22 | brace yourself

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Als ich meinen Blick die Fassade des Gebäudes vor mir entlangwandern lasse, kann ich es immer noch nicht ganz fassen, tatsächlich hier zu sein. Nach unendlichen Diskussionen, tausenden Argumenten und Begründungen habe ich es geschafft. Ich habe Dad davon überzeugt, mich auf eine Schule zu schicken. Eine normale Schule. Der Privatunterricht ging mir auf Dauer echt auf die Nerven, und nach vier Wochen Zwangsurlaub auf Bali sollte ich genügend ausgeruht sein. Zwangsurlaub deshalb, weil Dad mich - so meine Theorie - überwachen wollte, damit ich keine Dummheiten anstelle. Die Diskussion ging lange Zeit hin und her, doch schließlich, als Dad es nicht mehr ertragen konnte, hat er nachgegeben und mich an dieser, gemeinsam von uns ausgesuchten, öffentlichen Schule angemeldet.

»Du kannst dich immer noch umentscheiden«, sagt Dad, der neben dem weißen Audi steht, mit dem er mich hergefahren hat.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht tun werde«, versichere ich ihm, drücke ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und schultere meinen Rucksack. »Bis heute Nachmittag.« Ich spüre Dads Blick im Rücken, als ich durch das Tor trete. An der Treppe zum Eingang drehe ich mich um und winke Dad flüchtig zu. Dann betrete ich, inmitten von anderen Schülern, die Schule.

›Midtown School of Science and Technology‹, verkündet ein über unseren Köpfen hängendes Banner. Ich versuche, nicht besonders aufzufallen. Schließlich kenne ich hier noch niemanden. Die Schulkorridore sind überfüllt mit Teenagern, die sich zum ersten Mal nach den langen Ferien wiedersehen und sich austauschen, ihre Schließfächer neu befüllen, oder ihre Klassenräume suchen. Ich fühle mich mehr wie einer der Freshmen, obwohl Dad dafür gesorgt hat, dass ich direkt im Sophomore-Jahrgang starten werde. Also im Prinzip war ich das, er hätte mich am liebsten direkt im Abschlussjahrgang gesehen. Von der Schwierigkeit des Unterrichtsstoffs her wahrscheinlich kein Problem für mich, aber mit Gleichaltrigen in eine Klasse zu gehen klingt reizvoller und sorgt außerdem dafür, dass nicht direkt ein ›Streber‹-Stempelaufdruck auf meiner Stirn erscheint.

Zunächst besteht meine Aufgabe darin, das Schulleiterbüro zu finden. Das werde ich doch wohl noch hinbekommen, oder? Am besten bin ich noch vor dem Klingeln in einem Klassenraum, vorzugsweise der, wo ich auch Unterricht habe. In einem Seitengang finde ich schließlich das Büro. ›Morita‹ steht auf einem Schild neben der Tür. Ich klopfe an, und nach dem folgenden »Herein!« betrete ich den Raum. Der Mann hinter dem Schreibtisch faltet die Hände zusammen und deutet auf einen Stuhl.

»Setz dich. Du musst Judy Stark sein.«

Ich nicke und nehme Platz. Hoffentlich dauert das nicht so lange.

»Die Unterstützung, die unsere Schule von Mr. Stark erfährt, ist, nunja, enorm, und deshalb war es mein größtes Vergnügen, dich als Schülerin hier aufnehmen zu dürfen.«

»Ja, sehr nett von Ihnen. Ich habe schon Kurse gewählt, also bräuchte ich nur den Stundenplan.« Ich habe definitiv keine Zeit, Ewigkeiten mit Mr. Morita zu plaudern.

