2 | Judy | a deal

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Am Morgen schlurfe ich müde in die Küche, wo Dad auch schon am Tresen steht. Ich spreche ihn lieber nicht an, ohne seinen ersten Kaffee am Morgen ist er uner­träglich, und wahrscheinlich hat er noch einen Kater von der Party. Ich wundere mich, warum er heute überhaupt aus dem Bett gekommen ist. Deswegen nehme ich mir ein Toast und ein Glas Nutella. Und einen Löffel. Ich setze mich auf einen Hocker und fange an, das Nutella-Glas auszulöffeln.

»Das ist aber kein nahrhaftes Frühstück«, sagt Dad, nachdem er einen Schluck aus seiner Kaffeetasse genommen hat. Auf dieser ist das Iron Man Logo mit der Auf­schrift ›#1 Dad‹ zu sehen. Dreimal dürft ihr raten, wer ihm die Tasse geschenkt hat.

Ich zucke mit den Schultern und stelle das Glas zurück auf den Tisch. Mein Blick wandert zur Uhr und mir fällt etwas ein. »Ich habe eine Freundin für heute eingeladen. Wenn das in Ordnung ist«, sage ich.

»Ich kann ja jetzt wohl kaum mehr was daran ändern, oder? Naja egal, Hauptsache ihr geht nicht in die Labore. Die sind Tabu, vor allem nach deiner Aktion gestern. Verstanden?«

Ich nicke brav, habe aber natürlich nicht unbedingt vor, dieses Verbot einzuhalten.

»Miss, Ihr Besuch ist eingetroffen«, informiert mich Jarvis.

»Wie auch immer, bis dann«, verabschiede ich mich von Dad und verlasse die Kü­che. Ich schlendere zum Fahrstuhl, als sich auch schon die Tür öffnet.

»Judy!«, ruft Celly und stürmt auf mich zu.

»Celly!«, rufe ich in der gleichen Tonlage zurück.

Dad kommt an uns vorbeigelaufen.

»Hallo Mr. Stark«, begrüßt Celly ihn, doch dieser zieht nur eine Augenbraue hoch und nickt ihr kurz zu. Sie wendet sich wieder mir zu und zieht eine Grimasse. »Der ist ja gut drauf heute.«

Ich zucke mit den Schultern. »War 'ne krasse Party.«

»Und was machen wir heute?«

»Ich habe ein paar Dokumente geklaut, die würde ich mir gerne ansehen«, sage ich.

»Du hast was?«, erwidert Celly ungläubig.

»Dokumente geklaut. Wissenschaftliches Zeug. Aus dem Labor. Dad hat, wie gesagt, gestern eine Party geschmissen, und ich wollte den Grund erfahren«, erkläre ich unschuldig und zucke mit den Schultern.

Also machen wir uns heimlich erst auf den Weg in mein Zimmer, wo ich die Blätter zusammenkrame, und Celly sich mittlerweile auf mein Bett fallen lässt.

»Es ist so weich und flauschig«, sagt sie glücklich.

»Komm schon, wir müssen weiter. Ich habe alles geplant, Doctor Banner müsste gerade nicht da sein.«

»Und dein Vater?«

»Der ist...«, ich mache eine wirre Handbewegung, »na gut, hoffen wir einfach mal, dass er nicht ins Labor geht.«

»Klingt nach einer gefährlichen Mission. Gefällt mir«, freut sich Celly und hüpft vom Bett auf. »Also los. Ne warte... Eine Frage noch: Worum ging es nochmal genau?«

Ich seufze. »Gestern auf der Party hatte Dad ein Gespräch mit Carl Van Vries. Und ich habe ein paar Worte aufgeschnappt, ganz zufällig natürlich, und deswegen möchte ich mehr über dieses sogenannte ›Projekt‹ erfahren.«

Celly und ich setzen unseren Weg in die Labore fort. Dort angekommen tippe ich die gewohnte Zahlenkombination in das Touchpad ein. Es leuchtet kurz rot auf.

»Ach Mist, er hat den Code geändert«, fluche ich.

»Das heißt wir kommen da nicht rein?«

»Na klar, irgendwie schon.«

»Notfalls können wir versuchen, die Tür einzuschlagen oder so«, schlägt sie vor. In diesem Moment biegt ein bekanntes Gesicht um die Ecke.

