35 ♪ My only girl
We never learn, we been here before
Why are we always stuck and running from
The bullets? The bullets?
We never learn, we been here before
Why are we always stuck and running from
The bullets? The bullets?
[ Harry Styles ]
NIALL ║ „Nur so pro Forma, wenn Sie noch reden möchten, dann geben Sie mir ein Zeichen, oder?", sprach Dr. Morgenthaler und goss sich ein neues Tässchen Kaffee ein. Die freundliche Kopie von Doktor Freud schlug erneut die Beine übereinander und nippte an seiner Tasse.
Ich saß fast zwanzig Minuten schon schweigend bei ihm auf der Couch. Direkt nach dem Stimmtraining bei Dr Bianchi stampfte ich zum Psychologen. Morgenthaler war geduldig und mir war es wichtig weiterhin Betreuung zu haben. Nach Raymond fehlte mir diese Stütze und ich fühlte mich einfach wohler. Mir gaukelte das vor, dass ich so eine weitere Hürde vor mir sah, die mich zurückfallen ließ.
Nie wieder wollte ich dermaßen abstürzten und die Kontrolle verlieren, weder durch Alkohol, Drogen und noch durch Medikamente. Ich wollte im Gleichgewicht bleiben, doch es gab einfach Tage, da war das Verlangen nach einem Rausch enorm stark. Die Versuchung blieb, und ganz wie Raymond es mir vorhergesagt hatte: „Es wird dein restliches Leben ein Nein sein."
Aktuell war das Nein jedoch mein kleinstes Problem.
Tief seufzte ich und sprach: „Tut mir leid. Mir geht zu viel Kram im Kopf herum."
„Wir können auch über den Kram reden und ihn ordnen", schlug Morgenthaler gelassen vor. Ich musste laut auflachen und schüttelte den Kopf: „Nein, besser nicht."
Dies nahm Morgenthaler mit Humor: „Sie sind nicht der Erste, der mit mir seine Probleme mit einer Frau analysiert."
„Ich glaube nicht, dass das klug wäre", schmunzelte ich. Doch er meinte nur: „Zu kompliziert für einen Psychologen?"
Nun beugte ich mich vor, musterte ihn und seufzte: „Kurfassung oder das ganze Programm?"
Morgenthaler lächelte: „Sie bezahlen mich, also ist es Ihnen überlassen."
Ich gab ihm die Kurzfassung, ließ nicht aus, was für ein Arsch ich war und das Mara eigentlich immer so etwas wie eine beste Freundin für mich gewesen war. In ihrer Nähe fühlte ich mich als wäre ich mit einem Kumpel unterwegs, ein Kumpel, der die Musik so sah, wie ich. Ich erzählte davon, wie leicht es war mit ihr über den Wolken zu fliegen und wie normal sich ein Tag mit ihr anfühlte.
Normalität war in meinem Leben rar geworden.
Statt ihren Namen zu nennen, bezeichnete ich Mara als alte Freundin und dass sie nur vorübergehend aus Not bei mir wohnte. „Es ist schwer in ihrer Gegenwart ausgeglichen zu sein."
„Sie meinen, es wird eher schwerer sich vor Augen zu halten, was Sie hätten haben können?", traf Morgenthaler den Nagel auf den Kopf.
„Für das Salz in der Wunde zahle ich nicht", stellte ich klar und er musterte mich: „Haben Sie sich bei der jungen Frau entschuldigt?"
„Ja", ich nickte und dann fragte er mich etwas, worüber ich länger nachdachte: „Hat sie die Entschuldigung denn angenommen?"
Das konnte ich nicht sagen. Ich erinnerte mich nur, dass ich ihr auf die Mailbox gequatscht hatte. Ich sagte ihr, was mir wichtig war, es mir leid tut und wusste, das dies keine Garantie für eine Annahme war. Und später, als es das erste Mal während ihrer Anwesenheit eskalierte, da sagte ich es ihr auch. „Eigentlich ist es doch unwichtig."
„Nein", behauptete Morgenthaler. „Im Gegenteil, es ist wichtig. Wenn sie verzeiht, dann können Sie auch damit anfangen sich das falsche Verhalten ebenfalls zu vergeben. Fragen Sie nach, Niall."
„Ich kann mich da doch nicht einfach hinstellen und-"
„Was spricht dagegen?", unterbrach er mich. „Vielleicht wird es weniger schwer, oder es verändert sich nichts."
Ich würde nicht drauf wetten, dass Mara und ich überhaupt noch auf irgendeiner Ebene eine Chance hatten. Weder als Freunde, noch als das, was ich mir wünschte. Mittlerweile begriff ich, wie Mara sich gefühlt hatte, als sie in mich verliebt war und ich das nicht erwiderte.