»Es freut mich natürlich sehr, junge Talente wie dich hier begrüßen zu dürfen, deshalb auch die Ausnahme für das versäumte Schuljahr. Aber das dürfte für dich ja kein Problem darstellen.«

Ich nicke und schiele auf die Uhr. Schon Zwanzig nach Acht. »Ich komme schon klar.«

»Also, die Lehrer werden dir natürlich ein wenig Rücksicht entgegenbringen, aber ich habe auch eine vertrauensvolle Schülerin organisiert, die dir helfen wird, dich zurechtzufinden, zumindest für die nächste Woche.«

»Nett«, sage ich, wenig interessiert. »Und mein Stundenplan...?«

»Sicher doch.« Mr. Morita zieht etwas aus einer Mappe hervor, sieht kurz darauf, und reicht es dann mir. »Die Kurse, die du gewählt hast, wurden alle eingebracht. Diese Woche hast du allerdings noch die Möglichkeit, dir zwei Arbeitsgemeinschaften auszusuchen, an denen du teilnehmen musst.«

»Cool. Kann ich dann gehen?« Ich bin schon halb aufgestanden, aber der Schuldirektor scheint noch nicht fertig mit mir zu sein.

»Judy, wie du vielleicht weißt, geht es an unserer Schule um Talent, aber auch um Disziplin. Unangebrachtes Verhalten wird nicht geduldet, dazu zählen geschwänzte Stunden, nicht besuchte Pflichtveranstaltungen... Ich muss dich darauf hinweisen.«

»Ich finde mich hier schon zurecht.«

Er nickt, reicht mir - endlich - meinen neuen Stundenplan, und noch bevor er mich verabschiedet hat liegt meine Hand schon am Türknauf.

»Vielen Dank, Mr. Morita«, sage ich halbherzig und trete auf den Gang hinaus. Ich werfe einen Blick auf das Blatt in meiner Hand. Erste Stunde Algebra bei einem gewissen Mr. Cressel. Jetzt muss ich nur noch den richtigen Raum finden, und das noch vor dem Klingeln. Heute ist mein erster Schultag, und das bedeutet, ich muss einen guten Eindruck hinterlassen, bei den Lehrern, aber hauptsächlich bei meinen neuen Mitschülern. Nach dem Klingeln in die Klasse zu stürmen würde wahrscheinlich auch sehr cool rüberkommen, aber dann hätte ich direkt den Ruf, immer zu spät zu sein, und dafür lohnt es sich einfach nicht.

»Hi, ich bin Eloise«, quatscht mich jemand von der Seite aus an und blockiert mir so den Weg. »Ich weiß, wer du bist, ich meine, du bist Judy Stark, richtig? Wow, Iron Man ist so cool, ich meine, denkst du nicht? Er hat einen fliegenden Anzug, er ist Milliardär, dieser Tower ist einfach der Wahnsinn, so groß und glänzend und die anderen Avengers, wow, Bruce Banner, er ist einfach so genial, aber auch Captain America, er hat nicht nur einmal die Welt gerettet, sondern öfters, egal, was die Medien erzählen, die Sache in Washington D.C. war nicht seine Schuld, warum sollte es, ich meine, ist es doch nicht, oder?«

Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so extrem schnell redet. All diese Sätze rattert sie in wenigen Sekunden runter und sieht mich dabei aus großen Augen an. Ich hole Luft, um zu antworten, aber sie lässt mich gar nicht zu Wort kommen.

»Jedenfalls, ich wurde von Mr. Morita damit beauftragt, dich ein wenig herumzuführen, also in der Schule. Soll ich dich zu deinem Klassenraum bringen? Was hast du jetzt? Hast du Algebra?«

»Ja«, antworte ich, ohne nachzudenken.

»Ich habe nämlich auch Algebra, wie aufregend, dann können wir ja zusammen zum Raum gehen! Es ist nur die Treppe hoch gleich am Gang, gar nicht weit.« Sie läuft los.

Alles klar, was war das? Wenigstens komme ich so schneller dorthin, wo ich hinmöchte. Der Raum ist schon gut gefüllt mit Schülern, allerdings ist noch kein Lehrer in Sichtweite. Eloise schwebt vor mir in den Raum, und macht keinen Hehl daraus, mich der versammelten Klasse vorzustellen.

