29 | geez, not again

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Der Montag geht schleichend vorbei. Jedenfalls kommt es mir so vor. Ich lege meinen Kopf auf die Bank und schiele zur Uhr. Neun Uhr morgens. Alles was uns Mr. Cressel über Vektorrechnung erzählt rauscht an mir vorbei. Nur ab und zu schrecke ich hoch und kritzele etwas in meine Aufzeichnungen.

Kurz vor Ende der Frühstückspause kommt Matt auf mich zu. Ich sitze auf einer niedrigen Mauer und trinke Tee aus meiner Thermoskanne.

»Hi«, sagt er.

»Hi«, sage ich. Ich sehe ihn abwartend an.

»Ich wollte dich nur etwas fragen. Eigentlich hätte ich das schon viel früher tun sollen-«

Der Homecoming-Tanz?, schießt es mir durch den Kopf. Sofort bin ich etwas wacher. Hätte nicht erwartet, dass er von alleine draufkommt

»-schließlich meintest du, du schuldest mir etwas«, fährt Matt fort und wirft mich damit aus der Bahn.

Ich blinzele ein paar Mal. »Äh, sorry, aber worum geht's?«

»Die Gegenleistung«, sagt Matt.

»Richtig. Hätt ich fast vergessen.« Um genau zu sein habe ich es vergessen. Dabei habe ich es ihm vorgeschlagen. Wie kann ich nur so vergesslich sein? »Also, was ist es?«, frage ich.

Matt setzt sich neben mich auf die Mauer. »Ich hab dir doch erzählt, dass meine Eltern sich getrennt haben als ich in der Grundschule war, und... Ist jetzt auch egal, es ist so, nach der ganzen Sache in der Basis bin ich zurück zu mir nach Hause, und meine Mom wollte natürlich wissen, wo ich war. Ich habe ihr nicht alles erzählt, das konnte ich nicht, aber sie weiß, dass es um SHIELD ging-«

»Jeder wusste das«, sage ich.

»-und anscheinend hat mein Dad für SHIELD gearbeitet.«

»SHIELD gibt es nicht mehr.«

»Glaubst du das wirklich?«

Ich seufze. »Nein.« Ich nehme einen letzten Schluck Tee und schraube die Thermoskanne wieder zu. Keine Ahnung, wieso ich überhaupt draußen sitze, denn in den letzten Tagen hat sich der Herbst eindeutig in New York City eingenistet. Am Himmel hängen graue Regenwolken. »Ich rate einfach mal ins Blaue: du willst, dass ich dir helfe ihn zu finden, hab ich Recht?«

Matt reibt sich den Nacken. »Ja.«

Mehr als eine kleine Recherche wird das schon nicht sein. Minimaler Aufwand, dafür bin ich Matt nichts mehr schuldig. »Am Ende der Woche bekommst du ein Ergebnis. Wie heißt er?«

»Richard. Richard Goodwin.«

»Ich finde ihn, versprochen. Und sollte ich deine Hilfe benötigen, klingele ich bei dir durch. Aber bitte teleportiere dich nicht nachts in mein Zimmer, wenn es dir zu langsam geht.«

»Warum sollte ich auf die Idee kommen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Weiß auch nicht.« Ich schultere meinen Rucksack und gehe zurück ins Schulgebäude. Ja, ich bin enttäuscht. Er wird dich nicht fragen, gib's auf. Was habe ich nur für eine Einstellung dem Ganzen gegenüber? Ich könnte genauso gut ihn fragen. Nein, das wäre lächerlich. Ich gehe einfach mit Bree und den anderen, wie geplant. Aber was sage ich dann Winston? Und Cass will bestimmt auch mitkommen. So kompliziert habe ich mir meine Schulzeit nicht vorgestellt.







