3 | Matt | are you in?

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Die Fahrstuhltüren schließen sich. Der große Glaskasten rast in die Höhe. Er ist allein. Ihm wurde nicht gesagt, warum er hierher geordert wurde. Und genau das macht ihn nervös. Haben sie es herausgefunden? Dabei hat er doch alles Mögliche versucht, um es vor allen geheim zu halten.

Als der Fahrstuhl höher steigt, kann er auf die Stadt hinunterblicken. Es war nicht einfach, nach Washington zu kommen. Seiner Mom hat er gesagt, er wäre mit Freunden unterwegs.

Die Tür öffnet sich, und zwei schwarzgekleidete Männer steigen ein. Sie beachten ihn kaum, und werfen nur einen kurzen Blick auf seinen Besucherausweis, der an seinem T-Shirt steckt. Einer der Männer trägt einen metallenen Koffer. Darin spiegelt sich das Bild eines Jungen mit lockigen, blonden Haaren. Seine dunklen Augen strahlen eine gewisse Ruhe aus, aber im Inneren ist dieser Junge nervös.

Die Männer verlassen den Fahrstuhl wieder. Tief aufatmend stützt der Junge sich auf die Haltestange an der Glasseite und sieht nach draußen. Irgendwo hinter seiner Schläfe beginnt ein Klopfen, eine sich ankündigende Migräne. Aber er wird keine Schmerztablette nehmen, das hält er schon durch.

Der Fahrstuhl hält an, und die Türen gleiten lautlos zur Seite. Keiner wartet davor. Er muss hier aussteigen. Es gibt nur einen einzelnen, langen Gang, von dem links und rechts alle paar Meter Türen abgehen. Die Wände sind aus Milchglas, Schatten bewegen sich dahinter. Vor der letzten Tür bleibt er stehen und hebt seine Faust, um anzuklopfen.

»Bitte komm herein, die Tür ist offen!«, ertönt eine Stimme aus dem Inneren des Büros. Er drückt die Türklinke herunter und betritt den Raum. Ein alter Mann mit faltigem Gesicht dreht sich auf seinem Schreibtischstuhl zu ihm um. »Hallo Matthew.«

Samstagnachmittag. Matthew ist mit seinen Freunden auf dem Basketballplatz. Wenn sie für das nächste Spiel fit sein wollen, müssen sie viel trainieren. Er bekommt den Ball zugeworfen, dribbelt ihn geschickt an seinem Gegenspieler vorbei und wirft auf den Korb.

»Treffer!«, ruft einer seiner Teamkollegen, Jackson, ein großer Typ mit schwarzer Igelfrisur, und klatscht mit Matt ab. »Mann, das war klasse!«

Das Spiel geht weiter, solange, bis jemand den Ball zu hart wirft. Er prallt am Korb ab und fliegt über den Zaun. Alle stöhnen auf.

»Ich hol' ihn schon«, bietet Matt schließlich an, da sich keiner freiwillig meldet. Er springt über den Zaun. Auf der anderen Seite ist nur Gestrüpp. Matt drückt ein paar Zweige weg, um weiter voranzukommen. Der Ball ist orange, das wird er doch wohl nicht so schwer zu finden sein.

Etwas leuchtet zwischen den Blättern. Ein blauer Schimmer. Vielleicht eine vergessene Taschenlampe? Eine blaue Taschenlampe. Äste knacken unter seinen Füßen, als er weitergeht. In seinem Augenwinkel bemerkt er etwas orangenes: Der Basketball. Er sollte ihn einfach nehmen und zurückgehen, aber irgendwie... irgendwie wird er von dem intensiver werdenden Leuchten angezogen. Den Ball unter seinem Arm geht Matt noch einen Schritt. Hinter einem Strauch liegt eine kleine Lichtung, obwohl Lichtung schon ziemlich übertrieben ist. Es ist eher eine Art niedrige, von Blättern umgebene Höhle. Auf der trockenen Erde liegt ein blauer Stein. Ist es überhaupt ein Stein? Um das Objekt herum ist der Boden schwarz und rußig, als hätte etwas gebrannt.

Je näher Matt kommt, desto intensiver wird das Leuchten. Ihm ist, als würde ihm eine unsichtbare Stimme zuflüstern. Matts Finger berühren den blauen Stein. Zuerst ist da nur die Kälte, sehr zu seiner Überraschung. Doch dann wird er von seinen Füßen gerissen und herumgewirbelt, in einen Strom aus Blitzen und grellem Licht. Ein stechender Schmerz schießt seine Wirbelsäule entlang, seine Augäpfel brennen. Er wird auseinandergerissen, keine Zelle bleibt auf der anderen. Er schreit.