»Das ist Judy«, präsentiert sie mich. »Sie ist neu hier.«

Ich glaube das konnten die anderen sich schon denken. Trotzdem wäre mir eine andere Vorstellung lieber gewesen. Die Gespräche der Leute in den vorderen Reihen verstummen und sie beäugen mich. Ich unterdrücke den Drang, an meinen Klamotten herumzuzupfen. Unvorstellbar lange habe ich heute Morgen gebraucht, um dieses Outfit zusammenzustellen. So casual wie möglich sollte es aussehen, die Converse, die Shorts und das Guns n'Roses T-Shirt. Vor dem Spiegel sah es gut aus, und das tut es auch jetzt noch. Mit gemischten Gefühlen hebe ich eine Hand, stelle rechtzeitig noch fest, dass das höchstwahrscheinlich bescheuert aussieht, und streiche mir stattdessen eine brünette Strähne hinters Ohr.

»Du kannst neben mir sitzen!«, bietet Eloise an und platziert ihren Rucksack auf einem Tisch in der zweiten Reihe.

»Nein danke, ich... bleibe lieber stehen. Hier vorne.« Habe ich das wirklich gerade gesagt? Okay, das wird noch anstrengender als ich es mir vorgestellt habe.

Zum Glück öffnet sich gerade die Tür und ein Lehrer rettet mich aus meiner unbehaglichen Situation. »Ah, die Neue«, begrüßt er mich direkt, klemmt seine Mappe unter den Arm und schüttelt mir die Hand. In der anderen hält er eine Kaffeetasse, die er anschließend auf dem Lehrertisch abstellt. »Ich heiße Mr. Cressel, ich unterrichte Mathematik und Biologie. Such dir doch einen freien Platz.«

Langsam scanne ich die Sitzplätze. Geh die Sache analytisch an. Auf keinen Fall in der ersten Reihe, und der einzige freie Platz in der zweiten ist der neben Eloise. Vielleicht näher am Fenster? Ganz hinten zu sitzen hat auch seine Nachteile, aber ist auf jeden Fall besser als ganz vorne.

Ich schiebe mich durch die Reihen und bleibe neben dem Tisch eines Mädchens stehen, das relativ nett aussieht. »Ist hier frei?«, frage ich.

»Klar«, sagt sie, verzieht den Mund zu einem Lächeln und nimmt ihre pinke, mit lauter Ansteckern verzierte Tasche von dem Stuhl neben sich.

Ich lasse mich erleichtert sinken, als die Schulklingel ertönt. Jetzt ist es zu spät, meine Meinung zu ändern. Spätestens in ein paar Wochen, zu den Klausuren, werde ich meine Entscheidungen anzweifeln, aber für den Moment ist... alles ganz okay, würde ich sagen.

Die Tür zum Klassenraum öffnet sich quietschend. Die Person im Türrahmen klopft kurz an. Mr. Cressel, der am Lehrertisch lehnt, winkt sie herein. »Nun, da wir vollzählig sind...« - er lässt prüfend seinen Blick durch den Klassenraum schweifen - »möchte ich noch kurz anmerken, dass wir dieses Jahr zwei neue Schülerinnen in unserem Jahrgang haben. Judy Stark und... entschuldige, wie war dein Name?«

Mir klappt fast der Mund auf, als ich sehe, wer jetzt vorne an der Tafel steht.

»Cassandra Westfield. Cass.« Ihr Blick fällt auf mich, und wir grinsen uns an. Allerdings sieht sie nicht so überrascht aus, wie ich es bin. Sie setzt sich auf den Platz neben Eloise in der zweiten Reihe schräg vor mir.

»Wieso hast du nichts gesagt?«, flüstere ich ihr zu.

»Überraschung«, gibt sie zurück.

Typisch Cass. Da gibt es eine Menge, worüber wir uns unterhalten müssen, aber das muss wohl auf die Pause verschoben werden, denn nun erzählt Mr. Cressel, was uns dieses Semester alles erwarten wird. Das Auftauchen von Cass wirft noch eine weitere Frage auf, die im Laufe des Sommers immer wieder in meinem Kopf herumgespukt ist: Wo ist eigentlich Matt? Nachdem er mir die Brille zurückgegeben hat ist er praktisch untergetaucht. Hier muss ich mir selbst eingestehen, dass die Wahl der Schule nicht ganz zufällig verlaufen ist. Natürlich ist es eine renommierte High School spezialisiert im wissenschaftlichen Bereich, und deswegen perfekt für meine Kenntnisse, aber, wie ich herausgefunden habe, geht - oder zumindest ging - Matt auch auf diese Schule. Ein hübscher Nebeneffekt.