Dienstag. Mittagspause. Ich habe eine erniedrigende Stunde Französisch hinter mir, in der mich nur Bree davon abhalten konnte, die alte Giftkuh zu erwürgen. Mürrisch rühre ich in meinem Schokopudding herum. Dabei halte ich Ausschau nach Winston. Gestern konnte ich mich jedes Mal erfolgreich wegducken, sobald er in Sicht getreten ist. Bevor ich keine klare Antwort für ihn parat habe, gehe ich ihm lieber aus dem Weg. Er ist ein netter Kerl, aber nun mal nicht das, was ich mir unter einem Homecoming-Date vorgestellt hätte.

»Mit wem gehst du zum Homecoming Ball?«, fragt Cass unvermittelt.

»Äh...« Mein Blick wandert zu Matt, der zuvor einige Tische von uns entfernt saß und nun sein Tablett abräumt.

Cass bemerkt das. »Er hat schon jemanden.«

Matt hat - was? Ich glotze Cass an, als hätte sie mir gerade eröffnet, er wäre nach Indien ausgewandert. Ich fühle mich wie vor eine Wand gestoßen. Natürlich gibt es noch andere Mädchen an der Schule, die auf ihn stehen. Ich hätte einfach schneller sein müssen.

»Ach ja? Und wen?«, frage ich so beiläufig wie möglich.

»Sophia aus dem Spanisch-Kurs.«

Ich mach kein Spanisch, deswegen hab ich sie wahrscheinlich noch nie gesehen. Wieso sie?

»...sie hat ihn nach der Stunde gefragt«, redet Cass weiter.

»Und er hat ja gesagt?«

»Äh, warum nicht? Sie ist hübsch und ihre Eltern sind reich.«

Hallo, mein Dad ist mindestens genauso reich? Und schlechte Gene habe ich nun auch nicht gerade. Ein Gefühl der Eifersucht macht sich in mir breit, als ich meinen Blick von ihm abwende. Was juckt es mich? Soll er doch machen was er will.

»Wenn du mit ihm gehen wolltest, hättest du ihn einfach fragen müssen«, sagt Cass, zuckt mit den Schultern und schiebt sich eine Gabel Kartoffelbrei in den Mund.

»Quatsch, ich hatte nie vor mit ihm zu gehen.« Kopfschüttelnd stelle ich den leeren Puddingbecher auf mein Tablett.

»Judy, hör auf dir was vorzumachen. Ich hab euch beide lange Zeit beobachtet, und ich glaube da läuft was zwischen euch, ihr wisst es nur noch nicht.«

»Du meinst wohl, er weiß es nicht«, brumme ich.

»Da siehst du; solche Bemerkungen sind es. Sieh's ein. Du stehst auf Matt.«

»Red keinen Stuss, Cass«, sage ich verärgert. »Wir beide passen ungefähr so gut zusammen wie Mr. Harrington und Black Widow.«

»Versuch dich da nicht rauszureden. Ich hab das schon im Sommer bemerkt.«

»Und wenn schon!« Langsam gehen mir die Argumente aus. Deshalb stehe ich auf, um den Rest meines Kartoffelbreis in den Müll und mein Tablett in die Tablettrückgabe zu befördern. Cass verstaut ihren Schokopudding in ihrer Schultasche und folgt mir. Leider.

»Es stimmt doch, oder?«, hakt sie weiter nach. »Du-«

»Lass es einfach sein, Cass«, fahre ich sie scharf an. »Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen.«

Sie öffnet den Mund. Doch gerade als ich denke, ich hätte sie sprachlos gemacht, wettert sie los: »Vor ein paar Wochen hast du noch gesagt, Matt sei ein Tabu-Thema; du wolltest überhaupt nicht mit ihm reden, hast ihn mit kreativen Wörtern beleidigt und dich ausschließlich über ihn beschwert. Bei mir. Und dann urplötzlich, vor einer Woche, redet ihr miteinander, sprecht euch aus, und alles ist Friede Freude Eierkuchen, aber soll ich dir was sagen? Nicht mit mir. Du erwartest von mir, das alles einfach so hinzunehmen. Am Anfang habe ich echt versucht, damit klarzukommen, aber weißt du was? Wenn Matt nicht der ist, für den du ihn hältst, bitteschön. Aber dann nicht... so. Immer dieses ›Hach, wir beide haben so viele Geheimnisse untereinander und treffen uns außerhalb der Schule, während wir vor allen anderen so tun als würden wir uns nicht kennen aber heimlich flirten‹, und das kotzt mich an, Judy. Wenn du mir nichts erzählen willst, schön, hervorragend. Dann musst du mir aber nichts mehr erzählen.«

