Kapitel 7 - Younes
--Younes--
Am Morgen nach der Galerieeröffnung erhalte ich eine Nachricht von Cassian, die mich überrascht. Er bittet um ein Treffen. Heute ist mein freier Tag und ich habe mir nichts vorgenommen, weshalb ich Cassian schließlich zusage.
Am Nachmittag treffe ich ihn vor der Buchhandlung. Es ist ein kühler, windiger Frühlingstag und schon von weitem kann ich Cassian ansehen, dass er friert. Mit blassem Gesicht hüpft er von einem Bein aufs andere und versucht seinen Blazer mit verschränkten Armen geschlossen zu halten, während der Wind unnachgiebig an den dünnen Stoff zieht.
Wir beeilen uns, den Buchladen zu betreten. Es ist ein Laden speziell ausgelegt auf Werke aus Kunst, Architektur und Design. Als wir noch gemeinsam studierten, verbrachten wir hier viele Stunden, um in den Bänden zu stöbern. Cassian kaufte bei jedem unserer Besuche einen Titel und meistens waren es große Sammelwerke von jenen Fotografen, mit denen er sich künstlerisch verbunden fühlte. Er hat sich zu Beginn des Studiums früh für die Modefotografie zu interessieren begonnen.
Ich folge Cassian zur Abteilung für Fotografie und bewundere wieder einmal die besondere Atmosphäre des Buchladens, der unter dem steinernen Gewölbe des Stadtbahnbogens mehrere tausend Bücher beherbergt. Ich fühle mich hier immer ein wenig an eine Burg oder ein Kloster erinnert.
"Suchst du nach etwas Bestimmten?"
Cassian nennt mir den Fotografen, doch der Name findet in meinem Gedächtnis keinen Anklang. Während Cassian seinen Blick suchend über die Einbände schweifen lässt, versuche ich, für unser Gespräch einen Anfang zu finden.
"Bist du gestern allein nachhause?", frage ich schließlich. Cassian lacht leise auf und zieht ein Band aus dem Regal.
"Du kennst mich seit über fünf Jahren, Younes. Die Frage erübrigt sich."
Ich nicke, obwohl er mich nicht ansieht, denn wie damals klebt sein Blick auch heute sofort auf den Seiten.
"Die viel interessantere Frage ist aber, ob du jemanden gefunden hast", fügt Cassian an und hebt nun doch seinen Blick für sein schiefes Lächeln.
"Oder lebst du immer noch abstinent? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, da warst du auch ziemlich flirty unterwegs."
Ich zucke mit den Schultern und schlage wahllos ein Werk auf einem der Tische auf.
Cassian spricht auf eine Zeit an, in der ich eine Reihe an One-Night-Stands hatte. Es war eine gute Zeit und an manchen Tagen vermisse ich das Gefühl der Ungebundenheit und Freiheit dieser Nächte. Ich vermisse meine sorglose Einstellung mit der ich damals offener für Spontanes war.
"Imra versucht immer noch mich zu verkuppeln."
"Bist du denn auf der Suche?"
Mir entkommt nur ein spöttisches Schnaufen als Antwort. Ich bin nicht der Typ für etwas Langfristiges, wie ich bei meinem letzten Versuch auf schmerzhafte Weise feststellen musste.
Ich frage Cassian nach dem Verlauf des Abends, da wir die Party kurz nach der Verabschiedung von ihm verlassen haben.
Er berichtet von einer Art Pressekonferenz, auf die er das Thema seiner aktuellen Fotoreihe erläuterte und dass sich dann die fotografierten Models zu Wort meldeten, um die Arbeit mit ihm zu beschreiben. Er hatte sich im Vorfeld mit ihnen allen abgesprochen, mit der Idee, dass hauptsächlich über sein Schaffen und wenig über sein Privatleben gesprochen wird.
Da ein überwiegender Teil der Models selbst große Bekanntheit genießt, gelang Cassian sein Vorhaben, wie er stolz erzählt.
"Meine Kamerafrau hat alles aufgenommen und ich hoffe den Abend bald auf meinem Kanal teilen zu können."
"Du suchst also einen neuen Cutter", nehme ich das Gespräch von gestern wieder auf.
"Ja, mein vorheriger Cutter hat von dem einen auf den nächsten Tag gekündigt und ist in die alte Heimat gezogen."