Nach einer kurzen Einführung beginnt Mr. Cressel auch direkt mit dem Unterricht. »Kann ich ein Blatt haben?«, flüstert meine Banknachbarin.

Ich reiße eins aus meinem Block und schiebe es zu ihr rüber.

»Danke«, sagt sie. »Ich bin übrigens Bree.«

»Judy... aber das weißt du ja schon.«

»Jeder wusste das, noch bevor Mr. Cressel dich überhaupt vorgestellt hat.« Sie kramt einen zerkauten Kugelschreiber aus ihrer Federmappe und schreibt von der Tafel ab.

Ich halte inne und blicke mich so unauffällig wie möglich im Raum um. Die meisten sind mit Schreiben beschäftigt, aber einige sehen sich ebenfalls um. Eine Gruppe am Fenster tuschelt miteinander, dabei dreht sich immer wieder einer der Köpfe in meine Richtung. Hey, sie könnten über alles Mögliche reden, rede ich mir ein. Vielleicht auch über Cass. Immerhin ist sie auch neu hier. Okay, Paranoia bringt mir jetzt auch nichts, also konzentriere ich mich so gut es geht auf den Unterricht.

Als es zur Pause klingelt stürmt mindestens die Hälfte der Klasse in den ersten zehn Sekunden aus dem Raum. Ich habe kaum mein Zeug in meinem Rucksack verstaut, da stürzt sich Cass auf mich.

»Das hast du nicht erwartet, oder?«

»Dass du auf eine Schule in New York gehst, obwohl du in Atlanta wohnst? Nein, tatsächlich nicht.« Ich werfe mir den Rucksack über eine Schulter. »Klärst du mich bitte auf?«

»Also, das war so: Du erinnerst dich doch an Banners Vorschlag, dass wir trainiert werden sollen plus die ganzen Untersuchungen, zu denen ich vorerst kommen muss, bla bla. Jedenfalls, kaum bin ich wieder zu Hause bekommt mein Dad ein Angebot, hier in New York am Brooklyn College zu unterrichten. Und das konnte er nicht ausschlagen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben unsere Sachen gepackt und sind nach Brooklyn gezogen, ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ich dich an dieser Schule finden kann, und hier bin ich.« Sie grinst. »Was mich jetzt noch interessieren würde, ist, wie du deinen Dad überreden konntest.«

Ich winke ab. »Fang bloß nicht damit an. Das waren die längsten Sommerferien meines Lebens.«

Wir stehen vor dem Raum und realisieren, dass keiner von uns einen Plan hat, wo wir jetzt hingehen sollen. Zum Glück - wenn man das Glück nennen kann - kommt Eloise hinter uns aus dem Klassenzimmer und fängt wieder an zu reden.

»Soll ich euch eure Schließfächer zeigen? Ihr habt doch bestimmt Nummern bekommen, ich kann euch helfen, die Richtigen zu finden! Kommt mit«, sagt sie vergnügt. Sie lässt uns keine andere Wahl als uns hinter ihr die Treppe runter ins überschaubare Getümmel der Schüler zu stürzen.

Eloise führt uns an einigen Räumen vorbei und erklärt uns irgendetwas, aber ich höre nur mit halbem Ohr zu. Ich erwische mich dabei, wie ich nach Matt Ausschau halte. Doch selbst wenn ich Supersehkraft hätte, niemand kann mir versichern, dass er hier ist. Oder vielleicht hat er sich auch so sehr verändert, dass ich ihn nicht wiedererkennen würde.