Mir war es egal, warum sie in meiner Nähe war, Hauptsache sie war es. Das war erschreckend und egoistisch.
Morgenthaler riet mir, dass ich selbst dafür sorgen musste emotional stabil zu bleiben und mit Niederlagen lernen sollte umzugehen. Er mahnte mich realistisch zu bleiben und von Mara keine Dinge zu erwarten, die sie nicht freiwillig machte, ich mir dagegen aber wünschte.
„Fingerspitzengefühl", war das Zauberwort und während ich mich nach dieser etwas anderen Sitzung auf dem Weg zum Boot war, da schnaubte ich. Fingerspitzengefühl hatte ich in dieser Hinsicht noch nie gehabt.
Kalter Wind ließ mich frösteln und ich dachte darüber nach, wie ich die Ratschläge umsetzten wollte. Maras Anwesenheit machte mich wuschig, ich sehnte mich fast danach zurück als ich das Haus noch völlig für mich gehabt hatte.
Damals war es egal, wann ich aufstand, was ich aß oder wie ich meine Zeit verplemperte. Jetzt konnte ich mich abends kaum auf den Scheiß in der Glotze konzentrieren. Stattdessen klebte mein Blick viel mehr an Mara als auf der Mattscheibe.
Abends kontrollierte ich die Fenster und Tür und ich spielte schon mit dem Gedanken den Baum zu stutzen, dessen Äste ab und an bei Wind über das Dach kratzten. Mein Rücken beschwerte sich mittlerweile Morgens, wenn ich zu lange auf der Matratze am Boden lag. Ich war nun mal ein verwöhnter Arsch und mir fehlte mein Bett.
Trotzdem schlief ich weiter tapfer bei Mara auf dem Boden. Denn wenn ich es nicht tat, dann schlief sie überhaupt nicht mehr. Dieser beschissene Stalker hatte aus ihr ein ängstliches Ding gemacht. Sie schrieb keine Musik mehr, blieb fast nur in ihrem Zimmer und schien jegliches Interesse daran verloren zu haben zu genießen. Ich musste sie jedes Mal ködern, damit sie mit mir mitkam.
Zu gerne hätte ich mir einen Gleitschirm gekauft und wäre mit ihr zu einem Gipfel gefahren, aber das Wetter war so unberechenbar und ich körperlich nicht belastbar genug. In Gefahr bringen wollte ich uns auch nicht.
Ich vergrub die Hände in der Jackentasche und schlenderte an einem Schaufenster vorbei, das sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort wurden Karten für Wanderwege ausgelegt und mit einer Übersetzter-App gelang es mir herauszufinden, dass ich mich dort informieren konnte, was man in der jetzigen Jahreszeit machen konnte.
Sich zu verständigen war nicht so einfach. Der Typ hatte ein solch gruseliges Englisch drauf, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Schlussendlich dampfte ich dort ab, mit einer Karte und drei Wanderempfehlungen in der Tasche. Jede Route hatte ein Ziel und klang interessant.
Kurzerhand machte ich einen Abstecher in einen Laden für Wanderzubehör und kaufte dort Regenjacken, Rucksäcke und vor allem Wanderschuhe, Pflaster und ließ mir den Umgang mit einem Kompass erklären.
Ich kam mir vor, als würden wir wie Profis losgehen. Vollgepackt mit Tüten, aber mit einem Plan im Kopf, wie ich Mara vielleicht von ihrer ständigen Angst wegbekam, kehrte ich zurück zum Boot.
Sie wartete dort bereits, mittlerweile war das so was wie ein Ritual. Während ich im Krankenhaus die Termine einmal bis zweimal die Woche abklapperte und dann bei Morgenthaler auf der Couch lag, wagte Mara sich durch das kleine Städtchen.
Ich wusste nicht, was sie trieb, aber sie war immer pünktlich zurück und manchmal kaufte sie regionale Speisen ein, Krimskrams und Bücher. Ein ganzer Stapel Wälzer mit irgendwelchen kitschigen Covern diente mittlerweile in ihrem Zimmer als Türstopper.
Schon von Weitem sah ich, wie sie den Kopf in den Nacken legte und die Berge bestaunte. Das tat sie oft. Einfach nur dastehen und alles in sich aufsaugen, was sie erspähte. Die dicke Mütze schob sie sich in die Stirn und der viel zu große Mantel ließ sie wie ein Zwerg aussehen.
Ich blinzelte und als ich näher kam, musterte ich sie verstärkt. Mara bemerkte dies und fragte: „Was ist?"