Ich halte beim Blättern inne und sehe zu Cassian, der sich gerade einen weiteren Band vornimmt, um ihn mit einer Liste auf seinem Handy abzugleichen.
Mein Puls beschleunigt sich. Ich mustere den Fotografen genauer. Er wirkt zu ruhig und ausgeglichen, als dass ich mir Sorgen machen sollte.
Trotzdem stelle ich meine nächste Frage.
"Hat er gesagt, warum er so plötzlich weg wollte?"
Auch wenn wir mittlerweile nur noch sporadisch in Kontakt treten, stützt sich unsere Freundschaft auf ein starkes Fundament. Wir verbrachten als Studenten viel Zeit miteinander, lernten die Stärken und Schwächen des anderen kennen. Fast nichts blieb vor einander verborgen.
Bis zu einem gemeinsamen Erlebnis, über das wir bis heute kein Wort mehr gewechselt haben und an das ich nun denken muss.
Ich beobachte Cassian, aber da ist kein Zögern in seinen Bewegungen bei meiner Frage. Er blättert weiter und fährt mit den Fingern über die Zeilen eines Abschnitts, den er überfliegt.
"Seine Freundin hat sich von ihm getrennt, oder sie hatten einen Streit. So genau weiß ich nicht mehr, was er erzählt hat."
Natürlich weiß er es nicht mehr. Cassian interessierte sich noch nie besonders für die Menschen um sich herum. Es gibt Ausnahmen, und mich zähle ich an manchen Tagen zu diesen Ausnahmen. Heute zumindest ist so ein Tag.
Cassian schließt die ausgesuchten Bände nacheinander. Es sind insgesamt fünf Werke, die er nun in seine Arme lädt. Er schenkt mir ein zufriedenes Lächeln und ich schäme mich für die Unterstellung, die mir vor wenigen Sekunden noch durch den Kopf gegangen ist.
Das, was damals passierte, ist vergangen. Der heutige Fotograf hat nichts mehr mit jenen unter Druck gesetzten Studenten gemeinsam.
"Wie geht es dir und dem Café? Du musst mir erzählen, weshalb ihr jetzt doch renovieren wollt. Lass uns noch in der Abteilung für Architektur nachsehen, ob wir etwas passendes für dich beim Interior Design finden können."
Ich gebe Cassian die Kurzfassung von dem kleinen Rohrbruch, den wir vor zwei Wochen im Café hatten und berichte davon, dass uns bei der Reparatur geraten wurde, die veralteten Strom- und Wasserleitungen zu erneuern.
"Damals hätte ich gedacht, du wirst in Zukunft mit deinen Fachbüchern über moderne Kunst dein Geld machen und hältst selbst Vorlesungen. Stattdessen plagst du dich mit kaputten Rohren herum", sagt Cassian. "Bist du denn glücklich?"
Wir halten an einen Tisch, der mit Büchern über Innenausstattung gedeckt ist. Mir wird bei Cassians plötzlich sehr ernsten Frage erneut bewusst, wie wenig wir in den letzten Jahren miteinander auf diese Weise gesprochen haben.
"Es ist hart und kräftezehrend, aber ich habe kein einziges Mal bereut, mein Studium abgebrochen zu haben."
Cassian sieht aus, als traue er meinen Worten nicht über den Weg, doch dann geht er dazu über mir ein paar Bücher hinzuschieben. Wir vertiefen uns in die Auswahl der Werke. Am Ende entscheide ich mich für einen kleinen handlichen Ratgeber über gemütliche Lichtkonzepte in Innenräumen.
"Kunstgeschichte war nichts für mich. Ich bin in den Seminaren eingeschlafen", füge ich nachträglich noch hinzu.
"Stimmt. Und in der Zeit vor den Prüfungen hast du lieber gedatet, statt zu lernen."
Nach einer Stunde verlassen wir den Laden und ich begleite Cassian zu seinem parkenden Auto.
"Hast du noch Zeit für einen Kaffee?", versuche ich mein Glück, obwohl ich Cassians Antwort schon erahne.
"Ich muss weiter zu einem Probeshooting."
Ein Anflug von Bedauern liegt in seinem Blick.
"Ruf mich an, wenn du das nächste Mal wieder spontan Zeit haben solltest", bitte ich. Cassian verspricht sich wieder zu melden. Wir umarmen einander, dann steigt der Fotograf in sein Auto.
Ich sehe seinen Wagen noch lange nach.
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