»Mist«, murmele ich.

»Was zur Hölle tut ihr hier?«, fragt Dad, sichtlich entgeistert.

»Äh...« Schnell überlege ich mir eine Ausrede. Doch bevor ich den Mund öffnen kann, kommt Dad mir zuvor.

»Ich habe gesagt ihr dürft nicht in die Labore! Hörst du mir überhaupt zu, wenn ich etwas sage?!«, redet er sich in Rage.

»Wir wollten nur mal kurz reinschauen. Ich wollte Celly alles zeigen«, sage ich so unschuldig wie nur möglich.

»Nur mal kurz reinschauen, soso. Und was sind das für Blätter?«

Schnell verstecke ich die Unterlagen hinter meinem Rücken. »Nichts.«

Er nimmt sie mir aus der Hand und betrachtet sie. »Das sind Banners Aufzeichnungen über den Ark-Reaktor. Wo hast du die her?«

»Aus dem Labor.«

»Du machst mich fertig«, seufzt Dad und reibt sich die Augen. »Kein Labor mehr, verstanden? Und wenn ich dich noch einmal auf dieser Etage sehe, gibt es kein Nutella mehr für die nächsten fünf Jahre. Ist das klar?«

»Ich wollte nur wissen, was es mit diesem blöden Projekt auf sich hat«, rechtfertige ich mich verärgert.

»Das wirst du spätestens nächste Woche auf der Pressekonferenz erfahren. Und jetzt verschwindet von hier.« Er scheucht uns in Richtung Fahrstuhl. »Jarvis, hab ein Auge auf die Beiden, damit sie ja nicht noch mehr Unsinn anstellen.«

»Ja, Sir

»So ein Mist«, murmele ich wütend.

»Hey, ist doch nicht schlimm. Wir können doch was anderes machen. Einen Film gucken oder so«, versucht Celly mich aufzumuntern. »Warum willst du unbedingt wissen, was das Projekt ist?«

Ich starre sie fassungslos an.

»Okay gut, ich will's ja auch wissen«, gesteht sie augenverdrehend

»Hallo? Hier steht Nutella auf dem Spiel«, fahre ich sie an.

»Ich kann dir welche zustecken. Ganz heimlich, versteht sich.«

Ich schüttele den Kopf. »Er meint es eh nicht ernst. Vielleicht können wir aus Doctor Banner etwas rausquetschen.«

»Ist er hier?«

»Gestern war er noch da. Wahrscheinlich schläft er.« Der Fahrstuhl hält an und wir steigen aus.

Wir haben dann doch noch eine weitere Beschäftigung gefunden: Singstar. Das Sofa steht jetzt fast an der Tür, damit wir genug Platz zum Tanzen haben. Irgendwie ist das unser Ding geworden: Singen und Tanzen, mehr schlecht als recht. Obwohl Cellys Stimme gar nicht mal so grausam wie meine klingt, was bei AC/DC sowieso keinen Unterschied macht.

»It's a long way to the top if you want to rock'n roll«, singen wir beide und hüpfen mit den Controlern in der Hand vor dem riesigen Bildschirm hin und her. Das klingt nicht halb so anstrengend, wie es ist.

Nach zwölf Liedern sinke ich erschöpft auf die Couch. »Kein Bock mehr«, sage ich.

Celly wirft ihren Controler auf den Glastisch. Ich beobachte sie, wie sie mein Zimmer begutachtet. »Boah, das ist mindestens so groß wie unser Gemeinschaftraum.«

Was ich vielleicht noch erwähnen sollte: Sie geht auf eine Zauberschule. So richtig habe ich den ganzen Kram nicht verstanden, und irgendetwas sagt mir, dass ich es lieber nicht hinterfragen soll.

»...und ich liebe diese Hängematte. Und die Aussicht erst!«

Ich grinse.

Celly geht weiter zu meinem Kleiderschrank. »Hattest du das alles überhaupt schon mal an?«, ruft sie von drinnen. Ich beuge mich über die Couchlehne nach vorne. Celly kommt mir mit einem melonenfarbenen Sommerkleid entgegen. In der anderen Hand hält sie eine Lederjacke. »Auf jeden Fall lustige Kombinationen.«

»Probier' doch welche an«, schlage ich vor.