Ohne darüber nachzudenken streckte ich die Hand aus und berührte die Haarspitzen, die unter der Mütze hervorlugten. „Du warst beim Frisör", stellte ich fest, denn die mitgenommenen blonden Haare waren weg. Sie war wieder brünett und es gefiel mir so viel besser. Viel zu spät bemerkte ich, was ich da eigentlich tat und ließ die Hand sinken.
Mara hatte sich nicht bewegt, sondern sah mich regungslos an. Ich bildete mir ein, dass sie aufgehört hatte zu atmen. Nur schwer wandte ich mich ab und packte die neuen Einkäufe ins Boot.
„Hast du ein Date oder warum stattest du dich neu aus?", neugierig kletterte Mara aufs Boot und lugte in die Tüten. Ich kümmerte mich darum, dass wir ablegen konnten und steuerte dann aus den kleinen Hafen.
„Ich dachte, wir machen morgen mal was anderes", erzählte ich ihr. „Es gibt drei coole Wanderwege, die wir ausprobieren könnten."
Mara reagierte nicht sofort, dann veränderte sich schließlich ihre Miene: „Das Wetter ist total unbeständig und du willst wandern?" Sie sagte das so, als hätte ich sie nicht mehr alle. Ein Bisschen war es ja auch so.
Das Boot glitt über den stillen See, die Berge spiegelten sich und der Himmel färbte sich dunkelgrau. Regen kündigte sich an. Ich liebte diesen Geruch, er ließ mich glauben, dass der Regen bald alles Schwere und Vergangene wegspülte. Danach war es oft in den Bergen absolut still.
In der Nacht konnte man jeden einzelnen Stern sehen und manchmal, bevor Mara gekommen war, da saß ich am Steg und hörte der Stille zu. Mich hatten solche Momente unglaublich glücklich gemacht. Ich konnte frei und losgelöst atmen.
Es war komisch. Niemand würde das nachvollziehen können, denn ich hatte immer geglaubt, dass die Bühne mein Zuhause waren. Nur dort hatte ich mich gefühlt, als müsste es genau so sein. Aber das war ein Irrtum.
Wenn die Stille von den Bergen hallte, war ich frei.
Doch wenn ich neben Mara lag, dann war ich glücklich. So glücklich, wie man nur sein konnte. Der Stille wich mein eigenem Herzschlag.
Jetzt fuhren wir schweigend über den See und sprachen auch kein Wort miteinander als wir den Steg vor meinem Haus erreichten. In einem Durchgang schleppten wir unsere Sachen ins Haus und ich schloss die Tür hinter mir ab.
Mara schlüpfte aus ihren Schuhen und wollte die Treppen hoch verschwinden. Ich räusperte mich und kratzte jede Menge Überwindung zusammen. Dann sprach ich rau: „Es tut mir leid."
Sie hielt inne und wandte sich zu mir um. Also sprach ich noch einmal: „Das, was ich getan habe. Ich wünschte, ich könnte das wieder gut machen."
Allerdings wüsste ich nicht wie.
Vier Stufen über mir neigte Mara leicht den Kopf. Das hübsche dunkle Haar umrahmte ihr Gesicht. Sie war so schön, trotz der Augenränder, der Blässe und Anspannung. Ihre Augen erinnerten mich an Vollmilchschokolade, warm und vertraut.
Warum hatte ich sie nie so gesehen, wie jetzt? Was hat mich davon so lange abgehalten?
Mara öffnete den Mund, doch sie sagte nichts. Schließlich gestand sie: „Du hattest recht."
Ich verstand nicht und so fuhr sie fort: „Du hast genauso viel verloren, wie ich. Wenn ich mich nicht in dich verliebt hätte, dann wäre weiter alles gut gewesen und...", kurz zögerte sie. „... vielleicht hätte ich dir helfen können. Wir hätten uns nicht gestritten."
„Du meinst, ich hätte dich nicht so verletzt?", atmen fiel mir schwer. Sie nickte: „Ich frage mich oft, ob ich deinen Sturz nicht hätte aufhalten können. Denn ich wusste ja, dass es dir nicht gut geht."
„Ich glaube nicht, das du das gekonnt hättest", meinte ich. „Manchmal muss man erst unten ankommen."
„Nicht, wenn es jemand verhindert", widersprach sie mir. Mara musterte mich, tief atmete sie durch und sie gestand: „Ich war so unglaublich wütend auf dich, Blondie."
Mein Herz machte unweigerlich einen Hüpfer, nur weil sie mich Blondie nannte.
„Zuerst habe ich gedacht, dass mich das umbringt und ich nie wieder aufhören konnte dich zu hassen", sprach sie weiter. „Aber eigentlich war ich die meiste Zeit enttäuscht von mir selbst, weil ich zugelassen habe, dass du mich so etwas fühlen lässt."