Mein Schließfach befindet sich in der Nähe des Eingangs, und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten gelingt es mir, das Schloss zu öffnen. Ich muss unbedingt daran denken, mir mein eigenes mitzubringen, sonst stehe ich jeden Morgen fünf Stunden lang hier.

Zu allem Übel habe ich auch noch keine Zeit, mein liebevoll geschmiertes Frühstück (Toast mit Erdnussbutter - sehr aufwendig) zu essen, denn kaum haben wir Cass' Schließfach gefunden, klingelt es zum Ende der Pause. Das hindert aber Cass nicht daran, sich vor dem Betreten des Raumes, vor dem uns Eloise absetzt, noch einen Müsliriegel in den Mund zu stopfen. Geschichte der USA. Klingt langweilig, ist es wahrscheinlich auch. Für Geschichte habe ich mich noch nie sonderlich interessiert, genauso wenig für Geografie oder Literatur. Aber das gehört anscheinend zur Grundausbildung dazu, und die erste Stunde im Schuljahr kann ich schlecht schwänzen. Nicht, dass ich das jemals vorhätte.

Cass und ich setzen uns an den Rand einer Viererbank. Neben mir sitzt ein Junge, der aussieht, als würde er schlafen, so wie er da in seinen Hoodie gehüllt auf der Bank liegt.

Ohne Umschweife beginnt Mr. Dell, der Lehrer, mit dem Unterricht. Auf sein Pult gestützt sieht auch er so aus, als fände er den Stoff unglaublich ermüdend. Er beginnt mit einer Zusammenfassung aus dem letzten Schuljahr, den Unabhängigkeitskriegen, und von uns wird erwartet, mitzuschreiben.

Nach einigen Minuten klopft es an der Tür, die sich fast augenblicklich öffnet. Ich bin gerade damit beschäftigt, in meinem Rucksack nach einem Lineal zu kramen, um die Überschrift unterstreichen zu können. Dieser Ehrgeiz der lesbaren Mitschriften wird garantiert im Laufe des Semesters verebben.

»Pünktlichkeit ist eine Tugend, Mr. Manson«, tadelt Mr. Dell mit schleppender Stimme.

»Sorry«, sagt eine Jungenstimme, die mir merkwürdig bekannt vorkommt. Das, und die Tatsache, dass Mr. Dell den Neuankömmling gerade Manson genannt hat, rückt einige Zahnräder an die richtigen Stellen.

Mein Kopf schnellt nach oben, sodass ich mich an der Tischkante stoße. Ich starre ihn an. Er starrt mich an. Beide können wir es kaum glauben, den jeweils anderen hier zu sehen, jedenfalls geht es mir so, und seinem Gesichtsausdruck zu urteilen denkt er dasselbe. Kaum zu glauben, aber er sieht noch genauso aus wie vor einigen Monaten als ich ihn zuletzt gesehen habe. Dann dreht sich Matt weg und setzt sich an einen freien Platz am Fenster, am anderen Ende des Raumes.

»Was, du bist überrascht?«, fragt mich Cass im Flüsterton.

»Äh...« Ich blinzele ein paar Mal schnell hintereinander. »Ja. Woher sollte ich wissen, dass er an die Midtown High geht?«

»Ich dachte, gerade deswegen hast du sie ausgesucht.«

»Was?« Ich drehe mich zu ihr. »Wie kommst du denn darauf?«

Cass zuckt mit den Schultern und wendet sich mit einem Grinsen der Tafel zu. »Nur so.«

Wir fassen die Fakten zusammen: Cass ist hier, aus einem guten Grund, mit einer guten Begründung. Matt ist hier - ausgerechnet an der Midtown High? Okay, wieso bin ich überrascht, immerhin weiß ich das schon seit einer Weile. Das sind dann also schon zwei Personen, die ich kenne, auch wenn ich komplett neu an der Schule bin.

Der Sportunterricht fällt aus, da heute der erste Schultag ist, und so haben Cass und ich eine verlängerte Mittagspause. Ich muss mit Matt reden. Aber so sehr ich meinen Kopf auch verrenke, er ist schon wieder nicht da. Es ist wie verhext. Ich hätte ihn doch direkt nach dem Unterricht ansprechen sollen, aber da war ich mental noch nicht bereit dazu.