»Echt jetzt? Cool.«

Bald schon liegen mehr Sachen in meinem Zimmer verstreut als in meinem Kleiderschrank. Celly probiert gerade einen modischen Hosenanzug an, ich ziehe mir ein blassblaues Abendkleid über. Mit einer Hand fächele ich mir Luft zu, mit der anderen werfe ich mir einen dieser komischen Faux-Fur-Schals über die Schulter.

»Man bringe mir ein Getränk«, sage ich mit säuselnder Stimme. »Mich verlangt nach einer Erfrischung.«

»Heißt das nicht ›mir‹?«

»Keine Ahnung.« Ich ziehe das Kleid wieder aus und werfe es auf den Stapel, der sich auf meinem Bett gebildet hat. Na toll, das muss ich alles wieder aufräumen. Wir haben natürlich Reinigungskräfte, aber Pepper hat ihnen ausdrücklich eingeschärft, sie sollen ja nicht mein Zimmer putzen. Ich soll das selbst machen, von wegen Verantwortung und bla bla. Wir kennen die Leier.

Celly schaut auf ihre Armbanduhr. »Ah Mist, ich muss los, wenn ich den Zug noch schaffen will. Bringst du mich runter?«

»Du kennst den Weg zum Fahrstuhl«, sage ich und grinse.

Nachdem ich Celly runter in die Lobby gebracht habe, fahre ich zurück in mein Zimmer und mache mich ans Aufräumen. Kurz überlege ich, ob ich einfach alles von meinem Bett auf den Schreibtisch verlagern soll. Aber den brauche ich. Also alles auf's Sofa. Für's erste.

Als ich die T-Shirts zusammenraffe, fällt etwas vom Tisch herunter. Ich werfe die Sachen, die ich in den Armen halte, aufs Bett und hebe das Gerät auf. Vom Aussehen her ähnelt es einem GPS-Gerät. Ich suche einen Knopf zum Anschalten. Irgendwo muss ich wohl draufgedrückt haben, denn auf einmal leuchtet der Bildschirm auf. Ein Ladebalken erscheint.

2%.

Zwei Prozent wovon? Was ist das überhaupt, und wo kommt es her? Ich wiege es in meiner Hand. Es ist nicht schwer und auch nicht so klobig wie herkömmliche GPS-Geräte. Vielleicht habe ich es gestern aus Versehen mit Banners Dokumenten mitgenommen?

3%.

Mann lädt das langsam. Ich werfe es zurück auf den Schreibtisch. Wenn es fertig geladen hat, sehe ich es mir nochmal genauer an. Aber jetzt werde ich erstmal Dad wegen gestern ausquetschen.

Unsere Abendessen zu dritt enden nicht selten in Streitereien oder der vollkommenen Verzweiflung einer der Personen. In diesen Fällen ist es meistens Pepper. Trotzdem werde ich es versuchen. Wird schon nicht in einem Desaster enden. Als ich das das letzte Mal gedacht habe, hat ein feuerspeiender Typ Pepper entführt und Dad wurde totgeglaubt. Ich schiebe den Gedanken beiseite. Langsam herantasten.

»Wo wart ihr gestern?«, frage ich.

»Wie bitte?« Pepper sieht mich verwirrt an.

»Ihr wart weg. Und Dad hatte eine Krawatte um, was konnte so wichtig sein?« Sehr taktvoll, Judy, ehrlich. »Soll ich raten?«, frage ich, als die beiden mich nur nichtssagend ansehen. »Okay, also es hatte etwas mit der Firma zu tun, richtig? Oder sind es Killerroboter? Nein, halt, ich weiß es: Ihr werdet heiraten!«

»Sei nicht albern, Judy«, sagt Dad verärgert.

»Es wird eine Pressekonferenz geben«, erinnere ich mich an seine Worte vor dem Labor.

»Du hast es ihr erzählt?« Pepper sieht Dad entgeistert an, mit diesem speziellen, für ihn reservierten Blick, wenn er etwas ausgefressen hat.

»Was? Nein, wie kommst du drauf?«

»Eine Pressekonferenz also«, sage ich zufrieden. Ich nippe an meinem Glas. »Gibt's schon Details?«

»Wie wär's mit 'nem Deal«, sagt Dad und lehnt sich ein Stück über den Tisch. »Wir erzählen dir von der Gala, aber nicht von dem Grund – und du wirst auch nicht nachfragen.«

Ich öffne den Mund. Ich klappe ihn wieder zu. Klingt fair. Vor allem, weil ich das Wieso sowieso noch vorher herausfinden werde. Aber hat er Gala gesagt? »In Ordnung«, stimme ich zu. Ich schiebe meinen leeren Teller von mir und sehe Pepper und Dad erwartungsvoll an.