Ich musste lächeln, warum, das wusste ich nicht. Knapp räusperte ich mich und gestand: „Ich habe dich geliebt, für das, was du mich fühlen gelassen hast."
Just in diesem Moment hielt sie den Atem an, ihre Gesichtszüge entglitten. Fast lautlos hauchte sie: „Was?"
Statt zu antworten, lächelte ich nur weiter, zog mir den Schal vom Hals und hing meine Jacke auf. Die Schuhe kickte ich mir achtlos von den Füßen und schleppte die Einkäufe in die Küche.
„Wie meinst du das?", ich hörte, dass Mara mir folgte. In der Küche leerte ich die Tüten, damit ich von all den Jacken die Preisschilder entfernen konnte. Ich warf ihr die rote Wanderjacke zu, doch sie ließ diese achtlos auf den Boden fallen.
Stumm sahen wir einander an und ich gab schließlich zu: „Als ich im Entzug war... da war der Gedanke an dich das einzig Gute." Ich erinnerte mich an den Morgen, als ich glaubte zu fliegen und sie dabei war. Schwerfällig ließ ich mich auf dem Küchenstuhl sinken: „Es war die Hölle dort, aber du hast es erträglich gemacht. Du warst wie ein Ort, an den ich kehren konnte, ohne Schmerzen zu haben."
„Aber ich war nicht da!", erklärte sie knapp.
„Doch, das warst du", meinte ich und suchte nach der Schere in den Schubladen. Als ich mich umdrehte und am Tisch die Preisschilder entfernen wollte, da nahm Mara mir die Schere aus der Hand.
Unsere Blicke kreuzten sich und schließlich strichen meine Finger über ihre Hand. Es war nur eine simple Geste, aber sie ließ ein Feuerwerk in meinem Magen explodieren.
„Erzählst du mir vom Entzug?", fragte sie und ich hörte die Worte von Dr. Morgenthaler dass manche Dinge nicht aufgeschoben gehörten. Also stellte ich die Gegenfrage: „Nimmst du irgendwann meine Entschuldigung an?"
Mara schwieg, sie sah auf unsere Hände, dann sprach sie: „Ist das wichtig?"
„Ja", gab ich zu. „Es ist für mich wichtig. Wenn du es nicht tust, dann akzeptiere ich das, aber wenn du es tust, dann hilft es mir, mir das scheiß Verhalten selbst zu verzeihen."
„Okay", sprach Mara schließlich. „Weil... eigentlich habe ich die Entschuldigung in den Moment angenommen, als du mir auf die Mailbox gesprochen hast."
Ich blinzelte und im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Stille entstand zwischen uns, so lange, bis Mara erneut wissen wollte: „Erzählst du mir vom Entzug und warum ich da war?"
„Ach, es ist kitschiger Scheiß", wehrte ich ab. Ich reichte ihr den Rucksack, den ich für sie gekauft hatte und sie schnaubte: „Rein zufällig stehe ich auf kitschigen Scheiß."
„Vielleicht können wir einen Deal machen. Du erzählst mir, warum du nicht mehr schreibst und ich... versorge dich mit unrealistischen Kitsch", schlug ich vor. „Außerdem suchst du dir eine Wanderroute aus."
Ich hielt ihr die drei Optionen unter die Nase und Mara riss sie mir aus der Hand: „Hast du dir mal das Wetter angesehen? Bei unserem Glück verirren wir uns und müssen von der Bergwache gerettet werden!"
Knapp zuckte ich mit den Schultern: „Was soll's, dann sind wir immerhin zu zweit, Kiddo."
Noch einmal schnaubte sie und öffnete den Kühlschrank: „Für den kitschigen Scheiß, brauche ich da Alkohol, Süßkram oder Taschentücher."
„Das wird keine Beichte in Form eines Nicholas Sparks Romans!", versuchte ich mich zu winden, doch Mara gab mir keine Chance. Sie musterte mich mahnend und nahm aus eine ihrer Tüten eine Flasche Wein: „Ich will es hören, Blondie! Mir egal, wie peinlich dir das ist. Sonst ziehe ich das mit der Entschuldigung zurück."
Da ich keine Weingläser hatte, goss sie sich den Alkohol in eine Tasse. Das Verlangen ihr eine zweite Tasse hinzuhalten, war groß. Doch ich widerstand und folgte ihr ins Wohnzimmer.
Dr. Morgenthaler hatte recht.
Vielleicht änderte es gar nichts, oder es änderte sich alles.
Ich wusste nicht, welche Richtung ich vorziehen würde.
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