Sie piekst mir mit einem Finger in die Brust. »Nie. Wieder. Und da mein Leben und meine Probleme dich genauso wenig interessieren zu scheinen, auch schön. Wir sind fertig. Häng doch mit Bree rum, und Chase Mills, oder deinem neuen Boyfriend Matt, mir auch egal. Bye Bye.« Sie macht auf dem Absatz kehrt und stampft den Flur entlang.

»Schön!«, schreie ich ihr hinterher. Das letzte Wort habe hier immer noch ich. »Ich wünsche dir viel Spaß alleine auf dem Homecoming-Ball!«

Warum zur Hölle muss sich Cass so aufführen? Nur weil sie zufälligerweise beobachtet hat, dass Matt und ich wieder miteinander reden (schreibt es nieder!), muss sie doch nicht so tun, als wäre sie der Beziehungsexperte vom Dienst. Während ich, immer noch aufgewühlt, vorm Eingang zur Kantine stehe, sehen mich zwei Neuntklässler, die gerade vorbeilaufen, komisch an. »Was gibt's da zu gucken?«, fahre ich sie an und rausche in Richtung Mädchentoilette davon.

Das hast du mal wieder hervorragend hinbekommen, schelte ich mich. Cass ist sauer auf mich, aus einem mir komplett unverständlichem Grund, und Matt geht mit irgendeiner anderen zum Homecoming-Tanz. Super. Besser kann es gar nicht mehr laufen. Mit einer Miene aus Stein setze ich mich in der nächsten Stunde auf meinen gewohnten Platz. Ich fasse einen Entschluss.

Nach dem Unterricht sage ich Winston zu.



»Pepper!« Achtlos lasse ich mein Schulzeug vor der Treppe auf den Boden fallen. »Pepper!« Ich schlittere an der Küche vorbei bis ich im Türrahmen des Wohnzimmers zum Stehen komme. »Pepper?«

»Miss Potts befindet sich momentan außer Haus«, teilt mir Jarvis' Stimme mit. »Soll ich ihr eine Nachricht zukommen lassen?«

Nachdenklich kaue ich auf der Innenseite meiner Wange herum. »Ist Natasha da?«

»Auf den Gemeinschaftsraumebenen.«

Keine zwei Minuten später platze ich mit der gleichen Energie wie schon vorher in den beinahe leeren Gemeinschaftsraum. »Nat, ich brauche deine Hilfe«, erkläre ich außer Puste.

Die ehemalige Assassine lehnt in einem Sessel und streicht mit einem hellgrünen Textmarker ganze Passagen in einem roten Buch an, klappt es aber sofort zu, als sie mich sieht. »Ein Mord?«

»Zur Abwechslung mal nicht. Nein, ich brauch ein Kleid für den Homecoming-Tanz.«

Ein Grinsen schleicht sich auf Natashas Lippen. »Sag nichts mehr. Wer ist denn der Glückliche? Dieser blonde?«

»Wie kommst du drauf, dass ich mit einem Date hingehe? Vielleicht treffen wir uns auch einfach nur als Gruppe von Freunden?«

Nat sieht mich bloß an und hat mich durchschaut.