»Die Gala findet nächsten Samstag hier im Tower statt. Wir empfangen zunächst die Gäste–«

»Wer kommt alles?«, unterbreche ich Pepper. »Dieser Van Vries? Und was ist mit Nicholson? Ne, echt jetzt?« Ich brenne wirklich nicht so darauf, Brooklyn wiederzusehen. Genauso wenig wie William Nicholson selbst.

»Lässt du mich bitte ausreden? Also, nach dem Empfang mit Champagner, Häppchen und so weiter, werden Tony und ich etwas vorstellen. Danach gibt es ein Bankett.«

»Und eventuell eine kleine After-Party«, fügt Dad hinzu.

Pepper wirft ihm wieder einen strengen Blick zu, hat aber sonst nichts dagegen einzuwenden.

»Was ist mit Banner? Und Steve und Natasha? Habt ihr sie auch eingeladen?«

»Eingeladen schon«, sagt Dad, »aber ich glaube nicht, dass sie kommen. Außerdem wusste ich nicht, wie ich eine Nachricht an Thor schicken sollte. Reicht ein Gebet? Oder doch lieber eine Opfergabe am heiligen Feuer?«

»Schick doch 'ne Mail. Vielleicht gibt's in Asgard WLAN.« Im Gegensatz zur Nicholson Family freue ich mich, die Avengers wiederzusehen. Das wird spaßig.


Ich werde von einem nervtötenden Piepen geweckt. Es ist früh. Zu früh. Ich presse mir in Kissen auf die Ohren, aber es hört nicht auf. Schließlich wird es mir doch zu viel und ich krieche aus dem Bett. Mein Wecker ist es nicht. Und mein Handy ist ausgeschaltet, also was zur Hölle kann es sein? Das GPS-Gerät! Anscheinend hat es jetzt fertig geladen. Und das mitten in der Nacht. Ich blinzele in das grüne Licht des Bildschirms. Darauf stehen Koordinaten. Wohin führen die? Ich gähne. Nein, ich bin zu müde, um das jetzt zu überprüfen. Außerdem habe ich morgen wieder Unterricht, und ich will nicht über den Integral-Rechnungen einschlafen.

»Morgen«, sage ich zu mir selbst, bevor ich wieder in die weichen Kissen sinke.


Gähnend setze ich mich am nächsten Morgen an den großen Glastisch im Esszimmer. Ich stütze meinen Kopf in die Hände, und starre Löcher in den Einband dieses blöden Lyrik-Buches. Wozu zur Hölle sollte man Gedichte interpretieren? Aber Mrs Manson liebt Poesie, und sie ist meine neue Privatlehrerin. Seit ungefähr fünf Monaten oder so.

Dad kam, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer. »Was tust du da?«, fragte er verwundert.

»Scht«, murmelte ich. »Sieht man doch.«

»Du stehst mit Büchern auf dem Kopf auf einem Bein und versuchst, das Gleichgewicht zu halten?«

»Ganz genau.«

Er schüttelte den Kopf. »Viel Spaß dabei. Wie auch immer, ich habe eine neue Lehrerin engagiert. Sie fängt am Montag hier an.«

»Was?!« Die Bücher fielen herunter, eins landete direkt auf meinem Fuß. Ich ignorierte den Schmerz und starrte Dad fassungslos an. »Ich dachte, das Thema wäre vom Tisch?«

Als wir noch in Malibu wohnten, hatte ich auch schon Privatunterricht. Ich mochte Ilona, aber sie konnte nicht mit uns nach New York ziehen. Und ausgerechnet jetzt, nach zwei Monaten schleppte Dad eine neue Lehrerin an? In dieser Zeit hatte er mich mehr oder weniger – unterrichtet konnte man es nicht nennen aber so ähnlich, wir haben lustige Experimente in seinem Labor gemacht, die nicht selten damit endeten, dass DUM-E kleine Brandherde löschen musste.