Im nächsten Moment ist es vorbei. Keuchend kniet Matt auf dem Boden. Der Basketball ist ein Stück weggerollt. Die Stelle, wo vorher der Stein lag, ist nur noch ein rußiger Fleck.


»Setz dich doch.« Er deutet auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Langsam geht Matt auf den Mann zu und nimmt vor ihm Platz. Er versucht, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Doch genau das ist er. Furchtbar nervös. Und der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches ist nicht dumm. Er weiß es.

»Hey Matt, was ist los? Du wirkst seit Samstag so weggetreten«, sagt Dan.

Matt schüttelt den Kopf und nimmt seine Bücher aus dem Spind. »Mir geht's bestens.« Eine Lüge. Seit der den leuchtenden Stein berührt hat, geht es ihm ganz und gar nicht gut. Er hat kaum geschlafen, nichts gegessen. Da ist nichts außer den Schmerzen, diese beschissenen Kopfschmerzen, die ihm das Gehirn wegsprengen.

Dan klopft ihm auf den Rücken. »Naja, Hauptsache du bist nächste Woche wieder fit für das Spiel.«

Das Spiel. Matt stößt einen leisen Fluch aus. Das hat er ganz vergessen. Er hofft, dass es ihm bis dahin wieder besser geht. Sein Team im Stich lassen - das kann er nicht tun. Er muss verdammt nochmal rausfinden, was es mit dem Stein auf sich hat.


Der alte Mann faltet die Hände zusammen. »Also, Matthew.«

Matt hält seinem Blick stand.

»Weißt du, warum du hier bist?«

Er ist sich noch unschlüssig, ob er den Unschuldigen mimen oder alles abstreiten soll. »Nein, Sir«, sagt er so selbstbewusst wie möglich. Der forschende Blick seines Gegenübers irritiert ihn ein wenig.

Dieser lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er glaubt Matt nicht, das ist deutlich zu sehen. Aber er bleibt ruhig. »Seit einiger Zeit vermissen wir ein gewisses... Objekt«, beginnt er zu erzählen. »Es ging bei einem Transportflug verloren, und es gelang uns lange Zeit nicht, es zu orten. Schließlich empfingen wir doch ein Signal.«

Matthew wird heiß und kalt zugleich. Schweißtropfen rinnen seinen Nacken hinunter.

»Und dieses Signal...« Der Mann wirft ihm einen vielsagenden Blick zu. »...führte uns zu dir.«

Frustriert steht Matt am Spielfeldrand und schüttet eine Flasche Wasser in seinen ausgetrockneten Hals. Er fährt sich durch die blonden Locken, die vom Schweiß an seiner Stirn kleben. Die Kopfschmerzen beginnen schon wieder, in den letzten Tagen war stets ein dumpfes Pochen da.

»Manson, entweder du gehst jetzt aufs Feld oder du kannst dir die gesamte nächste Saison von der Bank aus ansehen!«, brüllt ihn sein Trainer an.

»Ja Coach«, murmelt er, atmet tief durch und joggt zurück auf das Spielfeld. Er stützt seine Hände auf die Knie, wartet auf den Anpfiff, und versucht, das Stechen in seinem Kopf zu verdrängen.

Das gegnerische Team spielt gut, sehr gut, wie Matt verärgert feststellen muss. Aber sein Team ist besser. Bald steht es unentschieden, und es sind nur noch wenige Minuten bis zum Spielende. Jackson hat den Ball und läuft auf den gegnerischen Korb zu. Matt sprintet hinterher. Ein großer, bulliger Junge aus der anderen Mannschaft ebenfalls. Jackson wirft den Ball zu Matt.

Er ist zu weit weg, er wird es nicht schaffen. Alles scheint sich zu verlangsamen, Adrenalin schießt durch seinen Körper, und - er fängt den Ball. Matt hat keine Zeit sich zu wundern, wie er in einer Sekunde vier Meter weit kommen konnte, sondern wirft reflexartig. Der Ball trifft gegen das Brett, rollt eine endloslange Sekunde auf dem Ring herum und fällt schließlich durch das Netz. Ein Pfiff ertönt.

Das Spiel ist aus.

Die Menschen auf den Sitzplätzen an der Seite der Halle klatschen, und alle aus seinem Team stürzen zu Matt. Er blinzelt.

»Mann, das war klasse!«, jubelt Jackson.

Matthew sieht zur Anzeigetafel. Sie haben gewonnen.