»Ja, ein Junge«, gebe ich zu. »Er heißt Winston.«

»Also dann. Ein Outfit werden wir für dich schon finden.«

Ich halte die Kreditkarte hoch, die Dad mir geschenkt hat (und die eigentlich nur für Notfälle gedacht ist). »Von mir aus können wir gleich los.«



Zu meinem Glück stellt Nat keine weiteren Fragen über Winston, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Dad wird mich noch genügend darüber ausquetschen, wenn ich ihm heute Abend davon erzähle. Pepper wäre meine erste Wahl gewesen was das Shoppen angeht, aber mit Nat bin ich mindestens ebenso gut ausgestattet.

Statt also meine Hausaufgaben zu machen, bereite ich mich auf eine Shoppingtour vor. Ich hätte Brees Ratschlag befolgen sollen, mir am Wochenende ein Kleid zu kaufen, aber da war meine Entscheidung noch nicht endgültig gefällt.

Im ersten Laden stehe ich noch etwas ratlos in den schmalen Gängen zwischen den Kleiderstangen herum, bis mich Nat ins nächste Kaufhaus zieht.

»Ich war zwar lange nicht mehr Shoppen, aber ich weiß noch genau wie das funktioniert«, sagt sie, zieht einen blauen Cardigan hervor und hält ihn mir hin.

»Ich brauch nur ein Kleid«, sage ich.

Nat verdreht die Augen. »Nur ein Kleid. Wir müssen dich für eine Party ausstatten, dazu brauchen wir Schuhe, Make-up, Accessoires...«

»Du warst vermutlich nie auf einem Homecoming-Tanz, woher willst du also wissen, was dafür notwendig ist?«, hake ich nach.

»Ich habe hervorragende Menschenkenntnisse, glaub mir.« Sie legt den Cardigan wieder zurück. »Aber du hast Recht, zuerst brauchen wir das Kleid. Haben wir ein Budget?«

Ich lache so laut los, dass uns die Verkäuferin hinter dem Ladentresen missbilligende Blicke zuwirft.



»Wie wär's mit denen hier?« Natasha schiebt zwei weitere Kleiderbügel zu mir in die Umkleidekabine. Diese ist schon völlig überfüllt mit Kleidern verschiedenster Farben und Formen.

»Ich dachte wir hätten uns auf Rot geeinigt?«, rufe ich zurück. Die beiden Cocktailkleider sind hellblau und türkis.

»Probier' sie einfach mal an.«

Ich weiß gar nicht, wie oft ich mich in der letzten Stunde vor diesem Spiegel hin und her gedreht habe, wie oft Natasha ihre Meinung bezüglich meines Outfits geändert hat, oder wie oft die hilfsbereite Verkäuferin mit den Kleidern kreuz und quer durch den Laden gewuselt ist. Aber irgendwann finde ich tatsächlich das eine Kleid, nachdem ich die ganze Zeit gesucht habe. Es fühlt sich an, als hätte ich nie etwas anderes getragen, und mir ist sofort klar, dass es das sein muss.

Als ich aus der Umkleidekabine trete erwartet mich Natasha, mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Plüschhocker sitzend. Sie löst ihren Blick von dem Kleiderstapel und mustert meine Auswahl.

»Ist es das?«

Ich nicke. »Das ist es.« Der Satinrock mit Tüllfutter schwingt umher, als ich mich von allen Seiten im Spiegel betrachte. Im Licht der Deckenlampen glitzern die Strasssteine, die das aufwändig detaillierte Mieder zieren. Es hat keine Ärmel, nur dünne Spaghetti-Träger, die hinten in einen V-Rückenausschnitt übergehen.

»Eine wunderbare A-Linie«, sagt die Verkäuferin nickend und schiebt ihre Brille hoch. »Elegant aber nicht zu vornehm, jugendhaft und verspielt. Eine sehr gute Wahl.«

»Und das Beste ist: Es hat Taschen!« Ich stecke beide Hände in die Seitentaschen und drehe mich im Kreis.



