinen selbst und Tüten mit Lebensmittel im Wagen. Dass Liam schon selbst eingekauft hatte, sah ich an den Wasserkisten und erspähte Gemüse, Obst und Kaffee.
„Ich bekomme mehr und mehr das Gefühl, dass ich jemanden sagen sollte, wo ich hinfahre", meinte ich und setzte mich auf die Beifahrerseite. Hinten sprang Ralph auf seinen Platz und Liam grinste: „Harry weiß Bescheid."
Na ob mich das beruhigte.
Wir fuhren lange. Schnee sorgte für gedrosseltes Tempo, ich schlief im Auto ein, denn Liam ließ Musik laufen, ab und an Staubnachrichten und ob wir Pausen machten, merkte ich in der Nacht kaum. Es war seltsam, denn ich wusste, wie es war mit Liam zu reisen und gerade war es genau so als wäre nicht ein Tag seit dem vergangen.
Als ich Stunden später wach wurde, da war ich in einer Decke gekuschelt und ich hörte Autos, die an mir vorbei brausten. Mit steifen Nacken versuchte ich mich zu orientieren und sah aus dem Fenster. Ich befand mich an einem Rastplatz und draußen kümmerte sich Liam um Ralph, damit er Auslauf bekam.
Das Bild schmerzte, weil es vertraut und fremd zugleich war.
Ich stellte Liam keine Fragen, wo wir hinfuhren, sondern rief stattdessen meine Schwester Zoé an, um sie wissen zu lassen, dass ich Weihnachten nicht kommen würde. Sie kreischte mir beleidigt ins Ohr, sodass ich irgendwann nur noch auflegte.
Wir fuhren Richtung Norden und zu meiner Verblüffung lenkte Liam den Wagen zweimal auf eine Fähre. Größere Augen hätte ich kaum mehr machen können. Auf der zweiten Fähre suchten wir im Inneren Schutz und tranken heißen Tee. Da ließ Liam die Bombe platzen: „Auf der Insel Rousay hat Harry ein Haus und er leiht es mir."
Nun runzelte ich die Stirn: „Ist ihm Los Angeles zu warm geworden?"
„Nein", belustigt schüttelte Liam den Kopf. „Aber er liebt Rousay mehr als Los Angeles und ich... also ich dachte, weil ich weiß wie sehr du diesen ganzen Weihnachtsstress hasst, dass eine Flucht vielleicht gut wäre."
Es steckte mehr dahinter, ich spürte das. Trotzdem horchte ich nicht nach. Stattdessen zog ich mir draußen die Mütze tief in die Stirn und hörte Liam zu, als er mir Details über Rousay erzählte. Die kleine Insel war nur 10 Kilometer lang und hatte gerade einmal um die 200 Einwohner.
Obwohl der Wind uns heftig um die Ohren peitschte, ließ ich den Blick an Land über den Hafen und den rauen Beginn der Insel gleiten. Hier war ein Paradies für Vögel, umgeben von Meer und Hochmooren. Kein Wunder, dass es so viel Natur- und Vogelschutzgebiete gab.
Ralph schnupperte sich sofort ein, wedelte begeistert mit dem Schwanz und ich bekam dezent Sorge, ob er nicht vom Wind mitgerissen wurde. Mit dem Auto fuhren wir noch ein paar Minuten über einen holperigen Weg. Schließlich hielt Liam an und sobald ich ausstieg, das kleine Haus sah und die Umgebung, da wurde mir klar, wieso Harry es hier liebte.
Hier würde er immer Privatsphäre haben. Niemand interessierte sich dafür, wer er sonst wo auf der Welt war. Die Wellen brausten, es tat gut frei zu atmen und ich konnte mir sofort vorstellen, wie schön es hier erst im Sommer sein musste.
Im Nacken spürte ich, wie Liam mich beobachtete, dann gestand er: „Eigentlich gehört die andere Hälfte Harrys Freund."
„Freund oder Freund Freund?", antwortete ich und musste Liam nur ins Gesicht sehen, um zu begreifen, was er meinte. Ich fragte nicht weiter nach, sondern half ihm dabei das Gepäck ins Innere zu bringen. Während wir ausluden, da sprang Ralph munter zwischen Tür und Angel hin und her.
Rousay schien meinem kleinen Kumpel absolut zu zusagen. Er war so aufgeregt wie ein Kind vor dem ersten Schultag.