»Was hast du denn gedacht, dass ich dich auf eine normale Schule schicke?«

»Äh, ja? In London bin ich auch zur Schule gegangen, und da kam ich gut zurecht«, bestritt ich.

»Du bist aber nicht mehr in London, schon lange nicht mehr. Das hier ist Amerika, hier ist es gefährlich, vor allem als die Tochter des berühmten Tony Stark«, argumentierte er und verschränkte die Arme.

Ich schnaubte auf und bückte mich, um die Bücher aufzusammeln. »Und du denkst, du kannst mich vor den Gefahren da draußen beschützen indem du mich hier einsperrst?«

»Ich sperre dich nicht ein. Du kannst gehen, wohin du willst. Ich wäre darüber nur gerne informiert, von mir aus kannst du es auch Jarvis sagen. Aber du gehst nicht an eine öffentliche Schule.«

»Da mach ich nicht mit.« Ohne ausreichend Argumente – konnte er vergessen.

»Doch«, sagte Dad.

»Nein.«

»Okay, was muss ich tun, damit du diese Entscheidung akzeptierst?«

Ich presste die Lippen aufeinander und sah ihn mit dem kältesten Blick an, den ich aufbringen konnte.

»Judy, das zieht nicht, und das weißt du.«

Ich atmete schnaubend aus. »Dann will ich Kampfsport-Unterricht«, forderte ich schließlich. Das wollte ich sowieso schon lange, und jetzt hatte ich ein Druckmittel.

Dad zog eine Augenbraue hoch. »Du willst–«

»Das oder gar nichts. Deal?« Ich grinste. Er hatte keine andere Wahl. Einige Sekunden lang lieferten wir uns einen stillen Kampf.

»In Ordnung«, sagte er und ließ seine Hände fallen. »Ich organisiere jemanden. Aber wehe du zerschlägst Vasen oder Holzbretter oder sowas.« Mit diesen Worten ging er.

Wieder ein Punkt für mich.

Mrs Mansons Unterricht ist nicht schwierig für mich, vor allem die Naturwissenschaften sind ein Klacks. Nur manchmal wird sie schneller nervös als Ilona, und wirklich durchsetzungsfähig ist sie auch nicht. Mit ihr komme ich klar, aber wenn sie dieses Gedichte-Programm noch länger durchzieht, wird ihr das leidtun.

Aus dem Flur höre ich das Geräusch schneller Schritte, und ich höre auf, vor mich hin zu dösen.

»Ah, Judy, du bist schon da«, begrüßt mich Mrs Manson in ihrer hellen Stimme.

Ich sehe auf, murmele ein »Guten Morgen« und gähne herzhaft.

»Halte dir wenigstens die Hand vor den Mund«, tadelt sie mich. Sie setzt sich mir gegenüber an den Tisch. »Ich glaube, wir müssen deine Etikette sowieso noch etwas auffrischen, von Miss Potts habe ich gehört, dass am Samstag eine Gala stattfindet.«

Stimmt. Die Gala. Spaß und Freude, während man sechs Stunden lang rumsteht und Kiefersperre vom Lächeln bekommt. »Heißt das, wir machen heute keine Literatur?«, frage ich hoffnungsvoll. Das dauert immer ewig. Ich muss das GPS-Gerät noch genauer überprüfen, bevor es zu spät wird.

»Mal sehen... Hast du das Buch gelesen?«

Ich deute auf den Wälzer vor mir. Ja, gelesen. Wozu gibt es denn das Internet?

Den zweiten Teil unseres Deals hat Dad natürlich auch eingehalten, wenn auch nach vielem hin und her. Letztendlich war es mal wieder meine Hartnäckigkeit, die gesiegt hat. Mittlerweile hat er sich mit meiner Entscheidung abgefunden.

Mein Trainer ist ein schweigsamer Japaner, aber nicht auf die gruselige Art, sondern auf eine entspannte Weise. Er redet wirklich nicht viel, nur, wenn er mich zurechtweist, dass ich zu viel rede. Am Anfang jeder Trainingseinheit meditieren wir immer, und mehr als einmal bin ich währenddessen fast eingeschlafen. Aber immerhin bin ich nicht mehr ganz so wehrlos, sollte ich jemals wieder in eine Situation geraten, wo mich ein verrückt gewordener Halbgott aus einem Fenster werfen will. Hoffentlich sind diese Zeiten vorbei.

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