»Sieh mal, da hinten ist noch ein leerer Tisch.« Während ich Matt gesucht habe, hat Cass nach einem Tisch Ausschau gehalten.

»Hm?«, mache ich und folge ihrem Blick. Ein leerer Tisch ganz hinten in der Kantine? Kann sie vergessen. Da steht ganz groß ›Loser‹ drüber. Ich scanne die Menschenmenge und entdecke Bree an einem noch nicht vollbesetzten Tisch. Zielstrebig gehe ich auf sie zu. »Hey«, sage ich. »Sitzt hier schon jemand?«

»Nein. Mach's dir bequem.«

Ich stelle mein Tablett auf dem Tisch ab und zwänge mich auf die Bank. »Danke.«

»Also? Erster Eindruck?« Sie rührt in ihrem Pudding herum.

»Was soll man sagen?« Ich lasse meinen Blick durch die Kantine schweifen. »Interessantes Gebäude, interessante Fächer. Interessantes Essen.«

»Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Apropos, willst du vielleicht 'nen kleinen Rundgang bis Englisch? Hab gesehen du bist im gleichen Kurs wie ich.«

Cass öffnet den Mund. »Eigentlich wollte Eloise uns-«

Ich stoße sie unter dem Tisch an. Auf Eloises Geplapper kann ich gut verzichten. »Das wäre echt cool.«

Eine halbstündige Tour durch die Schule später durchqueren wir in einem hallenartigen Raum, an dessen einer Wand eine Vitrine aufgestellt ist.

Cass bleibt davor stehen. »Wow, wem gehören denn die ganzen glänzenden Pokale da drin?«

»Die Wall Of Fame«, erklärt Bree, klingt dabei aber eher desinteressiert. »Wir gewinnen ständig irgendwas, da ist das keine große Sache mehr. Hey, müsst ihr euch nicht noch Arbeitsgemeinschaften aussuchen?« Sie wendet sich zu mir. »Wie wär's, wenn du mit zum Academic Decathlon kommst? Das ist immer Freitagnachmittag. Wir bereiten uns gerade auf den Wettkampf im Herbst vor, aber du kannst bestimmt mal vorbeigucken.«

»Klingt cool, da bin ich dabei.« Okay, eine Arbeitsgemeinschaft habe ich schonmal gefunden. Am schwarzen Brett hängen noch mehrere Möglichkeiten, und genau dort stehen jetzt Cass und ich.

»Wie wär's damit: Altgriechische Philosophie.« Sie lässt ihren Blick über das Brett schweifen. »Oder doch lieber Schach? Halt, nein, ich wollte schon immer Zumba tanzen lernen.«

»Pass auf, wenn dich jemand hört landest du da wirklich drin.« Ich sehe ein Plakat, auf den für die Basketballmannschaft geworben wird, und schon projiziert mein Großhirn das Gesicht von Matt vor mein inneres Auge. Der Idiot hat mich nichtmal gegrüßt, warum sollte ich jetzt auf ihn zugehen? Nein, das kann er sich abschminken.

»Hey, nächste Woche ist ein Vorspiel für die Schulband«, sagt Cass aufgeregt und deutet auf einen Aushang. »Denkst du ich sollte da mitmachen? Vielleicht brauchen die jemanden am Klavier Schrägstrich Keyboard.«

Ich zucke mit den Schultern. »Warum nicht? Mit deinem Charme bist du schon so gut wie drin.«

Dads Wagen steht so da, dass es aussieht, als wäre er nie weggefahren. Er lehnt sich aus dem Fenster und setzt die Sonnenbrille ab.

»Na Küken? Wie war der erste Schultag?«, fragt er, nachdem ich mich auf den Beifahrersitz geworfen habe.