„Ich räume alles ein und zurecht, du kannst mit Ralph gerne eine Runde drehen", schlug Liam mir vor, was ich dann auch tat. Wir gingen nur bis zum Strand und obwohl ich den Sonnenuntergang toll fand, so fror ich mir den Hintern ab. Ralph brauchte nur so lange, bis er das erste Mal nasse Pfoten bekam, dann hatte auch er genug.
Wir drehten um und ich stieß die Tür des Cottages auf. Angenehme Wärme umhüllte mich. Im Kamin des behaglichen Wohnzimmers brannte Feuer. Hastig pellte ich mich aus meinen Mantel, trocknete Ralph und sah mich erstaunt um. Die Möbel waren etwas aus der Mode, aber im guten Zustand. Mit Luxus hatte dieses Haus nichts gemeinsam, mit Gemütlichkeit jedoch eine ganze Menge.
In der Küche schnippelte Liam Gemüse und anhand der Zutaten sah ich genau, was er da kochte. Früher hatte er ein riesiges Geheimnis um den Bunter Eintopf gemacht. Heute brauchte ich nur Google fragen.
Auf dem Kuchentisch standen zwei Gläser mit Rotwein und Ralph machte sich sofort über seinen Fressnapf her. Angestrengt kickte ich mir die Schuhe von den Füßen und griff nach dem Weinglas. Dann beobachtete ich Liam dabei, wie er ungestört weiter kochte. Erst, als der Eintopf ziehen musste und der köstliche Geruch die Küche erfüllte, da setzte Liam sich zu mir an den Tisch.
„Hier lässt es sich Weihnachten bestimmt aushalten, auch wenn mir ein bisschen Deko fehlt", gab ich zu. Er grinste: „Ja, so ein geschmückter Baum wäre nicht schlecht, aber ich glaube kaum, dass hier auf der Insel Tannen zu schlagen sind. Dafür gibt es am ersten Weihnachtstag ein großes Essen in der Kneipe der Insel. Wir sollten hingehen."
„Sind wir da überhaupt willkommen?", man wusste nie, wie Einheimische so tickten, doch Liam nickte: „Ja, Harry erklärte mir, dass die Leute hier offen sind, so lange wir uns höflich vorstellen und keine Randale machen oder Leichen verschackern."
Meine Mundwinkel zuckten und ich legte die kalten Füße auf einem anderen Stuhl ab, dann musterte ich Liam. „Magst du mir sagen, warum du plötzlich auf die Idee gekommen bist, hier mit mir zu laden?"
Er antwortete nicht sofort, nippte am Wein und erklärte schließlich: „Ich schicke dir keine Blumen mehr."
Das traf mich überraschend plötzlich.
„Damit werde ich aufhören, weil...", er zögerte kurz. „... weil ich mehr möchte. Eine richtige Beziehung."
Nun schluckte ich hart und zwang mich zu atmen. Natürlich war mir klar, dass dies eigentlich sein Ziel war. Die Blumen waren romantisch zu verstehen, die kleinen Nachrichten auch und ich begriff, dass dies vielleicht unser letztes Treffen war.
Liam lächelte schief: „Es ist okay, wenn du keine Beziehung mehr mit mir haben möchtest, Sophia. Ich verstehe das, aber ich möchte, dass du mir das sagst. Damit... damit ich das mit uns loslassen kann."
Es wäre nur fair.
„Möchtest du das loslassen?", wollte ich mit trockenem Hals wissen und er atmete schwer durch: „Ja, wenn es sinnlos ist festzuhalten."
Zögernd nickte ich und ich dachte daran, dass ich nicht nur die Blumen vermissen würde, sondern auch das Gefühl, dass sich jemand um mich bemühte. Gleichzeitig verstand ich auch, dass für Liam diese Zeit, die für mich so romantisch war, quälend langsam verstrich.
„Was würdest du machen, wenn das hier unser letztes Treffen wäre?", entwich es mir und verwundert bemerkte ich, dass er absolut gelassen blieb. Scheinbar hatte er sich den Ausflug sehr gut vorher überlegt.
„Ich würde eine schöne Zeit raus machen, an die ich mich trotzdem immer gerne erinnern werden, weil es das wert war", gestand er. „Denn das war es immer, egal zu welchem Zeitpunkt."
Und das war einer der Gründe, weshalb es so spielen leicht gewesen war sich in Liam zu verlieben. Ich hatte es nur vergessen.