Einen Milkshake schlürfend sitze ich nun mit Natasha inmitten der Shopping-Mall vor einem Eis-Café. Sie tippt an ihrem Handy herum, und ich scrolle durch die Bilder, die sie von mir in meinem neuen Kleid gemacht hat. Ich wähle eins aus, und mein Finger schwebt schon über Cass' Kontakt, bis mir unser Streit von heute Mittag wieder einfällt. Den Rest des Unterrichtstages hat sie mich schlichtweg ignoriert. In dem, was sie über Matt und mich gesagt hat, steckt mehr Wahrheit, als ich zugeben würde. Vielleicht war es falsch von mir, sie deswegen anzugiften. Andererseits geht es sie überhaupt nichts an, was Matt und ich machen. Was ist das zwischen uns beiden? Freundschaft? Muss ich mir eingestehen, dass ich vielleicht doch mehr als das will? Warum sonst war ich so enttäuscht, dass er mich nicht zum Homecoming-Tanz gefragt hat? Warum ist das alles nur so kompliziert?

Mein Handybildschirm hat sich mittlerweile verdunkelt. Nein, Cass werde ich nichts schreiben. Dann eher Bree. In letzter Zeit verstehe ich mich mit ihr sowieso besser als mit Cass. Ich schicke also Bree das Foto von meinem Homecoming-Kleid, und so schreiben wir eine Weile hin und her. Wer genau denn jetzt kommt. Wann es losgeht, wann wir uns treffen, wie lange wir bleiben. Was für Musik gespielt wird, und natürlich was für Snacks und Getränke bereitstehen werden.

»Wenn wir vor Ladenschluss noch Schuhe für dich bekommen wollen, sollten wir jetzt weiter«, sagt Natasha nach einer Weile.

Ich nuckele immer noch an meinem leeren Milkshake, den ich jetzt wegstelle und mein Handy einpacke. »Muss das sein?«, stöhne ich.

»Wenn ich vorhätte, es zu übertreiben, würde ich dir noch einen Frisörtermin für Donnerstagnachmittag besorgen.«

»Dann bin ich froh, dass due das nicht tun wirst.«



Die restlichen zwei Stunden unserer Shoppingtour bestehen aus Schuhen, Taschen, Ketten und Armbändern, von denen mir Nat mindestens zehn aufzubinden versucht. Doch schließlich haben wir noch passende Deko für mich gefunden, sodass wir am Abend beladen mit Tüten zurück in den Avengers Tower wanken. Nat hilft mir noch, unsere Einkäufe in mein Zimmer zu verfrachten, danach entschuldigt sie sich, mit der Begründung, sie ›müsse Steve und Sam aus der Patsche helfen‹, da die beiden offenbar ein Auto zu Schrott gefahren haben, und jetzt in Upstate New York feststecken.

Der aus der Küche wehende Essenduft bringt meinen Magen zum Knurren. Pepper war den ganzen Tag über, und da Dad nicht so aussieht, als hätte er sich bis eben um unser Abendessen gekümmert, bedeutet das wohl, dass Mrs. Jensen heute gekocht hat. Und das wiederum bedeutet, dass das Essen erträglich sein wird.

»Hat Nat dich entführt?«, fragt Dad, als ich mich zu ihm an den Tisch setze. Pepper werkelt noch in der Küche herum, um Mrs. Jensen mit den Tellern zu helfen.

»Ja, in die Shops am Columbus Circle. Wir haben-« Stopp. Ich kann ihm unmöglich sagen, dass ich ein Homecoming-Date habe. Das Ganze soll nicht schon vor dem Essen in einem Desaster enden. Aber was soll's, irgendwann wird er es eh herausfinden. »Sie hat mir geholfen ein Kleid zu finden. Für den Homecoming-Tanz am Donnerstag.« Ich schiele zu Dad und warte seine Reaktion ab.

»Mit wem?«

»Ach, nur ich und ein paar Freunde«, nuschele ich in mein Wasserglas. Meine Antwort entspricht der Wahrheit.