»Ganz ehrlich? Wenn das immer so langweilig ist, dann komme ich nicht mehr.« Englisch war wie zu erwarten grauenvoll, und in Musik wurde angekündigt, dass wir bis Weihnachten nur Theorie machen werde. Ich werfe meinen Rucksack nach hinten. Dann stelle ich die Klimaanlage an und das Radio leiser. »Wusstest du, dass Cass in meinen Jahrgang geht?«

»Vielleicht.« Dads Mundwinkel zieht sich nach oben. »Vielleicht war auch ich derjenige, der ihrem Vater die Lehrstelle am Brooklyn College besorgt hat.«

»Und wann hattest du vor, mir das zu erzählen?«

»Hey, wozu sind Überraschungen da?«

»Ich glaube ich hatte genug Überraschungen für heute«, murmele ich.

Beim Abendessen im Tower - ich sollte wohl besser noch erwähnen, dass jetzt alle, ausnahmslos alle Avengers ständig bei uns rumhängen. Zumindest Teilzeit. Bruce hat noch irgendwo in Upstate New York seinen Rückzugsort (ich vermute eine kleine Holzhütte mit einem unterirdischen Labor) in den er sich immer absetzt, wenn es ihm im Tower zu stressig wird. Thor kommt eher selten vorbei, meistens ist er in Asgard oder bei Jane in London. Ich überlege schon seit einiger Zeit, ob ich ihn bei Will vorbeischauen lasse, aber der würde eher 'nen Herzinfarkt bekommen als sich über meine Grüße zu freuen. Auch Clint Barton scheint noch eine andere Wohnung zu haben, nur wo will er mir nicht verraten. Wahrscheinlich irgendein Nest auf einem Penthousedach in Downtown. Nat und Steve dagegen wohnen offiziell im Tower, wenn auch beide tagsüber öfters verschwinden. Von Nat weiß ich, dass Sam Wilson (The Pigeon, wie ich ihn nenne) und Steve auf einer Mission sind, Steves Jugendfreund Barnes zu finden. Wahrscheinlich klappern sie sämtliche Kriegsveteranen-Vereine und Museen ab, um irgendeine Spur von ihm zu finden.

Nat ist so ziemlich die coolste Mitbewohnerin, die man sich vorstellenkann. Zunächst mal - sie macht die besten Bliny der Welt. Und sie gibt mir zusätzliches Kampftraining. Sie beherrscht fünfzehn verschiedene Kampfsportarten, spricht acht Sprachen fließend - aber in MarioKart ist sie unvorstellbar schlecht. Keine Ahnung wieso, aber ich gewinne immer haushoch.

Wie auch immer, die Anwesenheit der Rächer hat mir meinen Aufenthalt im Tower sehr viel angenehmer gemacht, vor allem nach vier Wochen Zwangsurlaub dank Dad.

Beim Abendessen - Pepper hat gekocht - muss ich noch mal ganz von vorne von meinem Schultag erzählen.

»Hast du schon Freunde gefunden?«, fragt Steve kauend.

»Ihr tut alle so als wäre ich gerade in die erste Klasse gekommen«, beschwere ich mich.

»Steve meint Verbündete«, wirft Nat ein. »Such dir auf jeden Fall ein paar Verbündete. Sonst stehst du die drei Jahre nicht durch. Du wirst auf jeden Fall jemanden brauchen, von dem du im Notfall die Hausaufgaben abschreiben kannst. Oder falls du jemandem eins auswischen willst.«

Dad ist da anderer Meinung. »Keine guten Tipps. Du brauchst eher ein paar Sündenböcke, auf die du Anschuldigungen abwälzen kannst.«

»Das sind ja alles ganz schöne Ideen«, sage ich. »Aber ich bin in der Zehnten, nicht auf dem College.«

»Du weißt gar nicht, wie hart High School sein kann.«

»Woher willst du das wissen, hast du nicht alle Klassen übersprungen?«

»Nur Neunte bis Elfte«, rechtfertigt er sich. »Das hättest du auch haben können.«

»Ganz ehrlich, Dad, ich bin froh, dass alles so ist, wie es ist.«

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So Leute, da wären wir: das erste Kapitel. Updates kommen regelmäßig. Ich freue mich so auf diesen Teil xD

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