Er sitzt wie erstarrt auf seinem Stuhl. Jetzt kann er nicht mehr lügen. Es hat keinen Zweck. Sie wissen es. Er wird als Laborratte enden, an Kabel angeschlossen in irgendeinem unterirdischen Labor sein Leben fristen, bis sie ihn sterben lassen.

Der Mann scheint seine Angst zu bemerken. »Wir wissen, dass du seine Kraft in dir trägst.«

»Werden sie mich töten?« Matts Stimme klingt fester als er dachte.

»Was? Nein. Nur, wenn es unbedingt nötig ist.« Er steht auf und geht zum Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Du hast besondere Fähigkeiten, Matthew. Und du bist stark, sonst hätte es dich schon getötet. Wir wollen wissen, warum. Wie du es kontrollierst. Dann können wir dir helfen.«

Matt zögert, Vielleicht hat der Mann Recht. Keine Schmerzen mehr... Aber was ist der Preis dafür?

Teleportation. Das wäre eine mögliche Erklärung. Allerdings keine besonders logische. Seufzend klappt er das Notebook seiner Mutter wieder zu. Seine Recherche im Internet ist ergebnislos geblieben. Keine Anleitung, kein Teleportation für Anfänger Handbuch. Nichtmal Nachrichten über einen verlorenen, blauen Stein. Matt betrachtet sich kritisch in der Spiegeltür seines Kleiderschrankes. Das gleiche Gesicht, die gleichen blonden Haare, und doch hat er das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein. Als würde er etwas suchen... Und war da nicht gerade ein blauer Schimmer in seinen braunen Augen?

Vielleicht sollte er ausprobieren, ob es nochmal funktioniert. Bei dem Basketballspiel hat es immerhin auch geklappt, warum also nicht jetzt? Aber wie hat er es angestellt? Es erfordert garantiert ein bestimmtes Maß an Konzentration, nur worauf soll er sich konzentrieren? An den Ort, wo er hinwill? Reicht es, nur daran zu denken?

Matt schließt die Augen. Vor sich sieht er eine Kochnische, davor ein Tresen mit zwei Stühlen. Eine Obstschale steht darauf. Gerade diese Schale kommt ihm besonders klar vor. Ein stechender Schmerz schießt Matts Wirbelsäule hinauf. Keuchend öffnet er die Augen und taumelt gegen den Kühlschrank. Vor ihm steht die Obstschale.


»Wieso wollen Sie mir helfen?«, fragt Matt misstrauisch. »Ich meine, was ist so besonders an mir?«

»Ich denke, das kannst du dir selbst beantworten.« Der Mann sieht lange aus dem Fenster. »Weißt du, Matthew«, sagt er schließlich, ohne sich umzudrehen, »da draußen gibt es noch mehr Menschen, die so sind wie du. Die... Kräfte haben, aus welchem Grund auch immer. Einige richten damit viel Schaden an, weil sie sie nicht kontrollieren können, oder auf die dunkle Seite gewechselt sind.« Er dreht sich wieder um und sieht Matt an. »Und davor wollen wir dich und die Menschen in deinem Umfeld bewahren.«

Das leuchtet Matt ein. Aber eine Frage hat er noch: »Wer ist ›wir‹?«

»Wir sind S.H.I.E.L.D. Die größte Geheimorganisation der Welt. Mein Name ist Pierce.«

Kalter Wind weht durch die Straßen. Noch schneit es nicht. Hoffnungsvoll sehen die kleinen Kinder in den hellgrauen Himmel hinauf. Matt hält den Kopf gesenkt und wickelt den Schal enger um seinen Hals. Eigentlich wäre heute Training, aber er hat keine Lust, und außerdem Kopfschmerzen. Dem Coach hat er erzählt, er wäre krank. Als er den Comicladen betritt, läutet ein kleines Glöckchen.

»Ganz schön kalt draußen, was?«, fragt der alte Mann hinter der Kasse.

Matt nickt und zieht den Schal von seinem Mund. Auf der Suche nach dem neuesten Captain America Comic durchstreift er die Regale. Komisch, dass immer noch weitere Geschichten geschrieben werden, wie er gegen Gefahren des 20. Jahrhunderts kämpft, obwohl der echte Captain letztes Jahr aufgetaut wurde. Er hat mit den anderen Avengers gegen eine Armee von Aliens gekämpft und so New York gerettet. Matt kann sich daran sehr gut erinnern, auch wenn er das Geschehen nur im Fernsehen verfolgt hat. Die Schäden danach waren nicht zu übersehen.