»Ist dieser Matthew auch dabei?«

»Nein.«

Nach dieser kurzen Fragerunde gibt sich Dad glücklicherweise zufrieden. Pepper gesellt sich zu uns, und so kann ich mich endlich auf das Essen stürzen.

»Bei meinem ersten Homecoming haben wir heimlich Sekt in den Punsch gekippt«, erzählt Dad. »Bis auf die Lehrer hat den aber keiner getrunken, und am späten Abend waren sie nicht mehr fähig, ihre Aufsichtspflicht einzuhalten.«

Ich grinse. »Ich glaub das machen wir auch.«

»Bring sie nicht auf dumme Ideen, Tony«, tadelt Pepper.

»Wir wurden nie erwischt.«

Ich sehe ehrlich gesagt keinen Grund, warum ich ihm die Identität meiner wahren Begleitung offenbaren soll, und dabei werde ich es erst einmal belassen. »Kannst du mich vielleicht hinfahren? Donnerstagabend, meine ich. Du darfst aber nicht dableiben«, schiebe ich schnell hinterher.

»Also bitte, falls ich Lust auf eine Party hätte, würde ich selber eine veranstalten. Und die nächste große Veranstaltung ist dein Geburtstag.«

»Der ist doch erst in 'nem Monat.«

»Ein Monat Planungszeit. Also, wie viele Gäste wollen wir einladen? Mindestens 160, das klingt nach einer guten Basis.«

»Macht einfach eine Überraschungsparty daraus.« Für die Planung meines eigenen Geburtstags habe ich gerade keine Nerven.

»Du magst keine Überraschungen«, erinnert mich Pepper.

»Ja, auch nicht, wenn sie in Form eines maßstabsgetreuen Todessterns im Wohnzimmer steht«, fügt Dad hinzu.

»Das war letztes Jahr zu meinem Geburtstag, und ich mag Star Wars nicht mal.«

»Eine Tragödie.« Gespielt traurig senkt Dad seinen Kopf und widmet sich wieder seinem Abendessen. Zumindest solange, bis Pepper aufs Geschäftliche zu sprechen kommt, und somit beide Themen, Homecoming und mein Geburtstag, zunächst vom Tisch sind.



Nach der späten Erledigung meiner Hausaufgaben erinnere ich mich an das Versprechen, dass ich Matt gegeben habe. Diesem Verräter. Wenn er mich auch nur einen Tag später gefragt hätte, ich hätte ihm ins Gesicht gelacht. Aber ein Stark hält sein Versprechen, das habe ich schon immer getan, und wegen einem unbedeutenden Drama werde ich diese Devise nicht aufgeben.

Zugriff auf die SHIELD-Datenbank habe ich zwar nicht mehr, dafür steht mir das gesamte World Wide Web zur Verfügung. Irgendetwas muss über Richard Goodwin zu finden sein.

Ich finde heraus, dass er einen Abschluss in Rechtswesen an Yale hat, und danach einige Jahre in einer Anwaltskanzlei in Queens gearbeitet hat, bis er von der Bildfläche verschwindet. Ich nehme an, dass er zu diesem Zeitpunkt von SHIELD rekrutiert wurde.

»Oh ja, die brauchen verdammt gute Anwälte«, murmele ich. Da ich mich hier wohl in einer Sackgasse befinde, konzentriere ich meine Suche auf Matts Mutter, Rita Manson. Lehrerin am Lyceum Kennedy, einer französisch-amerikanische Schule in Manhattan, davor unter anderem Privatlehrerin im Hause Stark - und da sind ja auch die Scheidungspapiere. Interessant.

Ich lehne mich kurz zurück und sehe auf die Uhr. Was soll's. Ich bringe das hier zu Ende.