Doch war ich das immer noch, verliebt in ihn? Ich war so lange versessen darauf meinen eigenen Traum zu leben, dass ich romantische Gefühle verdrängte. Die Blumen und Nachrichten waren wie ein Weckruf, dass es andere Dinge im Leben gab, die mich einst glücklich machten.
„Ich dränge dich nicht", fuhr Liam fort. „Ich möchte nur, dass du dich entscheidest."
Damit legte er sämtliche Karten offen auf den Tisch. Er wechselte das Thema, indem er Wein nachgoss und schließlich den Eintopf auftischte. Liam hielt sein Wort, denn die Stimmung wurde dadurch nicht komischer, er blieb angenehm und ich spürte, dass ich mich jede weitere Minute nur mehr entspannte.
War das nicht paradox?
Eigentlich sollte das hier doch mit viel Drama und Tränen ablaufen. Stattdessen war genau das Gegenteil der Fall. Wir hörten den Wind draußen heulen, zogen nach dem Essen ins kuschelige Wohnzimmer und versuchten unser Glück mit dem Internet. Es funktionierte bescheiden, aber zumindest so gut, dass wir Musik hören konnten.
Überschwänglich tanzten wir zu King of the World und es war so unglaublich normal.
Und albern.
Ralph sprang zwischen unseren Beinen herum, sodass wir beinahe stürzten. Mein kleiner Begleiter fühlte sich ausgeschlossen und wurde erst wieder ruhiger als der Prinz ein eigenes Bett aus Kissen bekam.
„Denkst du, er kommt klar, wenn er die Nacht unten verbringt?", fragte Liam. „Vielleicht sollten wir auch hier schlafen, weil, ich weiß nicht, ob die Bude komplett auskühlt, sobald das Feuer runter gebrannt ist."
Im Flur blieb ich stehen und sah, wie er nachdenklich die Stirn runzelte. Rechts und links Gepäck unter den Arm, wollte er mir nach oben die Treppen hoch folgen. Ich machte auf den Absatz kehrt, dachte nicht nach und Sekunden später zog ich Liam am Saum seines Pullovers zu mir.
Er ließ die Reisetaschen fallen, sich gegen die Steinwand des Cottages drücken und wir funktionierten just wie ein Puzzle. Ein Puzzle aus zwei Stücken. Seine Lippen schmeckten nach Wein und ich atmete seinen vertrauten Geruch ein. In meinem Kopf begann eine rasende Zeitreise.
Aus einem Kuss wurde ein Zweiter.
Das Feuer im Kamin spielte keine Rolle mehr, denn wir schliefen tatsächlich im Wohnzimmer. Die Möbel schoben wir in Teamarbeit zur Seite, die Matratze brachten wir nach unten und aus einem zweiten Kuss wurde ein Dritter, ein Vierter, ein Fünfter.
Ich hörte auf zu zählen.
Den Überblick zu verlieren war so spielend leicht, denn zwischen Wärme, Vertrautheit und Herzklopfen schlief ich wie auf einer Wolke. Ich spürte ab und an Liams Finger in meinem Haar, seinen Atem auf meiner Wange und hörte das Feuer im Kamin knistern.
Wach wurde ich erst am Morgen als ich mich auf die Seite drehte und Liams Platz leer war. Mein Kopf war schwer und ich erinnerte mich daran, dass wie den gesamten Abend über Vergangenes geredet hatten. Erinnerungen, die uns beiden gehörten und das machte die Erlebnisse erneut lebendig.
Ich sah mich nach Ralph um, doch auch der war verschwunden. Also schlüpfte ich in meine Socken und Schuhe, lief durch das Haus, roch den frischen Kaffee, sah den Frühstückstisch und bemerkte, dass Liams dicke Winterjacke fehlte.
Mein Blick glitt zum Fenster, ich sah etwas in der Ferne und öffnete die Haustür. Ich erkannte Liam und Ralph, die am Strand entlang tobten. Artig holte Ralph Stückchen und ohne darüber nachzudenken, lächelte ich. Regungslos blieb ich im Türrahmen stecken und beobachtete die beiden.
Irgendwann schien Ralph genug Auslauf gehabt zu haben, denn sie wandten dem Meer den Rücken zu und Liam hob den Kopf. Er sah mich an und das Lächeln auf seinen Lippen, das nur mir alleine für diesen Moment galt, das entschied für mich alles. Meine Hände waren eiskalt, doch mein Atem frei.
Ich wusste nun, was ich wollte.
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