Nachdem er ein Comicheft gefunden hat, verlässt er den Laden wieder und schlendert die Straße entlang. Zwei ihm bekannte Gesichter tauchen plötzlich auf. Dan und Jackson. Wenn sie erfahren, dass Matt das Training geschwänzt hat, verpfeifen sie ihn sicher beim Coach. Panisch sieht er sich nach einer Versteckmöglichkeit um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein Plakat für irgendeine Cola-Werbung angebracht. Schnell stellt sich Matt in einen Hauseingang und hofft, dass die beiden einfach an ihm vorbeilaufen.

Ein Kribbeln überzieht sein Gesicht, wie damals bei dem Spiel. Jetzt fällt ihm auf, dass er rein theoretisch das teleportieren noch einmal hätte versuchen können. Aber zu spät. Dans Blick streift ihn, aber nur für einen kurzen Moment, dann läuft er gelassen weiter. Als hätte er Matt nicht erkannt.

Verwirrt wartet dieser noch ein paar Minuten, ehe er sich wieder auf den Gehweg wagt. Sein Gesicht brennt aus irgendeinem Grund wie Feuer. Jede Berührung schmerzt. Er wirft einen Blick in eine Pfütze am Straßenrand. Erst auf den zweiten Blick erkennt Matt, dass es wirklich er ist, der ihn aus dem trüben Wasser heraus anstarrt. Seine Haare sind schwarz und glatter, als er es jemals mit Haargel hinbekommen würde, sein Kinn kantiger und seine Nase größer, aber das ist zweifellos er. Er winkt mit einer Hand, und das Spiegelbild winkt zurück. Als er aufsieht, lächelt ihm nochmal das gleiche Gesicht von dem Plakat aus zu.

Jetzt scheint sein Gesicht zu schmelzen, wortwörtlich. Als würde er bei lebendigem Leib gehäutet werden. Matt ringt nach Luft. Er muss schnell nach Hause. Vor Schmerzen verschwimmt sein Blickfeld. Er beißt die Zähne zusammen.


»Also, Matthew, bist du dabei?«

Er zögert. Eigentlich kann er unmöglich Nein sagen. Diese Geheimorganisation würde ihn sowieso überall finden. Und wenn er nicht mit ihnen kooperiert, ist er ihr Feind. Es bleibt ihm nichts anderes übrig. »Ja, Sir.«

»Richtige Entscheidung.« Der Mann mit dem faltigen Gesicht geht um den Tisch herum auf Matt zu. »Zuerst müssen wir ein paar Tests machen. Nur Standartuntersuchungen, du brauchst keine Angst zu haben.«

Aber Matt hat Angst. Auch wenn dieser Mann versprochen hat, er würde ihm helfen, bleibt immer noch diese Ungewissheit. Er schluckt den Kloß in seinem Hals herunter.



Der Zug ruckelt hin und her. Bald müsste er New York erreichen. Das wird langsam auch Zeit, es dämmert schon. Matt lehnt seinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe. Er schließt die Augen. Sie haben ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben, nach heftigen Protesten seinerseits. Wenn er nur wüsste, was. Aber Hauptsache es hilft, das muss er sich eingestehen. ›Sie‹ waren ein vierköpfiges Team bestehend aus drei Männern in weißen Kitteln und einer Krankenschwester, die allerhand Untersuchungen mit ihm angestellt haben. Zum Glück nur harmloses Zeug. Pierce hat gesagt, er soll regelmäßig zu diesen Untersuchungen kommen. Aber Matt kann nicht jede Woche drei Stunden nach Washington fahren. Und dann wäre da auch noch sein Basketballtraining...

Der Zug hält quietschend auf den Gleisen. Die Rolltreppen läuft Matt hoch, links an den Menschen vorbei. Er hat es sehr eilig und muss unbedingt vor seiner Mutter zu Hause sein. Vor dem Bahnhof erwischt er gerade so noch den Bus. Ein paar Blocks weiter ragt der ehemalige Stark Tower, jetzt Avengers Tower, riesig und glänzend in den Himmel. Soweit Matt weiß, wohnt jetzt Tony Stark persönlich dort, da seine Villa in Kalifornien zerstört wurde. Wahrscheinlich kommen seine ganzen Superheldenfreunde immer zu Besuch. Sehnsüchtig sieht Matt den Tower verschwinden, als der Bus weiterfährt.

Vielleicht wird er, Matthew Manson, auch irgendwann zu den Avengers gehören? Er hat ja immerhin auch Superkräfte, wenn man das so sieht. Aber es erfordert sicher noch eine Menge an Mut und Fitness. Pierce meinte, SHIELD würde ihn trainieren. Aber wie? Vielleicht will diese Geheimorganisation eine neue Generation von Superhelden ausbilden. Und er wäre ein Teil davon.

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