Eine Heiratsurkunde von Richard und einer anderen Frau. Sally Goodwin. Ich brauche nur ihren Namen bei Google einzugeben, und schon wird mir ihr Blog vorgeschlagen, in dem sie Hausfrauentipps gibt. Auf dem Banner ist sie mit zwei Jungs zu sehen. Ihre Facebook-Seite ist verlinkt, und als ich durch die Posts scrolle, fällt mir ein Hochzeitsbild im Schwarz-Weiß-Filter ins Auge. Den Text darunter muss ich zweimal lesen, bevor ich begreife, was da steht.

Geliebter Ehemann, Vater und Freund. ›Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind und verbindet ihre Wunden - Psalm 147,3.‹

Ich blinzele den Bildschirm an. Bedeutet das...? Ein Foto darunter zeigt das Paar mit den zwei Jungs. Das Datum unten in der Ecke verkündet März 2012.

Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder aus dem Mai dieses Jahres auf. Ein auf der Seite liegendes Auto. Die zwei verängstigten Brüder auf der Rückbank. Die verletzte Frau, die mir im Nachhinein im Fernsehen gedankt hat. Und der Fahrer, dieser Mann mittleren Alters, der am Lenker saß, mit gebrochenem Genick.

Alles kommt zusammen.

Es ist zu offensichtlich.

Richard Goodwin ist tot.







Direkt in der ersten Stunde am Mittwochmorgen weist uns Mrs. Warren auf die anstehenden Examen hin. Erschreckenderweise findet die erste Prüfung schon nächste Woche statt. Alle Proteste aus der Klasse werden von Mrs. Warren niedergemacht, unter der Begründung, die Klausurpläne würden schon seit Wochen am schwarzen Brett hängen.

Soviel zum Schulgeschehen. Cass behandelt mich weiterhin wie Luft, Matt schenkt mir wenigstens ein paar Blicke, die ich mit halbherzigem Lächeln erwidere. Noch habe ich ihm nichts von den Ergebnissen meiner Recherche erzählt? Wie könnte ich? In den Pausen sitze ich bei Bree, Chase, und der Hälfte des Decathlon-Teams an einem Tisch und schiebe Pommes auf meinem Teller hin und her. Die Gespräche drehen sich beinahe ausschließlich um das Spiel der Mid Town High Tigers und den anschließenden Tanz. Zweimal begegne ich Winston, der mir beim ersten Mal nur vage zuwinkt, beim zweiten Mal immerhin ein »Ich freu mich schon auf Morgen« herausbekommt.

Alles in allem ist es ein perfekt-normal-langweiliger Tag, und ich hätte mir schon denken müssen, dass da etwas nicht stimmen kann.

Mit gemischten Gefühlen betrete ich am Nachmittag mein Zimmer. Eine Nachricht blinkt mir an meinem Computerbildschirm entgegen. Tess sollte mich informieren, sobald es Neuigkeiten über McMillan gibt.

Und die gibt es.

»Rowan McMillan wird sich am Donnerstagnachmittag in Brooklyn, New York aufhalten. Morgen früh nimmt sie einen Flieger zum John F. Kennedy Flughafen.«

»Morgen schon? Aber da ist der Homecoming-Ball!«, entfährt es mir. Nicht, dass es Tess interessieren würde. »Wie groß ist das Zeitfenster?«

»Es wird vermutlich sicher sein, sie erst nach dem Termin abzufangen. Offiziell geht dieser von fünf bis sieben Uhr, doch vermutlich wird McMillan noch einige Minuten länger bleiben, bevor sie in ihr Hotel zurückkehrt.«

Der Tanz beginnt halbsieben. Vielleicht kann ich mich nach anderthalb Stunden einfach wegschleichen, die Sache erledigen, und zurückkommen bis Dad mich wieder von der Schuleabholt. Um ehrlich zu sein habe ich keine andere Wahl. Und was ist mir wichtiger? Der Homecoming-Tanz, auf dem ich wenigstens noch die Chance hätte, Matt zu begegnen? Oder doch eher Rache an der Frau, die Mum ermordet hat?

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